Heute werden im Namen Machiavellis Handbücher und Abhaklisten der Macht zum alltäglichen Gebrauch für jeden daher gelaufenen Manager vertrieben. Seine Aussagen polarisieren - und das treibt die Absatzzahlen in die Höhe.
Gerade zu Beginn der Neuzeit ist Machiavelli einer der ersten, der begreift, dass die Todesstunde für ein transzendentes Weltverständnis zur Legitimierung des Machtanspruchs bereits geschlagen hat. In einer solchen Welt muss sich Macht behaupten und zwar ohne Hilfe durch eine höhere Gewalt und gegen die stets volatilen Einzelinteressen der Beteiligten. Der Fürst ist nun der Vielzahl an Perspektiven ausgesetzt und muss den Blicken des Publikums standhalten. Für diese Zwecke muss sich der Herrscher der Ästhetik der Macht bedienen. Der damit inszenierte Schein wird zur Grundlage jeder realistischen Politik.
Friedrich Nietzsche greift gute 350 Jahre später einige Aspekte des Florentiners auf und entwickelt sie in seiner Theorie vom Übermenschen weiter. Freilich: ihm geht es weniger um das Wissen um die Macht als vielmehr um den oft zitierten Willen zur Macht, der gewissermaßen als tief greifender Instinkt dem Menschen inne wohnt. Den genauen Zusammenhang erhält der Leser am Ende dieses Textes, doch zuvor widmen wir uns ausführlich dem Schein und der Ästhetik der Macht bei Machiavelli.
Inhaltsübersicht
1 Das Wissen um Macht
2 Der Begriff der politischen Macht
3 Machiavelli und seine Zeit
3.1 Machiavellis Kindheit und die Medicis
3.2 Savonarola – eine Sünde gegen die Gelegenheit
3.3 Caterina Sforza und die List einer Mutigen
3.4 Machiavelli bei Cesare Borgia, dem Meister des Verrats
4 Der Schein und die Ästhetik der Macht
4.1 Konfrontation mit anderen Philosophen
4.1.1 Thukydides und die Politik jenseits von Gut und Böse
4.1.2 Platon und die Philosophenkönige
4.1.3 Aristoteles und der Hass der Bevölkerung
4.1.4 Cicero und der Irrtum Ober die Heuchelei
4.1.5 Das Neue an Machiavellis Gedanken
4.2 Machiavellis Menschenbild
4.2.1 Die menschliche Kleingläubigkeit
4.2.2 Egoismus als Grundprinzip
4.2.3 Virtù – die FOrstentugend
4.3 Die Religion als Stütze der Zivilisation
4.4 Die Ästhetik der Macht
4.4.1 Die Bedeutung der Perspektive
4.4.2 Die Rolle der Darstellung und der Medien
4.5 Der Schein der Macht
4.5.1 Der Schein als Bindemittel zwischen Wirklichkeit und Image
4.5.2 Mehr Schein als Sein
4.5.3 Der FOrst als Täuscher und Heuchler
5 Reaktionen und Einflüsse
5.1 Machiavellismus
5.2 Eine konstruktive Auseinandersetzung mit Machiavelli
5.2.1 Botero, Bodin und Bacon
5.2.2 Thomas Hobbes und der Preis der Menschen
5.2.3 Mandeville und die Laster der Gesellschaft
5.2.4 Helvétius und die Liebe zur Macht
6 Nietzsche und der Wille zur Macht
6.1 Menschliches
6.2 Die Macht des Scheins
6.3 Der Wille zur Macht
6.4 Herrenmoral und Sklavenmoral
6.5 Vom schöpferischen Übermenschen
7 Wege jenseits von Gut und Böse
Abkürzungen und Quellenverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
1 Das Wissen um Macht
Heute werden im Namen Niccolò Machiavellis[1] Handbücher und Abhaklisten der Macht zum alltäglichen Gebrauch für jeden daher gelaufenen Manager vertrie-ben. Seine Aussagen polarisieren – und das treibt die Absatzzahlen in die Höhe. Gleichzeitig beschäftigen sich selbst Philosophen und Politikwissenschaftler häu-fig nur mit seinem »Il Principe«, dem Werk, das nachhaltig das politische Denken der nachfolgenden Generationen geprägt hat. Neben der Bibel ist es eines der meistverbreiteten Bücher der Weltliteratur (vgl. Hoeges Klappentext).
In der Geschichte der Philosophie werden Machiavellis Konzeptionen allerdings öfter kritisiert als verstanden und gerade deshalb ist es ratsam, wenn man neben den weiteren vielen Texten dieses großen Denkers der Renaissance auch einen Blick auf sein Leben als Politiker und Staatsmann wirft. Denn dort lernt er in The-orie und Praxis das Wesen moderner Macht kennen.
Gerade zu Beginn der Neuzeit ist Machiavelli einer der ersten, der begreift, dass die Todesstunde für ein transzendentes Weltverständnis zur Legitimierung des Machtanspruchs bereits geschlagen hat. In einer solchen Welt muss sich Macht behaupten und zwar ohne Hilfe durch eine höhere Gewalt und gegen die stets volatilen Einzelinteressen der Beteiligten. »Dem Blick des Publikums ausgesetzt, gerät die Macht unter die Vielzahl der Perspektiven. „Der Fürst“ muss allen alles scheinen, aber nichts mehr sein« (Hoeges Klappentext). Für diese Zwecke muss sich der Herrscher der Ästhetik der Macht bedienen. Der damit inszenierte Schein wird zur Grundlage jeder realistischen Politik.
Niccolò dient etliche Jahre lang dem Stadtstaat Florenz – seiner Republik – als jemand, der die Heimat mehr als alles andere liebt. Sein Ziel ist es, die inneren und äußeren Schwierigkeiten der italienischen Staaten zu überwinden, um sein Heimatland stabilisiert und in neuem Glanz zu sehen (vgl. Viroli Klappentext).
Dabei stößt er auf folgende Fragen: Wie ergreift man die Macht, wie erhält man sie? Wann und aus welchen Gründen verliert man sie? Wie wird aus Gewalt Macht, aus Macht Herrschaft und aus Herrschaft Staat? Er analysiert die Tropfen der menschlichen Begebenheiten, um daraus auf das Ganze der politischen Welt zu schließen. Denn das Wissen um die Macht – und nicht die Macht – ist seine bohrende Leidenschaft bis zu seinem Tod. Es bildet sein ganzes Wesen. Sie ist die Speise, die ihm allein gebührt und für die er geboren ist.
Das Entscheidende ist allerdings, dass Machiavelli einer der wenigen Philosophen ist, der die Menschen so beschreibt, wie sie wirklich sind und nicht so, wie sie sein sollten. Und damit haben viele Leser bis in die heutige Zeit hart zu kämpfen.
Friedrich Nietzsche hingegen ist gute 350 Jahre später geradezu begeistert von solchen Konzeptionen jenseits von Gut und Böse. Er greift einige Aspekte des Florentiners auf und entwickelt sie in seiner Theorie vom Übermenschen weiter. Freilich: ihm geht es weniger um das Wissen um die Macht als vielmehr um den oft zitierten Willen zur Macht, der gewissermaßen als tief greifender Instinkt dem Menschen inne wohnt. Den genauen Zusammenhang erhält der Leser im sechsten Kapitel dieses Textes, doch zuvor widmen wir uns ausführlich dem Schein und der Ästhetik der Macht bei Machiavelli.
2 Der Begriff der politischen Macht
Macht, das Vermögen, »die geistige und körperliche Fähigkeit zu etwas, das Seinkönnen, die Potenz« (Regenbogen 393).
Auf die exakte Verwendung des Machtbegriffs wird in der Umgangssprache, aber auch bei großen Denkern oft kein besonderer Wert gelegt. Machiavelli im Be-sonderen ist auch nicht sehr interessiert daran, dieses Wort, welches oft in Ver-bindung mit »Stärke«, »Autorität«, »Kraft«, »Einfluss« benutzt wird, theoretisch zu definieren. Ihm geht es mehr um die Verwendung des hinter diesem Wort Stehenden im konkreten Leben.
Trotzdem ist es für das Verständnis nötig, den Begriff der Macht in seiner ge-schichtlichen Entwicklung ein wenig genauer zu betrachten:
»Die Macht als philosophisches Problem ist eine sophistische Entdeckung« (Rit-ter 585). Dort wird bereits eine verbale Handlung in einer ungleichen Situation zwischen zwei gegnerischen Parteien als ein Akt der Macht angesehen. Auch wird bereits in dieser Zeit ein sehr wichtiger Herkunftsaspekt erkannt: »Das Ver-hältnis der Macht unter Menschen ist ... nicht als unmenschliche Ausnahmesitua-tion zu denken, sondern ist selbst in des Menschen Natur fundiert« (Ritter 586). Im Gegensatz zu Aristoteles, der die Macht in einer Theorie von Herrschaft und Knechtschaft behandelt, bei der sich die Freien »im Herrschen und Beherrscht-werden ablösen« (Ritter 586), orientiert sich das damalige christliche Verständnis am Paulusbrief: Alle bestehende Gewalt ist immer von Gott eingerichtet und so muss sich jeder dieser Macht unterordnen. Origenes erkennt daran richtigerwei-se das Problem der ungerechten Gewalt und differenziert schon ein wenig ge-nauer: Macht ist uns zum guten Gebrauch gegeben, ihr Missbrauch ist aber nicht ausgeschlossen (vgl. Ritter 587).
Bei Duns Scotus (13. Jahrhundert) wird Macht als Grundprinzip alles menschli-chen Handelns angesehen: »sie verursacht alles, was verursacht werden kann, und es gibt keine zweite letzte Ursache neben ihr« (Ritter 589). In der spanischen Spätscholastik, namentlich bei Soto, wird darin eher ein von Gott eingegebenes »Selbsterhaltungsstreben« gesehen, welches die Menschen zum Zusammenle-ben zwingt. Dieses wiederum »erfordert die Institutionalisierung von Herr-schaftsfunktionen« (Ritter 594). Freilich wird dies so interpretiert, dass Gott über das Naturrecht indirekt eine Ordnung von Machtkonzentration wolle, aber dieser Trieb nach Selbsterhaltung wird uns noch öfters begegnen und ist deshalb nicht zu vernachlässigen.
3 Machiavelli und seine Zeit
Während seiner langjährigen Amtszeit als Sekretär, Berater und Botschafter im Dienste von Florenz lernt Machiavelli viele einflussreiche Persönlichkeiten Euro-pas, aber auch das normale Volk kennen. In dieser Zeit entstehen in seinem Kopf die Gedanken, die er in seinen späteren philosophischen Werken niederschrei-ben wird.
3.1 Machiavellis Kindheit und die Medicis
Cosimo di Medici wird nach einer langen, wechselvollen politischen Laufbahn 1434 der Herrscher von Florenz. Sein Geschäftssinn kommt nicht nur seinem Fa-milienclan sondern der ganzen Republik zugute. Neben einer starken Förderung von Künstlern und Gelehrten gelingt es ihm durch seine politische Zähigkeit und seine Kombinationsfähigkeit über die Ängste und Sehnsüchte der Bürger und ü-ber die Macht des Geldes einen stabilen »Stato« aufzubauen. Dazu gehört auch die Einbeziehung der Bildung.
Die Medicis bedienen hier Notwendigkeiten, denn die Liebe zur Freiheit und »der Trieb zur Bildung gehören zu dieser Republik« (Marcu 17) wie die Produktion von Geld und von neuen Bedürfnissen für die Handelspartner. Cosimo lässt den Bür-gern aber nur »den Schein der Freiheit, ... der Mitbestimmung, ... der Gleichheit ... [und so hat er den] ... Schein als bequemes Mittel der Herrschaft erfunden« (Marcu 15).
Diese von Cosimo ermöglichte verschwenderische Blüte des Wohlstandes findet ihren Höhepunkt zu Zeiten Lorenzos (di Medici). Alles, was in Florenz philoso-phiert, dichtet und malt ist um »den Prächtigen« versammelt. Dabei proklamiert sich Lorenzo immer als Freund des kleinen Mannes und er lässt »den Bürgern so-gar das Vergnügen der Wahl und die noch größere Freude, gewählt zu werden« (Marcu 36). Aber die durch die Urne Erkorenen sind seine Leute und so errichtet er letztlich ein in sich geschlossenes System der Beeinflussung.
Zu diesem Apparat gehört auch ein beamtetes Personal, darunter: Bernardo Ma-chiavelli. Auch für ihn gilt Bildung als soziale Ehre und so ist es nicht verwunder- lich, dass sein Sohn Niccolò eine gründliche Ausbildung in den studia humanitas erhält. »Was ihm die Bücher nicht vermitteln, lernt er auf Strassen und Plätzen« (Viroli 21). Schnell lernt er, dass die Menschen die gleichen Leidenschaften ha-ben und so wird die Geschichte zur Lehrmeisterin seines Handelns.
3.2 Savonarola – eine Sünde gegen die Gelegenheit
Wir befinden uns nun in einem Europa, das sich verändert. Florenz wird von Weltereignissen gesprengt. Fremde Notwendigkeiten verbinden sich mit toskani-schen Angelegenheiten: Die Kraft der französischen Monarchie erstreckt sich ü-ber ganz Italien. Piero Medici, der Sohn Lorenzos, weigert sich, dem Feldzug Karls Vorschub zu leisten. Andere Fraktionen sind für die Franzosen. Nur ein Mann, der Dominikaner-Mönch Girolamo Savonarola, überblickt die Ereignisse: »Er ist der Einzige, der ... die Wirklichkeit, die schon morgen beginnen wird, erkennt« (Mar-cu 50f). Für den Prediger ist die erwartete Katastrophe unentrinnbar. Er erhebt die toskanische Republik zum moralischen Prinzip und ruft sie zur Weltempörung auf. Seine Kanzel soll der Berg der Erneuerung sein.
»Savonarola bleibt die einzige Überraschung in Machiavellis Leben« (Marcu 53). Dieser Mönch vermag es, die Menschen ohne Gewalttaten, ohne ein Tyrann zu sein, mit Angst betrunken zu machen. »Seine Macht über Florenz ist eine Macht des Wortes« (Hoeges 148). Diese Epoche ist noch immer stark von Furcht und Todesängsten geprägt und so weiß Savonarola, wie man dem schlechten Gewis-sen einer eigentlich lebenslustigen Stadtbevölkerung zusetzen kann. Da er nicht auf Waffen oder Militär zurückgreifen kann, spielt er das Wesen des Christen-tums gegen den Schein aus. Kunstwerke und Luxus aller Art werden zu einer »In-szenierung urbaner Bußspektakel« zusammen getragen: »Die Scheiterhaufen der Kultur brennen ... Mit den Eitelkeiten brennen auch die Medici und ihre Macht-kultur« (Hoeges 149).
Am Ende wird der Mönch selbst zum Opfer. Zu sehr vertraut er auf die gläubige Masse. Er nutzt die Gelegenheit nicht aus, sich zu bewaffnen. »Er hatte kein Mit-tel, sich seiner Gläubigen zu versichern, und keines, die Ungläubigen zum Glau-ben zu zwingen« (P 36). Die Bürger sind seiner überdrüssig, seine Gegner zu mächtig. Machiavelli sieht in ihm nun »eine einzige große Sünde gegen die Gele-genheit« (Marcu 55). Der Prediger erkennt nicht, dass das Glück wechselt und seine Worte des Terrors nützen letzten Endes nur seinen Gegnern. »Er kann be-schwören, aber nicht befehlen, erflehen, aber nicht erzwingen« (Marcu 67).
3.3 Caterina Sforza und die List einer Mutigen
Ab dem Jahre 1498 ist Machiavelli dann im Dienste der Republik und bereits ein Jahr später beginnt seine diplomatische Laufbahn, welche ihn zum Gesprächs-partner von Herrschern, Fürsten, Kardinälen, aber auch von Bürgern macht. Eine dieser Personen ist Catharina Sforza – die Herrin von Imola und Forli. Freilich stellt Niccolò als Neuling in diesem Geschäft sehr schnell fest, dass er dieser sehr attraktiven Frau in der Macht der Rhetorik weit unterlegen ist. Ihre Wortge-wandtheit bringt ihn völlig aus der Fassung und so ist es wahrscheinlich das letzte Mal, dass wir Machiavelli wutentbrannt, verärgert, nicht als Herr seiner Lage, se-hen: »Seither sage ich nie mehr, was ich glaube, und glaube nie mehr, was ich sage, und wenn mir doch einmal ein wahres Wort entschlüpft, verstecke ich es gleich hinter so vielen Lügen, dass es nicht wieder zu finden ist« (Viroli 266). Täu-schung und Verstellung sind zu seinen besten Waffen geworden und nicht zu letzt durch die Erfahrungen bei Caterina. Sie durchschaut den Schein der Macht. Trotz dem relativ geringen Erfolg für Florenz ist es ein Zuwachs für den Verfasser des »Il Principe«: Machiavelli nennt es das »Abtasten der Wirklichkeit« (Marcu 87).
Auch ein weiteres Ereignis lässt Machiavelli zu einem Bewunderer dieser Frau werden: Während einer Rebellion gegen Caterina lässt sie als Geisel ihre eigenen Kinder zurück und trommelt ihre entmutigten Anhänger zusammen. Nun wird ihr der Tod der Kinder angedroht, worauf sie nur sagt, sie könnte weitere Kinder ge-bären. Letztendlich werden die Kinder nicht getötet und sie bleibt die Herrsche-rin ihrer Gebiete. Machiavelli lernt daran, wie die List einer Mutigen – immer be-reit, alles aufs Spiel zu setzen – eine feindliche Armee mit Ohmacht schlägt. Sie ist ein Beispiel dafür, wie man eine Herrschaft trotz aller Widrigkeit der Umstän-de zu erfüllen mag.
3.4 Machiavelli bei Cesare Borgia, dem Meister des Verrats
Im Jahre 1501 wird Cesare Borgia von seinem Vater, Papst Alexander VI., zum Herzog der Romagna ernannt. Um diesem Titel gerecht zu werden, führt er eine Reihe von erfolgreichen Feldzügen durch. Der Herzog verlangt ein formales Bündnis mit Florenz und im Rahmen dieser delikaten Angelegenheit wird Machi-avelli zu ihm nach Imola geschickt. »Diese Gesandtschaft bezeichnet den Beginn der für Machiavellis diplomatische Laufbahn wichtigsten Periode, in der er die Rolle spielen kann, die ihm am meisten liegt: die eines direkten Beobachters und Ratgebers der zeitgenössischen Staatskunst« (Skinner 24).
Cesare ist frei von Lastern, frei von Vergnügungssucht. Alles was er tut ist bis ins Detail berechnet und durchdacht. Keine menschliche Schwäche scheint sein Ziel – die Macht – zu mäßigen. »Die List, die Heuchelei, die Grausamkeit, die Großzü-gigkeit hat er fest in seiner Hand. Wenn Alexander ein sehr großer Verräter ist, so ist sein Sohn ein Zauberer des Verrats« (Marcu 103f). Hat er ein Gebiet erobert, dann ist er erst dann zufrieden, wenn sein Vorgänger unter der Erde ist. »Für je-de Stadt, für jeden Tyrannen hat Cesare einen anderen Weg der Überlistung« (Marcu 104). Freilich, Caterina und Machiavelli kann er nicht so leicht überlisten. Ihnen fehlt die Angst, welche dem Verräter auch das letzte Tor einer Festung öff-net.
Borgia ist außerdem ein Meister der politischen Inszenierung: So sorgt er zum Beispiel für die Ermordung einer seiner engsten Vertrauten, der dann eines Tages in zwei Teile zerhackt auf dem Marktplatz gefunden wird. Gleichzeitig richtet er alles so ein, dass für die Bevölkerung keinerlei Anlass besteht, ihn damit in Zu-sammenhang zu bringen. Mehr noch: »Da er wusste, dass die vergangenen Grau-samkeiten ziemlichen Hass erzeugt hatten, und um die Einwohner zu versöhnen und sie ganz für sich zu gewinnen, wollte er zeigen, dass etwaige Grausamkeiten nicht von ihm, sondern von dem teuflischen Minister ausgegangen waren« (P 40). Bei solchen Taten kommt es Borgia nicht auf das Urteil Gottes oder der Men-schen an, weiß er doch, dass dem Sieger immer verziehen wird.
Zu dieser Zeit ist Cesare für Machiavelli nicht nur ein Meister in der Kunst der Verstellung und des Scheins, »sondern er sieht in ihm auch jemanden, der eine Gelegenheit abwarten und sie zum eigenen Nutzen ergreifen kann, wenn es sich bietet. Dadurch erscheint er vorübergehend als einer der seltenen Meister der „occasione“[2] « (Hoeges 97). Für alle wichtigen Fragen im politischen Bereich, die für Machiavelli ein Leben lang von Bedeutung sein werden, entwickelt er im Ge-spräch und in der Beobachtung bei diesem Herzog ein einprägendes Gespür. »In seinem Kopf formen sich jetzt die Kapitel seines Buches« (Marcu 110). Die Logik Cesares und Machiavellis ist dieselbe.
Der größte Verrat, den Machiavelli jemals sehen wird – der so genannte »schöne Verrat« – erfüllt ihn mit Bewunderung: Cesare schließt einen Friedensvertrag mit Rebellen und einige Zeit später lockt er sie alle an einen Ort, wo sie kurzer Hand ermordet werden. »Und nicht nur der Geist, sondern auch die Technik dieser zielklaren Falschheit, ihre Gewandtheit, ihre Eleganz« (Marcu 123) begeistern den anwesenden Machiavelli.
Freilich erkennt der Gesandte aus Florenz recht schnell, dass die Erfolge des Her-zogs nur auf Fortuna[3] gegründet sind. Seine aufkommenden Zweifel kristallisie-ren sich zu der Überzeugung, dass sich dessen Fähigkeiten wohl beschränkter als erhofft entwickeln, als dieser die Kandidatur des Kardinals Rovere für den Stuhl Petris unterstützt. Machiavelli sieht darin einen Mangel an Voraussicht, denn Ro-vere musste unter Alexander VI. zehn Jahre lang im Exil leben und wird folglich auch einen gewissen Hass und Groll gegen Cesare hegen: »Nur sein Verhalten bei der Wahl Julius II. zum Papst kann man ihm zum Vorwurf machen« (P 42). Borgia jedoch vertraut weiter auf seine Glückssträhne und so bemerkt Machiavelli, »dass dieser Herzog allmählich seinem Grabe zugleitet« (Skinner 26ff) und »da-durch selbst schuld an seinem Untergang« (P 43) ist. Es ist also ein Dauerirrtum, dass Borgia das allumfassende Vorbild für Machiavellis »Il Principe« ist (vgl. Hoeges 173f). Dennoch hat Machiavelli in dieser Zeit wie nie zuvor oder danach seine Hand auf das klopfende Herz der Macht gelegt.
4 Der Schein und die Ästhetik der Macht
Nun ist es an der Zeit, die Gedanken Machiavellis, die sich im Laufe seiner Lehr-jahre in der politischen Praxis entwickelt haben, auf seine philosophischen und staatstheoretischen Konzeptionen zu übertragen. Mit dieser Berufserfahrung im Gepäck kann er selbstbewusst zu den Lehrmeistern der damaligen Zeit Stellung beziehen. Wir werden anschließend in diesem Kapitel sehen, dass gerade auch sein Menschenbild einen entscheidenden Einfluss auf seine Ästhetik und Insze-nierung der Macht haben wird.
4.1 Konfrontation mit anderen Philosophen
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Niccolò bereits in seiner Kindheit mit griechi-scher und römischer Literatur in Verbindung gekommen. Bücher gehören zu Ma-chiavellis Repertoire und Selbstdarstellung. Seine Argumentationstechnik lässt erkennen, dass er durch Ausbildung und Beruf eine auf Aristoteles, Cicero und anderen Texten gegründete Schulung erfahren haben muss. Sein Bezug zur Anti-ke ist pragmatisch: Sein Ausgangspunkt und sein Adressat ist immer die eigene Zeit. »Machiavellis Humanismus ist gegenwartszentriert« (Hoeges 128f). Im Flo-renz des Quattrocento sind die »Ethik« Aristoteles´ und »De officiis« Ciceros ak-tuell wie früher, wenn nicht sogar brennender. Das Verhältnis und die Einheit von Politik und Moral ist das Thema des einen wie des anderen und diese The-men werden auch im »Discorsi« und im »Fürsten« diskutiert.
4.1.1 Thukydides und die Politik jenseits von Gut und Böse
Der Begründer der politischen Geschichtsschreibung Thukydides[4] versucht mit strenger Objektivität zwischen äußeren Anlässen und tieferen Ursachen ge-schichtlicher Ereignisse zu unterscheiden und ist damit ganz nahe bei Machiavel-lis Auffassungen. Tiefere Ursachen sieht Thukydides in der Natur des Menschen: Diese »hat zwei Urtriebe, das Streben nach Freiheit und nach Herrschaft« (Fenske 50). Beide bestimmen zwanghaft das menschliche Handeln und so lässt
[...]
[1] 1469 bis 1527. Eine ausführliche Biografie findet man beispielsweise auf niccolo-machiavelli.de (vgl. Web-Machia).
[2] Gelegenheit
[3] Göttin des Schicksalsschlags, des Glücksfalls, der überraschenden Gunst und des unverdienten Leids. Laut Machiavelli bestimmt sie zur Hälfte die irdischen Dinge und zum Beispiel durch Tu-gendhaftigkeit kann man sich ihr widersetzen (vgl. P Kapitel 25).
[4] um 400 vor Christus
- Quote paper
- Robert Bauer (Author), 2009, Der Schein und die Ästhetik der Macht bei Machiavelli und Nietzsche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129678
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