Heinrich von Kleists Werke "Penthesilea" und "Käthchen von Heilbronn" werden anhand einer textnahen Figurenanalyse genauer im Vergleich zueinander unter die Lupe genommen. Ziel und These der Arbeit ist es, die unbestreitbaren Similaritäten beider Figuren zu veranschaulichen und unter Beweis zu stellen, dass sie zwei Kehrseiten derselben Medaille repräsentieren: ein und dieselbe Frau nur in unterschiedlichen Kontexten realisiert.
Liebe, Gewalt und Sexualität
Kehrseite derselben Medaille?
Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Heinrich von Kleist ist der Schöpfer der Figuren der Amazonenkönigin Penthesilea und des bürgerlichen Mädchens namens Käthchen von Heilbronn, welche beide die Protagonistinnen in den gleichnamigen Schauspielen darstellen. Beide Figuren könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein, die eine stürmt über das Schlachtfeld wie eine unaufhaltsame Schlächterin und tötet alles und jeden, der ihren Weg kreuzt und die andere, einem himmlischen Wesen gleich, durchquert das Land in absoluter Hingebung und Ergiebigkeit auf der Suche nach ihrem Auserwählten. Und obwohl beide Frauen so unterschiedlich wirken, hat Kleist doch zu Lebzeiten behauptet, sie seien „ein und dasselbe Wesen, nur unter entgegengesetzten Beziehungen gedacht“.[1] Die Beweggründe Kleists, so eine Behauptung über seine beiden Frauenfiguren zu stellen, gilt es nun in dieser Arbeit zu erörtern. Um dies zu bewerkstelligen, und um zu sehen, inwiefern Kleists Behauptung stimmt, werde ich zuerst eine überschaubare Figuren- und Charakteranalyse beider Figuren leisten und beide anschließend in einem direkten Vergleich einander gegenüberstellen. Ob das märchenhafte Käthchen von Heilbronn und die furchteinflößende Amazone Penthesilea tatsächlich die zwei Kehrseiten derselben Medaille darstellen, werde ich nun versuchen, herauszufinden.
Penthesilea und Käthchen
Penthesilea, Königin und Anführerin der Amazonenkriegerinnen, ist „in den skyth´schen Wäldern aufgestanden,/ und führ[t] ein Heer, bedeckt mit Schlangenhäuten,/von Amazonen, heißer Kampflust voll“[2] gen Troja, um sich dort am Krieg zwischen Griechen und Trojaner, ausgelöst durch den Diebstahl der schönen Helena, zu beteiligen. Auf dem Schlachtfeld vor Troja, mischen die Amazonen sich unter das Kriegsgewühl, bekämpfen Griechen und Trojaner zugleich und rufen nicht nur Angst und Schrecken, sondern auch Verwirrung hervor. Wieso die Königin der Amazonen ihr Gefolge kriegerischer Frauen in einen Kampf hetzt, an welchem sie eigentlich keine Beteiligung haben sollten, löst auch bei den Anführern der griechischen Heere Odysseus, Diomedes und Antilochus Verwirrung aus. Grausam und erschreckend wirken die Amazonen auf die Männer, ihr Anblick befremdlich, und sie scheinen nicht so recht verstehen zu können, was ihr Auge erblickt. Diese Frauen, die äußerlich Weiblichkeit, aber gleichzeitig auch kriegerische Männlichkeit ausstrahlen und wie eine hybride Gestalt beide Geschlechter in sich zu vereinen scheinen, wirken auf Griechen und Trojaner gleichermaßen einschüchternd. „Ganz wunderbar“[3] kommen diese Frauen ihnen vor, zwischen Anziehung und Ablehnung, von überhöhter Schönheit und erschreckender Brutalität gezeichnet, repräsentieren sie unbegreifliches Verhalten. Sie beobachten, wie Penthesilea scheinbar nur ein Ziel verfolgt und zwar Achilles im Kampf zu besiegen. Der Leser erfährt, dass sie eine unvergleichbare Kämpferin ist, begabt im Umgang mit Kriegswaffen und unaufhaltsam in ihrer Verfolgung des „Peleïden“[4]. Der Ätolier beschreibt den Ablauf des Kampfgeschehens:
Seht! wie sie mit den Schenkeln
Des Tigers Leib inbrünstiglich umarmt!
Wie sie, bis auf die Mähn herabgebeugt,
Hinweg die Luft trinkt lechzend, die sie hemmt!
Sie fliegt, wie von der Senne abgeschossen:
Numidsche Pfeile sind nicht hurtiger!
Das Heer bleibt keuchend, hinter ihr, wie Köter
Wenn sich ganz aus die Dogge streckt, zurück![5]
Ihre beeindruckende Schnelligkeit wird mit der eines Pfeiles gleichgesetzt, sodass es einem vorkommt, sie würde fliegen. Es wird nicht nur auf ihre Schnelligkeit verwiesen, sondern auch wiederholte Male auf ihre Beständigkeit, Ausdauer und Konstitution, sie wird „die Unaufhaltsame“[6] und „die Unverwüstliche“[7] genannt. Doch bereits hier findet der Vergleich mit einem Hund statt, genauer mit einer Dogge. Der Vergleich zwischen ihr und einer Hündin ist ein immer wiederkehrendes, das ganze Trauerspiel durchziehendes Bild. Durch Botenbericht und Teichoskopie erhält der Leser zahlreiche Beschreibungen der Amazonenkönigin. Antilochus nennt sie eine „rätselhafte Sphinx“[8] und eine „blind-wütende Hyäne“[9]. Ihr werden einerseits Eigenschaften von mystischen, fantastischen Kreaturen, wie die „rasende Megäre“[10] oder „Halb Furie, halb Grazie“[11] zugeschrieben, andererseits wird sie immer wieder mit Tieren verglichen. Plötzlich kann sie aber auch „mit einem Ausdruck der Verwunderung,/ Gleich einem sechzehnjährigen Mädchen plötzlich,/ das von olympischen Spielen wiederkehrt“[12] erscheinen und im Gespräch mit Odysseus „mit der Wangen Rot“[13] schüchtern, fast zurückhaltend wirken, was die verwirrende Art ihrer Person nur noch steigert. Vor allem aber um ihre Wildheit und Kampfeslust darzustellen, wenn sie Achilles im Kampfe hinterher hetzt, wird auf das Animalische in ihr aufmerksam gemacht. Doch das Animalische, Grausame, Unaufhaltsame in ihr nimmt erst seinen Lauf, als sie Achilles gen Ende im Zweikampf gegenübersteht und vom Wahnsinn gepackt, mit Hunden und Elefanten zugleich, auf ihn losstürmt, um ihn zu töten.
Jetzt unter ihren Hunden wütet sie,
Mit schaumbedeckter Lipp, und nennt sie Schwestern,
Die heulenden, und der Mänade gleich,
Mit ihrem Bogen durch die Felder tanzend,
Hetzt sie die Meute, die mordatmende,
Die sie umringt, das schönste Wild zu fangen,
Das je die Erde, wie sie sagt, durchschweift.[14]
„Dem wutgetroffnen Hunde gleich“[15] zerreißt sie Achilles mit ihren bloßen Zähnen in Stücke, nachdem dieser von ihrem Pfeil getroffen „gleich einem jungen Reh“[16] zu Boden sinkt und wie die Beute eines wilden Tieres erlegt wird. „Gleich einer Hündin, Hunden beigesellt“[17], „die Löwin […],/ Die hungrige, die wild nach Raub umher,/ Auf öden Schneegefilden heulend treibt“[18], ist Penthesilea nicht mehr aufzuhalten, völlig von ihrem Wahnsinn besessen und gesteuert. Der rasenden Heroine bleibt nichts Menschliches mehr in ihrer animalischen Ekstase und somit zerreißt sie den bisher unbezwingbaren, wehrlosen Achilles im Blutrausch.
Käthchen, ein junges fünfzehnjähriges Mädchen, ist die Tochter eines Schmiedes aus Heilbronn und vor dem Hauptgeschehen des Schauspiels wird sie ausschließlich mit Lobpreisungen überschüttet, hauptsächlich vom Vater. Beim Vehmgericht, beschreibt Theobald, Käthchens Vater, sie den Richtern ausführlich:
Ein Wesen von zarterer, frommerer und lieberer Art müßt ihr euch nicht denken, und kämt ihr, auf Flügeln der Einbildung, zu den lieben, kleinen Engeln, die, mit hellen Augen, aus den Wolken, unter Gottes Händen und Füßen hervorgucken. […] der ganze Markt, auf dem wir wohnten, erschien an ihrem Namenstage, und bedrängte sich und wetteiferte, sie zu beschenken […] Fünf Söhne wackerer Bürger, bis in den Tod von ihrem Werte gerührt, hatten nun schon um sie angehalten; die Ritter, die durch die Stadt zogen, weinten, daß sie kein Fräulein war; ach, und wäre sie eines gewesen, das Morgenland wäre aufgebrochen, und hätte Perlen und Edelgestein, von Mohren getragen, zu ihren Füßen gelegt.[19]
Sie wird als beinahe engelsgleich dargestellt, äußerlich wie auch innerlich, und ihr Vater glaubt sie so heilig, dass sie geradezu vom Himmel herabgestiegen sein könnte. Sie ist sehr beliebt bei den Stadtbewohnern, aber auch bei den jungen Männern, die anscheinend Schlange stehen, um um ihre Hand anzuhalten. Doch so sehr sie anfangs gelobt und gepriesen wird, so wird sie nicht lange danach als Metze und Dirne bezeichnet, weil sie aus unergründlichen Motiven dem Grafen Wetter vom Strahl hinterherläuft, seit dieser das erste Mal in der Schmiede des Vaters aufgetaucht ist.
Seit jenem Tage folgt sie ihm nun, gleich einer Metze in blinder Ergebung, von Ort zu Ort; geführt am Strahl seines Angesichts, fünfdrähtig, wie einen Tau, um ihre Seele gelegt; auf nackten, jedem Kiesel ausgesetzten, Füßen, das kurze Röckchen, das ihre Hüfte deckt, im Winde flatternd, nichts als den Strohhut auf […]: wie ein Hund, der von seines Herren Schweiß gekostet, schreitet sie hinter ihm her; […] die liegt jetzt, einer Magd gleich, in seinen Ställen, und sinkt, wenn die Nacht kömmt, ermüdet auf die Streu nieder, die seinen stolzen Rossen untergeworfen sind.[20]
Von der Beschreibung des Käthchens als eine engelsgleiche Gestalt, die vom Himmel herabgestiegen sein soll, wechselt der Vater nun auf einen Vergleich zwischen ihr und einem Hund, der seinem Herrchen in blinder Ergebung auf dem Fuße folgt und die, „einer Magd gleich“, im Stall bei den Pferden im Stroh übernachtet. Aus unerklärlichen Gründen folgt sie dem Grafen überallhin, obwohl dieser sie wiederholte Male wegschickt. „Die Närrin, die verwünschte, sinnverwirrte“[21] legt ein wundersames Verhalten an den Tag und verwirrt damit alle umstehenden männlichen Autoritätsfiguren, wie die Richter, den Vater und auch den Grafen selbst. Graf Otto nennt sie ein „sonderbare[s] Wesen“[22] und der Graf vom Strahl bezeichnet sie als „wunderliche Maid“[23], denn beide verstehen nicht, wieso sie sich wie „vom Wahn betört“[24] in den Staub vor die Füße des Grafen vom Strahl „auf Knieen/ Wie wir vor dem Erlöser hingestreckt“[25] und anschließend auch noch, als dieser von dannen reiten wollte, sich „aus dem Fenster sinnlos auf die Straße“[26] geworfen hat. Ihre unumstößliche Ergebenheit und ihre unerschütterliche Treue, die der einem Hunde gleichkommt, scheinen nur dem Käthchen selbst kein Rätsel zu sein. Sie ist zuversichtlich in allem, was sie tut, sie scheint genau zu wissen, was ihre Aufgabe ist, und zwar dem Grafen vom Strahl treu zur Seite zu stehen. Sie rettet ihm sogar das Leben, als sie einen Brief abfängt, in dem geschrieben steht, dass ein Anschlag auf den Grafen und seine Verlobte Kunigunde geplant ist. Obwohl es Käthchen vom Grafen untersagt wurde, ihn erneut aufzusuchen, riskiert sie alles, um ihm die Nachricht zu überbringen. Als nach dem Anschlag, das Gebäude mit Kunigundes Zimmer in Flammen steht und deren Wertsachen zu verbrennen drohen, riskiert Käthchen aufopferungsvoll ihr Leben, um ein Bild und ein Futteral für Kunigunde aus den Flammen zu retten. Ihre Aufopferungsbereitschaft geschieht dem Grafen zuliebe und soll den selbstlosen und loyalen Charakter Käthchens zeigen. Ihre Heiligkeit wird noch weiter unterstrichen, als sie, von den Flammen komplett unberührt, aus den verbrannten Überresten des zusammengestürzten Hauses vom beschützenden Licht eines Cherubs umhüllt ins Freie tritt.
Das Käthchen von Heilbronn hat mich […] innig ergriffen. […] wenn ich hier sagen darf, was ich meine, so scheint mir in diesem Kunstwerk die höchste Würde der weiblichen Natur ausgesprochen und der wahre Charakter der Liebe von einer gewissen Seite ebenso ursprünglich als rein aufgefaßt. In Käthchen zeigt sich uns die vollständige Einheit und Durchdringung von Notwendigkeit und Freiheit in der Liebe, wie sie nur das himmlische Gemüt einer edlen Frau in sich aufzunehmen vermag.[27]
Diese Beschreibung des Käthchens von Heilbronn erinnert fast an die Lobrede von deren Vater Theobald im ersten Akt des Schauspiels. Ihr wird die „höchste Würde der weiblichen Natur“ zugeschrieben und es wird behauptet, sie hätte ein „himmlisches Gemüt“, also Eigenschaften, die ihr ebenfalls wiederholt im Werk selbst zugeschrieben werden. Käthchen wird als überhöhtes, nicht irdisches, weibliches Wesen dargestellt. Aber hier wird auch vom wahren Charakter der Liebe gesprochen und von der Freiheit in der Liebe und es ist dem Leser natürlich offensichtlich, dass Käthchen den Grafen aufrichtig und bedingungslos liebt. Dennoch lesen sich diese Zeilen mit etwas zweifelhafter Miene, wenn man daran denkt, wie und ob diese „reinen“ Gefühle vom Grafen erwidert werden. Von Käthchens Seite zeigt sich auch vielleicht wahre Hingebung zu ihrem Geliebten, aber ob sie diesbezüglich wirklich ein gesundes Verhalten zeigt, ist zu bezweifeln, da sie sich wiederholt in Lebensgefahr begibt wegen ihrer Liebe zum Grafen. Wahre Liebe sollte eigentlich erwidert werden, damit sie als solche funktionieren kann, aber das Verhalten des Grafen Käthchen gegenüber ihr wirkt alles andere als liebevolle Hingabe oder romantische Gesten. Und der Aspekt der Freiheit in der Liebe ist mehr als fragwürdig, wenn man sich das Ende des Schauspiels vor Augen hält.
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