Zur Problemstellung Gleich allen anderen Individuen ist auch für die Leiter sozialistischer Industriebetriebe eine bestimmte soziale Mobilität feststellbar, wobei „in allgemeiner Formulierung unter Mobilität die Bewegung von Personen aus einer Position in eine andere Position innerhalb […] einer Gesellschaft verstanden (wird).“
In Anbetracht der Tatsache, daß „die Gesellschaft nicht aus Individuen (besteht), sondern die Summe der Beziehungen, Verhältnisse (ausdrückt), worin diese Individuen zueinander stehn“, wie auch der, daß die sozialen Positionen unabhängig von dem jeweiligen Positionsinhaber existieren, stellt sich fast zwangsläufig die Frage, welche theoretische und vor allem auch praktische Bedeutung der soziologischen Analyse der Bewegung der Individuen zwischen den sozialen Positionen zukommen soll, wenn durch diese Positionswechsel der Individuen jeweils nur die Positionsinhaber wechseln.
Aus dem soeben genannten Grund der von dem einzelnen unabhängigen Existenz der sozialen Positionen die Sozialstruktur einer Gesellschaft jedoch keinerlei Veränderung erfährt.
Gleichwohl verbirgt sich hinter der als sozialer Mobilität bezeichneten Bewegung der Individuen zwischen den sozialen Positionen mehr als nur ein für den einzelnen bedeutsamer Vorgang.
Bekanntlich hatte „die manufakturmäßige Teilung der Arbeit die lebenslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung“ und damit auch eine entsprechende ‚lebenslängliche’ Annexation des einzelnen an eine soziale Position zur Folge. ...
Inhaltsverzeichnis
GLIEDERUNG
A. Erster Teil
I.Zur Problemstellung.
II. Das Wesen der sozialen Mobilität und dessen begriffliche Widerspiegelung in der bürgerlichen und marxistisch-leninistischen Soziologie
III. Die zentrale Bedeutung der sozialen Position für den >Prozeß der sozialstrukturellen Eingliederung der Individuen.
1.Die Klassenposition
b) Die Schichtposition
c)Die soziale Position als Arbeitsposition
B. Zweiter Teil.
I. Die soziale Mobilität der Leiter sozialistischer
Industriebetriebe als Ausdruck der Veränderung der
Sozialstruktur des sozialistischen Industriebetriebes
1. Die Intergenerations-Klassenmobilität der Leiter
sozialistischer Industriebetriebe
2. Die Intragenerations-Klassenmobilität der Leiter sozialistischer Industriebetriebe
II. Die Schichtmobilität der Leiter sozialistischer Industriebetriebe
1. Die Intergenerations-Schichtmobilität der Leiter
sozialistischer Industriebetriebe
2. Die Intragenerations-Schichtmobilität der Leiter
sozialistischer Industriebetriebe
3. Die ideelle Reflexion der Klassen- und
Schichtzugehörigkeit bei den Leitern...
III. Die Funktionsebenenmobilität der Leiter sozialistischer Industriebetriebe.
1. Die Intergenerations-Funktionsebenenmobilität der Leiter sozialistischer Industriebetriebe...
2. Die Intragenerations-Funktionsebenenmobilität der Leiter sozialistischer Industriebetriebe...
a) Die Qualifikationsentwicklung der Leiter
sozialistischer Industriebetriebe
b) Die Einkommensmobilität und
Einkommensentwicklung der Leiter
sozialistischer Industriebetriebe
IV. Die Mobilitätsmotivation und Mobilitätsbereitschaft der Leiter sozialistischer Industriebetriebe...
1. Die Motivation der Leiter zur Übernahme ihrer derzeitigen Leitungsfunktion
V. Ergebnisse und offene Probleme der Analyse der sozialen Mobilität der Leiter sozialistischer Industriebetriebe
C. Anlagen.
Tabelle 1
Tabelle 2
Tabelle 3
Tabelle 4
Tabelle 8
Tabelle 9
Tabelle 10
Tabelle 11
Tabelle 9 a
Tabelle 10 a.
Tabelle 11 a.
Tabelle 13
Tabelle 14
Tabelle 15
Tabelle 16
Tabelle 23
Tabelle 24
Tabelle 25
Tabelle 24 a
Tabelle 25 a
Tabelle 23 a
Tabelle 28
Tabelle 29
Tabelle 30
Tabelle 30 a
Tabelle 31
Tabelle 31 a
Tabelle 32
Tabelle 32 a
Tabelle 33
Tabelle 33 a
Tabelle 39
Tabelle 40
Tabelle 41
Tabelle 42
Tabelle 43
Tabelle 52
Tabelle 53
Tabelle 54
Tabelle 55
Tabelle 56
Tabelle 60
Tabelle 61
Tabelle 62
Tabelle 63
Tabelle 66
Tabelle 67
Tabelle 68
Tabelle 69
Tabelle 70
Tabelle 71
Tabelle 78
VORWORT
Die nachfolgende Dissertation aus dem Jahre 1972 bietet sich zum Verständnis und zur Aufarbeitung bezüglich der Forschungsergebnisse der sozialen Mobilität von Leitern in sozialistischen Industriebetrieben in der DDR an.
Da sich das einzige noch erreichbare originale Dissertationsexemplar aus dem Jahre 1972 mittlerweile in einem schwer lesbaren Zustand befindet, wurde die Dissertation im Frühjahr 2009 digitalisiert und mithin neu veröffentlicht.
Für die unermüdliche Hilfe und die konstruktive Unterstützungmöchte ich an dieser Stelle sowohl Frau Dr. Angela Michaelis als auch meinen beiden Söhnen Oliver Michaelis und Christian
Michaelis ganz herzlich danken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Die verwendeten Abkürzungen entsprechen den bei Kirchner, Ab-ungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, Berlin 2008,
angegebenen Bedeutungen. Abweichend gebrauchte sowie bei
Kirchner nicht nachzulesende Kürzel sich nachfolgend aufgeführt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
LITERATURVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Erster Teil
I. Zur Problemstellung
Gleich allen anderen Individuen ist auch für die Leiter sozialistischer Industriebetriebe eine bestimmte soziale Mobilität feststellbar, wobei „in allgemeiner Formulierung unter Mobilität die Bewegung von Personen aus einer Position in eine andere Position innerhalb … einer Gesellschaft verstanden (wird).“[1] ]
In Anbetracht der Tatsache, daß „die Gesellschaft nicht aus Indivi- duen (besteht), sondern die Summe der Beziehungen, Verhältnisse (ausdrückt), worin diese Individuen zueinander stehn“,[2] ] wie auch der, daß die sozialen Positionen unabhängig von dem jeweiligen Positionsinhaber existieren, stellt sich fast zwangsläufig die Frage, welche theoretische und vor allem auch praktische Bedeutung der soziologischen Analyse der Bewegung der Individuen zwischen den sozialen Positionen zukommen soll, wenn durch diese Positions- wechsel der Individuen jeweils nur die Positionsinhaber wechseln, aus dem soeben genannten Grund der von dem einzelnen unab- hängigen Existenz der sozialen Positionen die Sozialstruktur einer Gesellschaft jedoch keinerlei Veränderung erfährt.
Gleichwohl verbirgt sich hinter der als sozialer Mobilität bezeichneten Bewegung der Individuen zwischen den sozialen Positionen mehr als nur ein für den einzelnen bedeutsamer Vorgang. Bekanntlich hatte „die manufakturmäßige Teilung der Arbeit die lebenslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung“[3] und damit auch eine entsprechende ‚lebenslängliche’ Annexation des einzelnen an eine soziale Position zur Folge.
„Da das Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt und der in ihr funktionierende Gesamtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unabhängiges objektives Skelett besitzt“[4] ] konnte zugleich auch „die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion we- der in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwäl- zen. … Ihre eigene enge technische Basis trat auf einem gewissen Entwicklungsgrad mit den von ihr selbst geschaffenen Produktions- bedürfnissen in Widerspruch“[5] ]; in Widerspruch allerdings auch mit den Verwertungsbedürfnissen des sich entwickelnden Kapitals. Je- doch: „Eins ihrer vollendetsten Gebilde war die Werkstatt zur Pro- duktion der Arbeitsinstrumente selbst, und namentlich auch der bereits angewandten komplizierten mechanischen Apparate.
Dies Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit produzierte seinerseits Maschinen“[6] ], die nun das von den Arbeitern unabhängige objektive Skelett der modernen Industrie bilden.
Aber: „Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhan- dene Form eines Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre tech- nische Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Pro- duktionsweisen wesentlich konservativ war. Durch Maschinerie, chemische Prozesse und andere Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Ar- beiter und die gesellschaftliche Kombination des Arbeitsprozesses um. Sie revolutioniert damit ebenso beständig die Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und schleudert unaufhörlich Kapitalmas- sen und Arbeitermassen aus einem Produktionszweig in den and- ren. Die Natur der großen Industrie bedingt daher Wechsel der Ar- beit, Fluß der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters.“[7] ]
„So wird“, wie Marx weiter ausführt, „einerseits der technische Grund der lebenslangen Annexation des Arbeiters an eine Teilfunktion weggeräumt. Andererseits fallen die Schranken, welche dasselbe Prinzip der Herrschaft des Kapitals noch auferlegte.“[8] ]
Die hohe soziale Mobilität, die die bürgerliche Soziologie empha- tisch als „eine der grundlegenden Strukturtatsachen der entwickel- ten Industriegesellschaft“[9] ] feiert, ist so gesehen primär und vor al- lem Ausdruck der Tatsache, daß „die große Industrie … selbst es zur Frage von Leben und Tod (macht), den Wechsel der Arbeiten und daher möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines ge- sellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner nor- malen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen.“[10] ]
Obwohl somit die soziologische Relevanz des als soziale Mobilität bezeichneten Prozesses unmittelbar erkennbar und einsichtig ist - zumal sich in der kapitalistischen Gesellschaft die soziale Mobilität gleich dem „Wechsel der Arbeit … nur als überwältigendes Natur- gesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hindernisse stößt“[11] ], zielt die soziologi- sche Analyse des Umfanges und der Richtung der sozialen Mobili- tät weniger auf eine entsprechende Analyse der durch die Industrie bereits erreichten bzw. erzwungenen „Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse“[12] ] und damit auch der Erset- zung des Teilindividuums „durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen einander ab- lösende Betätigungsweisen sind“[13] ], als vielmehr auf einen hiermit zwar verbundenen, jedoch hiervon spezifisch unterschiedenen so- zialen Sachverhalt.
„Eine Gesellschaft, die auf die rationale, wirksame Ausbeutung und Organisation all ihrer Schätze und Mittel hin orientiert ist, muß dafür Sorge tragen, daß stets ‚der beste ‚Mann’ jede Position einnimmt, daß jeder auf ‚den richtigen Platz’ kommt. Sie muß daher in ihrer Struktur Bedingungen der prinzipiell unbeschränkten Konkurrenz (hinsichtlich des Zuganges zu den sozialen Positionen - H.M.) rein unter dem Gesichtspunkt der Fähigkeit schaffen.“[14] ]
Aber selbst in den Vereinigten Staaten, die ob ihrer hohen indus- triellen Entwicklung wie auch sozialen Mobilität von einer Vielzahl bürgerlicher Soziologen gern als ein Musterbeispiel einer ‚Leis- tungsgesellschaft’ zitiert und strapaziert werden, in der der Zugang der Individuen zu den sozialen Positionen primär von den Fähigkei- ten und der Leistung des einzelnen abhängig wäre, „sieht“, wie Melvin M. Tumin festzustellen sich gezwungen sieht, „die tatsächli- che Situation natürlich (!) wesentlich anders aus. Inzwischen ist man sich darüber einig, daß von einer vollkommenen Chancen- gleichheit keine Rede sein kann und daß weiße, protestantische Kinder mit wohlhabenden und gut ausgebildeten Vätern in aner- kannten Berufen die besten Chancen haben. Diese Familien- oder Geburtsmerkmale verhelfen einem Kind zu größeren Erfolgschan- cen, als sie Kinder mit anderen Familienkonstellationen haben. Die Chancen, einen Status durch Leistung zu erwerben, werden also durch eine Reihe zugeschriebener Merkmale recht stark beeinträch- tigt.“[15] ]
In Anbetracht der unterschiedlichen sozialökonomischen, politi- schen, kulturellen und konfessionellen Gegebenheiten in den ver- schiedenen Gesellschaften ließe sich die Reihe der den freien Zu- gang zu den sozialen Positionen und insbesondere den Zugang zu den Führungs- und Leitungspositionen in Wirtschaft und Gesell- schaft einschränkenden Faktoren und Mechanismen nahezu belie- big erweitern. Entscheidender jedoch als eine bloße Aufzählung der hier in Betracht kommenden Faktoren und Mechanismen ist die Tatsache, daß in allen Gesellschaften die Rekrutierung der Indivi- duen zu den sozialen Positionen und - damit auch - der Wechsel der Individuen zwischen den verschiedenen sozialen Positionen bestimmten - primär sozialstrukturell bedingten - Mechanismen unterliegt, die durch die spezifisch soziologische Analyse des Um- fangs und der Richtung der sozialen Mobilität gleichermaßen trans- parent wie auch empirisch faß- und meßbar werden.
Diese durch die soziologische Analyse der sozialen Mobilität faßba- ren Mechanismen der Rekrutierung der Individuen zu den sozialen Positionen sind keine gesellschaftlich unbedeutenden Mechanis- men. Soweit der Zugang zu bestimmten sozialen Positionen in einer Gesellschaft restriktiven Mechanismen unterliegt, erweisen sich diese den freien Zugang zu diesen sozialen Positionen einschrän- kenden Mechanismen sehr schnell als bloße Mechanismen der Durchsetzung und Aufrechterhaltung der jeweiligen Herrschaftsver- hältnisse und damit zugleich als die Mechanismen der Reprodukti- on der jeweils bestehenden Sozialstruktur dieser Gesellschaft. Ebenso aber, wie durch die soziologische Analyse der sozialen Mo- bilität und insbesondere der Rekrutierungsmechanismen der Indivi- duen zu den sozialen Positionen wie auch durch die der Re- krutierungsfelder bestimmter Gruppen die Mechanismen der Durch- setzung und Aufrechterhaltung der Herrschaftsverhältnisse einer bestimmten Gesellschaft angebbar werden, so lassen sich anderer- seits aus einer Veränderung dieser Rekrutierungsmechanismen und -felder unmittelbar Rückschlüsse auf die Art und Richtung der Veränderung der Herrschafts- und Sozialstruktur der jeweiligen Ge- sellschaft ziehen. Besondere theoretische wie auch gesellschafts- politische Bedeutung hat die soziologische Analyse der auf den Wechsel der Individuen zwischen den sozialen Positionen anhe- benden sozialen Mobilität daher als vergleichende Analyse der so- zialen Mobilität in verschiedenen Gesellschaften und auch Gesell-schaftsformationen, wodurch sich die Mobilitätsanalyse gleichzeitig und notwendigerweise zu einem Mittel der Analyse und des Vergleichs der Reproduktions- und Wandlungsmechanismen der Herrschafts- und Sozialstruktur verschiedener Gesellschaften und Gesellschaftsformationen ausweitet.
Sowohl unter dem Gesichtspunkt des Vergleichs der Reprodukti- ons- und Wandlungsmechanismen der Sozialstruktur zweier grund- legend verschiedener Gesellschaftsformationen als auch in Anbe- tracht der für eine Vielzahl industriesoziologischer Probleme und Fragestellungen dringend benötigten empirischen Angaben über die Veränderung der Sozialstruktur des sozialistischen Industriebetrie- bes wie auch der sozialen Rekrutierungsfelder und -mechanismen der in den Industriebetrieben tätigen Leitungskader drängt sich eine soziologische Analyse der sozialen Mobilität der in den sozialistischen Industriebetrieben tätigen Leiter geradezu auf. Besonderes Interesse gewinnt die Analyse der sozialen Mobilität sozialistischer Leiter zumal auch auf dem Hintergrund der Heraus- bildung und Entwicklung von zwei auf grundsätzlich verschiedenen sozialökonomischen Grundlagen beruhenden deutschen Staaten infolge der Entwicklung sozialistischer Produktions- und Gesell- schaftsverhältnisse in der DDR nach 1945, durch die es zu einer weitgehenden und tiefgreifenden Veränderung in der Zusammen- setzung insbesondere der politischen und ökonomischen Füh- rungskräfte kam.
„Dieses einmalige und für alle Welt wissenschaftlich sehr bedeut- same Phänomen zu erfassen“[16] ] muß, wie selbst Karl Valentin Mül- ler in seinem Pamphlet diesen Vorgang charakterisiert, sogleich auch deshalb als eines der dringlichsten Aufgaben der marxistisch- leninistischen Soziologie angesehen werden, als durch die empiri- sche Analyse der vollzogenen Veränderungen in der Struktur und Zusammensetzung der Leitungskader der sozialistischen Industrie- betriebe und in Anbetracht der weitgehenden sozialstrukturellen Kontinuität der Führungsgruppen in Wirtschaft und Gesellschaft der BRD zugleich auch die gesellschaftlichen Prozesse und Veränderungen sichtbar werden, die der objektiven Abgrenzung beider deutschen Staaten ebenso zugrunde liegen, wie auch deren Richtung und Gepräge bestimmen.
Nicht zuletzt auch aus diesem Grunde bietet, wie Georg Aßmann und Horst Berger zum Ausdruck bringen, „die sozialstrukturelle Analyse der sozialistischen Leiter der Industrie in der DDR eine wichtige Orientierungshilfe für die westdeutsche Arbeiterklasse ... Deshalb ist es notwendig, den Prozeß der Herausbildung der sozia- listischen Leiter, der sich nach 1945 unter Führung der Partei der Arbeiterklasse vollzogen hat, zu analysieren. Wir wissen allgemein …, daß die Leiter in der sozialistischen Industrie vornehmlich aus der Arbeiterklasse stammen und auch in der überwiegenden Mehr- zahl nach 1945 neu in die Leitungsfunktionen aufgestiegen sind. Eine detailliertere Untersuchung müßte darüber hinausgehend er- fassen, inwieweit es in den Jahren von 1945 bis 1968 Verschiebun- gen in der schichtmäßigen Herkunft der Leiter gegeben hat. Dazu gehört auch die Untersuchung der Leiter, die gegenwärtig in der sozialistischen Industrie tätig sind, hinsichtlich ihrer funktionellen Entwicklung. Das heißt, welche Funktionsebenen die gegenwärtig tätigen Leiter durchlaufen haben, um die jetzige Position zu beset- zen.“[17] ]
Entsprechend dem fast vollständigen Fehlen derartiger Untersu- chungen besteht eine der wesentlichsten Aufgaben der vorliegen- den Arbeit in der Durchführung und theoretischen Verallgemeine- rung der von Aßmann und Berger in ihrer Habilitationsarbeit gefor- f.
Entsprechend dem fast vollständigen Fehlen derartiger Untersu- chungen besteht eine der wesentlichsten Aufgaben der vorliegen- den Arbeit in der Durchführung und theoretischen Verallgemeine- rung der von Aßmann und Berger in ihrer Habilitationsarbeit gefor- f. derten detaillierteren Analyse der sozialen Mobilität der in der sozialistischen Industrie tätigen Leiter.
Bedingt durch die diskontinuierliche Entwicklung der Soziologie in- nerhalb der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften wurde die - in Charakter und theoretischer wie auch praktischer Fragestellung von einer bloß sozialstatistischen Analyse der Verän- derung der Sozialstruktur spezifisch unterschiedene - Analyse der sozialen Mobilität weitgehend zu einer Domäne der bürgerlichen Soziologie. Dieser Umstand hatte zur Folge, daß insbesondere der kategoriale und methodologische Apparat der soziologischen Mobi- litätsanalyse ebenso wie die innerhalb der bürgerlichen Soziologie ohnehin nur ansatzweise vorhandene und überwiegend nur auf Oberflächenphänomene verengte Theorie der sozialen Mobilität überwiegend durch den in der bürgerlichen Soziologie vorherr- schenden Positivismus geprägt wurden und daher in Auseinander- setzung mit diesen bürgerlichen Mobilitätsauffassungen marxisti- scherseits inhaltlich und damit auch theoretisch weitgehend neu zu bestimmen sind.
II. Das Wesen der sozialen Mobilität und dessen begriff- liche Widerspiegelung in der bürgerlichen und marxis- tisch-leninistischen Soziologie
Soziologische Analysen der Sozialstruktur und deren Veränderun- gen erfolgen zunehmend mehr als Untersuchungen der sozialen Mobilität. Gehört hierbei die spezifisch soziologische Erforschung der Sozialstruktur gegebener Gesellschaften und der sich in ihnen vollziehenden sozialstrukturellen Veränderungen schon seit Her- ausbildung der Soziologie als einer gesellschaftswissenschaftlichen Einzelwissenschaft unabhängig von deren Observanz geradezu schon zu deren Standardrepertoire, so darf die soziologische Ana- lyse der Sozialstruktur und deren Veränderung mit Hilfe der empiri- schen Erforschung der sozialen Mobilität besondere theoretische Aufmerksamkeit beanspruchen.
Nicht nur sind - nach den Befunden bürgerlicher Soziologen - „Entwickelte industrielle Gesellschaften - … außerordentlich mobile Gesellschaften“[18] ] „ihre außerordentlich hohe Mobilitätsrate“ nicht nur „eine der grundlegenden Strukturtatsachen der entwickelten Industriegesellschaft“[19] ], sondern auch eine Tatsache, durch die „die Rede von einer offenen Schicht - oder auch ‚Klassenstruktur’ der modernen Gesellschaft (begründet)“[20] ] wird.
„Die unmittelbaren Konsequenzen eines solchen Strukturarrange- ments liegen auf der Hand. Ist der soziale Auf- und Abstieg in einer Gesellschaft institutionalisiert, so befindet sich die Bevölkerung die- ser Gesellschaft in ständigem Fluss; Gruppierungen von der Be- ständigkeit und ‚Geschlossenheit’ der Kasten und selbst Stände werden unmöglich.“[21] ]
Von der Betonung der Unmöglichkeit der Beständigkeit und Ent- schlossenheit der Kasten und Stände infolge hoher sozialer Mobili- tät ist es nur ein kleiner Schritt bis zur entsprechenden Begründung der Unmöglichkeit der Beständigkeit wie auch Existenz sozialer Klassen in einer Gesellschaft in der „eine hohe soziale Mobilität der einzelnen … ein soziales Faktum … vielleicht auch das zentrale, der realsoziologischen Strukturveränderungen … darstellt.[22] ]
Tatsächlich vollzogen wird denn auch dieser Schritt von Helmut Schelsky, bietet sich doch hier die, wenn auch nur scheinbare, Chance, durch den Verweis auf die hohe soziale Mobilität das leidi- ge Problem der Existenz sozialer Klassen und Schichten in die Ver- gangenheit zu verbannen. So Schelsky, wenn er die Auffassung vertritt: „Die umfangreichen sozialen Aufstiegs- und Abstiegspro- zesse, die wir gerade in der deutschen Gesellschaft der letzten zwei bis drei Generationen erlebt haben, zerstören eben das Klassenge- füge, aus dem sie sich erheben. Das Zusammenwirken dieser sich begegnenden Richtungen der sozialen Mobilität führt … zu einer sozialen Nivellierung der Bevölkerung in einer verhältnismäßig ein- heitlichen Gesellschaftsschicht, die ebenso wenig proletarisch wie bürgerlich ist, d.h. durch den Verlust der Klassenspannung und so- zialen Hierarchie gekennzeichnet wird“[23] ]
Selbst wenn andere bürgerliche Soziologen der sozialen Mobilität keine derartig weiterreichende Bedeutung für die Zerstörung des Klassengefüges der jeweils gegebenen Gesellschaft beimessen und die soziale Mobilität nur als ein Phänomen betrachten, „durch welche sich das Klassensystem erhält und ändert“[24], dürfte der durch einen Verweis auf die hohe soziale Mobilität vorgetragene Einwand gegen die Möglichkeit der Existenz bzw. Weiterexistenz sozialer Klassen in der „modernen“ Gesellschaft kaum als die Ansicht eines outsiders zu betrachten sein. Gegen den nur singulären Charakter der von Schelsky vertretenen Ansicht sprechen ähnliche, ja, in gewisser Hinsicht theoretisch weiterreichende Überlegungen Ralf Dahrendorfs, der an verschiedenen Stellen seiner bereits ge- nannten Arbeit dem „Problem der sozialen Mobilität in ihrer Wirkung auf Klassenstruktur und Klassenkonflikt“[25] ] nachgeht und differen- zierter zu fassen versucht.
Bevor jedoch dem insbesondere von Dahrendorf exponierten Pro- blem der Wirkung der sozialen Mobilität auf die Klassenstruktur so- wie auch der Art und Richtung seiner Argumentation nachgegangen werden kann und soll, erscheint eine begriffliche Bestimmung der sozialen Mobilität und damit jenes Phänomens, dem - wie den Aus- führungen Schelskys zu entnehmen war - derartig nivellierende und egalisierende Kräfte zuerkannt werden, gleichermaßen angebracht wie notwendig.
Verglichen mit der angedeuteten Tragweite der durch die soziale Mobilität bewirkten ‚realsoziologischen Strukturveränderungen’ er- scheint die soziale Mobilität auf den ersten Blick als eine nahezu unscheinbare und unbedeutende Erscheinung. Bolte zufolge wird „Unter sozialer Mobilität in den Sozialwissenschaften die Bewegung von Personen aus einer Position in eine andere Position verstan- den, wobei Position den - ‚Platz’ eines Menschen in einem sozialen Gefüge bzw. in einer Gliederung innerhalb eines solchen bezeich- net.“[26] ]
Im Unterschied zu den - besonders in den Gesellschaftswissen- schaften - nicht seltenen Kontroversen über Begriffsinhalt soziolo- gischer Kategorien gibt es hinsichtlich der Begriffsbestimmung „der sozialen Mobilität als einem Wechsel von Personen zwischen ver- schiedenen sozialen Positionen“[27] ] kaum gravierende Meinungsver- schiedenheiten, was auch deutlich wird, betrachtet man die von Helmut Steiner gegebene Begriffsbestimmung der sozialen Mobili- tät, die er als „jede Bewegung von Personen aus einer Position in eine andere innerhalb jeder möglichen Gliederung der Gesell- schaft“[28] ] bestimmt. Selbst von dieser allgemein verbreiteten Be- griffsbestimmung abweichende Bestimmungen der sozialen Mobili- tät unterscheiden sich weniger prinzipiell als vielmehr durch einen unterschiedlichen Abstraktionsgrad bzw. durch eine unterschiedli- che Akzentuierung der jeweiligen sozialen Gefüge, zwischen denen der Positionswechsel der Individuen erfolgt. So, wenn im „Wörter- buch der marxistisch-leninistischen Soziologie“ die soziale Mobilität als „Bewegung der Gesellschaftsmitglieder zwischen den und in- nerhalb der Klassen und Schichten der Gesellschaft gefaßt wird.“[29] ]
Wenn aber, um nach dieser vorerst hinreichenden Charakterisie- rung der sozialen Mobilität sogleich wieder auf die sich aus dieser Erscheinung für Dahrendorf ergebenden theoretischen Folgerungen zurückzukommen, „Wenn der Einzelne seine Klasse beliebig wech- seln kann bzw. wenn er sogar regelmäßig wechseln muß, wenn z.B. der Arbeiter, so er nur will (!), Unternehmer werden kann bzw. jedes Mitglied des Gemeindekollektivs einmal Bürgermeister wer- den muß, dann liegt eine Form und ein Maß der Intra-Generations- Mobilität vor, die Klassenbildung unmöglich machen. Die Zugehö- rigkeit zu Klassen wird dann zur bloß zufällig bzw. prinzipiell vorü- bergehenden Erscheinung. Obwohl es noch eine Quasi- Gruppenstruktur der Autoritätsrollen gibt, macht der ständige Wechsel ihrer Träger die Organisation von Interessengruppen zur Verteidigung oder Anfechtung der Legitimität bestehender Herr- schaftsstrukturen unmöglich. Es gibt keinen Klassenkonflikt und in diesem Sinne auch keine Klassen“ - und, um den Bogen noch wei- ter zu spannen - „Die klassenlose Gesellschaft ist als (intra- generations-)mobile Gesellschaft also eine soziologische Kategorie von realer Bedeutung.“[30] ]:
Erinnert man sich der Charakterisierung der ‚entwickelten industriel- len Gesellschaft’ als außerordentlich mobiler Gesellschaft, so kann das doch wohl nur so zu verstehen sein, als daß die so charakteri- sierten Gesellschaften bereits jetzt weitgehendst den Zustand der klassenlosen Gesellschaft erreicht haben. Eine immerhin bemer- kenswerte Anpassung der bürgerlichen Soziologie und Ideologie an die neuen Gegebenheiten des Klassenkampfes infolge der weitge- henden Überwindung der antagonistischen Klassenwidersprüche in den sozialistischen Gesellschaften, galt doch der Hinweis auf die vielfältigen Möglichkeiten sozialen Aufstiegs bisher als ausreichen- des Argument gegen die Rigidität der bestehenden Klassenstruktu- ren. Aber Dahrendorfs These der Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft infolge hoher sozialer Mobilität steht auf tönernen Fü- ßen. Wohl nicht zuletzt auch angesichts der nicht allzu hohen Mobi- litätsraten mache sich zugleich „eine Einschränkung erforderlich, … scheint doch empirisch die Hypothese sinnvoll, das der angedeute- te Zustand der Quasi-Klassenlosigkeit stets nur als Begleiterschei- nung vorübergehender Prozesse revolutionärer Wandlungen auftritt und jeweils nach relativ kurzer Zeit einem Mittelmaß an Stabilität Raum gibt, mit dem auch Klassen wieder möglich werden. Klassen- losigkeit kraft (Intra-Generations-)Mobilität ist gewissermaßen ein Grenzwert … der stets zu seiner eigenen Aufhebung tendiert und insofern vernachlässigt werden darf“[31] ], womit es nun dem Leser überlassen bleibt, sich - je nach Bedarf - sein eigenes Urteil über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft zu bilden.
Da für Dahrendorf die Beantwortung dieser Frage und damit auch die Erörterung der Faktoren, die „als empirische Bedingungen der Organisation von Klassen fungieren, vor allem aber deren Bestand, …, beeinflussen … nicht ein Problem der theoretischen Konstrukti- on, sondern der empirischen Verallgemeinerung“[32] ] ist, liegt es zu- nächst nahe, Dahrendorfs Annahme der prinzipiellen Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft bzw. ‚Klassenlosigkeit kraft (Intra- Generations-)Mobilität’ dadurch als unrealistische Annahme abzu- tun, berechtigen doch selbst die empirischen Verallgemeinerungen bürgerlicher Soziologen keineswegs zu der Feststellung, daß der Arbeiter, wo er nur will, Unternehmer werden kann’. Völlig überse- hen würde bei einer derartigen Replik nur, daß Dahrendorfs These der ‚Klassenlosigkeit kraft (Intra-Generations-)Mobilität’ weniger ein Problem der empirischen Verallgemeinerung, sondern - primär und vor allem - eine Frage der theoretischen Konstruktion ist. Denn: wenn die Klassenlosigkeit gewissermaßen nur einen Grenzwert hoher Mobilität darstellt, dann ist zwar die Frage des Grades der Klassenlosigkeit eine Frage der empirischen Analyse und Verall- gemeinerung, nicht jedoch aber die Klassenlosigkeit als solche, die sich - Dahrendorf zufolge - vielmehr über die soziale Mobilität ver- wirklicht. Damit aber wird die Frage nach einer prinzipiellen Mög- lichkeit der Klassenlosigkeit der ‚entwickelten industriellen Gesell- schaft’ zu einem Problem der prinzipiellen Möglichkeit der sozialen Mobilität, das sich - der Natur der Sache nach - sofort auf die Frage verdünnt, ob „die Klassenzugehörigkeit … ein unentrinnbares, er- erbtes und sich forterbendes Schicksal ist“[33].
Prinzipielle Fragen verlangen prinzipielle Antworten, weshalb denn auch die Annahme einer unentrinnbaren und sich forterbenden Klassenzugehörigkeit ebenso prinzipiell verneint, wie die Möglich- keit des ‚Aufstiegs eines Arbeiters zum Unternehmer bzw. die des Abstiegs eines Kapitalisten zum Arbeiter ebenso prinzipiell bejaht werden muß - und dies nicht erst für die ‚moderne’ Gesellschaft. Beide Formen der sozialen Mobilität, d.h. sowohl den sozialen Aufstieg des Arbeiters zum Kapitalisten als auch den sozialen Abstieg des Kapitalisten zum Angehörigen der Arbeiterklasse sah bekannt- lich bereits auch Marx so, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, daß, wenn beispielsweise ein Kapitalist infolge des Kokurrenz- kampfes sein „Kapital verliert, er die Eigenschaft (verliert), Kapitalist zu sein. … So kann auch der einzelne Arbeiter aufhören, das Für- sichsein der Arbeit zu sein; er kann Geld erben, stehlen etc. Aber dann hört er auf, Arbeiter zu sein.“[34] Oder, mehr auf die eigene Leistung als Mittel des sozialen Aufstiegs und dessen gesellschaftliche Bedeutung abstellend: „… dieser Um- stand der so sehr bewundert wird von den ökonomischen Apologe- ten, daß ein Mann ohne Vermögen, aber mit Energie, Solidarität, Fähigkeit und Geschäftskenntnis sich in dieser Weise in einen Kapi- talisten verwandeln kann …, befestigt die Herrschaft des Kapitals selbst, erweitert ihre Basis und erlaubt ihr, sich mit stets neuen Kräften aus der gesellschaftlichen Unterlage zu rekrutieren.“[35]
Wenn selbst Marx - wie soeben angedeutet - die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse nicht als ein unentrinnbares Schicksal des einzelnen ansah, mithin Klassenmobilität als prinzi- piell möglich betrachtete, zudem noch deren „Einfluß auf die Inten- sität des Klassenkonfliktes“[36] andeutete, dann dürfte auch das Dah- rendorf beschäftigende Problem, ob die soziale Mobilität “als konsti- tutionelles Hindernis der Klassenbildung“[37] fungiere, näher zu be- trachten sein. Ganz offensichtlich berühren wir damit zugleich auch das Kardinalproblem jeglicher Mobilitätssoziologie, impliziert doch die Beantwortung des Einflusses der sozialen Mobilität auf die Exis- tenz sozialer Klassen wesentlich schon die theoretische und auch ideologische Reichweite der Mobilitätstheorie.
Schelskys These der Zerstörung des Klassengefüges wie auch Dahrendorfs Konstruktion einer klassenlosen Gesellschaft kraft sozialer Mobilität zeugen davon, daß die mögliche - theoretische wie ideologische - Reichweite der soziologischen Mobilitätstheorie kaum als nur unbedeutend angesehen werden darf.
Gemäß herrschender Ansicht bezeichnet, wie bereits angedeutet, soziale Mobilität den Wechsel von Individuen aus einer sozialen Position in eine andere bzw. einen Wechsel der sozialen Position zwischen den und innerhalb der Klassen und Schichten einer gege- benen Gesellschaft. Auswirkungen der sozialen Mobilität auf die Existenz der jeweils existierenden Klassen sind, wenn überhaupt, nur im Falle einer sozialen Mobilität zwischen den Klassen zu er- warten, denn wie auch Dahrendorf feststellen muß, ist „Mobilität innerhalb von Klassen … in unserem Zusammenhang prinzipiell gleichgültig. Auf- und Abstiegsbewegungen zwischen gelernten, angelernten und ungelernten Arbeitsberufen etwa beeinträchtigen als solche die Stabilität der Klasse der industriellen Arbeiter nicht“[38]
- eine Feststellung, die genau genommen nicht ganz exakt ist, denn, wenn auch Auswirkungen der Intra-Klassenmobilität auf die Stabilität der jeweiligen Klasse keineswegs a priori ausgeschlos- sen und auch tatsächlich nachweisbar sind, Intra-Klassenmobilität ihrem Wesen nach nur Auf- und Abstiegsbewegungen von Individu- en innerhalb einer Klasse beinhaltet, dann kann nur in einer Gleich- gültigkeit der Auswirkungen der Intra-Klassenmobilität im Hinblick auf die Existenz der Klasse gesprochen werden. Insofern im Falle der Intra-Klassenmobilität nur Veränderungen der sozialen Position der Individuen innerhalb dieser oder jener Klasse in Betracht kommen, wird durch diese Form der sozialen Mobilität weiterhin nicht einmal der zahlenmäßige Bestand einer Klasse tangiert. An- gesichts der Spezifik der sich in der Form der Intra-Klassenmobilität ausdrückenden Art und Richtung der Positionswechsel der Indivi-duen bleibt diese Form sozialer Mobilität einsichtigerweise ohne jegliche Folgen für die Existenz gegebener Klassen und damit auch für die Klassenstruktur.
Anders hingegen seien die Wirkungen der Inter-Klassenmobilität, denn - wie bereits erwähnt -: wenn z.B. der Arbeiter, so er nur will, Unternehmer werden kann, dann liegt eine Form … der Intra- Generations-Mobilität vor, die Klassenbildung unmöglich mache. Nun, was zunächst die von Dahrendorf vorgenommene Einengung des Gültigkeitsanspruchs dieser Aussage auf die Intra-Generations- Mobilität betrifft, so ist die Frage des durch die Generationen gege- benen Bezugsrahmens nicht nur für das zu erörternde Problem, sondern auch für Dahrendorfs theoretische Konstruktion ohne jegli- che Bedeutung, begründet doch Dahrendorf allein seine These durch den ständigen Wechsel der Individuen zwischen den ver- schiedenen Klassen, der „die Organisation von Interessengruppen zur Verteidigung oder Anfechtung der Legitimität bestehender Herr- schaftsstrukturen unmöglich (macht)“[39] - eine, für einen Theoreti- ker, der prononciert die Meinung vertritt, „daß ein Individuum im Prinzip dadurch zum Angehörigen einer Klasse wird, daß es eine unter dem Aspekt der Autorität relevante soziale Rolle einnimmt“[40],auch rollentheoretisch betrachtet - ganz sicher ungewöhnliche Begründung.
Unter dem Gesichtspunkt der uns hier interessierenden InterKlassenmobilität gleichen jedoch soziale Klassen „einem Hotel oder einem Omnibus“, um hier Schumpeters anschaulichen und durchaus zutreffenden Vergleich zu benutzen, „die zwar immer besetzt sind, aber von immer anderen Leuten“[41].
Insofern die Bewegung der Individuen zwischen den Klassen zu- nächst nur mit einem Wechsel der Klassenzugehörigkeit verbunden ist, beispielsweise der dem Klassenkampf zum Opfer gefallene Ka- pitalist seine Klassenzugehörigkeit zur Klasse der Kapitalisten ver- liert und nun mit seiner neuerworbenen Zugehörigkeit zu einer an- deren Klasse vorliebnehmen muß, ergeben sich im Falle einer Inter- Klassenmobilität ebenfalls Auswirkungen auf die Größe des ‚Per- sonalbestandes’ einer Klasse, nicht jedoch aber auch für die Exis- tenz dieser oder jener Klasse, die von einem derartigen Wechsel der Natur der Sache nach überhaupt nicht berührt wird. Dahren- dorfs Konstruktion einer Klassenlosigkeit kraft sozialer Mobilität er- weist sich somit als bloße Fiktion. Und doch, wenn auch unter völlig anderen theoretischen und empirischen Voraussetzungen ist die Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft kraft sozialer Mobilität, genauer kraft Inter-Klassenmobilität mehr als nur eine Fiktion. Sie wäre dann keine, wenn sich die Angehörigen aller anderen Klasseaus welchen Gründen auch immer - sukzessive in eine einzige Klasse bewegen würden, so daß die anderen Klassen - unter der Voraussetzung nicht stattfindender Rück- oder Ausgleichsbewe- gungen - schließlich durch Schrumpfung verschwinden würden. Selbst wenn sich entsprechende Tendenzen in den sozialistischen Gesellschaften auch empirisch nachweisen lassen, wäre Klassen- losigkeit infolge Inter-Klassenmobilität nur der äußerste Grenzfall einer Inter-Klassenmobilität - allerdings auch nur dieser -; gleichzei- tig aber auch jener Punkt, an dem die Inter-Klassenmobilität sich selbst aufheben bzw. unmöglich machen würde, wäre doch im Falle der Existenz nur noch einer Klasse Inter-Klassenmobilität, d.h. die Bewegung von Individuen zwischen verschiedenen Klassen eo ipso nicht mehr möglich - ganz abgesehen davon, daß im Falle der Existenz nur noch von einer Klasse gesprochen werden kann. Das aber bedeutet zugleich auch, daß Klassenlosigkeit kraft Inter- Klassenmobilität solange unmöglich ist, solange Inter- Klassenmobilität möglich bleibt. Anders ausgedrückt: Klassenlosig- keit und Klassenmobilität sind und bleiben einander ausschließende Sachverhalte. In Anbetracht dieses Umstandes ist daher eine klassenlose Gesellschaft auch nicht durch eine noch so bedeutende Steigerung der Inter-Klassenmobilität, sondern primär nur durch eine Veränderung der die Klassen hervorbringenden Eigentumsverhältnisse zu erreichen.
Aber diese soziologische Widerlegung der Dahrendorfschen These der Klassenlosigkeit kraft sozialer Mobilität läßt zunächst noch deren spezifisch soziologische Begründung unwiderlegt, weshalb denn auch die von Dahrendorf vorgebrachte Begründung der klassenzerstörenden Bedeutung des ‚ständigen Wechsels’ des ‚Personals’ der Klassen angesichts der vor allem ideologischen Funktion der angeblich klassenzerstörenden Wirkung sozialer Mobilität einer auch immanenten Kritik unterzogen werden soll.
Wie erinnerlich, mache der ständige Wechsel der Individuen zwi- schen den Klassen ‚die Organisation von Interessengruppen zur Verteidigung oder Anfechtung der Legitimität bestehender Herr- schaftsstrukturen’ und damit auch die Bildung von Klassen unmög- lich, womit denn Dahrendorf, den wir hier nur exemplarisch anfüh- ren, die Individuen als den eigentlichen Bestimmungsgrund der Klassen betrachtet und in einem offensichtlichen Widerspruch zu früher gemachten Aussagen gerät und wo er - völlig zutreffend - äußerte: Der „Bestimmungsgrund der Klassen ist im Grunde nicht der Einzelne, sondern die sozialen Beziehungen, in denen er und andere sich finden“[42].
Kurz, der Bestimmungsgrund der Klassen und damit auch deren Existenzgrundlage liegt in „außerindividuellen Strukturverhältnis- sen“[43], die sich für den einzelnen in der Form sozialer Rollen artiku- lieren. Übernimmt der einzelne eine derartige aus außerindividuel- len Strukturverhältnissen hervorgehende und insbesondere durch die jeweiligen Klassenverhältnisse bestimmte soziale Rolle, dann wird der einzelne durch die Übernahme dieser Klassenrolle auchzum Angehörigen der Klasse, zu deren ‚Strukturarrangement’ diese Rolle gehört, d.h. - anders ausgedrückt - „die Klassenzugehörigkeit ist abgeleitet von der Trägerschaft sozialer Rollen, die Rekrutierung in sozialen Klassen geht hervor aus der Rekrutierung zu diesen Rollen.“[44]
Da die Frage der Richtigkeit all dieser rollentheoretischen Annah- men für den hier beabsichtigten Zweck einer auch immanenten Kri- tik der Dahrendorfschen These der Zerstörung der Klassenstruktur bzw. der Unmöglichkeit der Klassenbildung infolge ständigen Wechsels der Träger sozialer Rollen prinzipiell gleichgültig ist, soll daher auch nur der Frage nachgegangen werden, ob sich Dahren- dorfs These in irgendeiner Form überhaupt auch rollentheoretisch begründen läßt.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre Dahrendorf zunächst daran zu erinnern, daß - rollentheoretisch formuliert - „Klassen in irgendei- ner Form auf einem Strukturarrangement sozialer Rollen (beru- hen)“[45].
Wenn daher die Träger dieser sozialen Rolle einem ständigen Wechsel unterliegen, die soziale Rolle jedoch die Klassenzugehö- rigkeit des Trägers der jeweiligen sozialen Rolle bestimmt und ver- mittelt, die soziale Rolle selbst dagegen in außerindividuellen Struk- turverhältnissen begründet liegt, dann kann ein derartiger ständiger Wechsel der Rollenträger doch wohl nur einem Wechsel der Klas- senzugehörigkeit der einzelnen, nicht jedoch aber auch eine Verän- derung des Strukturarrangements sozialer Rollen und, insofern die Klassen auf diesem beruhen sollen, auch eine Veränderung der Klassenstruktur zur Folge haben. Also auch ein ‚ständiger’ Wechsel der Träger sozialer Rollen beeinträchtigt die Existenz der je beste- henden Klassen wie auch deren Struktur in keiner Weise, sind doch „auch Rollen prinzipiell unabhängig vom Einzelnen“[46].
Zudem: „In Prozessen des Strukturwandels - um die es ja bei die- ser Theorie geht - ist es gewissermaßen die Funktion dieser Rol- len, die Geltung des Bestehenden, den status quo aufrechtzuerhal- ten.“[47]
Dahrendorfs Versuch einer rollentheoretischen Begründung einer klassenzerstörenden Wirkung ständigen Rollenwechsels scheitert somit auch rollentheoretisch, gilt doch die den status quo stabilisie- rende Funktion sozialer Rollen auch und vor allem im Hinblick auf Prozesse des Strukturwandels der Träger sozialer Rollen, also ge- rade im Fall eines ständigen Wechsels des ‚Rollenpersonals’.
Nicht zuletzt gilt diese den status quo, also auch die bestehenden Klassenverhältnisse aufrechterhaltende und stabilisierende Funktion sozialer Rollen auch für die Organisation von Interessengruppen zur Verteidigung oder Anfechtung der Legitimität bestehender Herrschaftsstrukturen oder - allgemeiner formuliert - für die Problematik der Vertretung überindividueller Interessen.
„Das Verhältnis der positionsbedingten, ‚objektiven’ Interessen zu den Trägern der in Frage stehenden Positionen läßt sich ohne den Regreß auf zweifelhafte psychologische Gesetze klären. … Soziale Positionen, mit denen wir es hier zunächst zu tun haben, sind im Rahmen der Integrationstheorie der Sozialstruktur vor allem als so- ziale Rollen von Bedeutung. Soziale Rollen aber sind bestimmt durch gewisse Rollen-Erwartungen, ‚Erwartungsnormen’, die das angemessene Verhalten von Personen, die bestimmte Rollen spie- len, definieren’ (Parsons). … Es wird hier also eine Verhaltensorien- tierung als Postulat sozialer Positionen oder Rollen zugeschrie- ben.“[48]
Das aber meint: „ Die erörterten objektiven Interessen sind Rolleninteressen“[49], d.h. an soziale Rollen geknüpfte erwartete Verhaltensorientierungen.
„Der Einzelne, der eine Position … einnimmt, findet diese Rolleninteressen ebenso vor“[50] wie der, der erst neu in diese soziale Position wechselt. Auch auf dem Hintergrund positionsbedingter Interessen, die von dem Wechsel der Positionsinhaber nicht affiziert werden, lassen sich also keinerlei plausible Gründe angeben, warum soziale Mobilität mit der Bildung von Klassen - genauer: - mit der Reproduktion der jeweils bestehenden Klassenstruktur unvereinbar sein, deren Existenz unmöglich machen soll.
Aber lassen wir zu diesem Problem abschließend Dahrendorf selbst sprechen: „Bei der Analyse sozialer Strukturen, sei es ganzer Ge- sellschaften oder einzelner, ihrer Institutionen, Assoziationen und Gruppen, ist stets scharf zu trennen zwischen sozialen Positionen, oder Rollen und ihren Agglomeraten einerseits und dem Personal, den Menschen, die diese Positionen besetzen, andererseits. Sozia- le Mobilität bezeichnet zunächst nur eine Weise der Rekrutierung des Personals für gegebene Rollen. Soziale Klassen dagegen sind Phänomene, die … unabhängig von der Rekrutierungsweise und Fluktuationsrate ihrer Mitglieder bestehen - genau wie ein Indust- riebetrieb auch dann nicht zu bestehen aufhört, wenn die jährliche Fluktuationsrate der Arbeiter 100 % oder 200 % oder mehr beträgt. In diesem Sinn ist der Grad der sozialen Mobilität zumindest zu- nächst irrelevant für die Frage der Existenz von Klassen. … DieHypothese der Unvereinbarkeit sozialer Klassen und sozialer Mobilität ist also falsch.“[51]
Wenn aber, wie somit selbst Dahrendorf zugeben muß, die Existenz sozialer Klassen und sozialer Mobilität durchaus vereinbar ist oder
- und nun positiv formuliert - Klassenmobilität nur deshalb und so- lange möglich ist, weil und solange Klassen existieren, andererseits jedoch die Existenz sozialer Klassen durch das Vorhandensein so- zialer Mobilität und - spezieller - Klassenmobilität in keinerlei Wei- se tangiert wird, dann sind soziologische Analysen der sozialen Mobilität zur Begründung einer klassenlosen Gesellschaft nicht nur grundsätzlich überfordert, sondern es erhebt sich dann auch die Frage nach den sozialstrukturellen Prozessen, die sich in den Mobi- litätsvorgängen ausdrücken bzw. durch diese transparent werden.
Nicht wenige Soziologen betrachten die soziale Mobilität als einen Vorgang, der eine Veränderung der Sozialstruktur einer gegebenen Gesellschaft bewirkt, so beispielsweise O.I. Schkaratan, der meint, daß sich „gerade durch die verschiedenen Formen der Mobilität der Bevölkerung der Umbau der Sozialstruktur der Gesellschaft (ver- wirklicht)“[52].
Auf die von einer Vielzahl von Soziologen gesehene enge Verflechtung von sozialer Mobilität und Veränderung der Sozialstruktur macht auch Kurt Braunreuther aufmerksam, wenn er schreibt: „‚Mobilität’ bezeichnet in der soziologischen Literatur jene Vorgänge, die zu Veränderungen der Sozialstruktur als einem System sozialer Funktionen und Positionen führen“[53].
Ja, Rutkewitsch und Filippow sprechen gar von einer „Mobilität der Sozialstruktur“[54], womit nun der Begriff der sozialen Mobilität selbst als bloßes Synonym für die Veränderung der Sozialstruktur begriffen und benutzt wird.
Aber selbst wenn mit dem Wort ‚Mobilität’ fast zwangsläufig Vorstel- lungen von gesellschaftlicher Dynamik und auch Veränderung der Sozialstruktur assoziiert werden - soziale Mobilität ist weder iden- tisch mit einer Veränderung der Sozialstruktur, noch bewirkt soziale Mobilität als solche irgendeine Veränderung der Sozialstruktur. Wie ist dieser scheinbar paradoxe Sachverhalt zu erklären?
Auf der Grundlage der durch die Tatsache der in außerindividuellen Strukturverhältnissen begründeten Existenz sozialer Klassen ge- wonnenen Einsichten in die Auswirkungen sozialer Mobilität zeigte sich bereits, daß durch die soziale Mobilität die Existenz dieser Klassen nicht berührt wird und auch nicht berührt werden kann. Ohne Zweifel gilt dieser Sachverhalt auch für die Veränderung der Sozialstruktur. Wie Armélin richtig feststellt, können „die Gesell- schaftsmitglieder nur diejenigen Positionen einnehmen“ bzw. - was im Prinzip dasselbe - immer nur zwischen den sozialen Positionen wechseln, „die im System verfügbar sind“[55]. Insofern also soziale Positionen als die konkreten Elemente der Sozialstruktur in außer- individuellen Strukturverhältnissen begründet und daher von den einzelnen Individuen prinzipiell unabhängig sind, die Sozialstruktu- ren hingegen - zumindest auf dieser Ebene der Betrachtung - durch das Beziehungsgefüge zwischen diesen sozialen Positionen gebildet wird, sind Veränderungen der Sozialstruktur durch noch so hohe soziale Mobilität, d.h. durch einen bloßen Wechsel der Positi- onsinhaber schlechterdings unmöglich. Das aber bedeutet zugleich auch, daß soziale Mobilität und Veränderung der Sozialstruktur nicht nur zwei spezifisch verschiedene, sondern zwei grundsätzlich verschiedene und zudem voneinander zunächst prinzipiell unab- hängige soziale Prozesse sind.
Daß soziale Mobilität und soziale Strukturveränderungen bzw. spe- zieller - Veränderung der Sozialstruktur zwei grundsätzlich ver- schiedene und voneinander zunächst völlig unabhängige Prozesse sind, wird sofort deutlich, fragt man nach der Möglichkeit sozialer Mobilität selbst unter der Voraussetzung einer absolut statischen Sozialstruktur. Ganz sicher bedarf es keines besonderen Scharf- sinns, um zu erkennen, daß auch im Falle einer absolut statischen Sozialstruktur soziale Mobilität, also die Bewegung der Individuen zwischen den verschiedenen sozialen Positionen, Schichten und Klassen und auch innerhalb dieser nicht nur möglich, sondern, ins- besondere unter dem Gesichtspunkt der Reproduktion dieser Sozi- alstruktur - auch unumgänglich ist. Wichtiger aber als die Feststel- lung, daß jede Form von „Mobilität in einem Sozialsystem, die nicht auf Veränderung im Angebot von Positionen zurückzuführen ist, notwendig auf einem Austausch beruhen (muß)“[56], ist zweifellos die sich aus diesem Umstand ergebende Feststellung, daß die soziale Mobilität daher auch nicht als ein Vorgang begriffen werden kann, der zu einer Veränderung der Sozialstruktur führt.
Für den soeben betrachteten Fall der ‚Austauschmobilität’ dürfte diese Feststellung kaum zu bezweifeln sein. Nicht anders, wenn auch weit diffiziler, liegen die Dinge im Falle einer dynamischen So- zialstruktur. Betrachtet man die Sozialstruktur einer Gesellschaft als ein durch die sozialen Klassen und Schichten konstituiertes sozia- les Beziehungsgefüge, deren innere Struktur wiederum mit dem zwischen den sozialen Positionen bestehenden Beziehungsgefüge gegeben ist bzw. - allgemein - die Sozialstruktur als das zwischen den sozialen Positionen existierende Beziehungsgefüge, dürfte of- fenkundig sein, daß eine Veränderung der Sozialstruktur nur eine Veränderung der Art und Menge der zwischen den sozialen Positi- onen bestehenden Beziehungen meinen und auch nur durch eine Veränderung der Art und Menge dieser Beziehungen bewirkt werdaher nur mög- lich durch eine Veränderung des sozialen Inhalts wie auch der An- zahl der sozialen Positionen und der sich hieraus zwangsläufig er- gebenden Veränderungen des zwischen den sozialen Positionen bestehenden Beziehungsgefüges. Wechseln die Individuen dage- gen in neugeschaffene Positionen, so bewirkt die soziale Mobilität nur eine Anpassung der Individuen an bereits vor sich gegangene Veränderungen der Sozialstruktur. Vielmehr sind es die Verände- rungen der Sozialstruktur, die diese Form der sozialen Mobilität, die im Unterschied zur ‚Austauschmöglichkeit’ am treffendsten wohl als ‚Anpassungsmobilität’ zu charakterisieren wäre, gleichermaßen er- zwingen wie überhaupt erst ermöglichen. In (noch) nicht vorhande- ne soziale Positionen wechseln zu wollen, dürfte ebenso schwierig sein, wie der entgegengesetzte Versuch des Verbleibens in einer nicht mehr vorhandenen. Ganz offensichtlich ist es der der ‚Anpas- sungsmobilität’ eigene Anpassungseffekt, der den Anschein er- weckt, als verursache die soziale Mobilität eine Veränderung der Sozialstruktur. Verstärkt wird dieser Eindruck zudem noch dadurch, daß ohne diesen Positionswechsel der Individuen die durch die Veränderung der Systeme sozialer Positionen bewirkte Verände- rung der Sozialstruktur bloße Möglichkeit bliebe, weshalb denn auch die soziale Mobilität als die eigentliche Ursache der Verände- rung der Sozialstruktur erscheint. Vergessen wird hierbei nur, daß die sich über den Positionswechsel der Individuen realisierende Veränderung der Sozialstruktur ohne eine vorangegangene Verän- derung des Systems sozialer Positionen realiter unmöglich wäre und sich daher auch nicht vollziehen könnte. Diese offenkundige Vermitteltheit der Veränderung der Sozialstruktur durch die soziale Mobilität gestattet es, das Verhältnis von sozialer Mobilität und Ver- änderung der Sozialstruktur nun dahingehend zu präzisieren, daß die soziale Mobilität selbst zwar keine Veränderungen der Sozial- struktur verursacht, wohl aber die sich vollziehenden Veränderun- gen der Sozialstruktur vermittelt.
Aber auch dieser, die Veränderung der Sozialstruktur nur vermit- telnde Charakter der sozialen Mobilität ändert nichts an der völligen Verschiedenheit von sozialer Mobilität und Veränderung der Sozial- struktur, d.h. selbst diese durch die soziale Mobilität vermittelte Veränderung der Sozialstruktur berechtigt keineswegs zu einer Be- trachtung bzw. Charakterisierung der sozialen Mobilität als einer Ursache sozialstruktureller Veränderungen - eine Charakterisierung der sozialen Mobilität, die nur dann berechtigt wäre, ließe sich die soziale Mobilität in jedem Falle nur auf eine Veränderung der Sozi- alstruktur zurückführen. Wie jedoch bereits gezeigt werden konnte, ist und bleibt soziale Mobilität auch unter den Bedingungen einer im Grenzfall absolut statischen Sozialstruktur möglich.
Diese hierin zum Ausdruck kommende Nichtidentität von sozialer Mobilität und Veränderung der Sozialstruktur erlaubt nun zugleich auch die Bestimmung des Wesens der sozialen Mobilität. Wenn soziale Mobilität noch unter den Bedingungen einer extrem stati- schen Sozialstruktur möglich und auch notwendig ist, dann bewirkt die offenkundige Existenz dieser Bewegungen der Individuen zwi- schen den verschiedenen sozialen Positionen, Schichten und Klas- sen ganz sicher keine Veränderung der Sozialstruktur, wohl aber in jedem Falle eine Veränderung des Eingeordnetseins der Individuen in die Sozialstruktur - eine Tatsache, die sich sowohl bei der Aus- tausch- als auch Anpassungsmobilität nachweisen läßt. Angesichts dieser durch den Wechsel der sozialen Position verursachten bzw. mit diesem Positionswechsel einhergehenden Veränderung der so- zialstrukturellen Einordnung der Individuen wäre dann die soziale Mobilität primär und vor allem als dieser Vorgang der Veränderung der Einordnung der Individuen in die Sozialstruktur der jeweils ge- gebenen Gesellschaft zu begreifen, die Bewegung der Individuen zwischen den verschiedenen sozialen Positionen, Schichten und Klassen hingegen nur ein Oberflächenphänomen.
Die im Verlaufe der bisherigen Ausführungen angestellten Überle- gungen zu den Konsequenzen sozialer Mobilität für das einzelne Individuum wie auch für die Gesellschaft offenbaren zugleich auch den nur als positivistisch zu nennenden Charakter der als Bewe- gung der Individuen zwischen den verschiedenen sozialen Positio- nen begriffenen sozialen Mobilität. Nicht nur wird durch die als Be- wegung der Individuen zwischen den verschiedenen sozialen Posi- tionen begriffene soziale Mobilität die bloße Bewegung der Indivi- duen in diesem gesellschaftlichen Positionsgefüge zu deren Wesen erhoben, deren Ausmaß demzufolge - wenn auch verständlich - emphatisch als Ausdruck der Offenheit der Gesellschaft registriert wird, sondern angesichts des nicht weiter reflektierten und daher auch nicht begriffenen Inhalts dieser Bewegungen verengt sich das Ziel soziologischer Mobilitätsanalysen geradezu zwangsläufig auf die Ebene einer bloß phänomenologisch-deskriptiven Analyse die- ser Bewegungen. Ja, durch den nicht in die Reflexion genommenen Inhalt dieser Bewegungen wird der Mobilitätsbegriff selbst „eine Art Sammelbegriff für sämtliche Bewegungen“[57] oder - wie es Bolte noch zutreffender charakterisiert - „die oberflächliche Bezeichnung für einen im Grunde nicht eindeutig definierten Vorgang“[58].
Ganz folgerichtig wird dann jede nur denkbare Bewegung der Indi- viduen als soziale Mobilität begriffen oder - besser - strapaziert. Wohl nicht zuletzt deshalb kommt Bolte nicht umhin festzustellen:
„Damit wird ein grundlegender Mangel der gegenwärtigen Mobili- tätssoziologie offensichtlich. Es fehlt an einer übergreifenden und in sich geschlossenen Theorie der sozialen Mobilität, die die Kriterien, für eine systematische Unterscheidung zwischen den ‚wesentlichen’ und den ‚unwesentlichen’ Zusammenhängen im Bereich der Mobili- tätsforschung liefern könnte. Weil aber eine derartige Theorie (oder auch nur eine brauchbare Taxonomie) bisher nicht in Sicht ist, die ein axiomatisch-deduktives Vorgehen gestatten würde, sind wir und (in wissenschaftlicher Bescheidenheit - H.M) mit uns die ge- genwärtige Mobilitätssoziologie - darauf angewiesen, mit Typolo- gien zu arbeiten, die primär unter sozialpraktischen und wissen- schaftskonzeptionellen Ordnungsgesichtspunkten ausgewählt wer- den.“[59]
Ganz der eingestandenen Unfähigkeit zur Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen Zusammenhängen und Bewegungen reicht denn auch die Skala der von der bürgerlichen Soziologie erforschten speziellen Mobilitätsvorgänge von den Bewegungen der Individuen zwischen und innerhalb der Klassen und Schichten, bis hin zur Betrachtung solcher ‚Mobilitätsvorgänge’, die „Wechsel der Partei- und Konfessionszugehörigkeit, Wohnortwechsel und andere Bewegungen“[60] zur Grundlage nehmen.
Nun, was zunächst die Klagen über die bestehende Unfähigkeit zur Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen Zusammen- hängen und Bewegungen und damit auch das Verwiesensein auf konventionelle Ordnungsgesichtspunkte betrifft, so wird hier weni- ger das Fehlen einer übergreifenden und in sich geschlossenen Theorie der sozialen Mobilität als vielmehr das Fehlen einer über- greifenden und in sich geschlossenen Theorie der Sozialstruktur sichtbar.
[...]
1 Bolte, Sozialer Aufstieg und Abstieg, S. 8.
2 Marx, Grundriss der Kritik der politischen Ökonomie, S. 176.
3 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 377.
4 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 389.
5 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 390.
6 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 390.
7 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 510 f.
8 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 390.
9 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 55.
10 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 512.
11 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 511.
12 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 512.
13 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 512.
14 Marx, Das Kapital, Band I, in: MEW, Band 23, S. 4.
15 Tumin, Schichtung und Mobilität, S. 74.
16 Müller, Manager in Mitteldeutschland, S. VII.
17 Aßmann/Berger, Zur soziologischen Analyse von Leitern in der sozialistischen Industrie, S. 89
18 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. [61].
19 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. [55].
20 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. [55].
21 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. [62].
22 Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, S. 374.
23 Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, S. 393.
24 Blau/Duncan, Soziale Schichten und soziale Mobilität, Sonderheft 5 der KZfSS. 171.
25 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 181.
26 Bolte, Vertikale Mobilität, S. 1.
27 Mayntz, Soziale Schichtung und sozialer Wandel in einer Industriegesellschaft, S. 148.
28 Steiner, Aspekte der sozialen Mobilität in der Deutschen Demokratischen Republik, S. 44.
29 Stichwort ‚soziale Mobilität’, in: Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, S. 294.
30 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 184/3.
31 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 184.
32 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 180 f.
33 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 183.
34 Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, S. 211.
35 Marx, Das Kapital, Band III, in: MEW, Band 25, S. 614.
36 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 184.
37 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 184.
38 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 143.
39 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 184.
40 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 153.
41 Schumpeter, Die sozialen Klassen im ethnisch homogenen Milieu, S. 171.
42 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 151.
43 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 151.
44 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 154.
45 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 153.
46 Dahrendorf, Homo Sociologicus - ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, S. 33.
47 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 162.
48 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 168.
49 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 169.
50 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 169.
51 Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, S. 111 f.
52 Schkaratan, Probleme der Sozialstruktur der Arbeiterklasse, (russ.), S. 307.
53 Braunreuther, Theoretische Probleme der Fluktuation unter soziologischem Aspekt, S. 28.
54 Rutkewitsch/Filippow, Soziale Veränderungen, (russ.), S. 6.
55 Armélin, Einige Fragen des Zusammenhangs von sozialer Struktur und sozialer Mobilität, S. 431.
56 Lipset/Zetterberg, Eine Theorie der sozialen Mobilität, S. 369.
57 Bolte, Vertikale Mobilität, S. 3.
58 Bolte, Vertikale Mobilität, S. 3.
59 Bolte, Vertikale Mobilität, S. 3.
60 Bolte, Mobilität, S. 206.
- Quote paper
- Dr. Holger Michaelis (Author), 2009, Die soziale Mobilität von Leitern in sozialistischen Industriebetrieben, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131370
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