Die vorliegende Arbeit thematisiert den Alltag der Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Wir haben uns speziell für Ravensbrück entschieden, da es das größte Frauenlager der Nationalsozialisten war. Vordergründig behandelt die Facharbeit das Leben und Leiden von weiblichen Häftlingen in Ravensbrück, weil die Geschichte dieser konkreten Gruppe von Opfern oft übergangen wird und häufig nur die Rede von einer Allgemeinheit ist. Wir finden es wichtig, einen Einblick in die Zeit der Gefangenschaft von Frauen und Mädchen zu geben.
Die Arbeit stellt die Geschichte des Aufbaus des Hauptlagers, des Jugendschutzlagers Uckermark sowie des Männerlagers dar. Dabei gehen wir nicht grundlegend auf den Alltag der Häftlinge der Nebenlager ein, sondern fokussieren uns auf den der Frauen im Hauptlager, da sie den Schwerpunkt unserer Arbeit darstellen. Dieser Teil steht am Anfang unseres Textes, weil er für die restliche Arbeit eine Wissensgrundlage schafft und die folgenden Themen darauf aufgebaut wurden. Des Weiteren werden die Häftlingskategorien, verschiedene Arten der Zwangsarbeit und die Ermordung der Gefangenen behandelt. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist die Zwangsprostitution der inhaftierten Frauen und das Frausein im Konzentrationslager. Hierzu wurde unter anderem ein Interview mit dem Kulturwissenschaftler Robert Sommer geführt, welcher im Rahmen seines Buches „Das KZ-Bordell“ beutende Forschung zum Thema leistet. Diesem vermeintlichen Tabuthema widmen wir uns explizit.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Aufbau des Konzentrationslagers Ravensbruck(Paul Pischel)
2.1 Entstehung und Entwicklung des Konzentrationslagers
2.2 Die Gebaude und Bereiche des Konzentrationslagers
2.2.1 Das Hauptlager
2.2.2 Die Unterkunfte der Schutzstaffel
2.2.3 Das Jugendschutzlager Uckermark
2.2.4 Das Mannerlager Ravensbruck
3 Der Lageralltag der Haftlinge(Lisa Junghans)
3.1 Die Haftlingsgruppen.
3.2 Der Tagesablauf im Konzentrationslager
3.3 Die Zwangsarbeit
3.4 Widerstand und Solidaritat im Konzentrationslager
3.5 Ermordung und Massensterben im Konzentrationslager
4 Frausein im Konzentrationslager(Celine Ebeling)
4.1 Prostitution als eine Form der Zwangsarbeit
4.1.1 Funktion der Zwangsprostitution
4.1.2 Der Weg zur Prostitution
4.2 Mutterschaft im Konzentrationslager
4.2.1 Zwangsabtreibung im Konzentrationslager
4.3 Sterilisation der weiblichen Haftlinge
5 Schlussteil
6 Literatur- und Quellenverzeichnis
7 Anhang
1 Einleitung
„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch kunftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt.“ (www.kz-gedenkstaette-dachau.de 30.08.2022). Der ehemalige Bundesprasident Roman Herzog pragte diese Worte am zentralen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus im Jahr 1996. Auch 26 Jahre spater ist dieses Zitat aktuell und bedeutsam fur unsere Gesellschaft. Unsere Seminarfacharbeit soil ein Beitrag zur Erinnerungskultur sein und gegen das Vergessen der Verbrechen der Nationalsozialisten im zweiten Weltkrieg wirken. Das Thema liegt uns personlich am Herzen, da in den letzten Jahren rechtsextreme Ideologien, Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung in der Gesellschaft zugenommen haben. Dies ist erschreckend, aber zeigt, dass die Menschen in unserer Gesellschaft viel ofter mit dem Thema konfrontiert werden sollten.
Unsere Arbeit thematisiert den Alltag der Haftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Wir haben uns speziell fur Ravensbruck entschieden, da es das groBte Frauenlager der Nationalsozialisten war. Vordergrundig behandelt die Facharbeit das Leben und Leiden von weiblichen Haftlingen in Ravensbruck, weil die Geschichte dieser konkreten Gruppe von Opfern oft ubergangen wird und haufig nur die Rede von einer Allgemeinheit ist. Wir finden es wichtig, einen Einblick in die Zeit der Gefangenschaft von Frauen und Madchen zu geben. Die Graueltaten der Nationalsozialisten im Konzentrationslager Ravensbruck sollen vertieft und offen veranschaulicht werden, sodass die Leser konkreter nachvollziehen konnen, wie schrecklich das Leben der KZ-Gefangen tatsachlich war.
Die Arbeit stellt die Geschichte des Aufbaus des Hauptlagers, des Jugendschutzlagers Uckermark sowie des Mannerlagers dar. Dabei gehen wir nicht grundlegend auf den Alltag der Haftlinge der Nebenlager ein, sondern fokussieren uns auf den der Frauen im Hauptlager, da sie den Schwerpunkt unserer Arbeit darstellen. Dieser Teil steht am Anfang unseres Textes, weil er fur die restliche Arbeit eine Wissensgrundlage schafft und die folgenden Themen darauf aufgebaut wurden. Des Weiteren werden die Haftlingskategorien, verschiedene Arten der Zwangsarbeit und die Ermordung der Gefangenen behandelt. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist die Zwangsprostitution der inhaftierten Frauen und das Frausein im Konzentrationslager. Diesem vermeintlichen Tabuthema widmen wir uns explizit. Am Schluss unserer Arbeit soll ein bleibender Eindruck uber die unmenschlichen Zustande im Konzentrationslager hinterlassen werden.
In unserer Seminarfacharbeit haben wir aus Grunden der Lesbarkeit auf geschlechtsneutrale Formulierungen verzichtet. Wir mochten jedoch darauf hinweisen, dass trotzdem alle Personen jeglichen Geschlechts angesprochen sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Aufbau des Konzentrationslagers Ravensbruck
2.1 Entstehung und Entwicklung des Konzentrationslagers
Wahrend Adolf Hitler im dritten Reich ab 1933 an der Macht war, plante Ende 1938 die dem NS-Regime angehorige Inspektion fur Konzentrationslager den Bau neuer Gefangenen- und Vernichtungslager. Aufgrund der neuen, veranderten Ansichten uber vorbeugende Verbrechungsbekampfung, wurden ganze Bevolkerungsgruppen wie Juden oder Sinti & Roma alsminderwertigeingestuft und somit immer mehr Menschen verurteilt.
Im Konzentrationslager Lichtenburg waren die Haftlingskapazitaten uberlastet und daher suchte man einen neuen Standpunkt im nord-ostlichen Bereich des Deutschen Reichs, im heutigen Brandenburg. Die Inspektion fur Konzentrationslager fand das Dorf Ravensbruck mit seiner Lage am Schwedtsee angemessen. Die Entfernung zur wirtschaftlich lukrativen Stadt Furstenberg an der Havel betragt nur drei Kilometer. Kurz nach Baubeginn und Fertigstellung erster Baracken wurden 974 Frauen aus dem uberfullten KZ Lichtenburg in das neue Frauen- Konzentrationslager Ravensbruck deportiert.
Die SS setzte ab Baubeginn im Januar 1939 350 bis 500 mannliche Haftlingsarbeiter aus Sachsenhausen als Hauptarbeitskrafte ein (siehe Anlage 2). Daruber hinaus wurden auch ortliche und uberregionale Firmen beauftragt, da einige Arbeitsschritte wie das Instandsetzen von Elektrik und Heizsystemen Fachpersonal benotigten. In der ersten Bauphase wurden zwolf Wohnbaracken und sechs individuell einsetzbare Baracken errichtet. Ein Wirtschaftsgebaude mit Kuche und Badern, die Kommandantur1und eine Lagermauer entstanden ebenfalls zu Baubeginn. Gleichzeitig baute die SS vor dem Haftlingslager erste Wohnhauser fur das Bewachungspersonal (vgl. BESSMANN UND ESCHENBACH 2013, S. 23, 28, 32, 33).
Das KZ Ravensbruck war im Juli 1939 fur 1500 weibliche Haftlinge vorgesehen, die tatsachliche Insassenanzahl betrug aber bald schon 3000. Daraufhin wurden weitere Bauvorhaben zur VergroBerung eingeleitet und die Zwangsarbeit gewann an groBerer Bedeutung, da auch ab Mai 1939 weibliche Haftlinge im Bau eingesetzt wurden. Ein Lagergefangnis war vorerst in der Erweiterung nicht eingeplant und wurde erst spater hinzugefugt, um mehr StrafmaBnahmen durchfuhren zu konnen. Bis Ende 1939 ist unter der SS-Fuhrung der erste Bereich des Konzentrationslagers mit 16 Wohnbaracken und einer festen LagerstraBe entstanden, welchen man alsAltes Lagerbezeichnet (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung).
2.2 Die Gebaude und Bereiche des Konzentrationslagers
2.2.1 Das Hauptlager
Den Kernbereich des Hauptlagers bildete zunachst eine breite LagerstraBe zwischen den zwei Barackenreihen. Jedoch anderte sich die ubersichtliche Anordnung der Gebaude, als Anfang 1940 ein Industriehof im Lager errichtet wurde und somit eine raumliche Erweiterung fur Werkstatten und Lager notig war. Nachdem immer mehr Industriehofe im Lagerkomplex erbaut wurden, erweiterte man bis 1945 die Barackenreihen auf funf. Zeitlich parallel ergaben sich somit vier LagerstraBen (siehe Anlage 3). Diesen weiterentwickelten Bereich bezeichnet man alsNeues Lager.
Der neue Mittelpunkt des Lagers ist der zentrale Appellplatz vor den Barackenreihen am Beginn der LagerstraBen. Er diente als Versammlungspunkt fur Insassen und SS-Aufseherinnen (siehe Anlage 4). Im vorderen Bereich befindet sich eine SS-Kantine, die beliebig als Raumlichkeit benutzt werden konnte. 1939 wurde das Wirtschaftsgebaude im Lager fertig gebaut. Es ist ein eingeschossiger Bau, in dem die SS die Haftlingskuche und das Haftlingsbad errichtete. Die Sanitarraume dieses Gebaudes wurden fur Hygienekontrollen bei neuen Haftlingen genutzt und somit zum Ort von herabwurdigenden Aufnahmeprozeduren.
Am Eingangsbereich, noch vor der groBen Lagermauer, befindet sich ein bedeutendes Gebaude fur die SS, die Kommandantur (siehe Anlagen 5, 6). Die Leitung des Konzentrationslagers hatte hier ihren Sitz. Lagerinterne Entscheidungen und Auswertungen wurden in diesen Burozimmern getroffen (siehe Anlage 7). Es ist ein dreistockiges, nord-sud ausgerichtetes Gebaude, dessen groBe Eingangsturen sich unter einem Vorbau befinden, welcher auf Erdgeschossebene durch Saulen gestutzt wird. Hinter dem Gebaudeeingang ist ein breiter, verwinkelter Treppenaufgang aus Holz, der zu weiteren Konferenzraumen im Obergeschoss fuhrt. Aufgrund der herrschaftlichen Architektur wurden in den Salen dieses Gebaudes Besprechungen und Empfange mit hochrangigen Befehlshabern des NS-Regimes abgehalten. Spater wurde an die Kommandantur noch ein langer Garagenneubau angeschlossen.
Das Tor mit Wachhaus bildet den direkten Haupteingang zum Lagerinnenbereich und ist daher im westlichen Empfangs- und Eingangsbereich des Konzentrationslagers Ravensbruck zu finden (siehe Anlage 8). Tor und Wachhaus sind zu Baubeginn 1939 entstanden, sodass die SS uberwachen konnte, wer mit wem das KZ betrat und verlieB. Eine bessere Kontrolle uber die Haftlingskolonnen und die SS-Aufseher war somit gegeben. Die massive Steintoranlage ergibt zusammen mit dem Haupttor aus Metallstreben eine schleusenartige Form. Das Wachpersonal musste diesen Weg nicht zwingend benutzen, da an den Seiten separate Nebentore vorbeifuhrten.
Im hinteren Bereich des Konzentrationslagers befand sich ab 1939 das Krankenrevier fur verletzte Insassinnen. Daneben ist das Gebaude fur Arbeitsentwicklung, welches von 1943 bis 1945 genutzt wurde. Richtung Osten und Suden im Lagerkomplex wurden weitere Baracken2errichtet. Speziell ausgewiesen waren zum Beispiel der Block Zehn ab 1943 alsTuberkuloseblockoder bis 1942 die Blocke Neun und Elf alsJudenbaracken. Mehrere Industriehofe mit Lagerhallen und kleinen Werken umschlieBen die Haftlingsunterkunfte. Hier waren meist kunstgewerbliche Abteilungen wie Flechtereien, Schneidereien und Webereien fur den SS-eigenen BetriebGesellschaft fur Textil- undLederverwertung mbHeinquartiert.
100 Meter vor den Toren des Lagers, am Ufer des Schwedtsees, errichteten Zwangsarbeiter unter Befehl der KZ-Leitung ein lagerinternes Wasserwerk. Neben der Technik des Versorgungswerks wurden hier auch Garagen, Fahrerunterkunfte und Werkstattraume untergebracht (siehe Anlage 9). In dem benachbarten Gebaude befand sich die Telefon- und Telegraphenstation. Zu Baubeginn war dort an Stelle des Wasserwerks der Zellentrakt eines Gefangnisses geplant. Aus Technik- und Kapazitatsgrunden wurde der Gefangnisbau verlegt und das schon bestehende Fundament somit anderweitig verwendet (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung).
Das Gefangnis, welches ab 1939 zusatzlich errichtet wurde, um das entstandene Strafsystem des NS-Regimes vollstandig zu erfullen, wurde in zwei Bereiche unterteilt, in den Zellentrakt und in den Verwaltungstrakt. Es ist ein zweistockiges Gebaude mit 78 Einzelzellen, die in einem Zellenumgang mit durchgebrochener Zwischendecke aufgereiht sind (siehe Anlage 10). Die Zellen wurden jeweils durch eine Eisentur, die mit einer Nahrungsklappe versehen ist, betreten. Die Ausstattung bestand aus einem Klappgitterbett, einem Holzhocker und einer Toilette mit Waschbecken (siehe Anlage 11). Das Gebaude befindet sich in der sudwestlichen Ecke des Lagers und grenzt auf der einen Seite an den Vorhof und an der anderen Seite an den inneren Appellplatz. Der Grundriss ahnelt dem Buchstabe T. Der Hauptteil ist nach West-Ost ausgerichtet, hat eine Lange von 52,9 Meter und eine Breite von 12,1 Meter. Dieser wurde als Zelltrakt ausgebaut. Im Norden setzt der Seitenflugel mit einer Lange von 13,1 Meter und einer Breite von 7,9 Meter an. In ihm befanden sich die Wirtschaftsraume und die Verwaltung. Da der zweistockige Zellentrakt aufgrund der durchbrochenen Zwischendecke einen Lichthof besitzt, ergibt sich hier eine Deckenhohe von 6,3 Meter. Das Fundament und 1,5 Meter der Gesamthohe sind allerdings in den Boden versenkt, sodass das auBere Erscheinungsbild niedriger wirkt (Dauerausstellung: Ravensbruck. Der Zellenbau.).
Die Aufforderung zum Bau des Gefangnisses kam am 14. Marz 1939 von Max Koegel, welcher spater auch Lagerdirektor in Ravensbruck war. Er schrieb in einem Brief an Theodor Eicke, den Fuhrer der SS-Totenkopfverbande3und Konzentrationslager: „AuBerdem ist es unmoglich, die Ordnung im Lager aufrecht zu erhalten, wenn der Trotz dieser hysterischen Weiber nicht durch strengen Arrest gebrochen werden kann ..(KOEGEL 1939, Z. 5-8).
Das Lagergefangnis wurde von Haftlingen des eigenen Konzentrationslagers unter Zeitdruck erbaut. Die Insassenzahl stieg weiterhin an und daher versuchte die SS in fortwahrenden Tag- und Nachtschichten, ein Ausweich- und Strafquartier fur neue Haftlinge zu schaffen. Die Bauleitung ubernahm SS-Oberscharfuhrer4Matthias Bukowetz. Er bevorzugte den Bau durch eigene Zwangsarbeiter, aber der Einsatz von privaten Fachfirmen war trotzdem notwendig, sodass er Bauvertrage mit der BaufirmaAhlgrimmaus Furstenberg einging.
An der nordlichen Stirnseite befindet sich der Verwaltungstrakt und damit der Durchgang zum Zellentrakt. Am Eingang wurden Wachraume schleusenformig errichtet. Fur die SS- Aufseherinnen gab es in einem Raum eine Schreibstube, sowie einen Aufenthalts- und Schlafraum, der fur lange Wachschichten zur Verfugung gestellt wurde. Fur die Haftlinge baute die SS in diesem Gebaudebereich einen Duschraum mit acht einfachen Duschplatzen (siehe Anlage 12). Ab 1943 wurde im Obergeschoss ein Vernehmungszimmer fur die Leiter der politischen Abteilung eingerichtet. Das Untergeschoss wurde im Zeitraum von 1939 bis 1945 unterschiedlich, je nach Bedarf der SS, genutzt. Die beiden festeingebauten Ofen weisen auf einen Heizungsraum hin, aber vor allem blieb diese Etage des Traktes den Haftlingen als Ort der Bestrafung im Gedachtnis (Dauerausstellung: Ravensbruck. Der Zellenbau.). Die ehemalige Ravensbruck-Insassin Charlotte Muller, welche zur Klempnerarbeit gezwungen wurde, erinnerte sich an die Raumlichkeiten: „AuBer den schrecklich feuchten Bunkern war dort zur rechten Hand ein leerer Raum, dann kamen der Prugelraum und zwei Raume fur die Desinfektion. Im letzten Raum neben dem Ausgang saB die Bibelforscherin.“ (MULLER 1990, S. 56).
Nachdem das Konzentrationslager Ravensbruck drei Jahre bestand, suchte die SS eine wirtschaftlich profitable Moglichkeit, um sich starker an der Ausbeutung der Haftlinge zu bereichern. Man entschied sich dafur, eine SS-externe Fertigungsstelle im Lagerkomplex einzurichten, dadurch Pachteinnahmen zu generieren und die abwertende Rassenideologie weiter zu verbreiten. So kam es erstmals zu einer fur beiden Seiten dienlichen Zusammenarbeit zwischen der Konzentrationslagerleitung von Ravensbruck und einem privaten Unternehmen. Der TechnikproduzentSiemens & Halske, heute noch bekannt alsSiemens, lieB sich in den neu erbauten Fertigungsanlagen nieder und hatte den okonomischen Vorteil Zwangsarbeiter ohne Lohnanspruch einzusetzen (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung).
Die ersten Werkhallen wurden Anfang 1942 geplant, anschlieBend von mannlichen Haftlingen an der Sudmauer angebaut und mit dem Hauptlager zusammengeschlossen. Ab dem 24. August 1942 erteilte die Unternehmensleitung erste Arbeitsauftrage. Um die Produktionsmenge und - geschwindigkeit zu steigern, stellteSiemens & Halskebis 1944 2400 Haftlinge ein. Noch im selben Jahr baute das Unternehmen neue Baracken, speziell fur die Fabrikarbeiter, im eigenen Lagerbereich. 2000 der 2400 Haftlinge zogen in die neuen Wohnbaracken mit 32 Waschstellen und einer AuBenlatrine5um.
Siemens errichtete auch seine Kontroll- und Verwaltungsraume im Lagerkomplex und besetzte sie mit deutschen und osterreichischen Gefangenen. Bis April 1945 entstanden 20 Werkhallen (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung).
Wahrend der Anfangsjahre des Konzentrationslagers wurden die Haftlingsleichen in groBeren Mengen uber das stadtische Krematorium6von Furstenbergbeseitigtund uber Kontaktpersonen vertuscht. Als das aufgrund der steigenden Vernichtungsrate zu schwierig und fur den Abtransport zu umstandlich wurde, entschied sich die KZ-Leitung fur ein lagerinternes Krematorium mit zwei Verbrennungsofen, 1944 wurde ein dritter beigefugt (siehe Anlagen 13, 14, 15). Das Gebaude befindet sich im Westen des Lagerkomplexes hinter dem Vorhof und direkt neben der spateren Gaskammer7.
1944 forderten die Nationalsozialisten eine schnellere Vernichtung von KZ-Insassen. Noch Ende desselben Jahres begann man mit dem Bau einer provisorischen Gaskammer in einer Holzbaracke neben dem Krematorium des Ravensbrucker Konzentrationslagers. Um diese effektive Eliminierung voranzutreiben, lieB man die mannlichen Zwangsarbeiter ab Anfang 1945 eine zweite, technisch verbesserte Gaskammer aus Stein erbauen (vgl. www.webdoc.sub.gwdg.de 02.10.2022).
2.2.2 Die Unterkunfte der Schutzstaffel
Ein Konzentrationslager, wie das in Ravensbruck, wurde durch Offiziere der Schutzstaffel geleitet und von Aufseherinnen unter Kontrolle gehalten. Um eine schnelle Erreichbarkeit zu ermoglichen, plante die SS eine eigene Siedlung fur das Personal. Die Wohnanlage sollte sechs Fuhrervillen und vierzehn Zweifamilienhauser umfassen. Der Sportplatz und der Schmuckplatz8, welche in das Seeufer hineinreichen sollten, wurden aber nicht angelegt (Dauerausstellung: Das Fuhrerhaus. Alltag und Verbrechen der Ravensbrucker SS-Offiziere.). Ab 1939 beauftragte die Bauleitung der SS regionale Firmen fur die Ausfuhrung des Baus. KZ- Haftlinge setzte man ausschlieBlich fur Ausschachtungen und AuBenarbeiten ein, in denen kein Fachwissen notig war (siehe Anlage 16).
Das erste fertige Gebaude war eine Fuhrervilla und wurde ab September 1939 der Wohnsitz des Offiziers Max Koegel. In den folgenden Monaten bis zum Ende der Bauphase errichteten die Baufirmen zusammen mit den Zwangsarbeitern zehn Zweifamilienhauser, acht Blocke fur die Aufseherinnen und vier Fuhrervillen (Dauerausstellung: Das Fuhrerhaus. Alltag und Verbrechen der Ravensbrucker SS-Offiziere.). Die ehemalige Insassin Erna Ludolph erinnerte sich an die Arbeiten, die in Gruppen von sechs bis acht Personen ausgefuhrt wurden: „So wurde dann unter der Anweisung der Bauleitung und des Gartners Planierungen durchgefuhrt, Rasen angelegt und Bepflanzungen vorgenommen [...] und auf der Ruckseite der Hauser eine StraBe gebaut mit Hilfe von uns Haftlingen“ (LUDOLPH 1999; zitiert nach: Dauerausstellung: Das Fuhrerhaus. Alltag und Verbrechen der Ravensbrucker SS-Offiziere.).
Um die lagerinterne Infrastruktur zu starken und der Schutzstaffel den ununterbrochenen Aufenthalt in Lagernahe zu erleichtern, errichtete die SS-Leitung eine Privatschneiderei, eine Frisierstube und ein Kino in der Wohnsiedlung. Hinzu kam ein Kasino fur die SS-Fuhrer im Kommandaturgebaude, einKinderheimfur die Sohne und Tochter der Aufseherinnen und eine Kantine fur das Wachpersonal. Das NS-Regime bewirkte somit absichtlich, dass durch diese familienfreundliche Gestaltung, die Nationalsozialisten zahlreiche Nachkommen zeugten. Die nationalsozialistische Siedlungspolitik war auf zuverlassige Arbeiter fur die Zukunft ausgerichtet. Die SS-Siedlung in Ravensbruck hatte zwar in der baulichen Gestaltung kaum Ahnlichkeit zu denen, der anderen Konzentrationslager, erfullte aber den rassenideologischen Zweck.
Auf einer Anhohe am Rand der Siedlung befinden sich seit 1940 die vier Fuhrerhauser (siehe Anlage 17). Sie uberragen die Doppelhauser und Aufseherblocke und deuteten somit auf den hohen SS-Rang hin, welche ihre Bewohner besaBen. Die Fuhrerhauser hatten ein herrschaftliches Aussehen mit groBen Zimmern und weitlaufigem Grundstuck. Von der Wohndiele, der Terrasse und dem Balkon hatte man einen umfassenden Blick uber den Eingang des Gefangenenbereiches. Die Fuhrerhauser wurden von der SS mit festen Einbauten, wie Sitzbankecken serienmaBig ausgestattet und kostenfrei den SS-Offizieren und deren Familien gestellt. Die Dienstwohnungsvorschrift sah vor, dass sich im Untergeschoss das reprasentative Empfangszimmer mit Diele befand. Neben der groBen Kuche mit Speisekammer gab es weitere nicht private Nebenraume, Toiletten und den Windfang. Ein Kamin war das individuelle Gestaltungsstuck im Zentrum des Erdgeschosses. Weitere Bestandteile der Einrichtung wurden von den Familien je nach Geschmack gestaltet und mit eigenen Mitteln finanziert. Zum Beispiel war der Lagerleiter Max Koegel in seiner Freizeit Jager und schmuckte sein Fuhrerhaus mit Hirschgeweihen und Jagdtrophaen (siehe Anlage 18). Gegenuber dem Kamin fuhrte eine breite Holztreppe in den 90 Quadratmeter groBen Privatbereich des Obergeschosses. Dort befand sich das, mit Balkon und Bad ausgestattete, Schlafzimmer sowie Kinder- und Gastezimmer. Als LuftschutzmaBnahme wurde 1941 ein hausinterner Eingang zum Keller geschaffen (Dauerausstellung: Das Fuhrerhaus. Alltag und Verbrechen der Ravensbrucker SS-Offiziere.).
2.2.3 Das Jugendschutzlager Uckermark
Nachdem im Hauptlager von Ravensbruck groBtenteils erwachsene Frauen eingesperrt waren, entschied sich 1941 die KZ-Leitung dafur, ein AuBenlager zu errichten, in dem ausschlieBlich Gefangene im Alter von 16 bis 21 inhaftiert werden sollten (Dauerausstellung: Das Frauen- Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung). Noch 1941 kaufte die SS groBe Waldgebiete in der Uckermark und bereitete sie auf eine spatere Bebauung vor. Darauf folgte 1942 der Bauauftrag vom Reichspolizeikriminalamt fur ein Jugendschutzlager, welches einen halben Kilometer sudostlich und somit nicht weit entfernt vom Hauptlager entstehen sollte (siehe Anlage 19). Die Lagerleitung wurde von der Kriminalratin Lotte Toberentz zusammen mit der SS-Kommandantur von Ravensbruck gefuhrt.
Nach Fertigstellung der Unterkunfte wurden am 1. Juni 1942 1200 Haftlinge in das Jugendschutzlager Uckermark uberfuhrt (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung). Fur den Bau der Baracken setzte man die mannlichen Haftlinge des Hauptlagers als Zwangsarbeiter ein. 1943 wurde eine Bauerweiterung eingeleitet, in der die SS-Kuchenraume und ein Krankenrevier errichten lieB. Bis zur Auflosung im Jahre 1945 entstanden 17 einzeln umzaunte Wohnbaracken.
Den westlichen Teil der Anlage bildet der Eingangsbereich mit zwei Verwaltungsgebauden fur die Lagerleitung. Dahinter schlieBt sich eine LagerstraBe an, welche mittig zwischen den Wohnbaracken hindurchfuhrt. Die Wohnbaracken wurden verschieden unterteilt. Im nordlichen Bereich der Anlage befand sich ein Materiallager. Daher wurden in unmittelbarer Nahe Funktionsbaracken wie Stickereien und Nahstuben angelegt. Weitere Funktionsbaracken befanden sich im ostlichen Bereich des Lagers, nahe den Stallen, da dort eine Kaninchenzucht betrieben wurde und auch hier die Arbeitskraft der jungen Zwangsarbeiter zum Einsatz kam. Wenn man der LagerstraBe nun weiter folgte, verlieB man die Anlage durch den Ostausgang und gelangte zu einem weiteren Stall sowie zu den Gartnerei- und Kuchengebaude. Ein weiteres Bauwerk oberhalb der mittigen West-Ost-LagerstraBe ist das Revierhaus. Es diente zur Uberwachung der Insassen und nimmt mit seiner Position eine zentrale Lage ein. Unterhalb der LagerstraBe wurden fur die allgemeine Unterbringung zwei weitere Haftlingsbaracken in der Nahe der Gewachshauser erbaut. Eine Ausnahme stellte aber der Sonderblock in der Sud-West- Ecke dar. Er wurde fur die Umerziehung von slowenischen Problemhaftlingen errichtet, nachdem man 41 von ihnen im Herbst 1943 nach Uckermark deportierte (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung).
2.2.4 Das Mannerlager Ravensbruck
Das Mannerlager war kein separates AuBenlager wie Uckermark, es war ein kleiner abgetrennter Bereich innerhalb der Mauern des groBen Hauptlagers (siehe Anlage 19). Im Flachenvergleich zwischen dem Mannerlager und dem gesamten Frauen-Konzentrationslager besteht ein ungefahres Verhaltnis von 1:15, welches auch auf die wesentlich kleinere Haftlingskapazitat des Mannerlagers schlieBen lasst. Ein erster entwickelter Plan entstand im Jahr 1940. Er beinhaltete Baracken fur 1500 junge Manner und Jugendliche und die daraus entstehende Starkung der lagerinternen Infrastruktur. Die Manner sollten als korperlich starke Zwangsarbeiter in jeglichen Bauprojekten des KZ Ravensbruck eingesetzt werden (Dauerausstellung: Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbruck. Geschichte und Erinnerung).
Im April 1941 wurde der Bau des Mannerlagers abgeschlossen und eine geschlechtergetrennte Unterbringung war nun moglich. AnschlieBend startete die SS die Aufnahme von Haftlingen aus uberfullten Mannerlagern, zum Beispiel die Deportierung von 300 Insassen aus dem KZ Dachau am 8. April 1941. Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges im Jahre 1945, erreichten
[...]
1 Dienstgebaude eines Kommandos in einer groBeren militarischen Einrichtung (www.derdiedaseasy.de 02.10.2022)
2 nicht unterkellerter, einstockiger Holzbau fur eine behelfsmaBige Unterbringung (www.duden.de 02.10.2022)
3 fur die Bewachung der Konzentrationslager zustandige Einheiten der SS (www.wikipedia.de 02.10.2022)
4 von 1933 bis 1945 der niedrigste Rang der Dienstgradgruppe der Unteroffiziere im Deutschem Reich (www.derdiedaseasy.de 02.10.2022)
5 in Lagern behelfsmaBig erbaute Toilettenanlage, die von mehreren Personen gleichzeitig benutzt werden kann (www.duden.de 02.10.2022)
6 Gebaude mit Anlage zur Verbrennung von Leichen (www.dwds.de 02.10.2022)
7 geschlossener Raum, in dem Menschen durch eingeleitetes Giftgas getotet werden (www.derdiedaseasy.de 02.10.2022)
8 ein ansehnlicher Gartenplatz, der hauptsachlich von FuBgangern frequentiert wird (www.wikipedia.de 02.10.2022)
- Quote paper
- Anonymous,, 2022, Der Alltag der Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück im Zeitraum 1939-1945, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1319015
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