Angehenden Lehrer*innen wird es stetig mit auf den Weg gegeben, dass das Ziel, hin zu einem erfolgreichen Unterricht, abhängig ist von mehreren Faktoren. Einer dieser Faktoren ist die Art und Weise, wie die Lehrenden den Unterricht gestalten und sich selbst im Unterricht, aber auch im schulischen Alltag präsentieren und verhalten. Hierzu zählen sowohl Unterstützungsmethoden welche Lehrende hinzuziehen, als auch in welcher Form diese in das gesamte Unterrichtssetting integriert und positioniert werden. Nicht zuletzt folgt sodann der Hinweis, dass ‚guter Unterricht‘ abhängig ist von den Beziehungen, die Lehrer*innen den Schülern*innen gegenüber und von ihnen ausgehend pflegen. Letztlich bleibt der Kern immer eine gemeinsame Vertrauensbasis zwischen Lehrer*in und Schüler*innen, die für ein gelingendes Unterrichtssetting erarbeitet, etabliert und erhalten bleiben sollten. Ergo wird ausgehend von der Qualität der Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen die Qualität des Unterrichts direkt mitgetragen und gestaltet.
Insbesondere ist der Bereich der (effektiven) Klassenführung, eine jener Dimensionen, die international, insbesondere jedoch im anglo-amerikanischen Raum, vermehrt aber auch seit längerem im Kontext einer qualitativ hochwertigen Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung besondere Beachtung erfahren hat. Während das Konstrukt der Klassenführung insbesondere im deutschsprachigen Raum zumeist in Kompetenzmodellen eingruppiert wird und sowohl in Theorie als auch in Empirie als Steuerungsleistung von Lehrer*innen aufgefasst wird, welche lediglich die Maximierung von „echter Lernzeit“ als Ziel verfolgt. Die anglo-amerikanischen Konzeptionen verstehen effektives Classroom-Management hingegen viel mehr als wechselseitig gestaltete, belastbare Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung, welche durch Beziehungsarbeit die Leistung der Schüler*innen verbessern und Störungen, schülerseitig intrinsisch motiviert, inhibieren könne.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vertrauen
2.1 Assoziationen
2.2 Überzeugungen
2.3 Was ist Vertrauen? - Grundverständnis
2.4 Definition - Was ist Vertrauen?
3. Classroom-Management und Klassenführung
3.1 Assoziationen
3.2 Überzeugungen
3.3 Was ist Classroom-Management - Grundverständnis
3.4 Definition - Was ist Classroom-Management / Klassen Führung
3.4.1 Motivation
3.4.2 Emotionen
3.4.3 Wohlbefinden
3.4.4 Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung
4. „Classroom-Management Based On Trust“ - Zusammenhänge von Vertrauen und effektiver Klassenführung, oder Erfolgreiche / effektive Klassenführung eine Frage des Vertrauens?
4.1 Exkurs: Antinomien im pädagogischen Handeln nach Helsper (2016)
5. Fazit
6. Abbildungsverzeichnis
7. Literaturverzeichnis
Wachsendes Vertrauen zueinander
Ist ein guter Boden
Für ein fruchtbringendes Miteinander.
(Ernst Ferstl)
Ein Meister ist nicht derjenige, der etwas lehrt,
Sondern derjenige, der den Schüler dazu inspiriert,
Das Beste von sich zu geben,
Um herauszufinden was er schon weiß.
(Paulo Coelho, 1947)
1. Einleitung
In der heutigen Zeit wird es angehenden Lehrer*innen stetig mit auf den Weg gegeben, dass das Ziel, hin zu einem guten Unterricht abhängig ist von mehreren Faktoren. Einer dieser Faktoren ist die Art und Weise, wie die Lehrenden den Unterricht gestalten und sich selbst im Unterricht, aber auch im schulischen Alltag präsentieren und verhalten. Als Schlagworte seien hier, Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln genannt (Künsting et al., 2009; Lipowsky, 2006; Lotz & Lipowsky, 2015) . Hierzu zählen folglich sowohl, welche Unterstützungsmethoden Lehrende hinzuziehen, als auch in welcher Form diese in das gesamte Unterrichtssetting integriert und positioniert werden. Nicht zuletzt folgt sodann der Hinweis, dass ,guter Unterricht4 abhängig ist von den Beziehungen, die der Lehrer*innen den Schülern*innen gegenüber und von ihnen ausgehend pflegt. Hierzu gibt es diverse Vorschläge, Methoden und Wege, wie ein*e Lehrer*in dies am einfachsten, oder am geschicktesten anstellen solle. Letztlich zielt der Kern dieser Vorschläge, Methoden und Wege immer auf eine gemeinsame Vertrauensbasis zwischen Lehrer*in und Schüler*innen und die soziale Eingebundenheit im schulischen Kontext ab, die für ein gelingendes Unterrichtssetting erarbeitet, etabliert und erhalten bleiben sollten. Ergo wird ausgehend von der Qualität der Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schülerinnen die Qualität des Unterrichts direkt mitgetragen und gestaltet. Als After-Effect-Variable dieser Beziehung, sind auch die direkte Beeinflussung von Lehrerinnen- und Schüler*innengesundheit, Wohlbefinden und Leistungsbereitschaft, respektive -ergebnisse international erforscht, empirisch belegt und diskutiert (u.a. Cornelius-White, 2007; Riley, 2010; Siwek-Marcon, 2021; Wubbels et al., 2015).
Insbesondere ist der Bereich der (effektiven) Klassenführung, eine jener Dimensionen, die international, insbesondere jedoch im anglo-amerikanischen Raum, vermehrt aber auch seit längerem im Kontext einer qualitativ hochwertigen Lehrerinnen-Schülerinnen-Beziehung besondere Beachtung erfahren hat (u.a. Emmer & Sabornie, 2015a, 2015b; Ennis & McCauley, 2002; Gregory & Ripski, 2008; Howes & Ritchie, 2002; Montuoro & Lewis, 2015, 2018; Wirtz, 2021). Während das Konstrukt der Klassenführung insbesondere im deutschsprachigen Raum zumeist in Kompetenzmodellen eingruppiert wird und sowohl in Theorie als auch in Empirie als Steuerungsleistung von Lehrerinnen aufgefasst wird, welche lediglich die Maximierung von „echter Lernzeit“ als Ziel verfolgt. Die anglo-amerikanischen Konzeptionen verstehen effektives Classroom-Management hingegen viel mehr als wechselseitig gestaltete, belastbare Lehrerinnen-Schülerinnen-Beziehung, welche durch Beziehungsarbeit die Leistung der Schülerinnen verbessern und Störungen, schülerseitig intrinsisch motiviert, inhibieren könne. Dies geschehe laut Siwek- Marcon (2021, S. 208) vor dem Hintergrund einer beobachtbaren Entwicklung, weg von externaler Steuerung des Schülerinnen- und Klassenverhaltens hin zu Ansätzen, welche die Selbstkompetenz von Schülerinnen fokussieren, sowie Wert auf eine qualitativ hochwertige Lehrerinnen-Schülerinnen- Beziehung legen (z.B. Bear, 2015).
Im Verlaufe dieser Arbeit soll darauf eingegangen werden, was unter Vertrauen grundlegend zu verstehen ist, denn aller alltäglichen Bedeutsamkeit zum Trotze ist Vertrauen in der Literatur keineswegs eindeutig definiert. Weiter wird eruiert, welche Assoziationen mit diesem, in der Literatur uneindeutig beschriebenem Begriff, einhergehen, welche (falschen) Überzeugungen es davon gibt was Vertrauen seien könnte, sowie dem Versuch einer Eindeutigen Definitionsschaffung, welche für den weiteren Verlauf dieser Arbeit maßgeblich sein soll.
Im Anschluss wird sich mithilfe einer gleichen Gliederung dem Begriff Classroom-Management, respektive Klassenführung (die beiden Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet) genähert. Es wird ebenfalls mit Assoziationen zum Begriff gestartet. Hierauf folgen mögliche (falsche) Überzeugungen, die im gesellschaftlichen Spektrum vorherrschen was Klassenführung von Seiten der Lehrperson ausmacht, sowie der Schaffung eines Grundverständnisses und Darlegung einer Begriffsbestimmung. Diese ist insbesondere daher notwendig, da in nationaler und internationaler Literatur unterschiedliche Bedeutungshorizonte an die Begrifflichkeit des Classroom-Managements angelegt werden.
Anknüpfend hieran, findet ein Übereinanderlegen der beiden aufgeworfenen Themenfelder statt, unter dem Thema „Classroom-Management Based On Trust“ - Zusammenhänge von Vertrauen und effektiver Klassenführung, gemäß der Fragestellung: Erfolgreiche / effektive Klassenführung eine Frage des Vertrauens? Konkret also, wie effektive Klassenführung mit wechselseitigem Vertrauen zwischen Lernenden und Lehrenden gelingen kann und wie das Classroom-Management Based On Trust Einfluss nehmen kann, auf erfolgreiche Lehr-Lern-Prozesse, sowie die damit verbundenen erfolgreiche Wissensvermittlung und resultierenden Wissenserwerb.
Abschließend findet sich im Fazit das Ergebnis der Verknüpfung ClassroomManagement mit Vertrauen und der Darlegung inwieweit eine vertrauensbasierte, professionell pädagogische Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung korreliert mit einer erfolgreichen / effektiven Klassenführung. Also der Schlussfolgerung, ob es ratsam wäre, insbesondere Lehrer*innenseitig, eine solche Beziehung zu etablieren, um von einen möglichen Mehrwert zu profitieren.
Ziel der Arbeit ist es, basierend aus einer hinterfragenden Rekonstruktion von theoretischen und empirischen Ansätzen zu Vertrauen, sowie Klassenführung, respektive - allgemeiner gefasst - lehrer*innenseitige (pädagogische) Profession, ein pädagogisch dienliches, prozessuales Vertrauensverständnis zu umreißen. Hier anschließend soll jenes prozessuale Vertrauensverständnis auf die konkrete Arbeit mit Schüler*innen im Klassenraum projiziert werden, um hinführend zu einer spezifischen Strategie der Gestaltung von Lehr-LernProzessen, unter Nutzung aller notwendigen Ressourcen, bei gleichzeitiger Balance von Ressourcen In- und Output, zu sein.
2. Vertrauen
Es sollte davon ausgehen werden, dass Vertrauen in der Pädagogik ein stabiler Begriff ist, der sich bereits in einer Vielzahl von Untersuchungen im erziehungswissenschaftlichen Gemenge etabliert hat. Umso irritierender scheint die Tatsache, dass der Begriff Vertrauen noch keine eigenständige Grundkategorie in der Pädagogik innehat. Zumal dieser Begrifflichkeit sowohl in Theorie als auch in Praxis eine große Bedeutung zugestanden wird, „er aber zugleich größtenteils unreflektiert als Prämisse pädagogischer Beziehungen eher unterstellt als geklärt wird“ (Fabel-Lamla & Welter, 2012, S. 769). Selbstredend entsteht dieser Eindruck auch dadurch, dass die empirischen Studien, die im Themen- feld Vertrauen und Profession in pädagogischen Handlungsfeldern durchgeführt wurden, „als überschaubar bezeichnet werden“ (Fabel-Lamla et al., 2012, S. 804) können. Trotz seiner vielfältigen Verwendung wäre es angebracht, diesen Begriff systematisch zu analysieren, reflektieren und definieren. Jedoch erweist sich insbesondere die Tatsache, eine einheitlich verwendbare, pädagogische Definition von Vertrauen zu schaffen, als denkbar schwierig, da der alltagssprachliche Begriff ,Vertrauen‘, oft synonym verwendet wird mit Begriffen, die in logischer Nähe zu ihm stehen durch seine unpräzise Aussagekraft. Als Alltagsalternativbegriffe lassen sich unter anderen hinzuzählen: Glauben, Hoffnung, Verlässlichkeit und viele mehr (vgl. Frevert, 2003a, 60f.). Diese implizite Verwendung und Bedeutungszuschreibung, sorgt insbesondere für eine weitere Deterioration der alltäglichen Definitionsfindung (vgl. Fabel- Lamla et al., 2012, S.769). Dass es ähnlich schwerfällt, diesen Begriffen wissenschaftliche Bedeutung einzuräumen, ergibt sich. Insbesondere bei Übertragung dieses Begriffs in einen explizit pädagogischen Deutungskontext wird ersichtlich, dass es hier einer massiven, eigenständigen Präzisionsarbeit bedarf, um eine Begriffsbestimmung darzulegen. Es gibt bereits eine Vielzahl an Erklärungsansätzen (z. B. Endreß, 2015; Luhmann, 2014; Schäfer, 1980; Simmel, 1983), die im Verlaufe der Jahrzehnte um Bedeutungshoheit buhlten,jedoch sind alle Bestimmungsversuche nicht in der Lage, das vollumfänglich abzubilden, was unter Vertrauen im pädagogischen Kontext verstanden werden soll(te), was insbesondere daran liege, dass Vertrauen eine empirisch nur schwer zugängliche Thematik sei (vgl. Fabel-Lamla & Welter, 2012, S. 770).
2.1 Assoziationen
Geht es um Vertrauen, bilden sich viele unterschiedliche Auslegungen dessen, was denn genau Vertrauen ausmacht. Grundsätzlich gelangt man jedoch immer an den Punkt, dass man Vertrauen aus sozialer, oder gänzlich generalisierter Perspektive betrachtet (vgl. Bartmann et al., 2012, S. 772). Jedoch rückt Vertrauen im überwiegenden Diskurs dann in den Vordergrund, wenn es um dessen Fragilität geht, es bedroht oder bereits verloren ist. Alltäglich findet der Vertrauensbegriff „paradoxerweise Verwendung als Anzeichen einer Krise“ (Endreß, 2010, S. 97). Hierbei handelt es sich um das Alltagsverständnis, das Menschen hiesiger Prägung von Vertrauen haben. Vertrauen ist mehr ein Ge- fühl als ein klarzuordenbares Momentum, welches bewusst dann in Erinnerung gerufen wird, wenn es verletzt ist. Geht man davon aus, eine vertrauenswürdige Person getroffen zu haben, verschwimmt die Grenze zwischen Vertrauen, Neugier, Loyalität und Ehrlichkeit nicht selten. Eine Person, der man vertraut, stellt in der Regel einen wichtigen Bezugspunkt im eigenen Wirken dar.
Wer diese Rolle jedoch einnimmt, ist nicht valide vorhersehbar. Das heißt, dass es nicht die Person mit dem größten Selbstbewusstsein und Vertrauen in sich selbst sein muss, welcher das meiste Vertrauen entgegengebracht wird, auch wenn es Belege dafür gibt, dass Selbstvertrauen zunächst zuträglich sein kann zur Gewinnung von Personen, die hierfür einen Vertrauensvorschuss zahlen (vgl. Zulauf Logoz, 2012, S. 788f.).
Menschen vertrauen also darauf, dass sie sich auf das Versprechen einer anderen Person verlassen können, dass die Bahn pünktlich kommt, dass man nach dem Kassiervorgang das korrekte Wechselgeld zurückerhält oder darauf, dass ,schon alles gut gehen werde‘. Diese Beispiele zeigen auf, dass wir Vertrauen in unserem Alltag benötigen, um alltägliche Situationen bewältigen zu können (vgl. Preisendörfer, 1995, S. 269). Vertrauen äußert sich somit als Instrument des Wissensersatzes:
„Vertrauen dient der Überbrückung von Nichtwissen und der Aufrechterhaltung von Handlungsfähigkeit. Es ist also funktional, insofern z.B. der Aufwand, gesichertes Wissen zu generieren, oder Kontrollerfordernisse entfallen“ (Bormann, 2012, S. 814) .
Unter diesem Aspekt, so Bormann nach Luhmann (2014) weiter, würde durch die Aussendung von Vertrauen, eine komplexitätsverkürzende (s. hierzu auch: Hartmann, 2011), sozial-persistente Interaktion ermöglicht, mittels der Ersetzung kalkulierbarer Risiken durch positive Erwartungen (vgl. Bormann, 2012, S. 814). Ergänzend beschreibt Endreß (2010) Vertrauen als Hintergrundressource, die in alltäglichen Kontexten im Kern latent bleibe (vgl. Lassak, 2013, 86f.). „In dieser seiner Kernbedeutung dient (fungiert) Vertrauen wesentlich als stillschweigend vorausgesetzter („tacit“) Bezugsrahmen alltäglichen Handelns bzw. wird als solcher wirksam“ (Endreß, 2010, S. 97).
2.2 Überzeugungen
Oben wurde bereits aufgezeigt, dass Vertrauen ein Terminus ist, welcher durch alltägliche Assoziationsbildungen nicht in Gänze erfasst werden kann. Insbesondere wurde dargelegt, dass Vertrauen dann vermehrt fokussiert wird, wenn es um dessen Beschädigung geht. Jedoch wird an dieser Stelle dann nicht zwangsläufig Vertrauen debattiert, sondern viel mehr das Fehlen von Vertrauen, anders gesagt: Misstrauen. Alltagsüberzeugungen dessen, was Vertrauen ist daran abzubilden, was Vertrauen nicht ist, scheint an dieser Stelle inadäquat zu sein.
Im Folgenden werden Überzeugungen angeführt, die Wolfram Schön (2020, S. 35-38) in Gesprächen festhalten und mittels Literatur bestätigen konnte, welche (vermeintlich) versuchen das Abzubilden, was Vertrauen ausmacht. So lasse sich
- erstens mit Petermann (2013), Clases und Wehner (2019) konstatieren, dass Vertrauen dies sei, aus Erfahrungen in der Vergangenheit die Hoffnung zu haben, Unsicherheiten in Bezug auf schwer zu antizipierende Handlungen des Gegenübers ausräumen zu können.
- zweitens mit Clases, Wehner (2019), Birbaumer und Wertheimer (2016) Vertrauen als Gefühl von Harmonie und Einigkeit beschreiben, welches unter dem Missbrauchsvorbehalt stehe und somit Bindungen verstärke.
- drittens Vertrauen als Lern- und Verhaltenserfahrung verstehen (Rotter, 1980), welche sicher genug ist aktives Handeln darauf zu stützen (Simmel, 1983), mögliche Verletzlichkeit und Enttäuschung zuzulassen, jedoch davon auszugehen, dass es nicht dazu kommen wird (Rousseau et al., 1998).
Offenbar wird hier, dass der Versuch, der Festhaltung dessen, was Vertrauen ausmacht, sich durch ebenso vage Wortwahl manifestiert, wie sie in der Einleitung zu diesem Kapitel unter Verweis auf Ute Frevert (2003b) bereits gefallen sind. Natürlich zeigt sich hier erneut, dass in der Herstellung einer griffigen Bestimmung, für eben diesen Terminus, nicht nur aus pädagogischer Sicht, sondern ganz allgemein die Schwierigkeit der Präzession der Wortwahl steckt.
Folglich ist es sinnig, zunächst ein Grundverständnis, des zu definierenden Begriffs niederzulegen, um eine gleichwertige Ausgangssituation für die anschließende Definition zu schaffen.
2.3 Was ist Vertrauen? - Grundverständnis
Unterscheiden kann man bei der Annäherung des Begriffs Vertrauen eine Vielzahl an unterschiedlichen Vertrauensarten maßgeblich soll hier jedoch auf das (inter)personale und das generalisierte Vertrauen eingegangen werden, von welchen sich die meisten durch (Teil-) Beeinflussung ableiten lassen (vgl. Schön, 2020, S. 42). Eine sich hiervon abgrenzende Vertrauensform, das UrVertrauen, wird gegen Ende des Absatzes beleuchtet.
Allgemein kann man personelles Vertrauen beschreiben, als eine positive Erwartung an ein Ereignis, eine Situation, oder das Handeln einer anderen Partei (Vertrauensnehmer = Objekt), die vom Vertrauensgeber (Subjekt) nicht direkt beeinflusst werden können. Allerdings kann momentanes Handeln durch entsprechende Antizipation berührt werden (vgl. Bormann, 2012, S. 813). Hieraus ergibt sich die Annahme, dass Vertrauen ein relationaler Begriff ist, der sich im Umgang mit Unwissen und Unsicherheit implementiert (vgl. Giddens, 1996; Luhmann, 2014; Schweer, 2011b). Nach Endreß‘ fungierendem Vertrauen (vgl. Endreß, 2010, 2012, S. 83) entsteht mit Hartmann (vgl. 2011) Vertrauen dann, wenn es zu einer wiederholten Erfüllung expliziter oder implizierter Interaktionserwartungen zwischen Vertrauensgeber*in und -nehmer kommt. Dieses Phänomen bliebe laut Hartmann, so lange präreflexiv, bis es zu einer frustranen Erwartung durch den Vertrauensnehmer komme (vgl. ebd.). Wie oben bereits einleitend angeführt, lassen sich im weitesten Sinne zwei unterschiedliche Arten von Vertrauen definieren. Zum einen sei hier personales Vertrauen zu nennen, welches als Attribut in der Interaktion von Vertrauensgeber*in und Ver- trauensnehmer*in, die als natürliche Person auftreten, entsteht. Generalisiertes Vertrauen (Systemvertrauen) wird dann als Terminus artikuliert, wenn es um das grundlegende Vertrauen von Personen in Institutionen, beziehungsweise soziale Systeme geht (vgl. Schweer, 2011a). Hierbei liegt der Fokus des Vertrauensgebers auf den Leitideen des*r Vertrauensnehmers*in, sowie auf das Vertrauen der zukünftigen Einlösung bisheriger Erwartungen (vgl. Bormann, 2012, S. 813). Gleichzeitig fungiert Vertrauen durch die antizipierte Erwartung, welche potentiell enttäuscht werden kann, nicht immer als komplexitätsverkürzungs-Instrumentarium, denn folgt man Giddens‘ Beschreibung von Vertrauen als „Glauben an die Richtigkeit von Prinzipien, über die man nicht Bescheid weiß“ (1996, S. 49) Steigt dessen Komplexität, dann wenn der Schritt aus der präreflexiven in die reflexive Phase übergeleitet wird, durch eine frustrane Erwartung. Denn das Phänomen, welches jetzt zum Tragen kommt, ist jenes, dass nicht nur der Vertrauensnehmer als spezifisches Objekt das Vertrauen des Vertrauensgebers enttäuscht hat, sondern es manifestiert sich potenziell ein übergeordnetes Misstrauen gegenüber Vertrauensnehmern der gleichen Kategorie (vgl. Bormann, 2012, S. 819). Hierdurch braucht das Subjekt (Vertrauensgeber) weitaus mehr Informationen als die, welche vorliegend sind, verengt jedoch gleichzeitig den Fokus auf die Informationen, welche der persönlichen Meinung dienlich sind. Der Vertrauensgeber wird somit „von weniger Informationen stärker abhängig“ (Luhmann, 2014, S. 93 Hervorh. i.O.), wodurch Vertrauen, in diesem Falle enttäuschtes Vertrauen zu einem probleminduzierenden, statt zu einem problemlösenden Ansatz führe (vgl. Strulik, 2011, 248f.). Es zeigt sich folglich, dass verdientes Vertrauen zwischen Leh- rer*innen und Schüler*innen belastbarer ist, als geschenktes Vertrauen ohne Gegenleistung (vgl. Gregory & Ripski, 2008, 339f.). Gleichzeitig birgt es die Gefahr, tiefgründiger beschädigt zu werden, sollte es in der etablierten Vertrauensbeziehung zu frustranen Entwicklungen kommen (vgl. Bormann, 2012, S. 814).
Urvertrauen (i. O. „basic trust“) entwickelt sich bereits in der pränatalen Phase, bildet sich aus und definiert sich bereits in den ersten Lebensjahren. Geprägt wurde der Terminus durch den Schüler Siegmund Freuds, Erik H. Erikson, der diesen mit seiner Monographie Childhood an Society (1950) einführte. Kurz beschreibt dieses Urvertrauen „ ,das Gefühl des sich Verlassen Dürfens‘ “ (Schön, 2020, S. 47). Die Entwicklung und Definierung eines Urvertrauens habe, im weiteren Verlaufe, einen enormen Einfluss auf das Selbstvertrauen, die Fähigkeit vertrauenswürdig zu wirken, sowie anderen zu vertrauen (ebd.).
2.4 Definition - Was ist Vertrauen
Definitionen für den Vertrauensbegriff gibt es „wie Sand am Meer und Übereinstimmung herrscht in wenigen Aspekten“ (Osterloh & Weibel, 2008, S. 35).
In diesem Abschnitt soll eine Annäherung an eine Definition des Vertrauensbegriffs in erziehungswissenschaftlicher Perspektive geschaffen werden, welche maßgeblich sein wird für die weitere Verwendung des Vertrauensbegriffs in dieser Arbeit.
Wie bereits im Grundverständnis aufgezeigt werden konnte, tut man sich zu leicht mit der Annahme, dass Vertrauen ein einfach greifbarer Terminus ist, welcher eine positive Erwartung an ein Gegenüber antizipiert und gleichzeitig eine Komplexitätssimplifikation darstellt, die unvollständiges oder nicht alltägliches (Spezial-)Wissen ersetzt, verbunden mit der Hoffnung, dass es gut ausgehen wird. Gleichzeitig wird offenbar, dass dieses Konstrukt, ,Vertrauen‘ ein höchst instabiles ist und sich ebenso rasch in (generalisiertes/personales) Misstrauen verkehren kann. Dies gerät dann in den Fokus, wenn dem*r Vertrauens- geber*in offenbar wird, dass sein gegebenes, alltägliches Vertrauen enttäuscht wird, wodurch eine mitunter situative Skepsis resultiert (vgl. Hartmann, 2011; Luhmann, 2014; Rousseau et al., 1998).
Betrachtet man die Fragestellung hinsichtlich Vertrauen im professionell pädagogischen Handeln im Kontext Schule, ist es sinnvoll, sich insbesondere auf Studien der pädagogischen Psychologie zu stützen. Als erste umfassende (teil-) standardisierte, deutschsprachige Studie, welche sich auf Vertrauen in hierarchisch abfallenden Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen fokussierte, kann die von Schweer (1996) anführen. Hierin entwickelte Schweer anhand theoretischer Annahmen eine Rahmentheorie, dessen was Vertrauen sei und entwickelt diese stetig weiter (z.B. Schweer, 2011b; Schweer et al., 2021). Schweer postuliert hier die Hauptaussage, dass in der differentiellen Vertrauenstheorie zwei personale Merkmale, das Entstehen und Aufbauen einer belastbaren Vertrauensbeziehung maßgeblich beeinflussen: Erstens sei dies die Vertrauenstendenz, sowie die implizite Vertrauenstheorie (im pädagogischen Kontext) (Schweer, 1996). Der Terminus Vertrauenstendenz an dieser Stelle postuliert bereits die ihm immanente, individuelle und bereichsspezifische Bereichscharakteristika des Vertrauensphänomens, wohingegen die implizite Vertrauenstheorie Verweise dahingehend knüpft, dass Vertrauen dann entstehe, „wenn das Verhalten der zu vertrauenden Person den normativen Erwartungen der Vertrauen schenkenden Person entspricht“ (Fabel-Lamla et al., 2012, S. 805). Gleichzeitig weist Schweer darauf hin, „dass es vermutlich keine generellen Faktoren gibt, die für alle Personen in allen Situationen die Entwicklung oder Nichtentwicklung von Vertrauen prognostizieren lassen“ (Schweer, 1997, S. 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Merkmale interpersonalen Vertrauens in der pädagogischen Beziehung (Schweer, 1997, S. 5), modifiziert nach (Dinkelmann, 2005).
In vorstehender Abbildung der differentiellen Theorie interpersonalen Vertrauens (Schweer, 1997, S. 5) werden diverse Bedingungen aufgezeigt, welche das interpersonale Lehrer*innen-Schüler*innen-Vertrauen tangieren. Zentrale Faktoren seien hier die personalen Antezedenz-Bedingungen, welche oben bereits näher beschrieben wurden. Ebenso geht aus vorstehendem Zitat hervor, dass auch die situative Bedingung, sowie dem Anfangskontakt interagieren. Insbesondere bedingen sich Anfangskontakt und personale Antezedenz- Bedingungen. Aus der Interaktion der Bedingungen entsteht interpersonales Vertrauen zwischen den Interaktionspartnerinnen. Das Ausmaß dieses Vertrauens beeinflusst letztlich die Wahrnehmung der Ausbildungssituation, in welcher sich die Schüler*innen konkret befinden (Dinkelmann, 2005, S. 1), sowie die damit verbundene, günstigstenfalls intrinsische Motivation, die aktuelle Ausbildungssituation zum individuellen Vorteil zu nutzen. Gleichwohl bekannt ist, dass individuelle Schüler*innen Situationen divers bewerten (z.B. Schweer, 1997). Ebenso ist evident, dass Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft durch Vertrauen wechselseitig beeinflusst werden (z.B. Cornelius- White, 2007; Riley, 2010).
Im Fokus dieser Arbeit, soll das personale Vertrauen stehen, also das personengebundene Vertrauen, welches bei der Interaktion von mindestens zwei Individuen entsteht (Vertrauensgeber*in und Vertrauensnehmer*in, s.o.). Generalisiertes, oder Systemvertrauen hingegen wird signifikant weniger berücksichtigt, obwohl dieses nach aufgetretenen Erosionen einer aktiven Wiederherstellung bedarf (vgl. Fabel-Lamla et al., 2012, S. 804). Insgesamt wird Systemvertrauen, dadurch aktiv reinstalliert, dass (inter)personales Vertrauen als Momentan gültiges Arbeitsbündnis interpretiert wird und reflexiv zugänglich werden muss. Den Vertrauensnehmenden kommt hierdurch deutlich mehr Autonomie zu, da sie den Vertrauensgeber*innen aktiv Vertrauen entgegenbringen müssen. Diese wiederum sind ihrerseits gefordert, bisherige Strategien der Vertrauensbildung als anzweifelbare Ressource wahrzunehmen und durch reflexives Verhalten, diese Strategien aus dem Repertoire zu streichen, oder gelingend abzuändern (vgl. ebd.).
Agiert man durch dieses, von Osterloh und Weibel (2008) beschriebene, ,Di- ckicht‘ an Definitionsansätzen, beziehungsweise -versuchen aus psychologischer Sicht wird deutlich, dass personales Vertrauen stets in einem sozialen Kontext gebunden ist. Gleichzeitig eine solche soziale Interaktion von Merkmalen der Ungewissheit, Verwundbarkeit, Verzicht auf und Verlust von Kontrolle als auch der Zukunftsorientierung gekennzeichnet ist (u.a. Schweer & Thies, 2003). Die Abgabe der Situationskontrolle wird genau dann erforderlich, wenn Vertrauen als Wissensersatz gewählt wird, beziehungsweise dann, wenn Vertrauen den gemittelten Zustand zwischen Wissen und Unwissen überbrückt. Logischerweise ergibt sich dies aus der Annahme, dass der*die Allwissende nicht zu vertrauen braucht, der*die Nichtwissende allerdings nicht mal vertrauen kann (vgl. Simmel, 1983, S. 346).
Vertrauen ist also ein wechselseitig initiierter Prozess, der durch die gegenseitige Erfüllung antizipierter Handlungsannahmen sukzessive wächst und durch das Ergänzen von positiven, sozialen Beziehungen steigt. Es geht also bei Vertrauen, aus pädagogischer Sicht nicht nur darum eine Erwartungshaltung des Gegenübers zu befriedigen, sondern Erwartungen (des Gegenübers) zu stabilisieren und dadurch Handlungsmöglichkeiten zu erweitern (vgl. Gahleitner & Homfeldt, 2020, S. 345; Wagenblass, 2018, S. 1833). Entsprechend dieser Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten durch Stabilität greift die unbestätigte Zukunftsvermutung, dass eine erneute Erwartungshaltung sicher erfüllt werden wird. Entsprechend verkürzt sich die soziale Komplexität (vgl. Bormann, 2012, S. 814; Luhmann, 2014) durch die Annahme der regelmäßigen Erfüllung durch Wiederholung (vgl. Endreß, 2010; Hartmann, 2011; Preisendörfer, 1995). Vertrauen fußt auf der Entstehung primär in einer Dyade, bevor es auf ein System übertragen werden kann. Die Ausgangssituation/Zugangspunkt (,access point‘) für das Entstehen von Vertrauen ist folglich „personalisiert und damit auf einer persönlichen direkten Ebene erfahrbar“ (vgl. auch: Thies, 2014; Wagenblass, 2018, S. 1833). Demnach, ist es ihr immanentes Ziel, eine für den Vertrauensgeber, „schützende Inselerfahrung“ (Gahleitner, 2005, S. 63) inne zu haben. In pädagogischer Betrachtung, geht sie jedoch, im Falle des Gelingens, über die dyadische Beziehung hinaus und schafft einen hilfreichen Raum für die Bewältigung schwieriger Lebensereignisse, welche sowohl interpersonell, als auch systematisch durch institutionellen Zusammenhalt, sowie gewinnbringende „Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Lern-, Erziehungs- und Bildungsorten“ (Coelen & Otto, 2008, S. 21; vgl. Gahleitner & Homfeldt S. 341, 346-350, 2020) überwunden werden können (vgl. Gahleitner & Homfeldt, 2020; Schön, 2020, S. 50). Vertrauen steht also in untrennbarer Nähe zu Bindungsphänomenen, durch das Wachstum und mittels Erfahrung (vgl. Gahleitner & Homfeldt, 2020 S. 345; Thies, 2014, S. 5).
3. Classroom-Management und Klassenführung
Heute weiß man mehr über das Unterrichten als je zuvor. Studienergebnisse zeigen auf, dass hier insbesondere das (wahrgenommene) Lehrerhandeln den größten Einfluss auf die schulischen Entwicklungen und Leistungen von Schülerinnen haben (vgl. Marzano, 2003). Darüber hinaus wissen wir, dass eine der wichtigsten und anspruchsvollsten Aufgaben für Lehrer*innen, das aktive und vor allem effektive Klasse führen ist (vgl. Marzano & Marzano, 2003, S. 6).
Wang, Haertel und Walberg (1993), demonstrieren in ihrem Aufsatz über den Einfluss pädagogischer, psychologischer und sozialer Faktoren, dass effektive Klassenführung auf das Erreichen von schulischen Leistungen Seitens der Schülerinnen den größten Effekt habe und bestätigten hiermit vorangehende Arbeiten (u.a. Spivey, 1985). Wichtig hierbei ist nicht nur das konsequente Handeln, Durchsetzen von Regeln und Auftreten der Lehrperson (vgl. Stage & Quiroz, 1997), das Aufbringen einer angemessener Dominanz, bei gleichzeitiger Wahrung der Nähe-Distanz-Antinomie, sowie der Beachtung der damit einhergehenden Alltagsdynamiken ist hier ebenfalls mit positiven Effekten auf das Lehr-Lerngeschehen verknüpft (vgl. Helsper & Reh, 2012, S. 271; Wubbels et al., 1999, S. 158-160). Da jedoch, insbesondere die hier aufgeführten Alltagsdynamiken, oftmals nicht im Blickpunkt der Otto-NormalBevölkerung stehen, kommt es im allgemeinen Verständnis zu Assoziationen, die dem eigentlichen Begriff des Classroom-Managements nicht vollumfänglich ausbuchstabieren, sowie zu, unteranderen falsch ausgelegte Überzeugungen dessen, was gute Klassenführung ausmacht. Diese Punkte sollen im Folgenden genauer eruiert werden.
3.1 Assoziationen
Bei den Begrifflichkeiten Classroom-Management und Klassenführung, welche häufig synonym verwendet werden, kann man schnell auf die Idee kommen, dass ein*e gute*r Klassenmanagerin/Klassenführerin eine charismatische Persönlichkeit ist, die fasziniert und Lernenden „konsequent ,bei der Stange hält‘“ (Bastian, 2015, S. 6). In der Tat gibt es Belege dafür, dass das Auftreten einer Lehrperson Einfluss darauf nimmt, wie leicht oder schwer sie sich mit der Führung der Klasse tut. Nicht zuletzt ist diese Auslegung einer definierten Charaktereigenschaft nicht maßgeblich für ein erfolgreiches Classroom-Management. Erfolgreiches Classroom-Management beruhe neben dem ,Schüler*innen bei der Stange halten‘ auch, dass Ausstrahlen einer Omnipräsenz, in diesem Sinne, das Geschehen im Klassenraum voll im Griff zu haben. Dennoch ist gerade dies ein Stolperstein, welcher nicht an Beachtung verlieren sollte, denn zu glauben alles im Griff zu haben heißt nicht, eine Situation tatsächlich im Griff zu haben. Die Reduktion einer fähigen Lehrperson, durch Assoziation, auf diese Fähigkeiten und Fertigkeiten (Charisma und Omnipräsenz), würde aber den tatsächlichen Aufgaben und charakterlichen Eignungen, die es brauche, eine gute Klassenführung zu sein zu wieder streben. Denn die Persönlichkeit der Lehrperson ist nur ein Aspekt einer effektiven Klassenführung, nicht zuletzt ist es jedoch ebenso wichtig, dass Lehrer*innen ihren Beruf gerne ausüben und sich dazu berufen fühlen entsprechende Verantwortung zu übernehmen, um einen möglichst störungsfreien Ablauf des LehrLernprozesses zu garantieren. Hierfür ist jedoch die autoritäre Omnipräsenz und ein entsprechendes Charisma nicht ebenso bedeutend wie Authentizität (siehe hierzu Weiterführend: Bruyckere & Kirschner, 2016) und das Pflegen von guten Beziehungen zu den Lernenden (vgl. Helmke & Helmke, 2014, S. 11).
Eine weitere Assoziation, die im Rahmen der Begrifflichkeiten ClassroomManagement und Klassenführung, laut Bastian eingetreten sei, ist „das Bild des Methodikers oder Technikers“ (Bastian, 2015, S. 6, Hervorh. i.O.), welcher unter Anwendung spezifischer Technika seine Klasse erfolgreich führt (vgl. ebd.). Jedoch ist ebenso wenig diese Assoziation einzig verantwortlich für das erfolgreiche Management einer Lerngruppe, da diese Betrachtungsweise zu simpel die Übertragbarkeit von Methoden auf individuelle Lerngruppen suggeriert, ohne die Komplexität individueller Abstimmungen zu berücksichtigen, die es braucht, damit erstens, die Lehrperson ihre Authentizität beibehalten kann, welche als wichtiger, schöpferischer Indikator zur Bildung von wechselseitigen Beziehungen fungiert (vgl. Bastian, 2012, S. 9; Bruyckere & Kirschner, 2016, S. 8) und zweitens die Methode/Technik auf die individuellen Bedürfnisse der expliziten Gruppe von Schüler*innen innerhalb einer spezifi- sehen Lerngelegenheit zugeschnitten ist, um ihre volle Effektivität zu nutzen und somit im richtigen Zeitpunkt den vollen Mehrwert ausschöpfen zu können. Es ist folglich ebenso reizvoll, das Potential einer entsprechende Ressource in einem Moment adäquat anzuwenden und gleichzeitig ihre Unübertragbarkeit auf einen anderen Moment zu berücksichtigen (vgl. Stöger, 2007, S. 113).
In den seltensten Fällen trifft vermutlich die Assoziation in den Vordergrund, die eine*n gute*n Classroom-Manager*in am treffendsten beschreiben könnte. Nämlich jene, die entsprechende Managerinnen als Experimenteur*innen betrachtet, welche Klassenführung als dauerhaftes Experiment wahrnehmen unter der Zielsetzung eine gute Ordnung in den chaotischen Lehr-Lernalltag zu bringen. Als Experiment, an dem probiert und geforscht wird, unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Interessen der Schülerinnen und sogar unter dem Wissen, dass Ziele, Regeln, Rituale und Interventionen, selbst unter gleichen Bedingungen, jedoch zu einer anderen Zeit, oder anderen Person, nicht gleich wirken (vgl. Bastian, 2012, 2015, S.6). Diese Assoziation tritt seltener ein, da sie nicht den gesellschaftsnormierten Erwartungen entspricht, welche an eine*n Anführerin, oder Managerin, entsprechen, da es hier weniger um die strikte Durchsetzung von Regeln und Erziehung zur Disziplin gehe (vgl. Gärtner, 2021).
3.2 Überzeugungen
In diesem Abschnitt soll kurz und knapp erörtert werden, auf welche fünf verbreiteten, aber dennoch „falschen Grundüberzeugungen“ (Bastian, 2015, S. 6) über Klassenführung Gerhard Eikenbusch in Gesprächen gestolpert ist:
1. Die Lehrperson trägt die alleinige Verantwortung für das klasseninterne Geschehen, entscheidend ist die Persönlichkeit der Lehrperson, ob der Klasse etwas gelingt, oder nicht.
2. Bei Problemen während des Unterrichts, oder sind bilanzierte Mehrwertgewinne des Unterrichts unzureichend, ist es Sache der Lehrperson, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
3. Es gibt erlernbare Methoden/Techniken, mit denen eine jede Klasse zum Erfolg, mindestens aber zur Ruhe gebracht werden kann.
4. Wenn Maßnahmen der (Klassen-) Führung nicht wirken, oder es zu einer Progression des unerwünschten Verhaltes kommt, dann liegt die Ursache insbesondere bei anderen und nicht (allein) bei der Lehrperson.
5. Schüler*innen, die sich auf die Maßnahmen nicht einlassen, stehen ,auf der anderen Seite‘ und sind Antagonist der Lehrperson, sofern das Misslingen nicht auf extracurriculare Gegebenheiten zurückgeführt werden kann (vgl. Eikenbusch, 2009, S. 6f).
Evident wird das enge Bild, dass diese Überzeugungen zeichnen und effektives Classroom-Management in direkten Bezug zur individuellen Persönlichkeit der Lehrperson, sowie der (erlernten) Unterrichtsstörungs-Präventionsmethodiken stellen.
Erfahrungswerte, sowie moderne Konzepte effektiver Klassenführung, legen heute evidenzbasiert nahe, dass nicht nur die Persönlichkeit ebenso wenig, wie das Handeln einer einzelnen Lehrperson nicht ausreichen, um ein erfolgreiches Classroom-Management zu installieren. Effektive Klassenführung muss sowohl von den Lehrpersonen, als auch von den Lernenden getragen werden, um als solche greifen zu können (vgl. Nawrath, 2015, S. 10f). Für effektives Classroom-Management bedarf es immer dem Zusammenspiel von Führungsverantwortung der Lehrperson, als auch Selbstverantwortung für das individuelle Lerngeschehen. Basis hierfür ist sowohl das stecken eines transparenten, aber konsequenten Rahmens wertvoll und erforderlich, als auch das stetige orientieren an den Individuen innerhalb der Lerngruppe, sowie der Lerngruppe als solche, sowie in Rücksprache mit dem klassenverantwortlichen Leh- rer*innen-Team gewöhnliche als auch außergewöhnliche Schritte zu diskutieren, das Für und Wieder eruieren und diese im Folgenden zu implementieren (vgl. Alam, 2015, S. 12f.; Marzano & Marzano, 2003, S. 1f.; Nawrath, 2015, S. 11).
3.3 Was ist Klassenführung? - Grundverständnis
Classroom-Management dient der Bildung eines Handlungsrahmens, welcher der Herstellung „eine[s] lernförderlichen Unterricht[s] für alle“ (Ferreira Gonzalez et al., 2019, S. 55) Schüler*innen dienlich sein soll. Hieraus resul- tiert, dass Classroom-Management nach Evertson und Weinstein (vgl. 2006, S. 4) alle Methodiken und Technika umschreibt, die eine Lehrperson einsetzen könne, um ein einerseits akademisch-wertvolles, andererseits ein sozialemotionales Lern- und Erfahrungsklima im Lehr-Lerngeschehen zu erzeugen, wozu ebenfalls gemeinschaftsfördernde Aktivitäten mit den Schüler*innen zählen (vgl. Thies et al., 2021, S. 176-178). Insbesondere liegt hierbei der Fokus auf Methodiken, welche Unterrichtsstörungen prävenieren sollen, um hierdurch mehr aktive, echte Lernzeit zu generieren, sowie gleichzeitig der Lehrperson eine Einsparung an Ressourcen zu ermöglichen, welche demnach für Interventionen nicht aufgebracht werden müssen, bei gleichzeitiger Förderung der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Nach Pianta, Steinberg und Rollins (1995), die sich insbesondere mit den Erstkontakten (ersten zwei Jahre) zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen auseinandersetzten, habe Classroom-Management eine passive Präventionswirkung für die Beziehungen zwischen Lehre*innen und Kindern (vgl. S.309). Thies Uhde und Hannemann (2021) stellen klar, dass „Kinder, die negative Beziehungen zu ihren ersten Erzieher*innen und Lehrkräften haben (...) mit höherer Wahrscheinlichkeit auch im weiteren Verlauf belastete Beziehungen zu Lehrkräften“ (S.176) haben.
Johannes Bastian (2016) unterscheidet hierbei drei voneinander abgrenzbare, aber sich überschneidende Handlungsfelder die einer Berücksichtigung im Classroom-Management bedürfen.
1) Die Lern-Umgebung
2) Die Lern-Gemeinschaft
3) Das Lern-Arrangement
Bei der Planung und Gestaltung der Lern-Umgebung sollte auf unveränderbare Gegebenheiten bewusst geachtet werden, sodass eine Veränderung änderbarer Faktoren routiniert ablaufen kann und das Lerngeschehen hierdurch unbeeinflusst bleibt. Es ergibt sich die antizipatorische Rolle der Lehrperson, welche Regeln und Routinen es bedarf, um Prozesse im Klassenraum fortschreiten zu lassen (vgl. Bastian, 2016, S. 6-9; Ferreira Gonzalez et al., 2019, S. 55).
In der Lern-Gemeinschaft wird die interpersonelle Interaktion fokussiert. Nicht nur die Interaktion und Kommunikation zwischen Schüler*innen und Leh- rer*in, sondern auch jene zwischen Schüler*innen sollte im Sinne des Aufbaus und Erhalt eines lernförderlichen Klimas von gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt geprägt sein, nicht zuletzt auch, um eine bestehende oder entstehende Beziehung zu pflegen und nicht abzubrechen.
Kommen Lern-Arrangements zum Einsatz, sollte hier die Sinnhaftigkeit der gewählten Methode sowohl im Vorfeld, als auch in der Nachbereitung durch die Lehrperson überprüft werden, um zu erkennen, ob sie der angestrebten Zielerreichung der Unterrichtseinheit zuträglich war, oder nicht. Grundlegend sollte feststehen, dass hierbei die individuellen Voraussetzungen der Lerngruppe berücksichtigt werden müssen, sowie entsprechend Anleitung, Hilfestellungen, Wissenszuwachs und dessen Transfers in die Wissensfestigung sichergestellt sein müssen. Gelingt dies nicht über die verwendete Methode, erweist sich entsprechendes Lehr-Lern-Arrangement in Kombination mit gewählter Lerngruppe als nicht tauglich (vgl. Bastian, 2016, S. 6-8; Ferreira Gonzalez et al., 2019, S. 55f ; Schneider, 2016, S. 73; Seifried, 2008).
Zusammenfassend sollte sich festhalten lassen, dass das Grundverständnis von Classroom-Management, sowohl der, oben aufgeführten, Beschreibung von Evertson und Weinstein (vgl. 2006, S. 4) genügen muss, gleichzeitig sollte diese Grundverständnis zur Thematik in seiner Umfänglichkeit er- gänzt/ausgeführt werden, sodass durch Classroom-Management idealerweise die Probleme die sich im Lernen mit einer Gruppe ergeben bestmöglich kompensiert, oder antizipiert werden, sowohl durch individuelle Wirkungsmittel der Lehrperson, aber auch durch Schüler*innen-Motivation (vgl. Helmke, 2007a; Krapp, 2005b, S. 626f.). Berücksichtigt man diese Erweiterungen, lässt sich das Grundverständnis von Classroom-Management am griffigsten in einem Satz mit Reupert und Woodcock (2010) als „teacher strategies that oversee student behavior, student interactions and learning“ (S.1261), also als Strategien, die von der Lehrkraft genutzt werden können, um einen Überblick über das Verhalten, die Interaktionen (Beziehungen, Reaktionen, Zusammenarbeit, etc.) und das Lernen/den Lernfortschritt ihrer Schüler*innen zu erhalten.
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- Quote paper
- Julian Bug (Author), 2022, Classroom-Management Based on Trust. Zusammenhänge von Vertrauen und effektiver Klassenführung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1313011
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