Im Zeitraum 1959/60 befindet sich Paul Celan in einer Phase intensiver poetologischer Selbstreflexion:
im August 1959 entsteht sein „Gespräch im Gebirg“, der einzige erzählende Prosatext
im Werk des Lyrikers, knapp ein Jahr später im Oktober 1960 die Büchnerpreisrede „Der
Meridian“, die als wichtigste poetologische Äußerung Celans gilt. Währenddessen schließt er
„Sprachgitter“ ab und beginnt die Arbeit an der „Niemandsrose“, seinem vierten Gedichtband.
In denselben Zeitraum fällt Celans Bekanntschaft mit Adorno, die von einem Briefwechsel
begleitet wird. In einem Brief vom 23. Mai 1960, der die Übersendung des „Gesprächs im
Gebirg“ an Adorno begleitet, spricht Celan das erste Mal von Involution. Der Begriff taucht
in den Arbeitsnotizen zum „Meridian“ ebenfalls mehrfach auf. Bernhard Böschenstein kommt
der Verdienst zu, ihn hier zuerst gesehen und publik gemacht zu haben. Marlies Janz jedoch
war die Erste, die das häufige Auftreten des Begriffes in den unterschiedlichsten Zusammenhängen
als Anlass für die Vermutung nahm, dass es sich bei der Involution um ein systematisches
Konzept handeln müsse, das einen zentralen Aspekt der Celanschen Poetik darstellt.
Die Erkenntnisse, die Janz bereits seit einigen Jahren im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit am Institut
für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin einer kleineren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht hat, sind nun in systematischer Form in ihrem Beitrag zum aktuellen
Celan-Jahrbuch erschienen. Die Thesen, die Janz in ihrem Essay „'Judendeutsch'. Paul Celans
Gespräch im Gebirg im Kontext der 'Atemwende'“ formuliert, sind der zentrale Ausgangspunkt
für diese Magisterarbeit.
Der Begriff „Involution“ leitet sich von dem lateinischen Verb „involvere“ ab, das im Sinne
von einhüllen bzw. verhüllen, verbergen verwendet wird Involution wird in erster Linie im
medizinisch-biologischen Kontext verwendet und bezeichnet dort die Rückbildung der Organe
und ihrer Leistungen im Alter. Leibniz verwendete Involution daran anknüpfend als „Einwicklung
des Organismus“ durch den Tod im Gegensatz zur Evolution als „Entwicklung des
Lebens“. Die Verknüpfung von Involution und Tod ist auch im Rahmen der Celanschen Poetik
von großer Bedeutung.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Konzept der Involution
- Genese des Involutionsbegriffs
- Die Ebene der Motivik: Vorwelt und Stein
- Die Ebene der Ästhetik: Involution als das Kunstfeindliche
- Die richtige Form des Gedenkens: das Gedicht als „Atemwende“
- Kritische Betrachtung anderer Deutungsansätze
- Involution im „,Gespräch im Gebirg“
- Involution auf inhaltlich-motivischer Ebene
- Das,,Gespräch“ von Stock und Stein
- Die Unterscheidung von „reden“ und „sprechen“
- „Sprechen“ als Voraussetzung einer erfolgreichen Subjektwerdung
- Involution auf sprachlicher Ebene
- Zwischenfazit
- Involution im „,Meridian"
- Bestimmung der Kunst
- Bestimmung der Dichtung
- Dichtung als Aufhebung der Kunst – die „Atemwende“ des Gedichts
- Toposforschung und Utopie – die räumliche Dimension der Erinnerung
- Zwischenfazit
- Involution auf inhaltlich-motivischer Ebene
- Involution als Paradigma der Interpretation im Gedichtband ,,Die Niemandsrose“
- ,,Ein Wurfholz“ – die „Atemwende“ als Funktionsweise des Gedichts
- Die Umkehr des Wurfholzes als „Atemwende“ des Gedichts
- Der Moment des Innehaltens als zeitliche Zäsur
- Zusammenfassung
- ,,Anabasis" - die Gemeinschaft in der Sprache
- Der Perspektivwechsel als Befreiungsbewegung der Sprache
- Fragmentierung der Sprache als Voraussetzung für Gemeinschaft
- Zusammenfassung
- „Le Menhir" - Gedenken und das ad absurdum Führen religiöser Vorstellungen
- Die Bedeutung des Steins
- Die „Atemwende“: Das Sprechen im Namen der Anderen
- Das ad absurdum Führen religiöser Vorstellungen
- Zusammenfassung
- ,,Les Globes" - die Inversion von Außen- und Innenwelt
- Der Lesevorgang als Akt der Wirklichkeitserschaffung
- Der reziproke Leseprozess
- Das ad absurdum Führen des Raumes
- Zusammenfassung
- ,,Ein Wurfholz“ – die „Atemwende“ als Funktionsweise des Gedichts
- Schlusswort
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit untersucht das Konzept der Involution als zentrales Paradigma der Interpretation in Paul Celans Gedichtband „Die Niemandsrose“. Die Arbeit analysiert die Genese des Begriffs „Involution“ in Celans Werk und beleuchtet seine Bedeutung im Kontext der Celanschen Poetik. Dabei werden die verschiedenen Ebenen der Involution, von der Motivik bis zur Ästhetik, untersucht und in Bezug zu Celans poetologischen Schriften und Gedichten gesetzt.
- Die Genese des Involutionsbegriffs in Celans Werk
- Die Bedeutung der Involution für die Celansche Poetik
- Die verschiedenen Ebenen der Involution (Motivik, Ästhetik, Sprache)
- Die Rolle der Involution in der Interpretation von Celans Gedichten
- Die „Atemwende“ als zentrale Funktion der Involution
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext der Arbeit vor und erläutert die Bedeutung des Konzepts der Involution für die Interpretation von Celans Werk. Das erste Kapitel analysiert die Genese des Involutionsbegriffs und seine verschiedenen Ebenen. Es wird gezeigt, wie Involution als ein zentrales Element der Celanschen Poetik verstanden werden kann, das sich in der Motivik, der Ästhetik und der Sprache manifestiert. Das zweite Kapitel untersucht die Involution im Kontext von Celans „Gespräch im Gebirg“ und „Meridian“. Es wird gezeigt, wie Involution in diesen Texten als ein Prozess der Rückwendung und des Rückzugs verstanden werden kann, der sowohl auf inhaltlich-motivischer als auch auf sprachlicher Ebene stattfindet. Das dritte Kapitel analysiert die Involution im Gedichtband „Die Niemandsrose“. Es wird gezeigt, wie Involution in den einzelnen Gedichten als ein Paradigma der Interpretation fungiert, das die „Atemwende“ als zentrale Funktion des Gedichts hervorhebt. Das Schlusswort fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und stellt die Bedeutung der Involution für das Verständnis von Celans Werk heraus.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Involution, die „Atemwende“, die Celansche Poetik, das Gedicht, die Sprache, die Motivik, die Ästhetik, das Gedenken, die Erinnerung, die Gemeinschaft, die Kunst, die Dichtung, die Interpretation, „Die Niemandsrose“, „Gespräch im Gebirg“, „Der Meridian“, Paul Celan.
- Quote paper
- Magistra Artium Anne-Maria Sturm (Author), 2008, Das Konzept der Involution als Paradigma der Interpretation in Paul Celans Gedichtband "Die Niemandsrose", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131958