Die Zulassungsarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Mobbing und insbesondere mit Interventionsmöglichkeiten gegen Mobbing an Schulen, wobei der Fokus hierbei auf die Realschule gelegt wird.
Schon 1970 beschäftigte sich der schwedisch-norwegische Psychologe Dan Ake Olweus mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Mobbing und der Gewaltproblematik an Schulen. Dafür verwendete er selbst den Begriff Bullying, der aber nahezu ein Synonym für Mobbing darstellt. Er begründete sein starkes Interesse daran, Lösungen gegen das Drangsalieren an Schulen zu finden, unter anderem damit, dass drei norwegische junge Männer nach dauerhaften Schikanen in deren Schulen Suizid begangen hatten.
Der Zusammenhang von Mobbing und Suizid prägte folglich die Arbeiten des im vergangenen Jahr verstorbenen Dan Olweus, welche für die Mobbingforschung bis heute von enormer Bedeutung sind. Denn die Gegenwärtigkeit solcher Koinzidenzen ist geblieben, wie ein Artikel, der Ostsee-Zeitung zeigt. Darin berichtet Juliane Schultz von einem Mobbing-Ritual an einer Regionalschule in Crivitz bei dem 30 Schüler beteiligt gewesen sein sollen. Vorfälle wie diese zeigen, dass die Problematik des Mobbings und die damit verbundenen Folgen an deutschen Schulen immer wieder thematisiert werden müssen und der Kampf dagegen nicht nachlassen darf.
Diese These wird auch von einer Studie der Organisation for Economic Cooperation and Development, kurz OECD, aus dem Jahre 2015 gestützt, der zufolge jeder sechste Schüler an deutschen Schulen zum Gemobbten wird. Verglichen mit anderen Ländern liegt Deutschland damit über dem Durchschnittswert und hat beispielsweise doppelt so hohe Fallzahlen wie die Schulen in den Niederlanden. Als Fazit der Studie wird Mobbing als ernstes, gesamtgesellschaftliches Problem beschrieben, dessen Folgen sich bis ins Erwachsenenalter ausdehnen können.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Mobbing als aktuelles, gesamtgesellschaftliches Problem
2. Informationen über Mobbing 2.1. Erkennungsmerkmale Mobbing 2.1.1. Allgemeine Definition 2.1.2. Verschiedene Rollenzuschreibungen 2.1.3. Phasen des Mobbings 2.1.4. Erscheinungs- und Interaktionsformen des Mobbings 2.1.5. Abgrenzung von anderen Erscheinungsformen 2.2. Aktuelle Zahlen und Entwicklungstendenzen 2.2.1. Häufigkeit des Auftretens von Mobbing 2.2.2. Abhängigkeit der Verbreitung von Mobbing von verschiedenen Schularten 2.2.3. Aktuelle Entwicklungstendenzen
3. Interventionsmöglichkeiten gegen Mobbing 3.1. Grundlagen der Vorgehensweise gegen Mobbing 3.1.1. Definition der Begriffe „Prävention“ und „Intervention“ 3.1.2. Voraussetzung für eine erfolgreiche Intervention 3.1.3. Arbeitsgrundlagen der Interventionskonzepte 3.1.4. Ziele der Intervention gegen Mobbing 3.2. Allgemeine Vorgehensweisen gegen Mobbing 3.2.1. Leitgedanken für eine wirkungsvolle Intervention 3.2.2. Maßnahmen auf einzelnen Handlungsebenen 3.2.3. Maßnahmen gegen Cybermobbing 3.2.4. Allgemeine Handlungsstrategie: In zehn Schritten gegen Mobbing 3.3. Anerkannte Interventionskonzepte 3.3.1. Das Anti-Bullying-Interventionsprogramm nach Dan Ake Olweus 3.3.2. Der No-Blame-Approach von Barbara Maines und George Robinson 3.3.3. Die Farsta-Methode von Mustafa Jannan und Walter Taglieber 3.3.4. Das Gegen-Gewalt-Konzept von Mustafa Jannan 3.3.5. Konzeptioneller und formaler Vergleich der Interventionsprogramme 3.3.6. Evaluationsstudien zu den Konzepten 3.3.7. Bewertungskriterien für die Anwendung an Realschulen 3.4. Rechtlicher Aspekt der Intervention gegen Mobbing
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Vorwort
Die vorliegende Zulassungsarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Mobbing“ und insbesondere mit Interventionsmöglichkeiten gegen Mobbing an Schulen, wobei der Fokus hierbei auf die Realschule gelegt wird.
Dieses Thema wurde von mir ausgewählt, da ich in meiner Schulzeit als Schülerin und auch als Praktikantin und Lehrerin auf unterschiedliche Weise davon betroffen war. Als Schülerin wurde ich selbst zur „Gemobbten“, die sich mehrfach fragte, weshalb die Lehrkräfte nichts unternehmen, um diese Schikanen zu unterbinden. Als Praktikantin konnte ich eine Beobachterposition einnehmen, die es mir erlaubte, einen ganz neuen Blick auf diese Problematik zu gewinnen, ohne in das Geschehen involviert zu sein. Und als Lehrkraft machte ich die Erfahrung, dass es mitunter schwer ist, Mobbingvorgänge zu erkennen und dagegen zu intervenieren. Besonders in dieser Position fragte ich mich, woran Mobbing festzumachen ist, wie man dagegen vorgehen soll und welche Interventionsprogramme eine hohe Wirksamkeit aufweisen.
Mit dieser Arbeit möchte ich derartige Überlegungen auf wissenschaftlicher Ebene durchdringen, meinen Blick bezüglich des Mobbings und eines adäquaten Umgangs mit der einhergehenden Problematik schärfen und gleichzeitig andere Lehrerinnen und Lehrer für dieses Thema sensibilisieren, damit wir in unserer Tätigkeit als Lehrkräfte Kinder vor möglichen negativen Erlebnissen in ihrer Schulzeit schützen und betroffenen Opfern wirksam helfen können.
1. Mobbing als aktuelles, gesamtgesellschaftliches Problem
Schon 1970 beschäftigte sich der schwedisch-norwegische Psychologe Dan Ake Olweus mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Mobbing und der Gewaltproblematik an Schulen. Dafür verwendete er selbst den Begriff „Bullying“, der aber nahezu ein Synonym für „Mobbing“ darstellt (vgl. Mirian 2018, S. 1). Er begründete sein starkes Interesse daran, Lösungen gegen das Drangsalieren an Schulen zu finden, unter anderem damit, dass drei norwegische junge Männer nach dauerhaften Schikanen in deren Schulen Suizid begangen hatten. Der Zusammenhang von Mobbing und Suizid prägte folglich die Arbeiten des im vergangenen Jahr verstorbenen Dan Olweus, welche für die Mobbingforschung bis heute von enormer Bedeutung sind (vgl. ebd, S.1). Denn die Gegenwärtigkeit solcher Koinzidenzen ist geblieben, wie ein Artikel, der Ostsee-Zeitung zeigt. Darin berichtet Juliane Schultz von einem Mobbing-Ritual an einer Regionalschule in Crivitz bei dem 30 Schüler beteiligt gewesen sein sollen. „Vier Jahre lang gab es im mecklenburgischen Crivitz, bei Schwerin, körperliche Übergriffe von Sechstklässlern auf Fünftklässlern“ (OZ 2019). Vorfälle wie diese zeigen, dass die Problematik des Mobbings und die damit verbundenen Folgen an deutschen Schulen immer wieder thematisiert werden müssen und der Kampf dagegen nicht nachlassen darf (vgl. ebd, S. 1).
Diese Thesis wird auch von einer Studie der Organisation for Economic Cooperation and Development, kurz OECD, aus dem Jahre 2015 gestützt, der zufolge jeder sechste Schüler1 an deutschen Schulen zum „Gemobbten“ wird. Verglichen mit anderen Ländern liegt Deutschland damit über dem Durchschnittswert und hat beispielsweise doppelt so hohe Fallzahlen wie die Schulen in den Niederlanden (vgl. OECD, 2015). Als Fazit der Studie wird Mobbing als ernstes, gesamtgesellschaftliches Problem beschrieben, dessen Folgen sich bis ins Erwachsenenalter ausdehnen können (vgl. Nimmervoll, 2015).
Dies wird auch in den Medien so publiziert. Mobbing und seine Folgen sind in den vergangenen Jahren immer wieder in Zeitungen, im Fernsehen und auf Radiokanälen präsent . Besonders große öffentliche Aufmerksamkeit ziehen spektakuläre Vorfälle wie der oben Beschriebene oder Suizidfälle auf sich, welche oft tagelang medial diskutiert werden. Es wird dabei mitunter gemutmaßt, welche Erlebnisse solche schwerwiegenden Taten ausgelöst haben könnten - die Schulzeit der Opfer wird oft bis ins Detail analysiert -, welche Rolle die Schule und die Lehrer in so einem Fall tragen und ob sie eingreifen hätten können.
Nicht zuletzt zieht so ein Vorfall auch die Aufmerksamkeit der Politik auf sich, welche dann wie im Schweriner Fall möglicherweise eine „umfassende Anti-Mobbing-Strategie“ ausarbeiten will (vgl. News4Teachers, 2019) oder nach anderen schnellen Lösungen sucht.
Im Verlauf dieser Arbeit soll für diese Fragen der Interventionsmöglichkeiten sowie deren Wirksamkeit eine Antwort ausgearbeitet werden.
2. Informationen über Mobbing
Um eine gezielte Vorgehensweise gegen Mobbing erarbeiten und unterschiedliche Interventionsmöglichkeiten an Realschulen kritisch vergleichen zu können, ist es zunächst nötig, den Themenbereich genau zu definieren und seinen derzeitigen Status an deutschen Schulen zu klären. Dazu werden im folgenden Kapitel Informationen über Mobbing und seine aktuellen Entwicklungstendenzen bereitgestellt.
2.1. Erkennungsmerkmale Mobbing
Zur Klärung, woran man Mobbing erkennt, sollen im Folgenden nach der Erarbeitung einer allgemeinen Definition des Phänomens die einzelnen Rollenzuweisungen, die Phasen von Mobbing sowie verschiedene Erscheinungsformen des Bereichs dargestellt werden. Um den Begriff gänzlich greifbar zu machen, erfolgt im Anschluss zudem noch eine Abgrenzung von ähnlichen Phänomenen.
2.1.1. Allgemeine Definition
Am Ende der 1970er Jahre wurde der Begriff „Mobbing“ eingeführt, welcher bis heute Verwendung findet (vgl. Teuschel 2010, S. 4). Der Fachausdruck kommt von dem altenglischen Substantiv „mob“, was mit „Horde“ oder „Pöbel“ zu übersetzen ist, und dem Verb „to mob“, was „angreifen“ oder „schikanieren“ meint (vgl. Miriam 2018, S. 7). Abgeleitet aus dem Lateinischen „mobile vulgus“ bedeutet es so viel wie „aufgewiegelte Volksmenge“ (vgl. Wachs et. al 2016, S. 19).
Der Erste, dessen Arbeiten in die Richtung einer Begriffsannäherung des Mobbings führten, war der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz, der 1963 die Gruppenaggressionen bei Tieren untersuchte, bei denen schwächere Tiere eine Gemeinschaft bilden, um sich gegen einen bedrohlichen Feind verteidigen zu können (vgl. ebd., S. 19ff.). Diese Beobachtung verschriftlichte er in seinem Buch „Das sogenannte Böse“ unter der Bezeichnung „Mobbing“.
Auf diesem Begriffsverständnis aufbauend verwendete im skandinavischen Sprachraum der schwedische Arzt Paul-Peter Heinemann um 1970 den Begriff „Mobbing“ (im Schwedischen und Finnischen als „mobbning“ bezeichnet), um aggressive und kollektive Angriffe von Schulkindern auf einen einzelnen Schüler zu beschreiben (vgl. Leymann 1996, S. 167). Anders als in Lorenz‘ Begriffserklärung des Mobbings stellte hier die attackierte Person keine Gefährdung für die Gruppe dar.
Dan Ake Olweus präferierte den Begriff „Bullying“, der vor allem in englischsprachigen Ländern, Italien und Frankreich verwendet wird (vgl. Wachs et al. 2016, S. 21). Der Wortstamm „Bully“ ist mit „brutaler Kerl“ zu übersetzen und „Bullying“ u.a. mit „Tyrannisieren“. Da Olweus damit in Fachkreisen überwiegend auf Zustimmung stieß, dominiert der Begriff des „Bullyings“ in der Wissenschaft, während im alltäglichen Gebrauch meist der Terminus „Mobbing“ gewählt wird. Als Synonyme werden in der deutschen Alltagssprache oft Ausdrücke wie z.B. „piesacken“, „stänkern“, „quälen“ oder „dissen2“ verwendet, die wissenschaftlich betrachtet dem Tatbestand des Mobbings nicht ausreichend gerecht werden und in Fachkreisen deshalb keine Verwendung finden (vgl. ebd., S. 21). Mehr Akzeptanz wird dagegen den Ausdrücken „Bossing“ und „Staffing“ zuteil, die gleichbedeutend mit Bullying genutzt werden (vgl. Teuschel 2010, S. 3).
In dieser Arbeit werden die Termini „Mobbing“ und „Bullying“ synonym verwendet. Wobei der Begriff „Mobbing“ häufiger aufzufinden sein wird, da dieser im deutschsprachigen Raum auf einen höheren Bekanntheitsgrad stößt (vgl. Neubauer et al. 2020, S. 6).
Dan Olweus kritisierte die Definition von Heinemann, da dieser Mobbing zu stark hinsichtlich Gruppendynamiken charakterisiere (vgl. Wachs et al. 2016, S.18). Laut Olweus liegt Mobbing dagegen (auch) vor,
„wenn eine schwächere Person wiederholt und über einen längeren Zeitraum verletzenden Handlungen von einer oder mehreren überlegenen Personen ausgesetzt ist und das Opfer sich nicht aus eigener Kraft gegen die Übergriffe zur Wehr setzen kann“ (1978, zitiert nach Wachs, Hess, Scheithauer, Schubarth & Grewe 2016, S. 18).
Folglich beschreibt Olweus „Bullying“ als eine Sonderform aggressiven Verhaltens anhand der vier folgenden Kriterien:
„Mobbing ist
1. ein aggressives oder absichtlich verletzendes Verhalten, 2. das wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg 3. in einer zwischenmenschlichen Beziehung stattfindet 4. und durch ein Machtungleichgewicht charakterisiert wird.“ (Olweus 1999, S. 11)
Nach Wachs et. al ist dieser Mobbingbegriff von den Merkmalen Verletzungsabsicht, Wiederholungsaspekt und Machtungleichgewicht geprägt (2016, S.18f.):
1. Verletzungsabsicht: Das Vorgehen der Mobbing-Täter kann meist als strategisch und systematisch beschrieben werden. Selten handeln sie spontan oder ungezielt, da eine klare Absicht, die Opfer zu schädigen, vorliegt. Mobbing als soziales Phänomen findet laut Wachs et al. in sozial stabilen Gruppen, wie z.B. Schulklassen, Vereinsgruppen oder Cliquen statt (2016). Dies erleichtert es den Tätern die Schwächen ihrer Opfer auszunutzen und sie so gezielter zu stigmatisieren, da sie über verschiedenste Informationen, beispielsweise die Hierarchie in der Gruppe, persönliche oder familiäre Hintergründe, verfügen. 2. Wiederholungsaspekt: Die von den Tätern ausgehenden feindlichen Handlungen werden gegenüber den Opfern wiederholt und über einen längeren Zeitraum ausgeübt. Dieser kann eine Zeitspanne von ein paar Wochen, Monaten, aber auch Jahren darstellen. Wichtige Kriterien sind der Wiederholungs- und Härtegrad der Angriffe. Dabei wird zwischen einer weichen und einer harten Definition unterschieden: Als „weich“ werden in diesem Zusammenhang Mobbinghandlungen bezeichnet, wenn diese mehrmals pro Monat über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten auftreten. Kommen diese Attacken, innerhalb derselben Zeitspanne, wöchentlich oder mehrmals in derWoche vor, spricht man von einer „harten“ Definition. 3. Machtungleichgewicht: Sowohl psychologische als auch physische und soziale Aspekte können Grund für einen tatsächlichen oder nur subjektiv empfundenen Machtvorteil sein, der zu einem asymmetrischen Machtverhältnis zwischen Täter und Opfer führt. Dieser kann sich beispielsweise durch den Altersunterschied äußern, aber auch vorliegen, wenn der Täter in der Klasse sehr beliebt ist und dadurch sein Opfer ohne Einschränkungen mobben kann.
Auch Frangoise Alsaker, emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie und Heinz Leymann, Betriebswirt und Diplompsychologe, stützen sich bei der Definition von Mobbing auf diese Aspekte, wobei der Punkt des Machtungleichgewichts nicht eindeutig beschrieben wird. So bezeichnet Alsaker Mobbing als aggressives Verhalten, das systematisch gegen eine Person gerichtet ist (Verletzungsabsicht), als Gruppengeschehen auftritt und wiederholt und über eine längere Zeitperiode (Wiederholungsaspekt) vorkommt (vgl. Alsaker 2012, S. 14). Laut Leymann beschreibt der Begriff des Mobbings „negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (Verletzungsabsicht), von einer oder mehreren anderen, und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen (Wiederholungsaspekt) und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen“ (1993, S. 21). Eventuell könnte der Aspekt des Gruppengeschehens - mehrere gegen Einen - als Machtungleichgewicht gewertet werden.
Dieser Arbeit liegt ein Mobbingverständnis zu Grunde, das durch eine Verletzungsabsicht, einen Wiederholungsaspekt und ein Machtungleichgewicht gekennzeichnet ist. Der Schwerpunkt liegt demzufolge auf der Definition von Olweus, da diese drei genau beschriebene Kernelemente enthält, die bei der Prüfung über das Vorliegen eines Mobbingfalles konstruktiv angewandt werden können.
2.1.2. Verschiedene Rollenzuschreibungen
Weitgehend Verwendung in der Forschungsliteratur finden die nachfolgenden Begriffe zur Rolleneinteilung im Mobbinggeschehen:
1. Die Täter, werden von Wachs et al. als diejenigen beschrieben, „die Mobbing initiieren, veranlassen und ausüben“ (2016, S. 22). 2. Als Mobbingopfer werden folglich die Kinder und Jugendlichen bezeichnet, an denen die Attacken ausgeübt und die somit zu den Leidtragenden werden. 3. Abzugrenzen ist außerdem die Mischform der Täter-Opfer. Hierbei handelt es sich um Personen, die sowohl als Täter agieren als auch als Opfer betroffen sind (vgl. Olweus 1999, zitiert nach Wachs et al. 2016, S. 22).
Diese Mobbingrollen bleiben aufgrund komplexer Etikettierungsprozesse, also sozialer Interaktionsvorgänge, oft über viele Jahre hinweg stabil (vgl. Wachs et al. 2016, S. 22). Das bedeutet, dass sowohl die von Wachs et al. genannten Täter- als auch die Opferrollen über einen langen Zeitraum bestehen bleiben können und sich auch nach einem Klassen- oder Schulwechsel nicht verändern. So besteht für Kinder, die beispielsweise in der Grundschule bereits viktimisiert wurden, ein höheres Risiko, auch auf weiterführenden Schulen stigmatisiert zu werden (Olweus 1999, zitiert aus Wachs et al. 2016, S. 22).
Trotz dieser Ergebnisse sollte darauf hingewiesen werden, dass eine eindeutige Rolleneinteilung im Mobbingphänomen nicht immer möglich ist, da die Mehrheit der Schüler weder als Opfer noch als Täter in Erscheinung tritt (vgl. Melzer et al. 2008, S. 29). Auch wenn in der Literatur (vgl. Wachs et al. 2016 und Schubhart 2010, S. 57) häufig von Täter und Opfer hinsichtlich des Bullyings gesprochen wird, sollte das Bewusstsein hinsichtlich der Verwendung dieser Begrifflichkeiten geschärft werden, weil bereits diese Rollenzuschreibungen eine Stigmatisierung implizieren. Ein „Täter“ kann in gewisser Weise auch immer ein „Opfer“ darstellen und umgekehrt, wenn z.B. Kinder aus einem rauen Familienumfeld aufgrund von eigener Misshandlung oder der Beobachtung der Misshandlung eines Familienmitglieds derartige Schwierigkeiten aufweisen, ihre Emotionen zu kontrollieren, dass sie quasi unwillkürlich in die Täter-/ oder Opferrolle hineingeraten (vgl. Shields und Cicchetti 2001, S. 325ff.). Da es eine Vielzahl an Auslösern und Gründen für Bullying gibt, die vor allem beim Interventionsgeschehen von großer Bedeutung sind, kann eine abgrenzende Attribuierung in vielen Fällen zu einer Missdeutung des Sachverhalts führen. Ein vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung entwickelter Leitfaden gegen Mobbing (vgl. Mit Mut gegen Mobbing 2020, S. 7f.) verschafft Abhilfe. Das ISB teilt die Rollen im Mobbingphänomen genauer und weniger stigmatisierend ein. Zwar ist auch von Akteuren und Betroffenen die Rede, allerdings implizieren diese Begriffe weniger vorverurteilende Assoziationen als die Einteilung in Täter und Opfer. Laut dem ISB ist das Mobbingphänomen in mehrere Personengruppen einzuteilen:
1. Ein Akteur ergreift demnach die Initiative, jemanden aktiv zu drangsalieren, und nimmt eine Führungsposition in der Gruppe ein. In der Regel haben diese Personen ein Gespür für Verletzlichkeit und geschwächte Mitglieder der Klassengemeinschaft. 2. Der Betroffene leidet unter den sich wiederholenden Schikanen und ist in der Regel eine Einzelperson. 3. Assistenten orientieren sich am Verhalten des Akteurs und unterstützen es. Die Auswirkungen der mobbenden Handlungen werden von dieser Personengruppe oft falsch eingeschätzt. 4. Verstärker unterstützen die Schikanen, indem sie dafür Anerkennung durch Lachen oder Applaudieren signalisieren. 5. Verteidiger hingegen stellen sich zunächst auf die Seite des betroffenen Schülers und versuchen, ihn zu schützen. 6. Außenstehende nehmen schließlich lediglich die negative Veränderung des Klassenklimas wahr, sind aus verschiedenen Gründen allerdings nicht bereit, sich am Geschehen zu beteiligen und sich einzumischen. Diese Art der passiven Anteilnahme kann als Billigung interpretiert werden.
Vergleicht man diese beiden Rolleneinteilungen, fällt zunächst auf, dass das ISB auch Personen benennt, die sich nicht aktiv am Geschehen beteiligen, aber dennoch durch ihre Passivität von Bedeutung sind. Die von Wachs et al. und Schubhart verwendeten Begriffe „Täter“ und „Opfer“ finden eine höhere Zugehörigkeit in der Kriminologie und entsprechen weniger dem Selbstverständnis von Schule, da allein die Bezeichnung „Täter“ mit einer Rollenzuschreibung konnotiert ist (vgl. Neubauer et al. 2020, S. 9). Aufgrund der Annahme des ISB, dass „Rollenzuweisungen in einem Mobbinggeschehen unter Heranwachsenden vorläufiger Natur und damit pädagogisch beeinflussbar sind“ wird auch in dieser Arbeit weitgehend die Verwendung der Begriffe „Betroffener“ und „Akteur“ unterstützt. Da allerdings in einigen Büchern (z.B. von Wachs et al. und Schubhart) von Tätern und Opfern gesprochen wird, lassen sich diese Bezeichnungen nicht gänzlich vermeiden.
2.1.3. Phasen des Mobbings
Eher selten findet man die Einteilung von Mobbing in Phasen. Mechthild Schäfer, Heinz Leymann, Peter Teuschel und Bernd Taglieber haben unabhängig voneinander versucht, das Phänomen Mobbing in Stufen einzuteilen, um das Opfer besser verstehen zu können und den richtigen Zeitpunkt für Interventionen zu finden. „Die einzelnen Phasen entsprechen bestimmten Eskalationsgraden und bedeuten für die Betroffenen unterschiedliche Gefährdungsstufen. Eingriffe von außen in den Bullying-Prozess wirken sich in den einzelnen Phasen unterschiedlich aus“ (Teuschel und Heuschen 2013, S. 55). Da der Mobbingverlauf sehr unterschiedlich erfolgen kann, gibt es nicht den einen allgemeingültigen Verlauf, sondern etliche Variationen. Dennoch lassen sich mithilfe der oben genannten Mobbingforscher unterschiedliche Phasenmodelle erfassen, die in einigen Faktoren, vor allem hinsichtlich des Mobbingbeginns, übereinstimmen. Im Folgenden werden zwei Mobbingmodelle vorgestellt.
1. Die drei zentralen Phasen von Mechtild Schäfer (vgl. Wachs et al. 2016, S. 23f.):
Laut Mechthild Schäfer können im Mobbingprozess drei Stadien unterschieden werden: Das Erforschen (Exploration), die Festigung (Konsolidierung) und die Manifestation. Die Beteiligten prägen die einzelnen Phasen durch ihre Reaktionen und Interaktionen.
a. Die Explorationsphase: Im ersten Schritt testen die Mobbing-Akteure, welcher Schüler sich als geeignetes Opfer erweist. Sie suchen regelrecht nach einem Unterlegenen. Die Übergriffe richten sich zunächst gegen verschiedene Kinder, deren Wirkung wird abgewartet. Dabei bevorzugen die Akteure diejenigen, die sich nur schwer zur Wehr setzen können, von anderen keine Unterstützung erfahren und sich leicht provozieren lassen. Anschließend wählen sie den Schüler als Opfer aus, bei dem sie den geringsten Widerstand erfahren (vgl. Alsaker 2003, S. 32). Der spätere Mobbingbetroffene wird in dieser Phase von den Mitschülern noch neutral behandelt. Die Beweggründe des Akteurs für die Angriffe scheinen hier noch nicht eindeutig. Eine Studie von Boulton und Underwood (vgl. Schäfer & Korn 2004, S. 3) bestätigte diese Hypothese: Fast die Hälfte der befragten Sechstklässler gaben an, das Drangsalieren anderer nicht verstehen zu können. Lediglich ein Fünftel konnte die Übergriffe nachvollziehen. In dieser Anlaufphase des Mobbingprozesses sind präventive Maßnahmen wirksam und können das tatsächliche Mobbing stoppen. b. Die Konsolidierungsphase: Während dieser Phase setzt der Mobber seine systematischen Angriffe auf den Betroffenen fort. Es wird häufiger attackiert und „sozial degradiert“ (vgl. Wachs et al. 2016, S. 23). In diesem Stadium können Mitschüler den Mobbingprozess (ohne externes Eingreifen) noch unterbrechen. Der Akteur beobachtet die Klassenkonstellation, welche er negativ zu Lasten des Betroffenen manipuliert. Somit wird der Betroffene immer mehr in eine Abwehrhaltung gedrängt, wodurch seine Reaktionen kontinuierlich auffälliger werden (vgl. Taglieber, zitiert aus Vieregg 2006, S. 12). Hier sind präventive Maßnahmen nur hilfreich, wenn diese Phase noch nicht fortgeschritten ist, denn dann sind intervenierende Maßnahmen notwendig (vgl. Wachs et al. 2016, S.23) c. Die Manifestationsphase: In der von Schäfer letzten Phase scheinen die Mobbingrollen gefestigt. Die Täter konnten die soziale Norm der Klasse erfolgreich manipulieren, sodass Attacken auf den Mobbingbetroffenen für Außenstehende als gerechtfertigt angesehen werden und Mitschüler den Mobbingvorgang unterstützen (vgl. ebd.). Der Betroffene wird irreversibel stigmatisiert, zunehmend sozial isoliert und in eine „Abseitsposition“ gedrängt (vgl. Schäfer 2010, S. 40f.). In diesem Abschnitt sind Interventionsmaßnahmen von hoher Notwendigkeit. Bernd Taglieber differenziert das Modell noch etwas genauer und fügt zwischen den Phasen 2 und 3 noch eine weitere hinzu, die er die Phase des destruktiven Handelns nennt (vgl. Vieregg 2006, S. 12). In diesem Stadium wird dem schikanierten Kind vorgeworfen, die Angriffe selbst hervorzurufen. Die Verschiebung der sozialen Norm beginnt und der Schüler fängt an, sein Verhalten zu hinterfragen, an sich selbst zu zweifeln und somit die Angriffe als begründet wahrzunehmen (vgl. ebd., S. 12f.).
2. Leymanns Phasenmodell (vgl. Leymann 2000, S. 60ff.):
Leymann hat ein Vier-Phasen Modell über den Mobbingverlauf am Arbeitsplatz erstellt, welcher auch auf die Schule bezogen werden kann (vgl. Skof 2007, S. 6). Er teilt das Mobbing in die Stufen „Tägliche Konflikte“, „Mobbing etabliert sich“, „Destruktive Personalverwaltung“ und „Der Ausschluss“ ein:
a. Tägliche Konflikte: Jederzeit können am Arbeitsplatz (und im Klassenzimmer) Streitigkeiten entstehen. Der Umgang mit solchen ist allerdings bedeutend (vgl. Leymann 2000, S. 60). Nach einem Konflikt finden die meisten Menschen untereinander eine Lösung, sodass dieser nicht in Streit ausartet. Anderen fällt dies schwerer, da die Konfliktlösestrategien bei jeder Person individuell sind (vgl. ebd.). b. Die darauffolgende Phase , Mobbing etabliert sich, beschreibt den Beginn des tatsächlichen Mobbingprozesses, der durch „Dieses-sich-nicht-darum-Kümmern“, wie Leymann es nennt, entstehen kann (ebd., S. 61). Der Mobbingbetroffene wird in dieser Phase zunehmend ausgegrenzt und in ein „Verteidigungsverhalten“ gedrängt (ebd.). Die Zuschauer bezeichnet Leymann als die „Möglichmacher“, da diese nicht einschreiten (ebd.). c. Die Voraussetzung für die dritte Phase, die Destruktive Personalverwaltung, ist das Durchlaufen der zweiten Phase (vgl. ebd., S. 62). Der andauernde Mobbingprozess zehrt an der psychischen Stabilität des Betroffenen: Er ist immer noch in seinem „Verteidigungsverhalten“ (ebd.) gefangen und wird von den Kollegen und den Mitschülern als „Versager“ (ebd.) kategorisiert. d. In der vierten Phase, Der Ausschluss, wird der Mobbingbetroffene offiziell aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Jedoch kann der Betroffene trotz psychisch schwerer Belastung noch in der Arbeit oder Schule erscheinen (vgl. ebd., S. 65). Leymann unterteilt den Ausschluss nochmals in fünf Phasen:
1. Abschieben und Kaltstellen 2. Fortlaufend e Versetzung 3. Krankschreibungen 4. Zwangseinweisung in die Nervenheilanstalt 5. Abfindung oder Frührente - hinsichtlich der Schule mit einem Schulwechsel vergleichbar
Im Folgenden erfolgt eine Übersicht über die beiden Phasenmodelle:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Mobbing-Phasenmodell nach Leymann 2000, S. 59 und Schäfer 2010, S.41
Vergleicht man die oben dargestellten Phasenmodelle miteinander, dann stellt man fest, dass der Verlauf des Mobbings sehr verschieden sein kann. Dennoch beginnt das Phänomen modellübergreifend mit einem Konflikt und endet in der Isolation. Der Unterschied darin besteht, dass sich der Akteur bei Schäfers Modell willkürlich eine zu schikanierende Person aussucht, bzw. sich für denjenigen entscheidet, der am wenigsten Widerstand leistet (vgl. Alsaker 2003, S. 32). Bei Leymann dagegen erfolgt das Mobbing zielgerichtet gegen eine bestimmte Person. Das Machtungleichgewicht zwischen Akteur und Betroffenem wird in beiden Phasenmodellen deutlich. Obwohl Leymanns Modell von 1993 und Schäfers von 2003 ist, zwischen den beiden also eine Diskrepanz von zehn Jahren liegt, zeigen sie grob denselben Mobbingverlauf, der nur endet, wenn der Betroffene sich lokal zurückzieht bzw. an eine neue Schule wechselt. Damit verdeutlichen beide Modelle das ungerechte Ausmaß von Mobbing für die Betroffenen.
Hinsichtlich des Verlaufs beider Schemata fällt die Bedeutsamkeit der systemischen Denkweise bei Bullying noch stärker ins Auge, da die Beendigung von Mobbing nicht in der Isolation, hier mit dem Schulverweis, eines Mobbingopfers oder -Täters bestehen sollte, sondern in einer vorteilhaften Lösung für beide Parteien.
2.1.4. Erscheinungs- und Interaktionsformen des Mobbings
In der Literatur lassen sich grundsätzlich drei Erscheinungsformen von Mobbing differenzieren (u. a. Wang, Ianotti & Nansel 2009; Schäfer 2007):
1. Physisches Mobbing: Hierunter werden alle Handlungsabsichten einer Person gezählt, die auf die körperliche Schädigung des Betroffenen abzielen. Dazu gehören Schlagen, Treten, Schubsen, Beißen, Kratzen, An-den-Haare-Ziehen etc. 2. Verbales Mobbing: Diese Form schließt alle verbalen Angriffe wie Beschimpfungen, verbales Drohen, ironische Kommentare, Anspielungen und Belästigungen mit ein. 3. Relationales Mobbing: Diese Art von Mobbing impliziert alle Handlungen, bei denen soziale Beziehungen angegriffen und zerstört werden. Die soziale Zugehörigkeit und Akzeptanz des Betroffenen wird durch bewusstes „Herausekeln“, Ignorieren sowie Ausschließen aus der Gemeinschaft und gemeinsamen Aktivitäten destruiert. Die Manipulation anderer, um gegen den drangsalierten Mitschüler vorzugehen, sowie Lästereien und das Verbreiten von Gerüchten gehören auch zur Erscheinungsform des relationalen Mobbings (vgl. Wachs et al. 2016, S. 27).
Auch innerhalb der Interaktionsformen des Mobbings wird unterschieden. Diese lassen sich in direktes und indirektes Mobbing einteilen.
1. Von direktem Mobbing ist die Rede, wenn der Betroffene direkt vom Akteur angegriffen wird. 2. Beim indirekten Mobbing steht die Schädigung des Betroffenen ohne direkte Konfrontation oder direkten Kontakt im Vordergrund. Vielmehr werden Dritte instrumentalisiert oder Gegenstände manipuliert, sodass der Akteur vorerst nicht in Erscheinung tritt.
Physisches, verbales und auch relationales Mobbing kann sowohl in direkter als auch in indirekter Form auftreten. Demnach kann physisches Mobbing direkt ausgeübt werden, indem ein körperlicher Angriff erfolgt, aber auch indirekt, wenn der Akteur dem Betroffenen beispielsweise eine Falle stellt, wodurch sich der Schüler verletzt. Gleiches gilt für die Form des verbalen Mobbings, das von beleidigenden Kommentaren (direkt) bis zu kränkenden Worten an einen Dritten in Anwesenheit des Betroffenen, wodurch die Beleidigung nicht direkt an ihn gerichtet ist, reicht. Relationales Mobbing findet dann statt, wenn ein Betroffener direkt aus einer Gruppe ausgeschlossen wird oder sich Personen von dem Gemobbten abwenden, weil sich Gerüchte über den Betroffenen verbreitet haben (indirekt) (vgl. Wachs et al. 2016, S. 27ff.). Die nachfolgende Tabelle 2 soll die unterschiedlichen Erscheinungs- und Interaktionsformen von Mobbing nochmals mit Beispielen verdeutlichen.
Tab. 2: Erscheinungs- und Interaktionsformen von Mobbing. (siehe Wachs et al. 2016, S. 29)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.2. 2.1.5. Abgrenzung von anderen Erscheinungsformen
Wenn es darum geht, ob jemand gemobbt wird oder nicht, ist es von großer Bedeutung Mobbing von anderen Verhaltensphänomenen abgrenzen zu können. Denn Schüler neigen oft dazu, diesen Begriff zu missdeuten: Oft wird schon bei einer schlechten Notenvergabe davon gesprochen, dass „Lehrer mobben“ würden (vgl. Leye 2014, S. 5). Alltägliche Konflikte werden oft fälschlich als Mobbing gedeutet, obwohl damit sogar entwicklungsförderliche Interaktionsformen einhergehen können, wie z.B. bei Tobspielen oder freundschaftlichem Necken (vgl. Wachs et al. 2016, S. 30). Der Begriff wird in vielen Fällen schon als Modewort genutzt (vgl. Hermann & Krings 2004, S. 16). Da Mobbing aber auch übersehen werden kann, besteht die Gefahr fehlender Lösungsstrategien. Liegt beispielsweise ein Fall einer offenen Aggression vor, wird darauf häufig erzieherisch reagiert. Mobbing verlangt aber nach gezieltem Konfliktmanagement, das unter dem Punkt noch erklärt wird. Wichtig ist, Mobbing von ähnlich wirkenden Phänomenen abzugrenzen, um dem teilweise inflationären Gebrauch des Begriffs entgegenzuwirken (vgl. Wachs et al. 2016, S. 31). Aufgrund der Ähnlichkeit soll im Folgenden der Begriff „Mobbing“ von „Gewalt“ und „Aggression“ abgegrenzt und auf weitere Verwechslungsgefahren hingewiesen werden.
1. Aggression vs. Mobbing
In der Psychologie gibt es mehr als 200 Definitionen für Aggression. Wachs et al. erklären Aggression wie folgt:
„ Der Konsens besteht weitestgehend darin, dass unter Aggression ein Verhalten verstanden werden kann, das beabsichtigt darauf abzielt, die eigene Person, eine andere Person oder Gruppe, ein anderes Lebewesen (z. B. Tier) oder einen Gegenstand zu zerstören oder zu schädigen. Damit einhergehend treten Emotionen (z. B. Wut) auf, zudem lassen sich bestimmte, z. B. Aggression befürwortende Einstellungen und Normen, ermitteln. Kommt es zu einer Umsetzung dieses Ziels, spricht man von aggressivem Verhalten “ (2016, S. 31).
Die zwei wesentlichen Faktoren, die darin zu erkennen sind, sind die Intention und die Schädigungsabsicht. Der Akteur handelt vorsätzlich und nimmt die Folgen seiner Attacke billigend in Kauf. Auch bei der Definition von Köck und Ott (vgl. 2002, S. 16) sind diese zwei
Aspekte vordergründig. Mobbing äußert sich oft auf ähnliche Weise, jedoch ist nicht jedes aggressive Verhalten automatisch Mobbing. Neben der Schädigungsabsicht impliziert Mobbing noch einen Wiederholungsaspekt und ein Kräfteungleichgewicht (vgl. Wachs et al. 2016, S. 32). Deshalb folgert Scheitauer: „Eine Prügelei zwischen gleichstarken K onkurrenten oder eine einmalige tätige Handlung kann nicht als Mobbing, wohl aber als aggressiver Akt gesehen werden“ (2003, S. 18).
2. Gewalt vs. Mobbing
Ähnlich wie beim Begriff „Aggression“ ist es schwierig, eine allgemeingültige Definition zu fassen, da es sich bei Gewalt um ein komplexes Phänomen handelt, das in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft auftreten kann. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt Gewalt sehr ausführlich und nimmt in die Definition sowohl intrapersonelle (also Handlungen gegen die eigene Person) als auch interpersonelle (zwischenmenschliche) Handlungen gegen Einzelne oder Gruppen auf: Gewalt ist ein
„ absichtlicher Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt“ (2003, S. 6).
Vergleichbar mit Mobbing kommt es laut dieser Definition auch bei Gewalt zu einem Machtungleichgewicht zwischen Betroffenem und Akteur, unabhängig davon, ob der Akteur physisch, psychisch oder sozial überlegen ist (vgl. Wachs et al. 2016, S. 33). Die Abgrenzung vom Mobbing kann dahingehend getätigt werden, dass bei Mobbing eine soziale Beziehung zwischen Akteur und Betroffenem vorausgesetzt wird. Auch der Wiederholungsaspekt ist für die Identifikation von Mobbingfällen ausschlaggebend. Gewalt hingegen kann zwischen unbekannten Personen und auch nur einmalig auftreten (vgl. ebd., S. 33f.).
Schließlich zeigen sich Überschneidungen zwischen den Verhaltensphänomenen Aggression und interpersonelle Gewalt, welche in der Abbildung 1 nochmals deutlich wird. Mobbing lässt sich durch besondere Eigenschaften, die über die Konzepte der Aggression und interpersoneller Gewalt hinausgehen, abgrenzen. Nichtsdestotrotz sind Mobbing und Bullying immer auch Aggressions- und Gewalthandlungen, aber nicht jede Aggressions- und Gewalthandlung ist auch Mobbing oder Bullying (vgl. Scheithauer 2003, S. 19).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Überschneidungen der Phänomene Aggression, interpersonelle Gewalt und Mobbing (nach Olweus 2006, gefunden in Wachs et al. 2016, S. 35).
3. Weitere Abgrenzungen von Mobbing
Nicht nur die Verhaltensphänomene Aggression und Gewalt bergen die Gefahr, mit Mobbing verwechselt zu werden, sondern auch das sogenannte „rough and tumble play“ (Kampf - und Tobspiele) kann auf den ersten Blick wie eine Form von Mobbing aussehen (vgl. Wachs et al. 2016, S. 36). Hierbei handelt es sich allerdings um ein sich positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirkendes Kämpfen und Herumtoben. Es findet im gegenseitigen Einvernehmen der Beteiligten statt und wird als Spiel angesehen, was Kinder, im Gegensatz zu den Erwachsenen, bereits ab einem Alter von acht Jahren sicher identifizieren können (vgl. Scheithauer et al. 2003, S. 21). In seltenen Fällen kann es jedoch auch zu Konflikten führen, wenn Grenzen einzelner Kinder unbewusst überschritten oder Handlungen falsch interpretiert werden. Mustafa Jannan, Gymnasiallehrer und pädagogischer Mitarbeiter im Regionalen Bildungsbüro Olpe, (vgl. 2010, S. 15) nimmt dabei das „Spiellächeln“ als Anhaltspunkt. Beobachtet wurde dies erstmals bei Menschenaffen, die ebenso wie Kinder, bei leicht geöffnetem Mund die Zähne, also das Spiellächeln“, zeigten. Um einen ernsthaften Konflikt würde es sich demnach handeln, wenn das Spiellächeln nicht (mehr) vorhanden ist (vgl. ebd.). Fraglich ist, ob sich Außenstehende wirklich auf dieses Merkmal verlassen sollten, da auch Alsaker (vgl. 2003, S. 21) warnt, dass Akteure diese Verhaltensweise bewusst zur Täuschung einsetzen können.
2.2. Aktuelle Zahlen und Entwicklungstendenzen
Im Folgenden wird auf die Häufigkeit des Auftretens von Mobbing an deutschen Schulen, die Abhängigkeit der Verbreitung von Mobbing von verschiedenen Schularten und aktuelle Entwicklungstendenzen des Phänomens eingegangen.
2.2.1. Häufigkeit des Auftretens von Mobbing
Um die Frage, wie häufig Mobbing an deutschen Schulen tatsächlich auftritt, konkret beantworten zu können, müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Beim Vergleich mehrerer Studien fällt auf, dass unterschiedliche Ergebnisse oft das Resultat aus verschiedenen Erhebungsinstrumenten, Erhebungszeiträumen oder Bezugszeiträumen (das letzte Schuljahr, die letzten sechs Monate etc.) sind. „Zudem muss beachtet werden, dass es sich meist um Dunkelfeldstudien handelt, die ausschließlich auf Selbstauskünften der Kinder und Jugendlichen beruhen“, so Wachs et al. (2016, S. 40). Damit ein möglichst repräsentatives Ergebnis vorgelegt werden kann, sollten die Ergebnisse mehrerer Studien gegenübergestellt und somit kritisch bewertet werden.
Laut Schäfer (vgl. 2010, S. 26) sind ungefähr 500.000 Schüler an deutschen Schulen den wöchentlichen oder sogar täglichen Schikanen ihrer Mitschüler ausgesetzt. Damit bestätigt sie Studien von Alsaker (2004, S. 60) und Schubarth (2010, S. 79), die fünf bis zehn Prozent der deutschen Schüler benennen. Pro Klasse wäre dann von ein bis zwei Gemobbten die Rede. Laut Alsaker (vgl. 2004, S. 61f.) entspricht dies dem Mittelfeld im internationalen Vergleich. Aus den Ergebnissen der HBSC-Studie 2009/10 (vgl. Journal of Health Monitoring 2017/18, S. 64) der WHO mit 4974 deutschen Schülern im Alter von elf bis 15 Jahren geht hervor, dass insgesamt rund 18% der Mädchen und Jungen am Mobbinggeschehen beteiligt sind. Um auch hier genaue Ergebnisse vorlegen zu können, wird in der Forschung die Rolleneinteilung in Opfer, Täter und Mobbing-Täter-Opfer verwendet. Demnach sind bei dieser Studie 8,4% Mobbing-Täter, 8,6% Mobbing-Opfer und 1,6% Täter-Opfer zu verzeichnen. Hochgerechnet entspricht dies 320.000 Tätern (Akteuren), 330.000 Opfern (Betroffenen) und 57.000 Schülern, die beide Seiten vertreten. Obwohl beim Vergleich mit den Ergebnissen von Schäfer (500.000 Mobbingopfern) auf den ersten Blick eine klare Differenz besteht, stimmen die hier errechneten 8,6% mit den von Schubarth (2010) und Alsaker (2004) angegebenen fünf bis zehn Prozent der Mobbingbetroffenen überein.
Hinsichtlich der Mobbinginitiierenden befindet sich Deutschland im internationalen Vergleich auf einem der vordersten Plätze. Nach Schuhbart (vgl. 2010, S. 79) beteiligen sich zwischen 20% und 30% der Schüler im Alter von 13-15 Jahren aktiv am Mobbinggeschehen.
Bei den Mobbingbetroffenen liegen deutsche Schulen um rund 3% unter dem vom OECD 2015 errechneten Mittelwert.
Diese Zahlen können jedoch immer nur als Anhaltspunkt dienen, da viele Mobbingbeteiligte aus verschiedensten Gründen, wie beispielsweise Scham oder Angst vor schlimmeren Attacken, schweigen. Deshalb muss, auch wenn die Studien durch eine genaue Vorgehensweise gekennzeichnet sind und damit hohe Qualität aufweisen, mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden (vgl. Vieregg 2006, S. 13). Folglich kann bei Mobbing nicht mehr nur von einzelnen Ausnahmen gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um ein ernstzunehmendes und weitverbreitetes Phänomen.
2.2.3. Abhängigkeit der Verbreitung von Mobbing von verschiedenen Schularten
Die Verbreitung von Mobbing ist von diversen Faktoren abhängig. So wird das es auch bei der Datenerhebung der HBSC-Studie in verschiedene Kategorien eingeteilt. Dabei spielen das Geschlecht, die Altersgruppe und die Schulform eine wichtige Rolle. Im Folgenden soll besonders auf die Variable der Schulart eingegangen werden.
Laut Scheithauer et al. (vgl. 2003, S. 84) ist Bullying an Sonder-, Haupt- und Berufsschulen am ausgeprägtesten, wohingegen die Quote an Gymnasien am geringsten ist. Vergleichbare Aussagen trifft auch Schubarth (vgl. 2010, S. 80) der das Risiko, an Förderschulen gemobbt zu werden, als doppelt so hoch einstuft, wie die Auftretenswahrscheinlichkeit an Gymnasien. Die HBSC-Studie unterscheidet hinsichtlich der Schulformen zwischen Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Mischformen (Schulen, die mehrere Bildungsabschlüsse bieten). Im Erhebungsjahr 2017/18 waren es demnach an Hauptschulen 18,8% der Schüler, die ins Mobbinggeschehen verwickelt waren. An Realschulen wurden 16,4% erfasst und an Gymnasien 9%. Schulen, an denen mehrere Bildungsabschlüsse angeboten werden, liegen mit 15,1% im Durchschnitt im Vergleich zu den anderen drei aufgeführten Schularten. Aus diesen Studienergebnissen kann also gefolgert werden, dass zwischen den Schulformen Hauptschule, Realschule und Schulen, die mehrere Bildungsabschlüsse anbieten (Mischform), kaum ein Unterschied hinsichtlich Mobbingerfahrungen bestehen (vgl. Journal of Health Monitoring, 2017/18, S. 61). Kritisch zu betrachten ist demnach die Aussage von Scheithauer (2003), dass Bullying vermehrt u.a. an Hauptschulen auftritt bzw. das Mobbing-Risiko mit steigendem akademischem Niveau der Schulformen sinkt (vgl. ebd., S. 61f.), da kein signifikanter Unterschied zu Realschulen zu verzeichnen ist, obwohl der akademische Grad an Realschulen höher ist als an Hauptschulen. Auffallend ist allerdings, dass die Lernenden an Gymnasien in allen mobbingbezogenen Rollen deutlich seltener vertreten sind als Schüler der anderen Schulformen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die HB SC-Studie Scheithauers Annahmen bezüglich der Gymnasien unterstreicht, nicht aber den markanten Unterschied zwischen Haupt- und Realschulen skizziert, obwohl auch hier eine Differenz des akademischen Grades besteht. Vor einem globalen Urteil sei jedoch gewarnt, da zahlreiche zusätzliche Aspekte wie beispielsweise die Formen von Gewalt (physisch oder psychisch), die innerschulischen Bedingungen (z.B. Klassenklima) oder die soziale Lage der Schule (z.B. „Brennpunktschule“) für ein vollständiges Bild zur Einschätzung der Lage an einer spezifischen Schule zu berücksichtigen sind. So betonen auch Wachs et al. (vgl. 2016, S. 48), d ie davor warnen, der Schulform hinsichtlich Mobbings zu viel Bedeutung zukommen zu lassen: „Das Augenmerk sollte viel stärker auf mögliche Risikofaktoren wie Gruppendynamik und Normengefüge in der jeweiligen Klasse, das Schul- und Klassenklima sowie das Vorhandensein von Anti-Mobbing-Programmen an der jeweiligen Schule gelegt werden.“
[...]
1 Für eine bessere Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit die männliche Form (Schüler, Lehrer, Täter, Opfer, ...) verwendet, die aber immer auch die weibliche impliziert.
- Arbeit zitieren
- Nina Kroll (Autor:in), 2021, Interventionsmöglichkeiten bei Mobbing in Realschulen. Ein kritischer Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1302050
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