Das Erzählen von Geschichten in Diskurseinheiten ist eins der am häufigsten zu beobachteten Phänomene, auf das man trifft, beschäftigt man sich mit der Analyse von Gesprächen. Es scheint geradezu ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, gemachte Erfahrungen oder Erlebnisse mit anderen Menschen zu teilen. Uta Quasthoff definiert die Erzählung innerhalb von Gesprächen als „eine grundsätzlich mündlich konstituierte Diskurseinheit, die sich spontan in Gesprächen realisiert […] und eine Form der sprachlich-kommunikativen Bewältigung von Erfahrung.“ (Quasthoff 1980:27) Darüber hinaus spielt das Tradieren von Geschichten eine wichtige Rolle bei dem Verarbeitungsprozess von Informationen und ist demnach nicht nur sprachliche Form, sondern soziales Handeln, gerade weil es die Interaktion mit mindestens einem Gegenüber voraussetzt (vgl. Sacks 1971:311). Das Erzählen von Geschichten ist in krassem Gegensatz zu dem knappen Übermitteln von Berichten zu sehen. Es kostet beutend mehr Zeit und setzt daher einen höheren Grad an Intimität zwischen Sprecher und Zuhörer voraus. Demnach gibt man, so Uta Quasthoff, „im Erzählen […] mehr von sich preis als im Bericht“ (Quasthoff 1980:183).
Diese Arbeit hat es sich zum Ziel gemacht, die Erzählstrukturen in der Altensprache zu untersuchen und im Zuge dessen deren Besonderheiten und Eigentümlichkeiten aufzuzeigen und zu interpretieren. Dazu werden im ersten Teil der Arbeit generelle Aussagen über die Formen konversationeller Erzählungen gemacht, gängige Modelle zur Analyse von Erzählungen vorgestellt sowie die grundlegendsten Funktionen für Sprecher und Hörer aufgezeigt und erläutert. Im zweiten Teil der Arbeit kommt es dann zur Anwendung dieser theoretischen Erkenntnisse auf ein mitgeschnittenes Gespräch zweier Probandinnen, welches die Grundlage dieser Arbeit darstellt.
Literatur: (Auswahl)
Quasthoff, Uta (1976). Makrostruktur und Gliederungsmerkmale in konversationellen
Erzählungen. Gedanken zur Strukturbeschreibung von Texten. In: Weber, Heinrich / Haraldt Weyd (eds.), Sprachtheorie und Pragmatik. Akten des 10. Ling. Koll. Tübingen: Niemeyer, 291 – 303.
Quasthoff, Uta (1980). Erzählen in Gesprächen: linguist. Unters. zu Strukturen u.
Funktionen a. Beisp. E. Kommunikationsform d. Alltags / Uta M. Quasthoff. – Tübingen: Narr.
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Theoretische Grundlagen zur Analyse von Erzählungen
2.1 Inhaltliche und formale Beschränkungen von Erzählungen
2.2 Idealtypische Erzählstrukturen nach Labov/Waletzky
2.3 Funktionen von Erzählungen
3.Anwendungen der theoretischen Grundlagen
3.1 Abweichungen der Altensprache zum Idealtypus von Erzählungen
3.2 Auffälligkeiten und Beobachtungen zur Altensprache in Bezug auf Funktion, Sprache und Tempusgebrauch
4.Zusammenfassung der Ergebnisse
5.Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Erzählen von Geschichten in Diskurseinheiten ist eins der am häufigsten zu beobachteten Phänomene, auf das man trifft, beschäftigt man sich mit der Analyse von Gesprächen. Es scheint geradezu ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, gemachte Erfahrungen oder Erlebnisse mit anderen Menschen zu teilen. Uta Quasthoff definiert die Erzählung innerhalb von Gesprächen als „eine grundsätzlich mündlich konstituierte Diskurseinheit, die sich spontan in Gesprächen realisiert […] und eine Form der sprachlich-kommunikativen Bewältigung von Erfahrung.“ (Quasthoff 1980:27) Darüber hinaus spielt das Tradieren von Geschichten eine wichtige Rolle bei dem Verarbeitungsprozess von Informationen und ist demnach nicht nur sprachliche Form, sondern soziales Handeln, gerade weil es die Interaktion mit mindestens einem Gegenüber voraussetzt (vgl. Sacks 1971:311). Das Erzählen von Geschichten ist in krassem Gegensatz zu dem knappen Übermitteln von Berichten zu sehen. Es kostet beutend mehr Zeit und setzt daher einen höheren Grad an Intimität zwischen Sprecher und Zuhörer voraus. Demnach gibt man, so Uta Quasthoff, „im Erzählen […] mehr von sich preis als im Bericht“ (Quasthoff 1980:183).
Diese Arbeit hat es sich zum Ziel gemacht, die Erzählstrukturen in der Altensprache zu untersuchen und im Zuge dessen deren Besonderheiten und Eigentümlichkeiten aufzuzeigen und zu interpretieren. Dazu werden im ersten Teil der Arbeit generelle Aussagen über die Formen konversationeller Erzählungen gemacht, gängige Modelle zur Analyse von Erzählungen vorgestellt sowie die grundlegendsten Funktionen für Sprecher und Hörer aufgezeigt und erläutert. Im zweiten Teil der Arbeit kommt es dann zur Anwendung dieser theoretischen Erkenntnisse auf ein mitgeschnittenes Gespräch zweier Probandinnen, welches die Grundlage dieser Arbeit darstellt.1
2. Theoretische Grundlagen zur Analyse von Erzählungen
2.1 Inhaltliche und formale Beschränkungen von Erzählungen
Die Arbeit beginnt mit der Darlegung der theoretischen Grundlagen zur Analyse konversationeller Erzählungen, welche sich in erster Linie auf das Buch „Erzählen in Gesprächen“ von Uta Quasthoff beziehen (Quasthoff 1980). Dazu werden in einem ersten Schritt die sog. inhaltlichen und formalen Beschränkungen, welchen Erzählungen in Gesprächen unterliegen, vorgestellt und näher erläutert.
Es lassen sich vier inhaltliche Beschränkungen ausmachen. Zum einen muss sich die Geschichte auf eine Handlung oder ein Ereignis beziehen, welches tatsächlich stattgefunden hat, und zum anderen muss sich dieses Erlebnis als einmalig stattgefunden identifizierbar und zeitlich und örtlich genau lokalisierbar erweisen. Drittens muss das Erzählte einige Elemente enthalten, welche für einen zumindest minimalen Grad der Außergewöhnlichkeit sorgen. Diese Außergewöhnlichkeit bezieht sich stets entweder auf die Erwartungen des in der Geschichte Beteiligten, also auf einen sog. Planbruch in den Erwartungen des Erzählers, oder die Außergewöhnlichkeit betrifft Erwartungen, die sich an einer allgemeinen Norm orientieren. Als letzte Beschränkung gilt, dass der Erzähler der Geschichte tatsächlich sog. teilnehmender Aktant innerhalb der Geschichte ist. Dabei kann dieser je nach Art der Geschichte die Position des Agenten oder des Beobachters einnehmen. Dies bedeutet gleichermaßen, dass der Planbruch auch zwei verschiedene Ausprägungen besitzen kann. Handelt es sich um einen Planbruch, durch den der Erzähler in der Geschichte gezwungen ist, aufgrund eines unerwartbaren Ereignisses seine Pläne zu verwerfen und neue zu schmieden, so hat man es mit einem Agentenplanbruch (APB) zu tun. Fungiert der Erzähler jedoch innerhalb der Geschichte lediglich als Beobachter des Planbruchs, so muss er darauf nicht mit einer Umstrukturierung seiner Pläne reagieren. Dieser Fall wird Beobachterplanbruch (BPB) genannt. Wichtig, so Uta Quasthoff, ist also: „Der Sprecher ist identisch mit einer in die komplexe Handlung/das Ereignis als Gegenstand der Erzählung verwickelten Person“ (Quasthoff 1976:292).
Die formalen Beschränkungen beziehen sich in erster Linie auf die Art der Präsentation der Geschichte und lassen sich ebenfalls in vier Punkte gliedern. Der Inhalt der Geschichte wird bei konversationeller Erzählung fast ausschließlich in direkter Rede wiedergegeben. Diese Form der Nachahmung, bei der oft auch Geräusche nachzuahmen versucht werden, dient dazu, das Geschehen so genau wie möglich dem Zuhörer zu vergegenwärtigen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die konversationelle Erzählung meist von einem sehr hohen Detailliertheitsgrad geprägt, welcher sehr oft Auslöser für die Verwendung des szenischen Präsens, gerade in den oft „atomisiert“ (Quasthoff 1976:298) dargestellten Phasen des Planbruchs, ist.
In diesem Kapitel wurden die verschiedenen Arten von Beschränkungen aufgezeigt, denen konversationelle Erzählungen unterliegen. Die speziellen Ausprägungen dieser Beschränkungen werden im weiteren Verlaufe der Arbeit weitere Ausführung und durch die Zuhilfenahme von konkreten Beispielen auch konkretere Ausarbeitung und Erklärung erfahren. In dem folgenden Kapitel wird nun in einem nächsten Schritt das idealtypische Strukturmodell zur Beschreibung von Erzählungen nach Labov/Waletzky vorgestellt.
2.2 Idealtypische Erzählstrukturen nach Labov/Waletzky
Nachdem im vorangegangenen Kapitel in einem ersten Schritt die formalen und inhaltlichen Beschränkungen erläutert wurden, wird in diesem Kapitel das Modell der idealtypischen Struktur einer konversationellen Erzählung nach Labov/Waletzky vorgestellt, welches als Grundlage für die Analyse des Gesprächs dieser Arbeit dient.(Labov/Waletzky 1973)
Laut dem Modell von Labov/Waletzky folgt der Aufbau von Erzählungen in Konversationen im Idealfall expliziten Abfolgeregeln, welche für das optimale Verständnis des Inhalts der Geschichte beim Rezipienten sorgen sollen. Dieses Modell, so Uta Quasthoff, „ist die Grundform aller Erzählungen, da sie die Abfolge der erzählten Handlungen und Ereignisse direkt linear in der Äußerungsfolge abbildet“ (Quasthoff 1980:32). Diese aufeinander folgenden Phasen heißen Orientierung, Komplikation, Auflösung und Evaluation. In der Phase der Orientierung werden vom Erzähler die handelnden Personen der Geschichte, die genaue Zeit, an der das Ereignis stattgefunden hat und der Ort vorgestellt und in einen logischen Zusammenhang gebracht. In der Phase der Komplikation leitet der Erzähler die Geschichte in Richtung des Planbruchs. Es wird Spannung erzeugt, da der Rezipient darauf vorbereitet wird, dass es eine Komplikation geben wird. Diese wird dann in der dritten Phase, der Auflösung, zur Pointe erweitert, in der das Geschehen einen unvorhersehbaren Werdegang nimmt. Zusätzlich zu diesen drei Phasen kommt die Evaluation hinzu. Die Evaluation hat die Aufgabe, die subjektiven Einschätzungen oder Haltungen des Erzählers gegenüber des stattfindenden Ereignisses zu transportieren. Uta Quasthoff umschreibt das Wesen der Evaluation als „eine affektive Haltung gegenüber dem Bezugsobjekt“ (Quasthoff 1980:35). Der Sprecher kann mit der Evaluation demnach nicht nur die Haltung gegenüber den Ereignissen zum Ausdruck bringen, sondern auch gegenüber der in der Geschichte agierenden Personen. Die emotionalen Pole, zwischen denen sich der evaluative Teil abspielt, sind ´Feindschaft´ und ´Wohlwollen´ sowie ´Wünschbar´ und ´Nicht wünschbar´.
Die Phase der Evaluation hat keinen bestimmten Platz innerhalb des idealstrukturellen Modells von Labov/Waletzky. Im Gegenteil, es gehört gerade zum Wesen der Evaluation, dass sie zu jedem Zeitpunkt innerhalb einer Geschichte auftauchen kann. Oft ist es auch gerade die Evaluation, die dafür sorgt, dass die ideale Abfolge der Phasen bei der Realisierung einer Erzählung aus den Fugen geraten kann und ihr nicht mehr stringent folgt, da das Präsentieren einer bestimmten Sichtweise von Sachverhalten dazu führt, dass bestimmte Teile einer Erzählung vorweggenommen werden. Darüber hinaus, so ergänzt Uta Quasthoff die Überlegungen von Labov/Waletzky, bezieht sich die Evaluation meist „nicht auf Teile der erzählten Geschichte zum Zeitpunkt des Ablaufs der Ereignisse, sondern auf Teile der Erzählung zum Zeitpunkt des Erzählens“ (Quasthoff 1980:38). Diese Art der Evaluation nennt Uta Quasthoff `E-Evaluation´ im Gegensatz zur ´G-Evaluation´, welche sich eben genau auf Teile der Geschichte während des Erlebens bezieht. Oft wird Evaluation vorgreifend eingesetzt, um den Hörer auf eine folgende Erzählpassage bewusst einzustimmen. Dieser weiß dann sofort, was für eine Art Ereignis in der Geschichte folgen wird und ist sogleich in Kenntnis über die Einstellung des Erzählers gesetzt.
Nachdem in diesem Kapitel das idealtypische Modell von Labov/Waletzky zur Analyse konversationeller Erzählungen vorgestellt wurde, wird sich das nächste Kapitel der Arbeit im Zuge der Vorstellung theoretischer Grundlagen zur Analyse von Erzählungen mit den verschiedenen Funktionen beschäftigen, die das Tradieren von Geschichten besitzen kann.
2.3 Funktionen von Erzählungen
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die idealtypischen Strukturen konversationeller Erzählungen aufgezeigt wurden, wird sich dieses Kapitel der Arbeit mit den Funktionen von Erzählungen beschäftigen, die diese für den Erzähler oder den Hörer der Geschichte besitzen können.
Wie bereits in der Einleitung kurz angesprochen, dient das Erzählen von Ereignissen in Gesprächen unter anderem zur Bewältigung von Erfahrungen und ist somit als eine Art menschliches Grundbedürfnis zu betrachten. Man könnte auch sagen, dass Sprache generell ein „Mittel zur Befriedigung vorwiegend gesellschaftlicher Bedürfnisse“ darstellt (Quasthoff 1980:132). Uta Quasthoff unterscheidet zwischen kommunikativen und interaktiven Funktionen von Erzählungen (vgl. Quasthoff 1980:148). Diese Unterscheidung basiert auf der von ihr unternommenen Differenzierung zweier Grundfunktionen von Sprache. Erstens Sprache als Repräsentationsmedium von Inhalten und zweitens als Mittel zur Gestaltung sozialer Kontakte und interaktiver Beziehungen. Für die Analyse dieser Arbeit ist jedoch lediglich die erste dieser beiden Funktionen von Bedeutung und wird im Zuge dessen im Folgenden vorgestellt.
Die kommunikativen Funktionen lassen sich in weitere Unterfunktionen aufspalten. Die wichtigsten und für diese Untersuchung notwendigsten sind die Primär sprecherorientierten Funktionen sowie die Primär hörer-orientierten Funktionen. Uta Quasthoff weist allerdings darauf hin, dass die hier nun vorgestellten Funktionen in konversationellen Erzählungen nie in Reinform vorkommen, sondern dass es stets darauf ankommt, festzustellen, „welche Funktion en realisiert oder intendiert/beabsichtigt sind und welche [Verf.: gerade] dominieren“ (Quasthoff 1980:146). Auf diesen wichtigen Punkt deutet auch der jeweilige Zusatz ´primär´ hin, da es kaum Funktionen gibt, die jeweils nur eine explizite Funktion besitzen.
Zu den primär sprecher-orientierten Funktionen gehören die psychische bzw. kommunikative Entlastung sowie die Selbstdarstellung. Entlastung meint in diesem Zusammenhang, dass das Artikulieren von Ereignissen, dazu dient Spannungen abzubauen und bestimmte Dinge zu verarbeiten. Von psychischer Entlastung spricht man, wenn zur Entlastung über ein Ereignis berichtet wird, das „eine erhebliche Störung des psychischen Gleichgewichts verursacht hat“ (Quasthoff 1980:150). Kommunikative Entlastung tritt dagegen auf, wenn Ereignisse tradiert werden, die zwar keine so große negative Belastung für die erzählende Person darstellten, in denen sie aber insoweit emotional integriert war, dass sie darüber reden und sie loswerden möchte. Uta Quasthoff weist darauf hin, dass eine besondere Häufigkeit beim Auftreten von Selbstdarstellung zusammen mit psychischer kommunikativer Entlastung zu beobachten ist. Die Funktion der Selbstdarstellung hingegen dient dazu ein bestimmtes Bild, dass man von sich selbst hat, zu transportieren und beim seinem Gegenüber zu etablieren (vgl. Quasthoff 1980:151-153).
[...]
1 Das mitgeschnittene Gespräch zweier ältere Damen verlief offen und ungelenkt. Das Mikrofon befand sich während der Aufnahme gut sichtbar auf dem Tisch. Aus der insgesamt 60 Minuten dauernden Aufnahme wurden exeplarisch zwei Passagen herausgenommen und analysiert. Diese liegen in Form von Transkripten der Arbeit bei.
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