Die Arbeiten des Regiekollektivs Rimini-Protokoll zum Begriff "Alltagsexperten" haben zu neuen Sichtweisen hinsichtlich Laiendarstellung auf der Bühne geführt.
Dabei loten eine ausgefeilte Inszenierungspraxis und deren theaterwissenschaftliche Reflexion Spielformen im Spannungsfeld von Laien- und Profitheater aus. In der vorliegenden Arbeit werden Arbeits- und Wirkungsweisen in der Theaterästhetik von Rimini-Protokoll näher beleuchtet und Einblicke in verschiedene Projekte gegeben.
Gliederung
1 Rimini Protokoll – Anfänge und Einflüsse
2 Spezifische Merkmale der Theaterarbeit von Rimini Protokoll
2.1 Experten des Alltags auf der Bühne
2.2 Stückentwicklung und Textproduktion
3 Das Theater von Rimini Protokoll – Projektbeispiele
3.1 “Sonde Hannover“ (2002)
3.2 “Call Cutta“ (2005)
3.3 “Wallenstein. Eine dokumentarische Inszenierung“ (2005)
3.4 “Uraufführung: Der Besuch der alten Dame“ (2007)
3.5 “Breaking News. Ein Tagesschauspiel“ (2008)
3.6 Hörspiele
4 Schluss
Quellenangabe
1 Rimini Protokoll – Anfänge und Einflüsse
“Rimini Protokoll“ ist das Label der Theatermacher Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, die jedoch nicht nach einer festen Rollenverteilung, sondern je nach Zeitplan und Interessensschwerpunkt entweder allein oder zu zweit bzw. zu dritt arbeiten. Eine konkrete Arbeitsteilung gibt es nicht, vielmehr versteht sich
Rimini Protokoll als gleichberechtigtes Team, als offenes Regiekollektiv, dessen Mitwirkende zwischendurch immer wieder in anderen Konstellationen und Parallelproduktionen arbeiten.
Gemein haben die Regisseure ihren universitären Werdegang: alle drei studierten sie in den 90er Jahren am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Stefan Kaegi, der während seiner Giessener Studienjahre mit dem Kommilitonen Bernd Ernst zusammenarbeitete, verwirklichte unter dem Titel “Hygiene Heute“ bereits verschiedene Produktionen[1]. Der Name der Formation konnte durchaus als programmatisch verstanden werden, wandten sich Kaegi und Ernst damit doch ausdrücklich „gegen den vielen Staub im deutschen Theater“[2].
Daniel Wetzel, Helgard Haug, sowie Marcus Droß (ebenfalls ein Giessener Student) erarbeiteten seit 1995 unter dem Titel “Ungunstraum – Alles zu seiner Zeit“ Performances, in denen ihnen vor allem daran gelegen war, Mechanismen des Theaters zu verwerfen. Schon damals setzten die späteren Rimini Protokoll-Mitwirkenden auf Theaterlaien als Experten für bestimmte Funktionen, ein Aspekt, der mittlerweile zum Charakteristikum ihrer Theaterarbeit geworden ist.
In den Jahren an der Universität ging es den Studenten zunächst darum,
mit der Vergegenwärtigung von theatralen Mitteln zu experimentieren, sie auszustellen, das Artifizielle daran herauszuarbeiten, indem beispielsweise Licht und Ton auf der Bühne sichtbar hergestellt worden[3]. Sie wollten „professionelle Dilettanten“[4] sein und das mit dem erklärten Ziel, nur nicht in die berüchtigte Repräsentationsfalle zu tappen[5].
„Alles Gefällige, alles, was den Verdacht nahe legen konnte, es ginge darum, einem Publikum zu geben, was es wollte, alles, was mit ‚reiner Optik und Oberfläche, was mit konventioneller Dramaturgie zu tun hatte, stand unter dem Generalverdacht des Nicht-Denkens.“[6]
Obgleich sich die Arbeiten von “Hygiene Heute“ und “Ungunsträume“ inhaltlich berührten, kam es während der Studienzeit zu keiner Zusammenarbeit.
Mit dem Abschluss der Universität endeten auch die Produktionen der beiden Gruppen. Erst 1999 stellten sich Daniel Wetzel und Stefan Kaegi gegenseitig ihre Arbeit vor und entwickelten einen ersten gemeinsamen Produktionsentwurf. Das daraus resultierende Projekt “Kreuzworträtsel Boxenstopp“ über das Seniorenstift neben dem Frankfurter Künstlerhaus, dessen Darsteller Bewohnerinnen des Stifts waren, feierte im November 2000 Premiere[7]. Das Stück behandelte die Thematik des Alters, kontrastiert mit der Geschwindigkeit eines Autorennens und war wegweisend für folgende Rimini Produktionen[8]:
„Vier alte Damen mit alten Stimmen und alten Körpern als Rennfahrerinnen auf einer Bühne mit Treppenlift, Gehilfen und Flaggensignalen zur Orientierung. Weil Geschwindigkeit, Präsenz des Todes und Verschmelzung von Körper und Technik große Themen sind – im Altersheim wie in der
Formel 1. Weil sich über den Umweg eines fiktiven Autorennens unerwartet viel und unerwartet einfühlsam erzählen lässt vom Leben am Ende des Leben. Bereits ’Kreuzworträtsel Boxenstopp’, die erste gemeinsame Arbeit von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel im November 2000 (noch bevor sie sich den Namen Rimini Protokoll gaben), wies fast alle jene Merkmale auf, die ihr Werk seither unverwechselbar prägen, so sehr sie auch variiert, verfeinert, mal reduziert, mal erweitert werden: nichtprofessionelle Darsteller als Experten für ihr eigenes Leben, für ihren eigenen Alltag.
Die Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort der Aufführung oder dessen Umfeld (wie eben ein Seniorenstift direkt neben dem Theater).
Ein Text, der deutliche Spuren seiner Entstehung zeigt, der dokumentarisch und literarisch zugleich ist und sehr disparate Materialien der Recherche (wie Alter und Formel 1) verschneidet. Die Eröffnung neuer Perspektiven auf vermeintlich Altbekanntes. Eine Dramaturgie, die sich, ebenso wie der Text, aus Vorgefundenem entwickelt, und die gleichzeitig immer eine Dramaturgie der Fürsorge ist, die Performer schützt, aber auch fordert.[9] “
2 Spezifische Merkmale der Theaterarbeit von Rimini Protokoll
Markenzeichen der Theater- und Radioprojekte von Rimini Protokoll ist die Arbeit mit so genannten “Experten aus der Wirklichkeit“ oder “Spezialisten“: bei den Mitwirkenden handelt es sich um Theaterlaien, die jedoch nicht als Laiendarsteller agieren, sondern als Darsteller ihrer selbst auftreten und von den Künstlern als “Experten“ oder auch “ready-made-Darsteller“ bezeichnet werden.
Diese “Darsteller“ spielen keinen Dramentext, sondern sich selbst in den Theateraufführungen, Radiostücken und Filmprojekten. Dabei werden sowohl Text, als auch Stückverlauf auf der Basis der jeweiligen Biografien der Beteiligten erarbeitet.[10]
2.1 Experten des Alltags auf der Bühne
Den Begriff Experten verwenden Rimini Protokoll für Menschen, die repräsentativ für bestimmte Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten stehen, von denen sie während einer Produktion “berichten“. Dieses Konzept beruht darauf, dass die Protagonisten nicht an ihren darstellerischen Begabungen, sondern schlicht an ihrem persönlichen Expertentum gemessen werden und behauptet somit bewusst das Gegenteil von Laientheater.
„Wir haben das ’Experten-Theater’ genannt, weil wir erst einmal den Begriff des ’Laien’ abwenden wollten. Wenn man nicht mit Schauspielern arbeitet, ist
’Laien-Theater’ immer der erste Begriff, der auftaucht. [...]
’Laien’ sind die, die gerne wollen, aber nicht können und wir arbeiten mit Menschen, die etwas gerade besonders gut können, also Experten sind. Das können Experten für Karl Marx sein, aber auch Experten für eine bestimmte Lebenssituation.“[11]
[...]
[1] Vgl. Dreysse, Miriam, Malzacher, Florian (Hrsg): Rimini Protokoll. Experten des Alltags. Das Theater von Rimini Protokoll, Alexander Verlag Berlin, 2007, S. 8 f.
[2] Ebd. S.15.
[3] Vgl. ebd. S.16.
[4] Ebd.
[5] Vgl. ebd.
[6] Ebd.
[7] Vgl. ebd. S. 20.
[8] Vgl. Haug, Helgard, Kaegi, Stefan, Wetzel, Daniel, Online-Publikation: http://www.rimini-protokoll.de/website/de/project_481.html , Stand 03.01.2009.
[9] Dreysse, Miriam, Malzacher, Florian (Hrsg): Rimini Protokoll, S. 8.
[10] Vgl. ebd. S. 64 f.
[11] Haug, Helgard, zitiert nach Olbert, Frank in: Hörspielpreis der Kriegsblinden für Deutschlandfunkproduktion "Das Kapital", Online-Publikation, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hoerspielkalender/751454/, Stand 23.03.2009.
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