„U-Haft wird auf gesetzliche Grundlage gestellt - 12 Bundesländer erarbeiten gemeinsamen Gesetzesentwurf“, so lautet die Schlagzeile einer Zeitung am 18.10.2008. Ein Titel, der eigentlich schon lange überfällig ist, wenn man bedenkt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft schon seit langem scharf kritisiert und vielfach als „unbefriedigend, untragbar oder sogar unmenschlich“ empfunden und beschrieben wird. Die Untersuchungshaft gilt als das wohl schärfste Zwangsmittel der StPO oder, wie es von Hassemer formuliert wurde, ist die Unter-suchungshaft eine „Freiheitsberaubung gegenüber einem Unschuldigen“. Menschen, die bis zu ihrer Verurteilung als unschuldig zu gelten haben, werden aufgrund einer richterlichen Entscheidung aus ihren familiären und beruflichen Bezügen herausgerissen und für ungewisse Zeit in Untersuchungshaft genommen. Diese Haftform wird wegen des Fehlens von Arbeits-, Lockerungs- und Urlaubsmöglichkeiten und wegen der besonderen Besuchs- und Briefkontrolle oft bedrückender empfunden als die eigentliche Strafhaft. Alle Hoffnungen richten sich daher auf ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz, durch das sich die Verhältnisse in der Untersuchungshaft ändern sollen. Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die aktuellen gesetzlichen Regelungen des Untersuchungshaftvollzuges für Erwachsene geben, wobei ins-besondere Reformvorschläge und aktuelle Entwürfe zu einem Untersuchungshaftvollzugsgesetz vorgestellt und kritisch beleuchtet werden. Daneben werden vor allem kriminalpolitische Probleme, verfassungsrechtliche Fragen die mit dem Untersuchungshaftvollzug einhergehen, erörtert, sowie rechts- und rechtstatsächliche Hintergründe der Untersuchungshaft dargelegt. Zunächst erfolgt aber eine Kurzdarstellung der Haftvoraussetzungen.
Gliederung
1. Einleitung
2. Haftvoraussetzungen
3. Rechtlicher und rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchungshaft
3.1. Rechtsgrundlagen des Haftvollzugs
3.2. Föderalismusreform als Möglichkeit einer Grundlegenden Änderung
3.3. Rechtstatsächliches
3.3.1. Untersuchungshaftzahlen
3.3.2. Tatsächliche Situation des Untersuchungshaftgefangenen
3.4. Rechtspolitisches
4. Reformvorschläge und aktuelle Gesetzesentwürfe
4.1. Referentenentwurf des Bundes für ein Gesetz zur Überarbeitung des Untersuchungshaftrechts
4.2. Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz
4.2.1. Zuständigkeiten
4.2.2. Einzelregelungen
4.3. Muster- Entwurf eines Untersuchungshaftvollzuggesetzes der Länder
4.4. Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes NRW
5. Stellungnahme/Kritik bezüglich der Reformierung der Untersuchungshaft
6. Fazit
1. Einleitung
„U-Haft wird auf gesetzliche Grundlage gestellt - 12 Bundesländer erarbeiten gemeinsamen Gesetzesentwurf“, so lautet die Schlagzeile einer Zeitung am 18.10.2008.[1] Ein Titel, der eigentlich schon lange überfällig ist, wenn man bedenkt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft schon seit langem scharf kritisiert und vielfach als „unbefriedigend, untragbar oder sogar unmenschlich“ empfunden und beschrieben wird.[2] Die Untersuchungshaft gilt als das wohl schärfste Zwangsmittel der StPO[3] oder, wie es von Hassemer formuliert wurde, ist die Untersuchungshaft eine „Freiheitsberaubung gegenüber einem Unschuldigen“.[4] Menschen, die bis zu ihrer Verurteilung als unschuldig zu gelten haben, werden aufgrund einer richterlichen Entscheidung aus ihren familiären und beruflichen Bezügen herausgerissen und für ungewisse Zeit in Untersuchungshaft genommen. Diese Haftform wird wegen des Fehlens von Arbeits-, Lockerungs- und Urlaubsmöglichkeiten und wegen der besonderen Besuchs- und Briefkontrolle oft bedrückender empfunden als die eigentliche Strafhaft.[5] Alle Hoffnungen richten sich daher auf ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz, durch das sich die Verhältnisse in der Untersuchungshaft ändern sollen. Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die aktuellen gesetzlichen Regelungen des Untersuchungshaftvollzuges für Erwachsene geben, wobei insbesondere Reformvorschläge und aktuelle Entwürfe zu einem Untersuchungshaftvollzugsgesetz vorgestellt und kritisch beleuchtet werden. Daneben werden vor allem kriminalpolitische Probleme, verfassungsrechtliche Fragen die mit dem Untersuchungshaftvollzug einhergehen, erörtert, sowie rechts- und rechtstatsächliche Hintergründe der Untersuchungshaft dargelegt. Zunächst erfolgt aber eine Kurzdarstellung der Haftvoraussetzungen.
2. Haftvoraussetzungen
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft sind in den §§ 112 ff. StPO[6] geregelt.
Formelle Voraussetzung der Untersuchungshaft ist, dass sie durch einen schriftlichen Haftbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch den Richters bzw. bei Gefahr in Verzug von Amts wegen angeordnet werden muss, vgl. §§ 114, 125 I, 128. Die Zuständigkeit für den Erlass eines Haftbefehls ergibt sich aus § 125 I, wonach vor Erhebung der Klage der Richter zuständig ist, in dessen Bezirk der Gerichtsstand begründet ist oder in dem der Beschuldigte sich aufhält. Nach Erhebung der Klage ist das mit der Sache befasste Gericht zuständig, § 125 II.
Die materiellen Voraussetzungen der Untersuchungshaft sind in den §§ 112, 112a, 113, 127b II geregelt.[7]
Der Beschuldigte muss der Tat zunächst dringend verdächtig sein, § 112 I 1. Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat schuldhaft begangen hat.[8] Die Tat muss nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen sehr wahrscheinlich rechtswidrig und schuldhaft begangen bzw. versucht worden sein, sofern es sich um einen strafbaren Versuch handelt.[9] Des Weiteren ist für den Erlass eines Haftbefehls ein Haftgrund notwendig. Dabei kommen gem. § 112 Flucht, Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr und nach § 112a Wiederholungsgefahr in Betracht. Ferner darf die Anordnung der Untersuchungshaft gem. § 112 I 2 zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht außer Verhältnis stehen. Damit muss die Untersuchungshaft nach den allgemeinen Regeln der Verhältnismäßigkeit geeignetes, erforderliches und zugleich angemessenes Mittel sein, um den mit ihr angestrebten Erfolg zu erreichen.
3. Rechtlicher und rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchungshaft
3.1. Rechtsgrundlagen des Haftvollzugs
Bereits 1972 hat das BVerfG gesetzliche Grundlagen gegenüber Strafgefangenen gefordert.[10] Die verfassungsrechtliche Verpflichtung, auch den Vollzug der Untersuchungshaft gesetzlich zu regeln, steht außer Streit.[11] Der Vollzug der Untersuchungshaft ist in § 119 bislang nur unvollständig geregelt.[12] Neben konkreten Vorschriften zur Unterbringung (Abs. 1, 2), zur Zulässigkeit einer Fesselung (Abs. 5) und zur Zuständigkeit für Maßnahmen (Abs. 6) sind zwei Generalklauseln enthalten, von denen nach Abs. 3 dem Verhafteten nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert und Abs. 4, der vorsieht, dass der Gefangene sich Bequemlichkeiten und Beschäftigungen auf seine Kosten verschaffen darf, soweit sie mit dem Zweck der Haft vereinbar sind und nicht die Ordnung in der Vollzugsanstalt stören. § 119 bildet damit zwar formal eine gesetzliche Grundlage für den Untersuchungshaftvollzug, die Haftwirklichkeit ist aber an der Untersuchungshaftvollzugsordnung orientiert.[13]
Die Untersuchungshaftvollzugsordnung[14] vom 12.02.1953 (Neufassung ab 01.01.1977 mit späteren Änderungen und zuletzt mit Wirkung vom 01.01.2002 angepasst) ist eine einheitlich von den Landesjustizverwaltungen erlassene allgemeine Verwaltungsordnung,[15] die mangels Rechtssatzqualität für den Richter nicht verbindlich ist.[16] Aus diesem Grund haben die Vorschriften der UVollzO für den Richter die Bedeutung von nicht bindenden Vorschlägen für den Regelfall von denen er aber abweichen kann.[17]
Für das Vollzugspersonal und die Staatsanwaltschaft ist die UVollzO bindend, soweit nicht eine abweichende richterliche Anordnung vorliegt.[18] Die UVollzO enthält eine Vielzahl von detaillierten Haftbedingungen, wie beispielsweise vom Tragen der Privatkleidung (Nr. 52 Abs. 1) und der Selbstverpflegung (Nr. 50 Abs. 2) bis hin zu Disziplinarmaßnahmen. Hilger macht zutreffend darauf aufmerksam, dass in dem Verständnis des § 119 Abs. 3 die Regelungen der UVollzO im Ansatz verfehlt sind und „auf dem Kopf stehen“. Denn nach dem Wortlaut des § 119 Abs. 3 sind nur Beschränkungen anzuordnen; alles nicht Beschränkte ist erlaubt.[19] Die UVollzO hingegen ordnet an, räumt Berechtigungen ein, gestattet oder lässt den Anstaltsleiter gestatten, sagt, was der Verhaftete darf oder muss oder was mit ihm geschieht.[20]
Als Verwaltungsordnung bietet die UVollzO keine Rechtfertigung für Eingriffe in die Grundrechte von Untersuchungsgefangenen.[21]
Damit fehlt es also an einer zulänglichen gesetzlichen Regelung des Untersuchungshaftvollzuges. Das ist verwunderlich, denn der Mensch ist in keinem anderen Lebensbereich der rechtlichen und faktischen Macht des Staates so ausgeliefert wie in der Untersuchungshaft.[22]
3.2. Föderalismusreform als Möglichkeit einer Grundlegenden Änderung
Dem bis zur Föderalismusreform im Jahr 2006 zuständigen Bundesgesetzgeber ist es trotz einer Vielfalt von Gesetzes- und Reformvorschlägen nicht gelungen, „das trübste Kapitel der deutschen Strafrechtspflege“[23] ordnungsgemäß zu regeln. Sowohl von akademischer Seite[24], aus der Praxis[25] als auch aus dem Bundesministerium[26] lagen Entwürfe für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz vor. Alle Anstrengungen der letzten Jahre, dieses rechtsstaatliche „Skandalon“[27] zu beseitigen, scheiterte am Widerstand der Länder.[28] Auch deshalb liegt die Gesetzgebungskompetenz für den Untersuchungshaftvollzug seit dem 1. September 2006 bei den Ländern (das „Wie“ der Haft). Für das gerichtliche Verfahren hat der Bund gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG weiterhin die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis. Diese umfasst die Regelungsbefugnis für verfahrenssichernde Anordnungen (das „Ob“) und den gerichtlichen Rechtsschutz.[29] Für die Bundesländer, die noch keine eigenen gesetzlichen Regelungen in Kraft gesetzt haben, gelten weiterhin die bundesgesetzlichen Regelungen über den Untersuchungshaftvollzug, Art. 125a I GG. In den Ländern laufen gegenwärtig Arbeiten zum Erlass von Untersuchungshaftvollzugsgesetzen. Lediglich in Niedersachsen gibt es seit dem 1. Januar 2008 im Rahmen des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes gesetzliche Vorschriften zum Untersuchungshaftvollzug.
3.3. Rechtstatsächliches
3.3.1. Untersuchungshaftzahlen
Die Zahl der Untersuchungshaftgefangenen war in den letzen Jahren durch Schwankungen geprägt. Während sich am 31.12.1993 fast 19.000 Personen in Untersuchungshaft befanden, Tendenz weiter steigend[30], waren es zum 1.1.1998 insgesamt knapp 20.000 Personen und zum 31.12.1998 wieder knapp 19.000.[31] Am 31.3.2005 befanden sich 15.459 Personen in Untersuchungshaft[32] und zum 30.11.2007 waren es noch 12.357 Personen.[33] Bei genauer Betrachtung kann daher geschlussfolgert werden, dass die Zahl der Untersuchungshäftlinge im Vergleich zu den Vorjahren zurückgegangen ist. Dennoch wird die Zahl der Untersuchungshäftlinge immer noch als zu hoch angesehen und so erscheint ein Reformbedarf dringend erforderlich.[34]
[...]
[1] http://www.mvregio.de/mvr/155199.html
[2] Seebode 1985, S. 43, (45) m. w. Nachw.
[3] Kühne 2007, § 25 Rn. 415.
[4] Hassemer 1984, S. 38 ff.
[5] Vgl. Seebode 1985, S. 3 f.
[6] Die folgenden §§ sind solche der StPO, wenn nicht anders gekennzeichnet.
[7] KK- Graf 2008, § 112 Rn. 1.
[8] Münchhalffen/Gatzweiler 2002, S. 5 Rn. 13.
[9] BGH NStZ 1981, S. 94; zum Versuch BGH 28, S. 355.
[10] BVerfG NJW 1972, S. 811.
[11] Baumann 1981, S. 13; Seebode 1985, S. 48 m. w. Nachw.
[12] KK- Schultheis 2008, § 119 Rn. 1.
[13] Vgl. Seebode 1988, S. 50.
[14] Im folgendem abgekürzt: UVollzO
[15] KK- Schultheis 2008, § 119 Rn. 2.
[16] Münchhalffen/Gatzweiler 2002, S. 183 Rn. 438.
[17] Vgl. Seebode 1988, S. 51.
[18] Vgl. OLG Frankfurt NStZ 1982, S. 134.
[19] LR- Hilger 2004, § 119 Rn. 5.
[20] LR- Hilger 2004, § 119 Rn. 5.
[21] BVerfG, NStZ 2008, S. 521.
[22] Vgl. Kruis/Cassardt 1995, S. 574 ff.
[23] Heinemann 1906, S. 21.
[24] Siehe Baumann 1981.
[25] Siehe Dösch/Herrfahrdt/Nagel/Preusker (Anstaltsleiterentwurf) 1982.
[26] BR-Drs. 249/99; dazu Paeffgen/Seebode 1999, S. 524 ff.
[27] Lammer 2003, S. 339 ff.
[28] Seebode 2008, S. 236.
[29] Vgl. hierzu Art. 74 I Nr. 1 GG.
[30] Dünkel 1994, S. 610; Gebauer 1994, S. 622 f.
[31] Statistisches Bundesamt 2007.
[32] Vgl. Strafvollzugsstatistik 2005.
[33] http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/SharedContent/Oeffentlich/AI/IC/Publikationen/Jahrbuch/Justiz,property=file.pdf
[34] Feest/Köhne 2006, vor § 177 Rn. 2.
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