Die vorliegende Erarbeitung setzt sich mit der Sozialisation von Schülerinnen und Schülern im Lebensbereich Schule auseinander und stellt dabei insbesondere auf die wechselseitigen Prozesse ab, die vor allem die Beziehungen der Schüler untereinander entscheidend beeinflussen. Schule war und ist eine für Kinder und Jugendliche maßgebliche Sozialisationsinstanz, in der zukünftig durch weitreichende Umwandlung in Ganztagsschulen tendenziell
mehr Zeit verbracht werden wird als dies bisher der Fall war.
Thematisch richtet die Arbeit ihren übergeordneten Blick auf die Soziologie der Gruppe, so dass nach einer kurzen Vorstellung der Schule als Sozialisationsagentur in Kapitel 1 die vielfältigen gruppendynamischen Prozesse beleuchtet werden sollen. Den Kern der Arbeit stellt das dritte Kapitel dar, in dem zunächst einige theoretische, dann auch praxisbezogene Überlegungen zum Bezugsgruppenkonzept angestellt werden.
Nicht nur im schulischen Kontext, sondern auch in anderen Formen von Bezugsgruppen nimmt die genannte Konzeption einen bedeutsamen
Stellenwert in der Gruppensoziologie, vor allem aber auch in der modernen Sozialpsychologie ein. Sie untersucht den Einfluss sozialer Gruppen auf das Wahrnehmen, Denken und Handeln von Personen und sollte somit von Lehrkräften an Schulen und Vorschulen sowie Fachkräften auf anderen pädagogischen Tätigkeitsfeldern nicht unberücksichtigt bleiben. Es wird zu erkennen sein, dass eine Schulklasse als Ganzes ebenso wie kleinere daraus und darüber hinaus entstandene Gruppen eine beträchtliche Sozialisationswirkung auf das Individuum entfachen.
Inhaltsverzeichnis Seite
Einleitung
1 Die Schule als Sozialisationsinstanz
1.1 Sozialisation als vielseitig anwendbarer Begriff
1.2 Die Verlagerung von Sozialisation in den Schulbereich
2 Schulen als Orte gruppendynamischer Prozesse
3 Sozialisation nach dem Bezugsgruppenkonzept
3.1 Begriffliche Einordnung
3.2 Ausgangspunkte der Bezugsgruppentheorie
3.3 „Normatives“ vs „Interpretatives Paradigma der Bezugsgruppentheorie
3.4 Relative Deprivation als Sonderfall der Bezugsgruppentheorie
3.5 Soziale u. personale Bedingungen d. Bezugsgruppenwahl
3.6 Bezugsgruppentheorie aus der Personperspektive
3.7 Bezugsgruppentheorie aus der Gruppenperspektive
4 Schlusswort
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Erarbeitung setzt sich mit der Sozialisation von Schülerinnen und Schülern im Lebensbereich Schule auseinander und stellt dabei insbesondere auf die wechselseitigen Prozesse ab, die vor allem die Beziehungen der Schüler untereinander entscheidend beeinflussen. Schule war und ist eine für Kinder und Jugendliche maßgebliche Sozialisationsinstanz, in der zukünftig durch weitreichende Umwandlung in Ganztagsschulen tendenziell mehr Zeit verbracht werden wird als dies bisher der Fall war.
Thematisch richtet die Arbeit ihren übergeordneten Blick auf die Soziologie der Gruppe, so dass nach einer kurzen Vorstellung der Schule als Sozialisationsagentur in Kapitel 1 die vielfältigen gruppendynamischen Prozesse beleuchtet werden sollen. Den Kern der Arbeit stellt das dritte Kapitel dar, in dem zunächst einige theoretische, dann auch praxisbezogene Überlegungen zum Bezugsgruppenkonzept angestellt werden.
Nicht nur im schulischen Kontext, sondern auch in anderen Formen von Bezugsgruppen nimmt die genannte Konzeption einen bedeutsamen Stellenwert in der Gruppensoziologie, vor allem aber auch in der modernen Sozialpsychologie ein. Sie untersucht den Einfluss sozialer Gruppen auf das Wahrnehmen, Denken und Handeln von Personen und sollte somit von Lehrkräften an Schulen und Vorschulen sowie Fachkräften auf anderen pädagogischen Tätigkeitsfeldern nicht unberücksichtigt bleiben. Es wird zu erkennen sein, dass eine Schulklasse als Ganzes ebenso wie kleinere daraus und darüber hinaus entstandene Gruppen eine beträchtliche Sozialisationswirkung auf das Individuum entfachen.
1 Die Schule als Sozialisationsinstanz
Auf die Frage hin, was unter dem Begriff der Sozialisation zu verstehen sei, liefert die einschlägige Fachliteratur eine breite Auswahl an Erklärungen und Definitionen. So schreibt der Soziologe Eberhard Groß beispielsweise:
Unter Sozialisation versteht man alle bewussten oder unbewussten Prozesse, über die dem Menschen die Fertigkeiten, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen seiner Gesellschaft und Kultur vermittelt werden. Sozialisation meint also mehr als nur Erziehung, der man gewöhnlich die beabsichtigten und professionalisiert angelegten Lehr- und Lernvorgänge zuschreibt. [...] Sozialisation erfasst auch alles das, was wir später als Erwachsene lernen, wenn wir unser Verhalten zum Beispiel an bestimmten Alters- oder Bezugsgruppen am Arbeitsplatz [..] ausrichten oder an Verhaltensmodelle anpassen, wie sie über die Massenmedien vorgeführt werden. Hier wirken doch nicht nur pädagogische Instanzen im engeren Sinne, sondern auch alle möglichen 'geheimen Miterzieher'. Solche Prozesse laufen über einen komplexen Strang von Einwirkungen aller Art mit ganz verschiedenen affektiven und kognitiven Elementen und in psychologischen, sozialpsychologischen und soziologischen Kanälen.“1
Ähnlich definiert Klaus Hurrelmann Sozialisation als den „Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzung mit der inneren (Körper und Psyche) und der äußeren Realität (sozialer und ökologischer Umwelt).“2 Neben Talcott Parsons oder Robert King Merton, von dem an späterer Stelle noch weiteres zu lesen sein wird, haben Sozialwissenschaftler aus dem angelsächsischen sowie dem deutschsprachigen Raum Definitionsversuche unternommen, die allesamt auf vier wesentliche Aspekte des Sozialisationsbegriffs abstellen: die sozialen Bedingungen, person-interne Vorgänge, den Zeitraum und die Folgen des Sozialisationsgeschehens.
1.1 Sozialisation als vielseitig anwendbarer Begriff
Viele Definitionsversuche richten ihr Augenmerk auf Institutionen, Organisationen oder Instanzen von Sozialisation und umfassen diese Aspekte als soziale Bedingungen. Im Falle der vorliegenden Arbeit meint dies die Schule als Sozialisationsinstanz als Ganzes. Personinterne Vorgänge, so schlägt Hermann Gukenbiehl vor, ließen sich zusammenfassend begreifen als Prozesse des Lernens, des Identifizierens mit Bezugspersonen oder -gruppen, dem Internalisieren von Erwartungen, Normen und Werten oder auch als Veränderung von Verhaltensdispositionen.3 Den Zeitraum des beobachteten und gemeinten Sozialisationsprozesses zu unterscheiden ist wichtig, da in den verschiedenen Lebensphasen des Menschen verschiedene Vorgänge vermittelt durch verschiedene Personen vonstatten gehen. Das vierte Element, auf das sich die Definitionen des Begriffs bezogen, waren die beabsichtigten Ziele und die möglicherweise unbeabsichtigten Folgen der Sozialisation. Damit ist etwa die Enkulturation4 des Einzelnen, die Übernahme einer sozialen Rolle oder die personale Entfaltung gemeint.5
1.2 Die Verlagerung von Sozialisation in den Schulbereich
Im Sinne der vorgenannten sozialen Bedingungen ist also das Schulsystem als eine soziologische Institution zu verstehen. In allen bekannten Kulturen und Gesellschaften entstanden Schulen immer dann, wenn Wissen nicht mehr unmittelbar über Generationen weiter gegeben werden konnte. Dabei ging es in erster Linie nicht um technisches Wissen, sondern primär um Religion und Geschichte, die Tradierung der eigenen Kultur. Zusammen mit der Stabilisierung bestehender Gesellschaftsordnungen und der Markierung der Schwelle vom Kindes- oder Jugendalter in die Welt der Erwachsenen sind damit die drei wesentlichen Zwecke von Schulen gestern wie heute benannt.6
Helmut Fend, ein österreichischer Pädagoge, hat sich in langjähriger Forschung und mit zahlreichen Publikationen zum Spezialgebiet der Sozialisation in der Schule auseinander gesetzt. Die Institutionalisierung systematischer Unterrichtung nachvollziehend weist er darauf hin, dass das Unterrichten anfangs als Teil einer allgemeinen Rolle vom Vater oder der Mutter vorgenommen wurde. Zunehmendes Wissen und wachsende Fertigkeiten erforderten schließlich den Lehrer als Beruf und die Schule als Institution. Fend vertritt die Ansicht, dass die Entwicklung von Schulsystemen von kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig ist. Das bedeutet für moderne Gesellschaften das Durchlaufen eines großen sozialen Wandels, welcher wiederum über die Verbreitung von Wissen und durch Innovationen zu einem bedeutsamen Element der Sozialisation in Bildungsinstitutionen wird.7 Warum sozialer Wandel stärker vor sich geht und inwiefern Schule in Sozialisationsprozesse involviert ist soll das folgende Kapitel in Kürze umreißen.
2 Schulen als Orte gruppendynamischer Prozesse
Sozialisationsprozesse weisen zwei Funktionen auf, die sich gegenseitig unmittelbar bedingen. Einerseits entsteht eine „soziale Persönlichkeit“, welche wie bereits gesagt durch Übernahme kultureller Inhalte wie den Techniken des Lesens und Schreibens oder der Anerkennung und Übernahme bestehender politischer bzw. gesellschaftlicher Strukturen für eine Reproduktion bestehender Kulturen sorgen. Dies traf, so Fend, bei den meisten primitiven Kulturen zu, da kulturelle Übertragung lediglich der Bewahrung des Bestehenden genügen musste. Wissenschaftliche und technologische Neuerungen als Folgen vielfältiger Steigerungsprozesse haben zu einer wachsenden Komplexität der Gesellschaft geführt. Der Umfang von Wissen nimmt zu, so dass die Ausbreitung und Weitergabe nicht mehr ohne Selektion möglich ist. Folglich findet Nicht-Tradierung kultureller Werte häufiger in modernen Gesellschaften statt, was einen sozialen Wandel voran treiben kann.
Damit wäre die zweite Funktion des Sozialisationsprozesses benannt. Parallel zur sozialen Persönlichkeitsformung findet eine „kulturelle Überlieferung“ statt. Sie ist notwendige Voraussetzung und ihre Erfüllung fällt mit dem Entstehen institutionalisierter Bildung weniger der elterlichen Erziehung und zunehmend den Schulen zu.8
Einen Doppelcharakter wie ihn Fend eben anhand der Prozesse beschrieben hat erkennt auch Hurrelmann bei den Sozialisationsinstanzen, vor allem bei den Schulen. In modernen Gesellschaften, die einem immer schnelleren sozialen Wandel unterworfen sind, können sich Kinder und Jugendliche der Einbeziehung in die Sozialisationsinstanz Schule nicht entziehen. Vielmehr vergrößert sich der Zeitanteil, den die Heranwachsenden in der Lebensphase Jugend in der Schule verbringen. Die Gründe dafür sieht Hurrelmann in der Leistungsorientierung der Gesellschaft: Ein höherer Schulabschluss wird immer wichtiger, um einen Ausbildungsplatz zu finden und später den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Höhere Abschlüsse erfordern jedoch ein längeres Verweilen in der Schule. Gleichzeitig brauchen schwächere Schüler zusätzliche Förderung, beispielsweise in Form von Lernzeiten in Ganztagsschulen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Allgemeinbildende Schulen nehmen infolge der länger werdenden Schulzeiten einen immer größeren Stellenwert als Sozialisationsinstanzen ein.9
Mit der zeitlichen Vereinnahmung der Jugendlichen wird die Schule gleichzeitig zu derjenigen Instanz, in der zum ersten Mal die Chance gegeben wird, eine Ich-Identität zu entwickeln. Es findet Kommunikation mit anderen über Werte und Normen statt, welche dann mit den eigenen Interessen aufeinander treffen. In gewisser Weise erhält das Individuum erstmals eine Rückmeldung, wie es von anderen Menschen wahrgenommen wird. Darauf basierend entsteht nun ein identitätsstiftendes Selbstbild des Jugendlichen.10
[...]
1 Groß (1979): 69.
2 Hurrelmann (1994): 53.
3 Explizit erscheint bereits an dieser Stelle des Papiers der Begriff der Bezugsperson als ein zentraler Kernbegriff der Bezugsgruppentheorie, auf den noch genauer eingegangen wird.
4 Als Enkulturation bezeichnet man die Übernahme eines gesellschaftlichen Wertsystems. Vgl. Groß (1979): 69.
5 Vgl. Gukenbiehl (1979): 57-58.
6 Vgl. Fend (1974): 58-59.
7 Vgl. ebd.: 59-62.
8 Vgl. ebd.: 62-63.
9 Vgl. Hurrelmann (1994): 105-107.
10 Vgl. ebd.: 73.
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