Im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald liegen Briefe, die ein Häftling, Heinrich Adam, im Zeitraum vom 12. Juli 1936 bis zum 5. Dezember 1937 in den Konzentrationslagern von Bad Sulza, Lichtenburg und Buchenwald verfasst hat. Diese Briefe weisen nicht nur ein einzigartiges Codesystem auf, sondern enthalten auch manche Passagen, die auf den ersten Blick als literarisch bezeichnet werden könnten.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kurze Einführung
Historischer Hintergrund
KZ-Post
Analyse der Briefe in formaler Hinsicht
Analyse der Botschaften
Analyse der zur Vermittlung der Botschaften dienenden Brieftexte
Schlussfolgerung
Liste der Abbildungen und der Tabellen
Bibliographie
Anlage: Transkription der Briefe
Vorwort
Bedanken möchte ich mich bei Frau Sabine Stein vom Archiv und bei Frau Rosmarie Hofmann von der Bibliothek der Gedenkstätte Buchenwald. Ohne ihre Sachkompetenz, ihre Hilfestellung und ihre konkrete Hilfe hätte ich die vorliegende Studie nicht realisieren können. In diesen Dank möchte ich auch Frau Ursula Härtl, ehemalige Mitarbeiterin an der Gedenkstätte Buchenwald, Frau Marion Tardy-Riechers und Herrn Jochen Sowade, ehemalige Lehrer am Goethe-Institut Brüssel, für ihre wertvolle Unterstützung, ihre Hilfe bei der Transkription der Briefe und für ihre freundliche Durchsicht der Probedrucke einbeziehen.
Der vorliegende Beitrag ist die gründliche Überarbeitung des Buches „Die verschlüsselten Briefe des Häftlings Heinrich Adam. Geheime Botschaften aus dem KZ Buchenwald“, Norderstedt 2008. Er wirft ein neues Licht auf die literarischen oder pseudoliterarischen Stellen der Korrespondenz dieses KZlers.
In den Zitaten wurden die ursprüngliche Schreibweise und die damalige Zeichensetzung originalgetreu beibehalten. Für die Reproduktion der bebilderten Karten und Briefe sowie für die Reproduktion von Wörtern, Buchstaben und Schriftzeichen aus Briefen des KZ-Gefangenen Heinrich Adam wurden die erforderlichen Genehmigungen des Archivs der Gedenkstätte Buchenwald eingeholt.
Die verschlüsselte Korrespondenz des KZ-Häftlings Heinrich Adam im neuen Licht
Kurze Einführung
Im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald liegt eine Kuriosität, die erstaunlicherweise bis heute noch nicht die Aufmerksamkeit eines Historikers oder Philologen gefunden hat. Die verschiedenen Briefe, die der Häftling Heinrich Adam im Zeitraum vom 12. Juli 1936 bis zum 5. Dezember 1937 in den Konzentrationslagern von Bad Sulza, Lichtenburg und Buchenwald verfasst hat und die seit 1971 im Archiv der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen,1 wurden nie erforscht, weder auf ihre Form noch auf ihren Inhalt hin.2 Dennoch ergibt sich aus der Forschung der illegalen Briefe in den NS-Konzentrationslagern,3 dass diese Briefe nicht nur ein einzigartiges Codesystem aufweisen, sondern auch manche Passagen enthalten, die auf den ersten Blick als literarisch bezeichnet werden könnten. Auf jeden Fall erregte das Thema das Interesse des Fördervereins Buchenwald e. V., der beschloss, im Oktober 2006 in der Tourist-Information Weimar einen Vortrag mit Lesung über dieses Thema zu veranstalten. Auch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin wurde auf Einladung des Vereins „Gegen Vergessen. Für Demokratie“ am 28. September 2007 über dieses Thema referiert.4
Historischer Hintergrund
Der Feinmechaniker Heinrich Adam, Jahrgang 1908,5 wohnhaft in Jena, wird nach seinem Beitritt zur KPD(O) (Kommunistische Partei Deutschlands-Opposition) im Jahre 1931 aktives Mitglied einer illegalen Widerstandsgruppe, die aus dem sogenannten Touristenverein „Die Naturfreunde“ in Jena hervorgegangen war.6 Er trifft sich heimlich mit anderen Mitgliedern in den Wäldern Jenas, lernt mit Waffen umzugehen, hält mit seinem Bruder Kurt im elterlichen Haus Sympathisanten versteckt und nimmt Kontakt zu ausgewanderten Widerständlern in Basel und in Straßburg auf. Er leitet in Jena-Süd eine neu organisierte Fünfergruppe, leiht und verleiht verbotene Bücher, schreibt und verteilt kommunistische Schriften und „Aufrufe an die Bevölkerung über die Gefahr des Faschismus und seine Folgen.“7 Nach einer ersten Verhaftung am 28. Mai 1933 wird er am 3. Dezember 1933 zum zweiten Mal verhaftet und am 30. April 1935 vom Oberlandesgericht Jena wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Nach sechs Monaten Untersuchungshaft wird er aber am 1. Juni 1935 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Er verliert jedoch seinen Arbeitsplatz in der Firma Carl Zeiß in Jena. Im September 1935 wird er zum dritten Mal verhaftet und muss drei Monate in der Untersuchungshaft im Gestapo-Gefängnis Weimar verbüßen. Ab Dezember 1935 ist er im KZ Bad Sulza,8 ab dem 9. Juli 1937 im KZ Lichtenburg9 und schließlich vom 31. Juli.1937 bis zum 10. Dezember 1937, also fünf Monate lang, im KZ Buchenwald inhaftiert, zuerst in Block 8, dann in Block 20. Gleich zu Anfang seiner Verhöre im KZ Bad Sulza wendet er ein sogenanntes „System von geheimen Durchsagen“10 an, das er mit Elfriede Stehling, einer Mitkämpferin und zugleich auch seiner Braut, abgesprochen hat, um sie und die anderen Mitglieder seiner Widerstandsgruppe zu warnen oder sie über seine Situation zu informieren.11
Die beiden Gesuche von Elfriede Stehling zur Entlassung aus der „Schutzhaft“ werden sowohl am 16. April 1936 als auch am 20. Mai.1936 abgelehnt.12 Im KZ Buchenwald wird Heinrich Adam einem sogenannten Holzfäller-Ausschachtungskommando zugeteilt, vielleicht ähnlich dieser Gruppe, die etwas früher, am 15. Juli 1937, bei ihrer Ankunft fotografiert wurde:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ankunft einer Gruppe von Häftlingen im KZ Buchenwald (15. Juli 1937)
Manche interessanten Details über das KZ Bad Sulza, den Zustand des Lagers, die Haftverhältnisse, das Strafsystem, die Formen des organisierten Widerstandes usw. liefert Heinrich Adam in seinen Erinnerungen.13 Beim Gedanken an das KZ Lichtenburg fallen ihm 40 Jahre später noch „die Hitze und die stickige Luft“ ein.14 In seiner Autobiographie beschreibt er seinen Abtransport auf den Ettersberg und seine Arbeit in Buchenwald:
„Meine Arbeit dabei war in der Hauptsache, die mächtigen Buchen und Eichen zu fällen. Auf unseren Schultern mussten wir die tonnenschweren Stämme aus dem Walde zu Plätzen tragen, von denen sie abgefahren werden konnten.“15
Er erzählt auch auf eine besonders erschütternde Weise den „Verlauf eines besonderen, denkwürdigen Tages.“16 Wegen zwei fehlender Häftlinge müssen die Gefangenen eine ganze Nacht lang beim Zählappell stehen; einer der Häftlinge, der sich im Lager versteckt hatte und schnell gefunden wurde, sowie zwei andere politische Häftlinge werden zum Suchen eingesetzt, einige Minuten danach aber angeblich „auf der Flucht erschossen.“ Der noch fehlende Flüchtling wird schließlich am nächsten Morgen „als leblose, blutdurchtränkte Masse vor den ´Pferdestall` geworfen und zur Abschreckung müssen alle Lagerinsassen an ihm vorbeimarschieren.“17
Im KZ Buchenwald fällt Heinrich Adam weder durch besondere Strafen noch durch illegale Aktivitäten auf. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Buchenwald am 10. Dezember 1937 (siehe Abbildung 2) arbeitet Heinrich Adam als Mechaniker in der Firma Alfred Schütze Apparatebau in Jena.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entlassungsschein Heinrich Adams aus dem KZ Buchenwald (10. Dezember 1937)
Im Mai 1940 wird er zum Militärdienst als Pferdepfleger in einer Veterinärkompanie einberufen und muss an der russischen Ostfront dienen. Im Mai 1944 wird er in eine Firma in Berlin-Spandau abkommandiert und verteilt in seiner Freizeit antinazistische Flugblätter in der Nähe von Fabriken und Mietskasernen. Ende Mai 1945 kehrt er nach Jena zurück und nimmt seine Arbeit in der Firma Carl Zeiß in Jena wieder auf. Er tritt der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands), dem FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) und der DSF (Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) bei. Ab 1953 studiert er und wird Fachlehrer für Mathematik. Er übt Gewerkschaftsfunktionen aus, arbeitet als Funktionär in mehreren Handelseinrichtungen, wird zum Parteisekretär einer Oberschule gewählt.1974 wird er Mitglied der Leitung des Kreiskomitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer Jena, dann Vorsitzender der Geschichtskommission im Kreiskomitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer Jena und Betreuer einer Jenaer Gruppe VdN18 - Kameraden. Er stirbt am 4. August 1997 in Jena.
Die Briefe, die im Besitz des Archivs der Gedenkstätte Buchenwald sind, wurden alle an „Fräulein Elfriede Stehling“, seine Braut geschrieben, die in Jena wohnte, ebenfalls in einer illegalen kommunistischen Gruppe tätig war und die er nach seiner Entlassung aus dem KZ 1938 heiratete. Heinrich Adam und Elfriede Stehling hatten eine Tochter, Gisela Adam, die als Professorin in Jena unterrichtete. Die Empfängerin der Briefe, Elfriede Stehling, starb am 12. Dezember 2004, sieben Jahre nach dem Tod ihres Mannes Heinrich Adam. Laut der Tochter von Heinrich Adam, die kontaktiert wurde, befinden sich keine weiteren Briefe im Besitz der Familie.
KZ-Post
KZ-Häftlinge, zumindest diejenigen, die die Erlaubnis hatten, Post zu empfangen und zu schreiben,19 durften nur zweimal im Monat Briefe schreiben und empfangen. Dies erklärt, warum Elfriede Stehling in dem Zeitraum vom 12. Juli 1936 bis zum 5. Dezember 1937 nur insgesamt 10 Briefe von ihrem künftigen Mann erhielt. Lange Zeit (ca. von Januar 1937 bis Mai 1937) wurde Heinrich Adam infolge seiner Weigerung, „Namen zu geben“ die Besuchserlaubnis verweigert. Über dieses Verbot durfte er nicht brieflich berichten. Möglicherweise hatte er auch Sendeverbot,20 oder aber er verzichtete aus Sicherheitsgründen darauf, in diesem Zeitraum seiner Verlobten Korrespondenz zu schicken. In seinem Brief vom 1. Mai 1937 erklärt er Elfriede seine Funkstille durch ein „Versäumnis“ von sich und durch vage „immer nur irgend welche zuwiderlaufende äussere Umstände.“21 Das Ausbleiben der Korrespondenz und dessen Folgen auf Elfriedes Gemütszustand werden in zwei Briefen (Briefe vom 1. Mai 1937 und vom 7. November 1937) ausführlich thematisiert (siehe unten).
Die KZ-Häftlinge durften ihre Texte nur auf maximal vier vorgedruckten linierten Seiten schreiben. Außerdem wurden die Briefe von einer Zensurstelle streng geprüft. Wenn sie nicht durch die Zensur kamen, wurden die Briefe einfach einbehalten und vernichtet, ohne dass der Absender davon erfuhr; beanstandete Passagen wurden geschwärzt oder gar herausgeschnitten, durch Streichungen unkenntlich oder zumindest kaum lesbar gemacht,22 wie auf dieser Postkarte von Heinrich Adam vom 22. Januar 1936 aus dem KZ Bad Sulza:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Postkarte vom 22. Januar 1936 aus dem KZ Bad Sulza
Diese Karte war nicht verschlüsselt. Heinrich Adam schickte sie an Elfriede, um ihr mitzuteilen, dass er am 26. Januar 1936 die Erlaubnis bekommen habe, Besuch zu erhalten. Der weitere Wortlaut kann nicht entziffert werden.
Analyse der Briefe in formaler Hinsicht
Wenn man die im Ordner „Heinrich Adam“ gesammelten Briefe23 chronologisch und nach dem Herkunftsort, je nach der Schreibart (entweder „Frakturschrift“ oder „lateinische Schreibschrift“) und nach der Kodierung klassifiziert, dann ergibt sich die folgende Übersichtstabelle:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung (Tabelle) 4: Gesamtübersicht der Briefe bzw. Postkarten nach Datum, Herkunft, Schriftart, besonderen Kennzeichen und Verschlüsselung
Das Verzeichnis dieser Briefe und Postkarten lässt erkennen, dass sie in dem Zeitraum vom 12. Juli 1936 bis zum 5. Dezember 1937 geschrieben wurden, dass sechs von elf Schreiben aus dem KZ Sulza, eins aus dem KZ Lichtenburg und vier aus dem KZ Buchenwald stammen und dass alle Briefe bzw. Postkarten bis auf drei verschlüsselt sind. Außerdem lässt sich feststellen, dass Heinrich Adam anfangs abwechselnd die Frakturschrift und die lateinische Schreibschrift, dann ausschließlich die deutsche Schrift benutzte. Da die Briefe in einer Zeit geschrieben wurden, als die Fraktur von den Nazis noch nicht verpönt war,24 dürfte diese Wendung kaum eine politische Bedeutung haben. Es ist anzunehmen, dass es Heinrich Adam leichter fiel, in der gewohnten Schrift, die er in der Schule gelernt hatte, zu schreiben. Die Frakturschrift war ihm geläufiger.
Die Briefe aus dem KZ Bad Sulza tragen den Stempel „Konzentrationslager Bad Sulza“; das Schreiben aus dem KZ Lichtenburg führt den Vermerk „K.L.L.“ (d. h. Konzentrationslager Lichtenburg) und wurde von der dortigen Prüfstelle geprüft, da es mit dem Stempel „geprüft“ versehen ist. Die Korrespondenz aus dem KZ Buchenwald trägt den Stempel des Postprüfers 6 (Brief vom 29. August 1937), das Zeichen der Poststelle K.L.B. (Brief vom 7. November 1937), eine unleserliche Unterschrift (Brief vom 4. August 1937) oder weist gar keine Eintragung auf (Brief vom 5. Dezember 1937). Auf der Vorderseite wurde der Name „Ettersberg“ in „Konzentrationslager Ettersberg Post Weimar/ Thür.“ durchgestrichen25 (Postkarte vom 4. August 1937 und Brief vom 29. August 1937) und mit dem geschriebenen und/oder gestempelten Vermerk „Buchenwald“ ersetzt.26
Dass sich Heinrich Adam und Elfriede Stehling eines ausgeklügelten Systems bedient haben, um sich Botschaften zu übermitteln, wird erst klar, wenn man die verschlüsselten Briefe des Häftlings Adam genau betrachtet und dabei die roten Punkte und die Unterstreichungen, die natürlich später von der Briefempfängerin unter gewissen Wörtern angebracht wurden, außer Acht lässt. Hier ist der Anfang eines Briefes vom 15. Mai 1937:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Bild eines verschlüsselten Briefes
Zum Vergleich der Beginn des Briefes vom 1. Januar 1937, der unverschlüsselt ist:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Bild eines unverschlüsselten Briefes
Auch beim genaueren Betrachten lassen sich nur schwer Unterschiede zwischen beiden Briefen feststellen. Für Elfriede war aber der erste Anhaltspunkt das Datum, genauer gesagt der Punkt nach dem Datum. Fehlte dieser, dann hieß es, dass der Brief keine versteckte Botschaft enthielt. Tatsächlich steht beim unverschlüsselten Brief vom 1. Januar 1937 die Datumsangabe ohne Punkt da. Auch der Brief vom 5. Dezember 1937 war nicht verklausuliert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Datumsangabe ohne Punkt
In seinem Brief vom 15. Mai aber weist Heinrich Adam seine Freundin Elfriede ganz deutlich auf das Vorhandensein einer geheimen Botschaft hin:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Datumsangabe mit Punkt
Selbstverständlich hatten sich Heinrich Adam und Elfriede Stehling vorher verständigt, wie der Text verschlüsselt werden sollte und wie man ihn entschlüsseln konnte. In den Anlagen zu der Abschlussarbeit der Weimarer Studentin Beate Peters27 erzählt der ehemalige Gefangene, wie ihm und Elfriede die Idee zu diesem Code gekommen war. Während seiner sechsmonatigen Untersuchungshaft in Weimar vereinbarte er „in Eile“ mit seiner Braut „eine Methode, wie man in gewöhnliche Schreiben aus der Haft, die ja immer durch die Zensur gehen würden, eine geheime Durchsage28 einarbeiten könne“. Es heißt weiter: „Es ging dabei um ganz geringe Veränderungen von einzelnen Buchstaben und Wörtern. Dieses Verändern hatte sich jeder von uns beiden fest einzuprägen, um im gegebenen Falle die so gekennzeichneten Buchstaben und Wörter aus einem Schreiben herauszufinden.“29
Rückblickend stellt Heinrich Adam fest, dass „sich die Anwendung dieses […] vereinbarten Systems später in Schreiben aus dem Konzentrationslager von großem Nutzen erweisen sollte“,30 denn „Elfriede Stehling verwendete diese illegalen Mitteilungen, um gefährdete Genossen zu warnen, bzw. zur Verbreitung der Wahrheit über die Zustände in den Konzentrationslagern, den gegebenen Umständen entsprechend.“31
Dass die Übermittlung von geheimen Schriften aus dem Konzentrationslager mit der Hinrichtung durch Erhängen bestraft wurde, dürfte dem Häftling bekannt gewesen sein. Jedes Mal, wenn er verschlüsselte Briefe an seine Verlobte Elfriede schickte, setzte sich also der Lagerinsasse Heinrich Adam einer großen Gefahr aus. So musste das Codesystem, das er mit seiner Freundin vereinbart hatte, besonders raffiniert und effizient sein, damit es nicht von der Zensurstelle aufgedeckt wurde. Zum Glück hat uns Heinrich Adam zusammen mit weiteren Unterlagen zu seiner Biografie auch den Codeschlüssel übergeben, der es ermöglicht, das Codesystem zu verstehen. Dieser lautet:
„Schlüssel zur Entzifferung eines Geheimtextes, der in ein gewöhnliches Schreiben eingearbeitet wurde.
Jahreszahl ohne Punkt bedeutet: Gewöhnliches Schreiben – ohne Durchsage32 einer verborgenen Nachricht.
Jahreszahl mit Punkt bedeutet: Achtung! Im Schreiben ist eine verborgene Nachricht enthalten.
Vollständiger Aufstrich fehlt hinter einem Buchstaben bedeutet: Sämtliche davor zusammenhängenden Buchstaben auswählen.
Irgendein Buchstabe besitzt keinen Aufstrich bedeutet: Den darauffolgenden Buchstaben auswählen.
Irgendein Buchstabe besitzt keinen vollständigen Aufstrich bedeutet: Diesen Buchstaben selbst auswählen.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Codeschlüssel
Wenn er wollte, dass die Empfängerin (Elfriede) auf bestimmte Buchstaben achtet, dann veränderte er die Aufstriche dieser Buchstaben, also die Striche der Buchstaben, die nach oben gehen: Entweder fehlte der Aufstrich hinten, also „hinter dem Buchstaben“, rechts und dann mussten alle davor zusammenhängenden Buchstaben gelesen werden, wie bei den folgenden Beispielen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Wörter, die keinen Aufstrich hinten aufweisen
Im Wort „kommen“ fehlte der Aufstrich des „n“ hinten, also musste das ganze Wort „kommen“ gelesen werden. Bei „Möglichkeit“ fehlte der Aufstrich des „h“ rechts, im Wort „Aufklärung“ der Aufstrich des „f“ und im Wort „sein“ der Aufstrich des „n“ am Ende. Bei den nächsten Beispielen haben wir mit zwei Formen des Wortes „einer“ zu tun, jeweils in der Fraktur (Sütterlin-Schrift) geschrieben. Das erste Wort „einer“ wurde von Elfriede unterstrichen, weil das „r“ am Ende keinen Aufstrich hatte; in der zweiten Form von „einer“ wies das „r“ dagegen einen Aufstrich auf.
Eine zweite Kategorie bilden die Buchstaben, die vorn, vor dem Buchstaben, links also, keinen Aufstrich aufweisen. In diesem Fall muss der darauf folgende Buchstabe markiert werden.
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Abbildung 11: Wörter, die keinen Aufstrich vorn aufweisen
Im ersten Wort „nehmen“ fehlt der Aufstrich bei dem „e“ und zwar vorn, am Anfang, so hat Elfriede den folgenden Buchstaben, das „h“ unterstrichen. Im nächsten Wort „dort“ fehlt der Aufstrich beim Buchstaben „o“ und im Wort „wir“ fehlt am Anfang der Aufstrich des „w“. Im Wort „wird“ fehlt der Aufstrich des Buchstaben „r“ und im Wort „Wolken“ der Aufstrich des „e“ vor dem „n“. Zur Verdeutlichung dieser feinen Unterschiede werden in der nächsten Tabelle wieder zwei Formen eines selben Wortes gegenübergestellt, nämlich die zwei Formen des Wortes „Besuch“ und „Besuchs“ (in der Zusammensetzung „Besuchserlaubnis“), bei denen im ersten Fall der Aufstrich des „e“ vorn fehlt.
Es kommt dann die dritte Kategorie der Buchstaben, die keinen vollständigen Aufstrich aufweisen. Folgende Beispiele aus verschiedenen Briefen Heinrich Adams sollen dies veranschaulichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12: Wörter, die keinen vollständigen Aufstrich aufweisen
In diesem Fall müssen die Buchstaben, die keinen vollständigen Aufstrich aufweisen, selbst berücksichtigt werden. Das sind die Buchstaben, die von Elfriede rot markiert wurden: das „a“ von „laufen“, das „o“ in der ersten Form des Wortes „ohne“ (kontrastiv gleich daneben die zweite Form des Wortes mit vollständigem Aufstrich). Gleichermaßen soll das Paar „die“/„doch“ verdeutlichen, in welchem Wort ein Aufstrich nicht vollständig geschrieben wurde: Im Wort „doch“ hat das „d“ vorn keinen vollständigen Aufstrich und logischerweise wurde der Buchstabe markiert. Im Wort „Erfolg“ fehlt teilweise der Aufstrich des „l“ hinten. Deshalb wurde dieser Buchstabe ebenfalls von Elfriede mit einer Marke versehen.
Wie man sieht, ist es die Form von bestimmten Aufstrichen, die entscheidend ist: Entweder fehlen diese Aufstriche in bestimmten Buchstaben ganz oder sie fehlen teilweise. Zu Hause brauchte Elfriede nur auf die unvollständigen oder fehlenden Aufstriche zu achten, die Buchstaben oder die Wörter im Text zu markieren, diese abzuschreiben und die verborgene Nachricht, die manchmal auf mehrere Seiten verteilt war, zu rekonstruieren. Möglicherweise hat sie damals gleich auch33 die entschlüsselten Botschaften neben dem Brieftext sorgfältig niedergeschrieben. In einigen Fällen hat sie einen Zettel mit dem Text der Botschaft auf den Brief geklebt. Ein Beispiel für die erste Kategorie, d. h. für eine neben dem Text transkribierte Botschaft, wäre der Brief vom 15. Mai 1937:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 13: Brief vom 15. Mai 1937 mit der Transkription der Botschaft links neben dem Brieftext
Als Beispiel für einen Brief mit einem geklebten Zettel könnte der Brief vom 7. November 1937 (2.Teil) dienen, der heute so aussieht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 14: Verschlüsselter Brief vom 7. November 1937 (2.Teil )
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 15: Derselbe Brief mit dem vollständigen Text auf der rechten Seite und ohne die Botschaft
Dank dieser angebrachten Notizen bzw. der geklebten Zettel braucht der Leser heutzutage nicht den chiffrierten Text zu entschlüsseln. Er kann sich beim Lesen der Botschaften sofort in die damalige Lage des Häftlings und dessen Adressaten hineinversetzen. Diese Unmittelbarkeit macht heute den besonders hohen dokumentarischen Wert dieser Dokumente aus. Ungeschminkt, weil unzensiert, wird über den KZ-Alltag berichtet. Authentisch, an Ort und Stelle und aus Sicht des Betroffenen geschrieben, werden die damaligen Verhältnisse beschrieben. Weil sie die Fakten weder durch das Prisma fremder Beobachter noch rückblickend nacherzählen, sondern unvermittelt wiedergeben, gehören die versteckten Nachrichten in der Korrespondenz Heinrich Adams zu den unmittelbarsten und authentischsten Erkenntnisquellen, über die wir verfügen.34
Betrachtet man von einem förmlichen Standpunkt aus die geheimen Botschaften mehr im Detail, so kommt man zu den folgenden Feststellungen:
Die Wörter der geheimen Nachrichten werden oft aus einzelnen Buchstaben rekonstruiert. Um nur ein Beispiel zu nennen, wird das Wort „hier“ aus dem Zusammenfügen der Buchstaben h-i-e-r in dem Text „ersie h st, i st mit m ei nem Aufenthaltsort wiede r “ gebildet.35 Nicht selten aber bestehen die kodierten Wörter aus zwei oder mehreren aufeinander folgenden Buchstaben (Beispiele: „au“ in dem Wort „aus“ in dem Brief vom 25. Juli 1937, „ger“ in dem Wort „gerechnet“ [ebd.]) oder auch aus Wortteilen („gebracht“ in dem Wort „angebracht“ [ebd.]). Ab und zu müssen ganze Wörter gelesen werden, wie z. B. das Wort “allein“ in dem Brief vom 12. Juli 1936 oder das Wort „Zusammengehörigkeitsgefühl“ in dem Brief vom 1. Mai 1937. Einmal wird ein ganzer Satzteil („Mit einer ganzen Reihe von“) chiffriert und zwar in dem Brief vom 1. Mai 1937. Der Wortlaut der Botschaften ist meistens über den gesamten Brieftext verteilt. Es kommt aber auch vor, dass in den letzten Absätzen bzw. in dem letzten Absatz kein verschlüsseltes Wort zu finden ist, wenn die Botschaft vorher formuliert wurde (wie in den Briefen vom 1. Mai 1937 und 29. August 1937). Einmal versteckt sich ein geheimes Element in der Anrede, nämlich das „l“ in „Meine l iebe Elfriede! Überraschenderweise wurde einmal ein Buchstabe von Elfriede falsch transkribiert. In dem Brief vom 15. Mai 1937 notierte sie „ich bin noch nicht nach o gefragt worden“, obwohl sie im Text das „a“ in dem Satzteil „d a s schönste Zweiglein“ richtig markiert hatte. Vielleicht tat sie dies aber absichtlich, um jede Spur, die auf den Freund Otto hätte lenken können, zu verwischen. An zwei anderen Stellen gibt es weitere Diskrepanzen zwischen dem markierten Buchstaben und der entsprechenden Notiz. Im Brief vom 7. November 1937 lautet die Botschaft „für schreiben hin und wieder sonntags“, während im Text („ un bedeuten d er wid rig er Zwischenfall“) die Verknüpfung der Buchstaben die nicht korrekt geschriebene Form „hin und wider“ ergibt. In dem Brief vom 7. November 1937 soll in dem Satz „Dieses Auftreiben Deinerseits hat je d och unte r k ei nen Um ständen so weiter z u g e hen“ das Wort „Stunden“ und nicht „ständen“, wie markiert, gelesen werden.
Da die Wörter der Botschaften meist nur aus miteinander kombinierten einzelnen Buchstaben und kurzen Wortteilen bestehen, hat man nicht den Eindruck, dass sich die Wortwahl im Brieftext am Text der Botschaft orientiert hat. Wenn doch bestimmte längere Wörter für eine Botschaft in Betracht kommen, dann passen die Wörter in ihren Kontext. So steht in dem Brief vom 1. Mai 1937 das lange Wort „Zusammengehörigkeitsgefühl“ in der Botschaft:„unser Zusammengehörigkeitsgefühl wird als moralische Stütze für mich angesehen.“ Wenn man nun dasselbe Wort „Zusammengehörigkeitsgefühl“ in dem Zusammenhang des Briefes liest, dann heißt es:
„ Das Zusammengehörigkeitsgefühl verlangt, um sich zu vertiefen und an Wert zuzunehmen, eine dauernde, immer von Neuem wiederkehrende Bestätigung.“36
Das Wort klingt überhaupt nicht seltsam und die Aussage büßt keineswegs ihre Relevanz ein. Ein anderes Beispiel wäre der Satzteil „jeden Tag von früh bis Abend.“ Dieser Satzteil kommt in dem Text eines Briefes vom 7. November 1937 vor:
„Am eigenen Leibe habe ich ja auch zur Genüge erfahren müssen, wie es ist, wenn jeden Tag von früh bis Abend vergeblich auf das so heiß Erwünschte wartet.“37
Zugleich ist derselbe Satzteil in der Botschaft „hier herrscht jeden Tag von früh bis Abend entmündigende Zwangsarbeit“ vorzufinden und auch in diesem Fall scheint dieser Satzteil nicht aus dem Zusammenhang gerissen zu sein. Eigentlich bestehen beide Komponenten ̶ Botschaft und Brieftext ̶ harmonisch nebeneinander, die Kodierung einzelner Buchstaben oder Wörter geht parallel mit der Verfassung von Texten einher, ohne dass es zu Reibungen zwischen beiden kommt, was eine Voraussetzung für die problemlose Übermittlung der geheimen Botschaften war.
An dieser Stelle könnte man sich natürlich fragen, was primär war: der Text der Botschaft oder der Brieftext als Transportmittel der Botschaft. Ein Hinweis könnte das gestrichene Wort „von“ in einem Satz aus dem Brief vom 7. November 1937 sein: „[…] dann gibt es nur das Eine: weniger tiefgehend von [das Wort wurde gestrichen] an meinem jetzigen Dasein teilzuhaben […]“. Von Elfriede wurde das ganze Wort wegen eines fehlenden Aufstriches im Buchstaben “v“ am Ende unterstrichen. Offensichtlich hat Heinrich Adam die Präposition „von“ gebraucht, um den Text seiner Botschaft zu formulieren („diese [Zeit] wird von oben her bestimmt“). Er hat vermutlich das überflüssige Wort „von“ absichtlich hinzugefügt und es gleich danach im Hinblick auf die Kohärenz des Brieftextes gestrichen. Dies würde bedeuten, dass Heinrich Adam von vornherein den Wortlaut seiner Botschaft im Kopf hatte, bevor er einen bestimmten Text konzipierte (oder abschrieb38 ) und sich zum Codieren die nötigen Buchstaben und Wörter bzw. Wortteile im Brieftext aussuchte.
Im Vergleich mit anderen Kodierungssystemen erwies sich das System des Paares Heinrich Adam - Elfriede Stehling als äußerst effizient. Heinrich Adam brauchte nicht mit unsichtbarer Tinte zwischen die Zeilen zu schreiben, wie z. B. die Häftlinge Rudolf Císaŕ und Paul Morgan im KZ Dachau39 oder die Ravensbrücker Widerstandsgruppe um Nina Iwanska.40 Er fügte nicht wie die in Mittelbau-Dora internierten Bretonen einzelne bretonische Worte, die dem zensierenden SS-Mann unverständlich waren und für Eigennamen gehalten wurden, in seine Briefe ein.41 Er hatte keine Angst wie Stanislaw Kłodziński, dass seine chiffrierten Kassiber, die er aus dem Lager Auschwitz schmuggeln wollte, auf dem Weg nach außen von Spitzeln abgefangen wurden.42 Er verwendete nicht wie die russischen Zwangsarbeiter, die sog. „Ostarbeiter“, Wörter mit einer entgegengesetzten Bedeutung („Mir geht es gut“ bedeutete tatsächlich „schlecht“)43 oder benutzte nicht wie Pfarrer Paul Schneider im KZ Buchenwald eine Tarnsprache mit Anspielungen und Metaphern (eine „vorübergehende Störung der Wetterlage“ war im Klartext eine Verhaftung in der Arrestzelle), um den wirklichen katastrophalen Zustand zu beschreiben.44 Heinrich Adams System war so ausgeklügelt, dass keiner, auch bei längerem Betrachten, in den Texten eine Nachricht vermutete und die so gut versteckten Geheiminhalte ausfindig machte. Somit entpuppten sich Heinrich Adam und Elfriede Stehling mit ihren Geheimschriften als Meister der Steganographie, beherrschten sie doch auf höchstem Niveau den verdeckten Gebrauch eines Verfahrens, mit dessen Hilfe eine Botschaft in einem scheinbaren Klartext versteckt wird.[1]45 In dem Spektrum der Benutzer der „Sklavensprache“ nehmen sie einen besonderen Platz ein.
Analyse der Botschaften
Wenn man nun in den Briefen von Heinrich Adam die verschiedenen Botschaften in chronologischer Ordnung näher untersucht, dann stellt sich heraus, dass sich die Nachrichten aus den Konzentrationslagern Bad Sulza bzw. Lichtenburg und die aus dem KZ Buchenwald thematisch unterscheiden.
In den Botschaften aus dem KZ Bad Sulza sowie aus dem Lager Lichtenburg geht es dem Verfasser hauptsächlich darum, heimlich mitzuteilen, dass er nicht unter der Folter seinen Freund und aktives Mitglied der verbotenen KPD(O) (Kommunistische Partei Deutschlands-Opposition) O(tto) Paul denunziert habe:
„ist möglich dass auf otto
Verdacht kommt mit mir
In basel gewesen sein
vorläufig ausgesagt ich allein
nur am bodensee.“
Damit Otto nicht verdächtigt wird, sagt Heinrich Adam bei den Verhören aus, dass er ohne ihn an den Bodensee gereist sei und nicht, dass sie zusammen nach Basel gefahren seien, um sich dort bei einem emigrierten Widerstandskämpfer46 zu treffen. Auf diese Weise ist Otto Paul und vielleicht weiteren Mitgliedern des Jenaer Widerstandsnetzes der KZ-Aufenthalt erspart geblieben.
In dem verschlüsselten Brief vom 1. September 1936 drückt er seine Angst aus, die Gestapo könne durch einen Spitzel entdecken, dass sich Otto Paul beim Passamt Jena einen Reisepass für die Reise in die Schweiz hatte ausstellen lassen. Außerdem fürchtet er, dass sein Aufenthalt in Straßburg („St“) bei dem Leiter eines Emigrantenlagers (Karl Bräuning)47 ans Licht komme, weil Namen an einer Brücke notiert worden seien:
„hier nichts neues spitzelangabe
erfolgt sicher wegen pass
nach schweiz möglich dass
St herauskommt weil namen
notiert an brücke.“48
Etwas schwieriger lässt sich der zweite Teil dieser Nachricht vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza deuten:
„o
müsste bei Vernehmung
erst einmal fühlen
für alle Fälle
autoausstellung altstadt
kirche angesehen.“
Damit Otto erfährt, wie schmerzhaft es ist, von der Gestapo wiederholt verhört und gefoltert zu werden und wie schwierig es ist, unter der Folter seine Kampfgenossen nicht zu denunzieren, müsste er selbst eine Vernehmung erst einmal erleben. Andererseits soll er „für alle Fälle“ behaupten, falls er verhört wird, dass er in Basel die Autoausstellung, die Altstadt und die Kirche angesehen habe. Implizit empfiehlt er ihm, sich über diese Ort zu informieren, falls er darüber bei einem Verhör berichten sollte.
Noch sieben Monate nach seiner Verhaftung hat die Gestapo kein Geständnis von Heinrich Adam erhalten, obwohl man „immer wieder versucht“, von ihm Namen von Jenaer Widerstandskämpfern zu erfahren. Dies geht aus der Botschaft in seinem Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza hervor:
„es wird immer wieder versucht
von mir ein gestaendnis zu erhalten
man will von mir namen wissen.“
In derselben Botschaft erklärt er, warum ihm die Besuchserlaubnis verweigert wird. Mit dieser Maßnahme hofft die Gestapo, ihm sein „Zusammengehörigkeitsgefühl“ mit seiner Geliebten, das als “moralische Stütze“ angesehen wurde, zu nehmen:
„unser zusammengehörigheitsgefühl
wird als moralische stütze für
mich angesehen
daher verweigerung
der besuchserlaubnis.“
Als Elfriede und Kurt, sein Schwager in spe, später eine Besuchserlaubnis erhalten, befürchtet Heinrich Adam, dass sie bei ihren Besuchen unwillkürlich geheime Informationen preisgeben, da sie in den Augen der Gestapo „sehr verdächtigt“49 seien. Sie müssen „unbedingte Zurückhaltung üben“, weil er vermutet, dass sie „von einer ganzen Reihe von Aufpassern“ beobachtet werden:
„du und kurt
unbedingte zurückhaltung
üben da sehr
verdächtigt ihr habt
mit einer ganzen
reihe von aufpassern
zu rechnen.“50
Die Botschaft geht in demselben Brief vom 15. Mai 1937 auf der nächsten Seite weiter. Da wundert sich Heinrich Adam darüber, dass er bei den zahlreichen Verhören noch nicht nach O(tto) gefragt worden sei.51 Elfriede kann also Otto Paul und seiner Gruppe mitteilen, dass sie noch unbehelligt seien, dass Heinrich Adam sie nicht unter der Folter angeschwärzt habe:
„ich bin noch
nicht nach o [eigentlich „a“52 ]
gefragt worden.“
Am 9. Juli 1937 wird er nach der Auflösung des KZ Bad Sulza zusammen mit den anderen Häftlingen ins KZ Lichtenburg provisorisch verlegt. Er erfährt, dass sie „wahrscheinlich in Kürze in ein Lager bei Weimar“ ̶ gemeint ist das KZ Buchenwald ̶ gebracht werden sollen. Dies teilt er Elfriede in einer Botschaft vom 25. Juli 1937 mit, genau wie die Tatsache, dass er beim Umzug die Briefe, die er von ihr erhalten hatte, hat vernichten müssen:
„lager sulza aufgelöst
sämtliche gefangene
nach hier gebracht
die
hier eingehenden Briefe
müssen vernichtet werden
wahrscheinlich werden wir
in kürze in ein Lager
bei Weimar gebracht.“
Vom 31. Juli.1937 bis zum 10. Dezember 1937, also fast fünf Monate lang, ist Heinrich Adam im KZ Buchenwald inhaftiert. Trotz der schwierigen Verhältnisse gelingt es ihm, Elfriede weitere verborgene Nachrichten zu schicken. Von Verhören und von Otto ist in diesen Botschaften aber nicht mehr die Rede. Vielmehr kommen die Missstände in dem KZ Buchenwald, über die die Häftlinge sonst wegen der Zensur nie berichten durften, deutlich zum Ausdruck. So klagt er in einer Botschaft am 4. August 1937, dass er „vierzehn Stunden lang schwere Arbeit leisten“ müsse, dass er „auch sonntags sieben Stunden arbeiten“ müsse:
„hier vierzehn
stunden schwere
arbeit auch
sonntags sieben
stunden.“
In den späteren Briefen vom 29. August und 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald erläutert er die katastrophale Lage, in der sich befindet. „Zum Essen, Waschen und Schlafen“ habe er „ungenügend Zeit“ und „von früh bis Abend“ herrsche “entmündigende Zwangsarbeit.“ Außerdem trifft ihn die Tatsache hart, dass er “zum Schreiben, wenn überhaupt, nur sonntags drei Stunden Zeit“ habe. Auch der Zeitpunkt und die Dauer der Zeit zum Schreiben werden an den Feiertagen von der Verwaltung des Lagers bestimmt:
„sogar zum essen
waschen schlafen
haben wir
ungenügend Zeit.“53
„hier herrscht jeden
tag von früh bis abend
entmuendigende
zwangsarbeit für
schreiben hin und
wi[e]der sonntags etwa
drei Stunden [eigentlich: ständen] zeit
diese wird von oben
her bestimmt.“54
Offensichtlich muss sich Heinrich Adam jetzt auf sich selbst konzentrieren, um überhaupt zu überleben. Der Widerstandskämpfer, der im KZ Bad Sulza und im KZ Lichtenburg der Gestapo trotzen konnte und sich weigerte, die Namen seiner Kampfgenossen zu nennen, hat im KZ Buchenwald anscheinend jeden Willen verloren, so „entmündigend“55 ist die Zwangsarbeit, die er verrichten muss, so schwer ist sein Lagerdasein.
In diesem Überlebenskampf scheint das Verfassen von illegalen Schriften, um geheime Informationen über die Lebensverhältnisse im Lager zu übermitteln, äußerst wichtig gewesen zu sein. Man kann davon ausgehen, dass der Austausch von verschlüsselten Nachrichten mit wohlwollenden Menschen außerhalb des Lagers dem Internierten half, gegen die Isolation zu kämpfen. Diese verbotene Tätigkeit ließ ihn auch auf eine bessere Zukunft hoffen und an positive Werte wie Widerstandsfähigkeit, Hilfsbereitschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl weiter glauben.56 Illegale Briefe konnten „manchen Häftling vor Mutlosigkeit und tiefster Verzweiflung bewahren“, schreibt Henryk Świebocki,57 sie waren somit ein wichtiges Mittel zum Überleben.58
Indem er Mitkämpfern geheime Botschaften zukommen ließ, leistete Heinrich Adam nicht nur seinen Beitrag zur deutschen Widerstandsbewegung gegen das Nazi-Regime, er vollzog auch einen Akt des Widerstandes im Sinne von Hermann Langbein, d. h. er widersetzte sich dem Nazismus durch sein eigenes Denken und sein selbständiges Schreiben. Sein geistiger Widerstand gehörte, wie das (heimliche) Führen von Tagebüchern, das Verfassen von literarischen Werken (wie Gedichten, Theaterstücken, Liedern) oder sonstige im Lager verbotene künstlerische Tätigkeiten59 in den Rahmen der „Bemühungen um eine organisierte Gegenwirkung gegen die Vernichtungstendenzen der SS“,60 gegen den „Versuch, das Selbstbewusstsein und die Selbstachtung des Gefangenen zu zerstören.“61 Auch wenn es sich nur auf ein paar rekonstruierte Sätze beschränkte, fand der Widerstandskämpfer Heinrich Adam im schöpferischen Verfassen von verschlüsselten Briefen einen Ausgleich für die Entwürdigung und die Degradierung zum Untermenschen im Lager und gewann auf diese Weise seine Menschenwürde wieder.62 Letztendlich erlaubte ihm das Verfassen von illegalen Schriften während des Schreibprozesses für eine gewisse Zeit dem Lagerdasein zu entgehen. Wie die meisten KZ-Häftlinge benutzte er das Briefeschreiben als Mittel zur geistigen Flucht aus dem Gefängnis.63
Analyse der zur Vermittlung der Botschaften dienenden Brieftexte
Bei der Analyse der Brieftexte, die zum Übertragen der geheimen Nachrichten gedient haben, muss ein wichtiger Unterschied zwischen den Stellen gemacht werden, die aus der Feder von Heinrich Adam stammen und denjenigen, die er höchstwahrscheinlich abgeschrieben hat. Dabei lässt sich manchmal nur mit Mühe erkennen, ob der Inhalt die eigene Produktion des Briefverfassers ist.
Es sind hauptsächlich die Stellen, in denen er mit Hilfe von allerlei Bildern, Metaphern und Allegorien seine Beziehung zu seiner Verlobten Elfriede und seinen Gemütszustand beschreibt, die die Frage aufkommen lassen, ob sie authentisch sind. Nur die unverschlüsselten Briefe, vom 1. Januar 1937 und 5. Dezember 1937 sind mit großer Wahrscheinlichkeit Heinrich Adam selbst zuzuordnen und können als Orientierungspunkte dienen.
Welche Anzeichen gibt es aber dafür, dass bestimmte Stellen nicht unbedingt die Meinung des Briefverfassers widerspiegeln? Schon die Tatsache, dass der Urheber der Briefe, Heinrich Adam selbst, 1981 in seinen Aufzeichnungen von „Briefen mit belanglosem Text“64 spricht und erklärt, dass seine verschlüsselten Briefe hauptsächlich zur Vermittlung von „geheimen Durchsagen“65 gedient hätten, ist ein Indiz dafür, dass gewisse Teile seiner Korrespondenz irrelevant sind und fremden, bisher nicht näher bestimmten Veröffentlichungen66 entlehnt worden sind. In seinen 25-seitigen A4-Aufzeichnungen verliert der Mechaniker und spätere Mathematiklehrer Heinrich Adam kein Wort über seine scheinbar literarischen Versuche als KZ-Literat.67 Er verfasst auch seine Lebensbiografie in einem nüchternen Stil, ohne stilistische Effekte. Weiterhin kann man sich nur schwer vorstellen, dass ein Häftling, der im KZ Buchenwald nur „sonntags etwa drei Stunden Zeit“68 zum Briefschreiben hatte, in so weniger Zeit lyrische Naturbeschreibungen und allgemeine Betrachtungen über die Liebe und das Leben verfassen konnte, auch wenn die Sprachbilder, die er benutzte, nicht gerade die originellsten waren (s. unten). Es ist auch merkwürdig, dass ein Internierter, der sich sonst nur selten schriftlich äußern durfte, in einem Brief vom 15. Mai 1937 gleich nach der Anrede seine Sehnsucht nach Wanderungen durch die Natur auf die folgende, ausgesprochen literarische Weise ausdrückt:
„Es muß etwas Großartiges sein, sich mit in die Geschehnisse, die jetzt draußen in der Natur vor sich gehen, einreihen zu können. Ach, welches Verlangen, wieder einmal durch einen duftenden, frischen Wiesengrund zu wandern!“69
Erst am Ende dieses Briefes kommt er dazu, Elfriede und seinen Angehörigen für den Erhalt von Briefen und Postüberweisungen zu danken, sie zu begrüßen, Pfingstwünsche zu schicken und Elfriede um Mitteilung der Kilometerzahl zwischen Jena und Bad Sulza zu bitten.
Ein weiterer Hinweis sind die in den verschlüsselten Briefen regelmäßig wiederkehrenden Naturbeschreibungen und moralischen Betrachtungen. Sie fallen schon durch ihre besondere Länge auf,70 wirken gekünstelt, unnatürlich und erwecken den Eindruck, dass sie kopiert und in den Brieftext eingefügt wurden. Sie wurden natürlich nicht ohne Weiteres übernommen, sondern an die besondere Situation Heinrich Adams in Bezug auf seine Beziehung zu Elfriede angepasst.
Gemeint sind die lyrischen Stellen in den Briefen vom 1. September 1936 (erinnert wird an die schönen, mit seiner Schwester in Rathenow verbrachten Tage71 ), vom 15. Mai 1937 (Ausdruck seiner Freude über den Frühlingsanfang72 ), vom 25. Juli 1937 (fast visionäre Darstellung von Elfriede an einem Sandstrand und von „schäumend auslaufenden Wellen“ im „Scheine der aufsteigenden Morgensonne“73 ) sowie vom 29. August 1937 (wehmütige Erinnerung an eine Wanderung mit Elfriede in den Kernbergen in Jena74 ). Der literarische oder pseudoliterarische Charakter dieser Stellen wird durch den Gebrauch von Sprachbildern hervorgehoben. Vorzufinden sind Personifikationen („weiße Blüten, die sich lachend im Sonnenschein wiegen“75 ), Allegorien (Bild von einem fast traumhaften Apfelbaum, der allegorisch für all das steht, was er im Lager vermisst76 ) und Metaphern. Zu nennen wären u.a. die „weiten blanken Wasserflächen mit ihren weißen Segeln“, „die darüber hinsegelnden Wolken“77, das exotisch-paradiesische Bild vom „gewaltigen Feuerball über dem weiten, bewegten Wasser“ gekoppelt mit dem irrealen Bild von den „in der Morgenfrühe aufsteigenden Wasserdämpfen“ als Sinnbild für die urige Schönheit und Harmonie der Natur.78
Charakteristisch für diese Stellen sind auch die rhetorischen Fragen und die emphatischen Ausrufesätze, die zum übersteigerten Ausdruck der Gefühle oder des Gemütszustands dienen, wie in den folgenden Sätzen aus einem Brief vom 15. Mai 1937:
„Wodurch wird unsere Stimmung, die sich jetzt unser bemächtigt hat, bestimmt? Ist es Lust, Traurigkeit, Hoffnung, Wehmut?“;
„Ach, welches Verlangen wieder einmal durch einen duftenden, frischen Wiesengrund zu wandern!“79
Man muss erkennen, dass die meisten in den Briefen Heinrich Adams vorkommenden Sprachbilder und Stilfiguren eher banal sind. Sie grenzen an den für die damalige Zeit typischen gefühlvollen Kitsch und sind kennzeichnend für einen schwülstigen, bombastischen Stil. Sie können nur aus Werken der damals weitverbreiteten Populär - und Trivialliteratur stammen. Wie andere Häftlinge auch hatte Heinrich Adam während seiner Haft Zugang zu dieser Literatur, da er sich in der „Häftlingsbücherei“ der Konzentrationslager Bad Sulza, Lichtenburg und Buchenwald Bücher entlehnen konnte. Möglicherweise hatte er auch bei der SS die Erlaubnis erwirkt, von zu Hause Bücher ins Lager geschickt zu bekommen.80
Was die moralischen, bzw. philosophischen Betrachtungen betrifft, die in den Texten von zwei verschlüsselten Briefen viel Platz einnehmen,81 sind sie eher verworren und zeichnen sich durch einen geschraubten Stil aus. Sie wirken nicht spontan und wurden ebenfalls sehr wahrscheinlich teilweise abgeschrieben. In dem verschlüsselten Brief vom 1. Mai 1937 fällt außerdem Heinrich Adams Rechtfertigung für das lange Ausbleiben seiner Korrespondenz durch ihre Inkohärenz auf. Er behauptet nämlich, dass nicht nur „irgend welche zuwiderlaufende äussere Umstände schuld“ an seinem Schweigen gewesen seien, sondern auch dass er durch seine „Versäumnis“ ̶ er hätte einfach vergessen, Elfriede zu schreiben82 ̶ selbst schuld daran gewesen sei.83 Wenn man weiß, welche wichtige Rolle die Post im Allgemeinen für die KZ-Häftlinge spielte (s. unten) und dass Heinrich Adam selbst an anderen Stellen die Bedeutung des Briefeschreibens betont (s. unten), dann ist es schier unmöglich, an die Wahrhaftigkeit einer solchen unsinnigen Aussage zu glauben. Die darauf folgenden langen Abschweifungen über die psychologischen Folgen dieser angeblichen „Versäumnis“ für die geliebte Partnerin84 enthalten manche, wenig überzeugende Gemeinplätze wie z. B. die Feststellung, dass ein Mensch ohne Emotionen entweder einem Gott oder einem niederen Tier gleich sei85 oder dass das Zusammengehörigkeitsgefühl eine Bestätigung verlange.86 In dem verschlüsselten Brief vom 7. November 1937 haben die Aussagen zwar einen etwas persönlicheren Charakter, sie fallen aber oft durch ihren moralisierenden Gehalt auf, wie z. B. in dem Satz, in dem Elfriede empfohlen wird, ihren gesunden Verstand walten zu lassen und sich nach einer Richtung hin zu bewegen.87
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sowohl die dichterischen Beschreibungen als auch die moralischen Betrachtungen in den verschlüsselten Briefen Heinrich Adams größtenteils Plagiate oder leichte Bearbeitungen von anderen Texten gewesen sind. Diese bereits vorgefertigten Aufsätze, über die er schnell verfügen konnte, dienten ihm als nützliche Unterlagen für seine Botschaften und konnten für seine steganografischen Ziele bequem abgearbeitet werden. Vielleicht halfen ihm diese Attrappen auch, die Aufmerksamkeit der Zensoren abzulenken und seine kodierten Nachrichten leichter zu übermitteln. Fest steht, dass sich die Korrespondenz Heinrich Adams in die selten vertretene Kategorie der literarischen Texte einreiht, die als Tarnmittel benutzt wurden.88 Somit entpuppen sich diese Briefe nicht nur aufgrund ihres raffinierten Kodierungssystems, sondern auch wegen ihrer versteckten Absicht, Leser bzw. Zensurprüfer in die Irre zu führen, als besonders originell, In der KZ-Literatur suchen sie ihresgleichen.
Sieht man nun von den fremden, entlehnten Stellen in den Briefen ab, dann erweisen sich die übrigen Teile vielleicht nicht als so „belanglos“, wie sie Heinrich Adam in seinen Aufführungen global taxiert. Sie haben einen dokumentarischen Wert, schon weil die Form dieser Briefe mit ihren charakteristischen Stempeln, Markierungen und Anweisungen der Zensurstellen typisch für die damalige KZ-Post ist. Außerdem weisen diese Schreiben Konstanten auf, die in den meisten KZ-Häftlingsbriefen vorzufinden sind,89 nämlich die Mitteilung, dass der Häftling sich einer guten Gesundheit erfreut und die Hoffnung, dass es allen Zuhausegebliebenen gut geht,90 ferner die Bitte um Unterstützung in Form von materiellen Gegenständen91 und Geld92 (für Einkäufe in der Kantine der Lager), die Bestätigung des Erhalts von Briefen,93 Geldüberweisungen94 und Paketen95 sowie die Grüße an die Verwandten und Nahestehenden,96 darunter die Glückwünsche zu den religiösen Festen und die Geburtstagswünsche.97
Wie die meisten offiziellen KZ-Briefe mit einem längeren Inhalt, ist Heinrich Adams Korrespondenz auch trotz der Zensur „ein unmittelbares und eindrucksvolles Spiegelbild des Lebens der Verfolgten, Unterdrückten, Eingekerkerten.“98 Auch wenn die Tragweite seiner Aussagen durch die äußeren Verhältnisse erheblich beschränkt ist, geben sie einen Einblick in die KZ-Haftbedingungen während der Vorkriegszeit. So erwähnt Heinrich Adam in seinen zensierten Texten, obwohl es eigentlich unerlaubt war,99 dass die „Umstände hart“ seien.100 Er stellt nüchtern fest, dass ihm und Elfriede seit seiner Einlieferung ins Lager Bad Sulza das Dasein „ohne Zweifel beträchtlich schwerer gestaltet wird“.101 Er klagt über ihr “so langes Getrennt sein“102 und über die „ zur Zeit sehr beschränkte Möglichkeit von (Liebes) Bestätigungen zwischen ihnen“.103 An einer anderen Stelle erfährt man, wie sehr der Häftling seit seiner Verhaftung gelitten hat. Er schreibt am 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald, also 26 Monate nach seinem Verbleib in der Untersuchungshaft in Weimar im September 1935, dass „er sich körperlich noch auf der Höhe fühle“.104 Wichtig ist in dieser Aussage natürlich das Wort „noch“, das einen langen, allmählichen Verzehr seiner physischen Kräfte vermuten lässt. Über seine seelische Verfassung schweigt er lieber… Diese geistige und körperliche Veränderung spiegelt sich übrigens auch in seiner Handschrift wider. Hier seien zum Vergleich zwei Auszüge von Briefen in der Frakturschrift, der erste Auszug aus einem Brief vom 1. Januar 1937, der zweite aus einem Brief vom 5. Dezember 1937 ̶ zeitlicher Abstand also: 12 Monate ̶ gegenübergestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 16: Brief vom 1. Januar 1937
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 17: Brief vom 5. Dezember 1937
Deutlich fallen die Unterschiede in der Bewegung und der Formung der Striche auf.105
Darüber hinaus dokumentieren Heinrich Adams Briefe die Verpflichtungen und Schwierigkeiten jener Zeit, die Schikanen und die Demütigungen, die die Häftlinge in ihrer Würde trafen. Sie bestätigen z. B., dass die Inhaftierten ihren Transfer zwischen den Konzentrationslagern aus eigener Tasche bezahlen mussten. In seinem Brief vom 15. Mai 1937 bittet Heinrich Adam Elfriede, ihm „die Bahnlinien-Kilometerzahl Jena ̶ Bad Sulza mitzuschreiben“, um der Lagerleitung seine Fahrtkosten von Jena nach Bad Sulza mit der Bahn zurückzuerstatten. Man erfährt auch indirekt Einiges über die strengen Postverkehrsregeln, die in den Lagern galten. So wird man daran erinnert, dass die Häftlinge ihre Post im Prinzip nicht aufbewahren durften. Bei seiner Verlegung ins Lager Lichtenburg muss er die Briefe, die er von Elfriede bekommen hat, vernichten und er muss seine Freundin bitten, eine Abschrift von ihren Briefen aufzubewahren.106 Weiter muss er sie und seine Verwandten regelmäßig auf bestimmte Punkte der Postverkehrsordnung hinweisen, z. B. auf die Tatsache, dass die KZ-Häftlinge ab dem 1. September 1936 „nur noch zweimal im Monat Post empfangen dürfen, ganz gleich um was es sich dabei handelt“.107 Die Absender sollen darauf achten, dass die Briefe nur mit Tinte geschrieben werden.108 Es sei ihnen verboten, „Esswaren, sowie eine Reihe anderer Sachen von daheim zu bekommen“ oder „irgendeine Aufnahme von Personen zu übersenden“.109 Wegen seines Schweigens bei den Verhören wird Heinrich Adam schikaniert und in seinem Brief vom 12. Juli 1936 bedauert er, dass einige Stellen aus einem Brief Elfriedes „durch die Zensur unkenntlich gemacht worden sind“ und dass ihm ein Brief von ihr vom 22. Juni 1936 „nicht ausgehändigt wurde.“ In einem anderen Brief vom 1. September 1936 klagt er darüber, dass sein Brief vom 16. August 1936 nicht abgeschickt worden sei; er fordert Elfriede auf, „jede eigene Ansicht über zugestoßene Unannehmlichkeiten zu unterlassen“,110 damit ihre Briefe die Zensur passieren und er bittet Kurt, nichts auf den Abschnitt der Postüberweisung zu schreiben, „damit dies nicht als Nachricht angesehen werden könnte und ihm dafür vielleicht ein Brief von Elfriede nicht ausgehändigt würde“.111 Alle diese Sorgen wegen der Zensur und der KZ-Postregelungen zeigen, wie wichtig die Post für die Häftlinge war.112 Sie bereitete ihnen nicht nur eine „schöne Sonntagsfreude“,113 sie ersetzte auch die Kontakte mit den geliebten Personen, die Gespräche, die man mit ihnen hätte haben können und trug auf diese Weise dazu bei, das Lagerdasein zu ertragen. Die Post diente zum Abbau des seelischen Druckes.114 Zu diesem Thema schreibt Heinrich Adam an Elfriede:
„Ich bin immer froh, wenn der Tag der Schreiberlaubnis herangekommen ist, nach dem ich mich jedes Mal mit Dir aufs Neue fester verbunden fühle. Es erfolgt dann stets eine gewisse Erleichterung in mir“.115
Deshalb war es für ihn so wichtig, sich peinlich an die Regeln zu halten, denn wenigstens über die „Brücke“ der Korrespondenz konnten Heinrich und Elfriede „regelmäßig zueinander kommen“.116 Briefe waren also „nicht nur eine wichtige Informationsquelle, sondern stellten auch für die KZ-Häftlinge „die Brücke zur Außenwelt dar“.117 Als Ausdruckform der Kultur, der Bildung, waren sie auch der „letzte Besitz aus dem bürgerlichen Leben“,118 „die letzte Reserve gegen die Selbstaufgabe“119 und ein Mittel, um „das Hier und Jetzt zu transzendieren.“120
Blieb die Post aus, dann war der Häftling stark beunruhigt „Am eigenen Leibe“ musste Heinrich Adam “zur Genüge erfahren, wie es ist, wenn man jeden Tag von früh bis Abend vergeblich auf das so heiß Erwünschte wartet“.121 Wenn sein Schreiben nicht abgeschickt wurde oder Elfriedes Briefe und Ansichtskarten aus irgendwelchem Grund nicht ausgehändigt wurden,122 machte er sich gleich Sorgen, denn er wusste „doch aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn der Wunsch auf der Spitze steht, endlich die erwartete Nachricht zu erhalten, und dieser nicht in Erfüllung geht“.123
Spielten die Briefe eine wesentliche Rolle in dem Leben der KZ-Insassen, so mussten die Besuche für die Häftlinge in ihrem jammervollen Lageralltag wie außerordentliche glückselige Augenblicke erscheinen. Während seiner zweijährigen Haft im KZ erlebte Heinrich Adam zweimal dieses Glück und bekam am 5. Juli 1936 im KZ Bad Sulza und in der Weihnachtszeit 1936 im KZ Buchenwald den Besuch seiner geliebten Elfriede. Seinen Brief vom 1. Januar 1937 begann er mit der Feststellung, dass er noch „ganz unter dem Eindruck“ ihres Besuches stehe. Dieser Besuch habe ihm neuen Lebensmut und einen neuen Halt gegeben, schrieb er weiter, und durch die „liebe Anhänglichkeit“ seiner Verlobten habe er sich, „im Ganzen genommen, frischer und gestärkt“ gefühlt.124
Charakteristisch für die Briefe der KZ-Inhaftierten ist auch die rührende Sorge um die Angehörigen,125 nach deren Wohl gefragt wird, trotz der eigenen komplizierten Lage, trotz des ständigen Bangens um das eigene Leben. Bei Heinrich Adam ist es auch so. Er hofft, dass es seinen Verwandten gut geht.126 Er versteht, dass sie nach ihrem erfolglosen Versuch, ihn zu besuchen, „enttäuscht“ sind127 und wenn seine Schwester Rosa (“Rosel“) und sein Schwager Kurt Jäger an einem Sonntag nicht zu ihm kommen können, „so sollen sie sich ihren Urlaub nicht versauen lassen, und ihre paar freien Stunden recht genießen“.128 Es tut ihm „aufrichtig leid“, dass sie längere Zeit (genau vier Monate lang) keine Nachricht von ihm bekommen hätten129 und bedauert, dass sein „Umzug“, d. h. seine Verlegung in ein anderes KZ, ihnen „arges Kopfzerbrechen bereitet“ habe.130
Natürlich spielt in der Korrespondenz Heinrich Adams seine Beziehung zu seiner Verlobten Elfriede eine bedeutende Rolle.131 Wenn man von den übersteigerten Gefühlsäußerungen und den moralisierenden Aussagen über dieses Thema absieht, die vermutlich aus fremden Quellen stammen, und die übrigen Textabschnitte kritisch unter die Lupe nimmt, dann stellt man fest, dass die Liebesbeziehung zwischen Heinrich Adam und Elfriede Stehling während der relativ langen Internierung Heinrichs eine Krise durchmachte, deren Ursachen in der langfristigen Trennung und dem Ausbleiben der Korrespondenz lagen.
Wegen der Umstände werde das Verlangen nach der Bestätigung ihrer Liebe nicht erfüllt, schreibt er in einem Brief vom 1. Mai 1937. Diese Störung wirke „zerrüttend132, oft auch niederschmetternd“ und ihr “Zusammengehörigkeitsgefühl, das eine dauernde, immer von Neuem wiederkehrende Bestätigung verlange, um sich zu vertiefen und an Wert zuzunehmen“,133 laufe Gefahr, an Intensität zu verlieren. So beteuert er immer wieder seine Liebe zu seiner Verlobten, die nicht nur physischer Art sein soll,134 und möchte sein Verhältnis zu seiner Verlobten öffentlich bekannt machen.135 Elfriede sei für ihn „der wertvollste Mensch“136 und er sei immer im Geiste bei ihr.137 Er versucht Elfriede zu ermutigen, zu trösten und ihr Zuversicht einzuflößen. „Nach wie vor“, versichert er am 1. September 1936, „ist mein ganzes Sinnen und Trachten nur darauf gerichtet, dir deinen Lebensmut zu erhalten und wenn möglich zu stärken.“ Als sie sich wegen der gezwungenen Trennung „gesundheitlich nicht auf der Höhe“ fühlt, behauptet er am 1. Januar 1937, dass er es „aus tiefster Verbundenheit zu ihr heraus“ „alles daran setzen“ würde, um ihr das Leben angenehmer zu gestalten. Er empfiehlt ihr, „aus dem Vertrauen zu ihm einige Kräfte zu schöpfen“ und „den Kopf hochzuhalten“.138 Er erinnert sie mit einem gewissen Fatalismus daran, dass „Verzagen und Verzweifeln auch zum Leben gehören“139 und sich „zu manchen Zeiten die Widrigkeiten häufen, die zu vermeiden wir einfach nicht die Möglichkeit besitzen“.140 Am 1. Mai 1937 weist er sie darauf hin, dass sie sich „auf das Übriggebliebene umstellen“ müssen und dass sie lernen müssen, „äusserst haushälterisch damit umzugehen“, also sich mit wenigem zufriedenzugeben, wenn sie ihre lange Trennung überstehen wollen.
Er beschwichtigt Elfriede und seine Angehörigen, die sich wegen seiner so genannten „Umzüge“ Sorgen machen.141 Er minimiert die Folgen des Ausbleibens ihrer Korrespondenz, spricht von einem „verhältnismäßig […] unbedeutenden widrigen Zwischenfall“.142 Da dieser Vorfall aber bei Elfriede ausgerechnet vor ihrem Geburtstag „seelische und körperliche Schäden“ verursacht hat, rät er seiner Verlobten, sich seinetwegen weniger zu sorgen und Trost bei ihrer Schwester oder einer Freundin zu suchen.143 Am Ende des Jahres 1937 findet diese Vertrauenskrise ihr Ende, was wahrscheinlich in direktem Zusammenhang zu seiner bevorstehenden Entlassung aus dem KZ Buchenwald am 10. Dezember 1937 steht. In einem unverschlüsselten Brief vom 5. Dezember 1937 erklärt Heinrich Adam, er könne „erleichtert aufatmen“. Der „böse Traum“ sei vorüber. Er glaube wieder „die klaren Augen“ seiner Freundin, ihr „inniges Zulächeln“ zu erkennen. Er freue sich darüber, dass sie wieder wisse, dass er bei ihr sei und er meint, dass sie sich „auf dem Weg der entspannenden Genesung“ befinde.144
Weitere Themen werden in den Briefen Heinrich Adams behandelt, aber sie kommen meistens in Briefabschnitten vor, von denen man annehmen muss, dass sie nicht authentisch sind, da sie sehr wahrscheinlich aus literarischen oder pseudoliterarischen Werken entnommen wurden (s. oben). So müssen diese verdächtigen Stellen besonders kritisch angegangen werden und es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass sie eigentlich zu anderen Zwecken benutzt wurden. Es heißt aber nicht, dass diese Themen dem KZ-Häftling Heinrich Adam völlig fern gewesen wären.145 Vermutlich hat er in seiner Haft die in den fragwürdigen Passagen beschriebenen Gefühle empfunden und Erfahrungen erlebt, aber natürlich nicht so, wie sie überschwänglich geschildert werden. Die Rede ist von dem Wunsch nach innerlicher Ruhe,146 von der Sehnsucht nach dem sicheren Geborgensein und der Sorglosigkeit der Kindheit,147 nach der glücklichen Zeit vor der Internierung148 und nach der Schönheit der Heimat.149 Als Gefangener muss er den Drang nach Freiheit und Natur besonders stark empfunden haben.150 Möglicherweise hat er wie der Verfasser der lyrischen Stellen in den Briefen Visionen und Halluzinationen151 erlebt, die es ihm ermöglicht haben, für eine Weile aus der schrecklichen Wirklichkeit des Lagers zu fliehen und in eine andere, irreale Traumwelt versetzt zu werden. In dieser transzendenten Welt hätte er vielleicht auch im Einklang mit der Natur gelebt, in tiefster Verbundenheit mit dem Kosmos und dem Naturgeschehen152 und er hätte den Sinn des Lebens vermittelt bekommen.153 Die Tatsache aber, dass Heinrich Adam diese Beschreibungen und Äußerungen als „belanglos“ betrachtet hat und dass es mehrere Hinweise gibt, dass sie abgeschrieben wurden (s. oben), hindert uns daran, diese Auszüge als Heinrich Adams Produktion zu legitimieren.
Schlussfolgerung
Im Gegensatz zu den meisten von der Zensur zugelassenen KZ-Briefen, die nur pragmatische Zwecke verfolgten und sich darauf beschränkten, beruhigende Nachrichten an die geliebten Personen zu senden, stellen die verschlüsselten Briefe Heinrich Adams etwas Besonderes dar. Nicht nur wurden sie verfasst, um mit einem besonders raffinierten Codesystem geheime Botschaften an seine Verlobte und weitere Mitglieder des Jenaer Widerstandsnetzes zu übermitteln, sie auf kodierte Weise vor einer möglichen Verfolgung zu warnen und auf die schrecklichen Lebensverhältnisse, unter denen er im KZ Buchenwald zu leiden hat, hinzuweisen. Konzipiert wurden sie auch, sei es als eigene Komposition oder ̶ was eher wahrscheinlich ist ̶ teilweise als Plagiat, um seiner Verlobten seine Liebe zu versichern, ihr aus der Depression zu helfen und so ihr Liebesverhältnis trotz der Isolation und des häufigen Ausbleibens der Korrespondenz aufrecht zu erhalten. Die Tatsache, dass der Briefschreiber vermutlich dabei bestimmte Auszüge aus anderen Quellen kopiert hat, um den Vorgang der Verschlüsselung zu erleichtern und die Zensurprüfer zu blenden, verleiht diesen Schriften nur eine zusätzliche Originalität.
Bei der Analyse der verschlüsselten Briefe Heinrich Adams wurde zwischen den kodierten Botschaften einerseits und den Brieftexten andererseits unterschieden. Der Inhalt der verschlüsselten Nachrichten wurde chronologisch untersucht und im Zusammenhang mit den biografischen Daten aus der Feder des Verfassers der Briefe gedeutet. Bei der Untersuchung der zur Vermittlung der Botschaften dienenden Brieftexte wurden zunächst die Anzeichen aufgelistet, die darauf hindeuten, dass bestimmte Stellen aus den Briefen bearbeitete Plagiate aus anderen, unbekannten Quellen sind. Der literarische oder eher pseudoliterarische Charakter dieser Stellen wurde erörtert und die vorhandenen Sprachbilder und Stilfiguren wie rhetorische Fragen und emphatische Ausrufesätze näher betrachtet. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die Korrespondenz Heinrich Adams neben ihren Hauptfunktionen als Vermittlerin geheimer Nachrichten und als literarisches Tarnmittel auch interessante dokumentarische Aspekte aufweist. So wurde darauf hingewiesen, dass sie Einblick in die KZ-Haftbedingungen und die Postverkehrsregelungen während der Vorkriegszeit gibt und weitere Themen dokumentiert wie u.a. die Bedeutung der Post und der Besuche für die KZler, die Sorge um die Angehörigen, die Entwicklung der Liebesbeziehungen zwischen den internierten Gefangenen und deren Verlobten während der Haft.
Aus all diesen Gründen sind die verschlüsselten Briefe Heinrich Adams einer näheren Betrachtung wert.
Liste der Abbildungen und der Tabellen
Abbildung 1: Ankunft einer Gruppe von Häftlingen ins KZ Buchenwald (15. Juli 1937), Sammlung Gedenkstätte Buchenwald, Weimar, Signatur 001.012.
Abbildung 2: Entlassungsschein Heinrich Adams aus dem KZ Buchenwald (10. Dezember 1937), Buchenwaldarchiv Bwa 52-11-496.
Abbildung 3: Postkarte vom 22. Januar 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
Abbildung (Tabelle) 4: Gesamtübersicht der Briefe bzw. Postkarten nach Datum, Herkunft, Schriftart, besonderen Kennzeichen und Verschlüsselung
Abbildung 5: Bild von einem verschlüsselten Brief
Abbildung 6: Bild von einem unverschlüsselten Brief
Abbildung 7: Datumsangabe ohne Punkt
Abbildung 8: Datumsangabe mit Punkt
Abbildung 9: Codeschlüssel, Buchenwaldarchiv, Signatur Bwa 52-11-459
Abbildung 10: Wörter, die keinen Aufstrich hinten aufweisen,
Abbildung 11: Wörter, die keinen Aufstrich vorn aufweisen
Abbildung 12: Wörter, die keinen vollständigen Aufstrich aufweisen
Abbildung 13: Brief vom 15. Mai 1937 mit der Transkription der Botschaft neben dem Brieftext
Abbildung 14: Verschlüsselter Brief vom 7. November 1937 (2.Teil )
Abbildung 15: Derselbe Brief mit dem vollständigen Text auf der rechten Seite und ohne die Botschaft
Abbildung 16: Brief vom 1. Januar 1937
Abbildung 17: Brief vom 5. Dezember 1937
Die Abbildungen sind Kopien von Briefen aus dem Buchenwaldarchiv (Signaturen BwA 04-1-106, 001.012 und Bwa 52-11-459) und werden mit der ausdrücklichen Genehmigung dieses Archivs veröffentlicht.
Bibliographie
A. Primärliteratur
Adam Heinrich, Briefe an Elfriede Stehling und andere Unterlagen zu Heinrich Adam, Gedenkstätte Buchenwald, Buchenwaldarchiv, Sign. 04-01-106 und 52-11-496.
Adam Heinrich, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, Biographie des Genossen Heinrich Adam/ Jena zum Erwerb des Fachschulabschlusses am Institut für Lehrerbildung „Walter Wolf“, Weimar. 30. März 1986, Gedenkstätte Buchenwald, Buchenwaldarchiv, Sign. 52-11-459.
Adam Heinrich, Erinnerungen an die Konzentrationslager Bad Sulza und Lichtenburg, Gedenkstätte Buchenwald, Buchenwaldarchiv, Sign. 31/953.
Schneider Paul, Briefe. Gedenkstätte Buchenwald, Buchenwaldarchiv, Signatur 52-11-20.
B. Sekundärliteratur (Auswahl)
1. Zum Postverkehr in den NS-Konzentrationslagern und zu den KZ-Briefen
Adamy Kurt, Was bleibt, ist Hoffnung. Briefdokumente aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen des Landes Brandenburg in der NS-Zeit (1933-1945), Potsdam 1995.
Čistova Bella E., Čistov Kirill V., Volksdichtung und Sprache der Ostarbeiter in den Jahren 1942-1944, in: Bella E. Čistova/ Kirill V. Čistov (Hrsg.), „Fliege, mein Briefchen, von Westen nach Osten…“, Auszüge aus Briefen russischer, ukrainischer und weißrussischer Zwangsarbeiterinnen und - Arbeiter 1942-1944, Studien zur Volksforschung, Band 18, Bern 1998.
Heeren Heinrich, Der Postverkehr mit den emsländischen Konzentrations-, Strafgefangenen - und Kriegsgefangenenlagern 33-45, Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandslager, Kleine Reihe 1, H. 1, Papenburg 1997.
Kahn Henry, The Third Reich, Concentration Camps and Ghetto Mail System Under the Nazi Regime, Judaica Historical Philatelic Society, Monograph N° 1, 1966.
Kłodziński Stanisław, Häftlingsbriefe aus dem Konzentrationslager Auschwitz. Ihre historische und psychologische Bedeutung, in: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Die Auschwitz-Hefte, Texte der polnischen Zeitschrift „Przegląd Lekjzerski“ über historische, psychische und medizinische Aspekte des Lebens und Sterbens in Auschwitz, Ergänzungsband, Weinheim 1987.
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Rouhart, Jean-Louis, Lettres de l’ombre. Correspondance illégale dans les camps de concentration nazis. Vorworte von Peter Kuon und Philippe Mesnard, Liège 2015.
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Verwerft Patrick, Het postverkeer van de Belgische gevangenen in de nazi- koncentratiekampen tijdens WO II, Vorselaar 1996.
Wolter Karl Kurt, Die Postzensur: Handbuch und Katalog: Geschichte, Typen der Stempel und Briefverschlüsse mit ihrer Bewertung, Band I und II, München 1966.
2. Zur Steganographie und Kryptographie
Babion Nils, Steganographie im Wandel der Zeit, TU Ilmenau 2003, unter URLhttp://www.zeropage.de/it/security/students/steganographie_im_wandel_der_zeit.pdf (Stand: 10. März 2021).
Beutelspacher Albrecht, Moderne Verfahren der Kryptographie, Wiesbaden 1995.
Gardner Martin, Codes, Ciphers and Secret Writing, New York 1984.
Kahn David, The Codebreakers, New York 1996.
Kahn David, Kahn on Codes, Secrets of the New Cryptography, New York 1983.
Kippenhahn Rudolf, Verschlüsselte Botschaften: Geheimschrift, Enigma und Chipkarte, Reinbek 1999.
Newton David, Encyclopedia of Cryptology, Oxford 1998.
Singh Simon, Geheime Botschaften: Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet, München 2001.
Wikipedia (die freie Enzyklopädie), Steganographie, online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Steganographie (Stand: 10. März 2021).
Die übrigen Werke der Sekundärliteratur zum KZ-Buchenwald, zu den Konzentrationslagern, zum Widerstand in den KZ, zum Holocaust und zur Holocaust-Literatur werden differenziert in den Fußnoten der Studie nachgewiesen.
Anlage: Transkription der Briefe
Um dem originalen Charakter der Briefe gerecht zu werden, wurden keine Korrekturen in Orthographie und Interpunktion vorgenommen. Transkribiert wurde also der Originaltext der Briefe. Nur die (seltenen) grammatischen und orthographischen Fehler wurden durch die Verwendung von „[sic]“ kenntlich gemacht. Die von Elfriede Stehling in den Briefen markierten Buchstaben oder Wörter sind fett gedruckt.
Verschlüsselter Brief vom 12. Juli 1936
12.7.36.
Meine liebe Elfriede,
Es kommt mir heute vor allem darauf an, Euch mitzuteilen, dass ich vor der Hand noch vollauf gesund bin. Hoffentlich ist dies auch bei Euch noch der Fall. Ich kann mir ja lebhaft vorstellen, dass sich daheim auch wieder einmal allerlei unangenehme Dinge ereignet haben. Mit der Möglic hkeit rechne ich jedenfalls. Es wir d a ber alle s zu s einer einwandfreien Auf klärung gelingen. Dass uns dadurch o hne Zweifel das Dasein be t rächtlich schwerer ges t altet wird, müssen wir, o hne gleich den Kopf zu ver lieren, hinnehmen. Zu manchen Zeiten häufen sich eben die Widrigkeiten, die zu vermeiden, wir einfach nicht die Möglichkeit besitzen.
Meine beiden Rathenower waren nun in Jena, ohne mich gesehen zu haben. Ge dacht habe ich mir das schon. Es kommt eben viel m als anders als w i r denken. Ich weiss, dass Ihr Euch die gröss t e Mühe gegeben habt, mir d i e Freude zu machen, mich zu besuchen, dass Ihr selbst hier gewese n seid, ohne natürlich etwas zu erreichen. Ich muss das natürlich sehr b ed a uern, es ist wohl rat s am alles zu unt e rlassen, was von vornherein keine Aussicht auf Erfo l g hat. Ihr werdet ja auch sehr enttäuscht gewesen sein. Reicht vorläufig keine Anfrage wegen Besuchserlaubnis ein. Ausgerechnet jetzt musste meine Schwester zu B es uch kommen.
Deinen lieben Brief vom 1.7. h a be ich erhalten. Es sind eini g e Stellen durch die Zensur unkenntlich gemach t worden. Mit Deinen ausgeführten Gedanken gehe ich vollkommen einig. Allein der darin aufgeführte Brief vom 22.6. ist mir leider nicht ausgehändigt worden. Auch sind noch 1 oder 2 Schreiben, soviel ich weiss, nur An sichtskarten angehalten worden. Dein Schreiben vom 1.7. ist das Letzte, das ich in der Hand habe. Wenn Ihr wieder schrei b t, unterlasst bitte jede eigene Ansicht über zugest o ssene Unannehmlichkeiten. Ihr könnt mir ja auch damit nicht dienen. Den Meinungsaustausch über unser Verhältnis dürfte uns wohl niemand verwehren können. Das ist eine ganz persönliche Angelegenheit, die nur uns beide etwas angeht. Wir haben e s durchaus nicht nötig, uns zu scheuen, Dritten g e genüber kundzutun, wie wir beide zueinander stehen. Unser Verhältnis ist von Grund auf ein reines, und es hat wohl keiner ein Recht, da hineinzureden. Die V er antwortung wollen wir beide ganz allein tragen. Für heute möchte ich es genug sein lassen. Bleibt mir alle gesund und auf der Höhe. Mit den herzlichsten Grüßen an Euch alle bleibe ich ganz der Deine. Heini.
Die 5 Mark von meiner Mutter habe ich erhalten.
Verschlüsselte Botschaft:
ist möglich dass auf otto
verdacht kommt mit mir
in basel gewesen sein
vorläufig ausgesagt ich allein
nur an bodensee
Verschlüsselter Brief vom 1. September 1936
1.9.36.
Meine liebe Elfriede,
Du hast nun wä h rend der letzten v ie r Wochen nichts von m ir gehört, und ich kan n mir recht deutli ch Dein banges War t en vor s tellen. Mein Brief vom 16.8. ist leider n icht abgeschickt worden. Dies ist mir natürlich auch s e hr unangenehm gewesen, weiss ich doch aus eigner Erfahr u ng wie es ist, wenn der Wunsch auf der Spitze steht, end l ich die erw a rtete N achricht zu erhalten, und dieser nicht in Erfüllung g eht. Ich bin immer froh, wenn der T a g der Schreiberlau b nis h e rangekommen ist, nach dem ich mich jedesmal mit Dir aufs Neue fester verbunden fühle. Es erfolgt dann stets eine gewisse Erleichterung in mir. Sicher wird es Dir ebenso ergehen. Schreiben, aus denen nicht nur Ärger und Betrübtsein reden, sind wohl gute Mittel und Wege zur Auflockeru n g einer ge p ressten Gemütsverfassung, wenn e s eben nicht möglich i s t, das gesprochene Wort wirken zu lassen. Nach wie vor ist mein ganzes S innen und Tra ch ten nur darauf gerichtet, et w as mit dazu b eiz utragen, Dir Deinen Lebensmut zu erhalten und wenn möglich zu stärken, um da durch letzten Ende s mir da s zu bewahren, woran ich am meisten hänge. Ich bin mir heute ganz klar darüber, dass es s ich hierbei nich t in erster Linie um das Verlangen na ch körp er lichem Wohlergehen handelt, sondern um den Dr a ng, nicht mit dem Stillstehen der Lebensf u nktionen von der für uns Men s chen einzigen Erde vertilgt zu sein, und in vielleicht verhältnismässig wertvollen Nach komm en wei t erzuleben.
Es ist möglich, dass solche Gedankengänge besonders stark durch meine Haft hervorgerufen werden, aber vielleicht kannst Du mich verstehen. Ich w ollte ja nur für Dich schr ei ben und vertiefte mich dabei zu sehr in Dein Gemüt, sodass ich, einma l im Zuge, darüber vielleicht außer Acht gelasse n h a be, wo ich m ich befind e. Da aber ein Brief nur dann Zweck hat, wenn er sein Ziel erreicht, ist es wohl erforderlich, ihn so zu halten, dass er auch bei der dritte n Seite keine n Anst o ß erreg t. W i r müss e n deshalb da r auf ach t en, d a ss wir wenigste n s über diese Brücke regelmäßig zu einander kommen können.
Die beiden Pakete von daheim habe ich erhalten. Ich danke meiner Mutter für alle Mühe. Die Esswaren sind mir selbstverständlich nicht ausgehändigt worden. Meine Mutter meint es zwar recht gut, aber das hilft alles nichts. Sie müsste jedoch auch schon aus der Erfahrung klug geworden sein. Ich schrei b e e s nochmals: es ist ver boten, Esswaren, sowie eine Reihe a n derer Sachen von daheim zu bekommen. Schickt d e s h alb ein ander m al [sic] nur, was ich a u sdrücklich verlange. Auch kommt n icht etwa einmal darauf, mir ir g end eine Aufnahme von Personen zu übersenden. Sie würde mir gar nicht erst ausgehändigt werden. T e ile d i es bitte n ach Rathenow mit. Ebenso ist hier die Anordnung getroffen worden, dass wir im Lager von September an, nur noch zwei mal im Monat Post empfangen dürfen. Ganz gleich um was es sich dabei handelt. Eine Ansichtskarte zum Beispiel von irgendwo her wird schon mitgezählt. Richte Dich bitte danach und teile es sofort meinen anderen Angehörigen mit. Die Füh rung mit diesen müsste dann in diesem Fal l e e ben n ur über Dich gehen. Es soll auch für die Zukunft darauf geachtet werden, dass die Briefe auf alle Fälle nur mit Tinte geschrieben werden. Hier k a nnst D u in dieser Hinsich t es als o halten wie bisher.
Ich h a tte bereits im vorigen Briefe meiner Freude Ausdruck gegeben, über die Glückwünsche z u meinem Geburt s tage. Sie haben mir tatsächlich s ehr wohlge t an. Ich danke e uch allen nochmals. Bei dieser Ge l egenheit möchte ich meiner Schwester noch nachträg l ich sagen, dass ich mir z u ihrem Geburtstage alle die schönen, i n Rathenow verlebten Tage so besonders lebhaft verge g enwärtigte, und mir ganz deutlich die verträumte Altstadt mit der Kirche als Wahrzeichen, die rote Heide, die a usgedehnten Wälder, die weiten, blanke n Wasserflächen mit ihren weissen Segeln, die Dampfer und Schleppkahnzüge, wie sie "durch die Wiesen fahren", und die abschiednehmenden [sic] Storchscharen darüber, vor Augen ge führt habe. Meine Glückwünsche gingen dann und gehen jetzt noch darauf hinau s: Genießt so r e cht eure h errliche Umgebung. Sie soll E uch bei den Gedanken, daß dies n icht jedem vergönnt ist, umso schöner und erhabener erscheinen.
Zum Schlusse, meine liebe Elfriede, möchte ich Dich bitten, sieh doch einmal zu, dass meine Invalidenkarte in der nächsten Zeit umgetauscht wird. Auch bewirke, dass mir Kurt etwa 7 Mark zukommen läßt. Er soll aber nichts auf den Postabschnitt schreiben, damit dies nicht als Nachricht angesehen werden könnte und mir dafür vielleicht gar ein Brief von Dir nicht ausgehändigt würde. Im Geiste umarme ich Dich und bleibe Dein Heini. Viele Grüsse an alle.
Verschlüsselte Botschaft:
hier nichts neues spitzelangabe
erfolgt sicher wegen pass
nach schweiz möglich dass
St herauskommt weil namen
notiert an brücke o
müsste bei Vernehmung
erst einmal fühlen
für alle Fälle
autoausstellung altstadt
kirche angesehen
________________________________________________________________
Unverschlüsselter Brief vom 1. Januar 1937
1.1.37
Meine liebe Elfriede!
Noch ganz unter dem Eindruck deines Besuches vom vergangenen Sonntag, übersende ich dir heute vor allem viele herzliche Grüße.
Durch deine liebe Anhänglichkeit fühlte ich mich, im Ganzen genommen, frischer und gestärkt. Selbstverständlich trifft es mich auf der anderen Seite sehr, daß Du Dich, und das vielleicht nur durch unsere Trennung, gesundheitlich nicht auf der Höhe fühlst. Ich glaube, mich in deinen Zustand versetzen zu können. Was kann ich zu dessen Milderung beitragen? Zur Zeit ist es vielleicht nur wenig, aber dieses dafür ganz offen und ehrlich. Aus tiefster Verbundenheit zu Dir heraus, kann ich versichern, daß ich alles, was in meinen Kräften stehen wird, daran setzen möchte, um dir das Leben, mag dazu kommen was wolle, noch einmal angenehmer zu gestalten.
Vielleicht kannst du aus dem Vertrauen zu mir, in Hinsicht auf eine bessere Zukunft einige Kräfte schöpfen. Sieh, meine gute Elfriede, dieses, in ähnlicher Weise auf mich angewendet, gibt mir immer einen wesentlichen Trost. Verzagen und Verzweifeln gehören auch zum Leben. Solange wir uns aber selbst nicht verurteilen brauchen, um uns aufzugeben, können wir dadurch dieses immer wieder in einem neuen und hellen Licht uns vor Augen führen. Halte darum mit Selbstverständlichkeit den Kopf hoch. Du wirst deine Schmerzen immer mit mir teilen können. Somit umarme und küsse ich dich und bleibe dein
Heini
Recht viele Grüße an deine und meine Verwandten daheim und auswärts. Die Karte von meinen Lieben aus Rathenow habe ich, wohl des Festes wegen ausgehändigt bekommen. Zu meiner großen Freude! Sie sollen aber bitte keinen weiterten Gebrauch davon machen. Es geht dies ja auch über deine Briefe zu machen. Die 3 Unterhosen sowie die Taschentücher und die 10,- Mark sind in meinem Besitz. Nochmals vielen Dank dafür.
Verschlüsselter Brief vom 1. Mai 1937
1.5.37.
Meine liebe Elfriede!
Dein e beiden S chreiben vom Monat April habe ich mit vielem Dank im Besitz. Wi e aus dem er s ten hervorgeht, hat D ir das Ausbleiben m einer für den 1.4. fällige Nachricht viele Sorgen bereitet. Dies tut m ir natürlich aufrichtig l e id, zumal ich daran ohne Zweifel einen Teil Schuld trage. Ich lasse mich deshalb gern schon für diesen Fall bei Gelegenheit einmal von Dir wieder an den Ohren nehmen, da eine solche Ver säumnis mir in Zukunft durch s trenges A u fpassen ni ch t wieder unterlaufen soll. Von einer anderen Seite aus betrachtet haben solche mi tunter aufkommenden So r gen, wenigstens von m ei nem Gesichtspunkte aus, auch etwas für sich. Es ma g uns zwar nach einer g e wissen Zeit, wenn alles wieder s einen gewohn t en G a ng g e ht, so ma n che Gemütserregung als ein Fehler und ein sich nicht im Zaume halten Können erscheinen, vor allem d an n, wenn es n i cht zu vermeiden war, da ss unsere Umwelt Kenntnis davon nehmen musste. Dieses kann auch erfolgen, wenn der Kummer nicht durch Wehklagen nach aussen hin kundgetan wird, was ja durchweg zu vermeiden ist. Ein Wesen aber, das selbst bei Ereignissen, die das seelische Gleichgewicht betreffen, keine inneren Wallungen kennt, sei es aus erha bener Überlegenheit oder aus gedanken l osen [sic] S t umpfsinn, ist e ntweder einem Gott oder einem n iederen Tiere gleich. Es kennt und ersehnt die Freuden nicht, die aus den Leiden geboren werden, welche nur ein M ensch erleben k an n.
Die Gedanken, die Du Dir wi edereinma l [sic] meinetwegen gemacht hast, sind al so von mir aus gesehen ganz unnötig, namen tlich aber durch die beiden bestehenden Vorgänge doch zwangsläufig gewesen. Wir beide fühlen w ohl hierin völlig gleich. Aus e i gener Erfahrung kann ich Deine Worte verstehen. Während unseren [sic] s o langen Getrenntseins ist e s mir ja schon wiederholt so e rgangen. Ma n cher meiner früheren Briefe spricht davon. Die Gedanken in Bezug auf den Gefährten beschäftigen uns jeden Augenblick. Sie entspringen dem Drange, sich mit ihm zum Ganzen zu gestalten und [„nicht“: gestrichen] die Kette nach unser em eigenen Leben nicht abreissen zu lassen.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl verlangt, um sich zu vertiefen und an Wert zuzunehmen, eine dauernde, immer von Neuem wi ederkehrende Bestätigung. Wi r ersehnen und verlangen d iese Bestätigung mit al len Fa s ern unseres Herzens. Die im m erwährende und regelmässige Erfüllung ist der Gegenp o l zu de r in uns ständig aufkommenden Spannung, die durch das see lische und körperliche Hingezogenwerden zum anderen Teil s einen Ursprung hat. S t eht [sic] Erf ü llung und Drang im passenden Verhältnis zueinander, dann hat das Leben tro tz allen äuss e ren Schwierigkeiten einen glücklichen Sinn. Wird nun eins von beiden, Spannung einerseits, Erfüllung andrerseits gestört, wird beispielsweise f ür eine ausbleibende Bestätigung keine oder gar eine falsche Erklärung gefunden, so kann dieses zerüttenld [sic], oft auch niederschmetternd wirken. Zwischen uns beiden ist nun leider die M ögl ic hkeit solcher Bestätigungen zur Zeit eine sehr beschränkte. Zwei Schreiben im Monat, hin und wieder ein kurzes Wiedersehen, stellen sich dar. Die Einschränkung bewirkt, d a ss wir uns umso mehr auf das Übriggebliebene umstellen. Wir habe n ge lernt, äu s serst haushälterisch damit umzug ehen, und es berührt uns daher schmerzlich, eine Abweichung da v on er fahren zu müssen. Wenn dies auch hin und wieder vorkommen kann, so wollen wir doch in solchen Fällen stets daran denken, dass nie ein oberflächliches Fühlen zwischen uns, sondern immer nur irgend welche [sic] zuwiderlaufende äussere Umstände schuld daran sind. In dieser Richtung weitergegangen, lassen sich aber Liebe und Treue in ihrer letzten Folgerichtigkeit in überhaupt keiner Wei se beeinträchti g en, s e ien die Umstände auch noch so ha r t. Ja, und so soll es u ns auch a n treffen, wenn wir uns nicht sehen dürfen. Es ist zwar schmerzlich, aber un gl ücklich sind wir de shalb keineswegs. Da wir dieses e r kennen, wird sich unser Wille, doch noch zusammenzukommen, nur verstärken. Es ist selbstverständlich, dass Du von Zeit zu Zeit um Besuchserlaubnis nachsuchst. Sollte dies, sagen wir während ungefähr der nächsten drei Monate keinen Erfolg haben, so soll doch nicht Kurt, sondern meine Mutter einmal darum bitten. Ich brauche zur Zeit vor allem Menschen, die mir den grösstmöglichen Ruhepunkt gewähren. Kurt kann mich hier nicht falsch verstehen. Es würde ihm an meiner Stelle ebenso zu Mute sein. Durch die Mutter haben wir auch die Geschwister bei uns. Umgekehrt lässt sich solches aber nicht sagen.
Und nun zum Schluss. Die herzlichsten Grüsse für Dich, Leine und meine Angehörigen.
Den Postabschnitt mit fünf Mark habe ich mit vielen [sic] Dank am 15.4. erhalten.
Euer Heini.
An meinen Vater und Schwager Kurt werde ich zu deren gemeinsamen [sic] Geburtstage ganz besonders denken. Schon heute recht viele Glückwünsche!
Verschlüsselte Botschaft:
es wird immer wieder versucht
von mir ein gestaendnis zu erhalten
man will von mir namen wissen
unser zusammengehörigheitsgefühl
wird als moralische stütze für
mich angesehen
daher verweigerung
der besuchserlaubnis
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Verschlüsselter Brief vom 15. Mai 1937
15.5.37
Meine liebe Elfriede!
Es muß etwas Großartiges sein, sich mit in d ie Geschehnisse, die jetzt dra u ßen in der Natur vor sich gehen, einreihen zu können. Ach, welches Verlangen, wieder einmal durch einen duftenden, frischen Wiesengr und zu wandern. Die drüc k ende enge Winterhülle, die u ns wie eine Maue r von der Außenwelt abgegrenzt ha t, ist abgelegt worden. Der frische Luftzug, der die blendend weißen Wolken in neckisch froher Laune, nie müde werdend, zu immer anders gestalteten Gebilden aufziehen läßt, durchweht die leichte Kleidung un d b ringt si e zum flattern [sic]. Ja, er d urchdringt s e lbst den Körper, der nicht zurück ge halt en werden möchte. Das ung estüme Pochen in den Adern zeugt davon. Unser Sinn steht in die Weite der herrlichen Welt. Die dar übe rhinsegelnden [sic] Wolke n haben den Horizont erreicht und wollen hinter ihm verschwinden. Wenn wir doch einm a l so im Fluge ihnen folgen könnten. Stattdessen bleibt das Seh nen zu r ück, auch mehr schauen zu dürfen, uns ungehindert nach Herzenslust an all dem v i e len Schönen fr euen zu können. Wo d urch wird unsere Stimmung, die sich jetzt unser bem ächtigt hat, bestimmt? Ist es Lust, Traurigkeit, Hoffnung, Wehmut? Ein leichter Seufzer, w i r fassen uns fester und legen einen Sc hr itt zu.
Do r t, wie prächtig, ein mit Blüten über und über be h angener Apfel b aum. Die Farbe derselben wechselt ja noch ihren Entwicklungsgrad von einem nicht zu aufdringlichen Rot zu einem lebendigen Weiß. Mit einer ganzen Reihe von Blättern in ihrem jungen Grün erweckt das Gesamte in uns den Eindruck einer wohltuenden Wärme. Die weißen Blüten haben sich entfaltet. Sie wiegen sich l a chend im Sonnenschein u nd erwarten mit ruhiger Selbstverständlichkeit ihren F reund, den schaukelnden Schmetterling. Welches Glück, das s p rießende zarte Weiß und Rot und Grün an fasse n und mit dem Gesicht st r eichel n zu dürfen, solange es mir nur immer gefällt. Glaubte ich nicht sonst, es wäre Frevel einen solchen Zweig zu b rech en? Nicht bloß, daß er n och einmal Früchte trag en könnte. Aber vergeht man s ich dadurch nicht plump und ungeschickt an einem so feinen Gefüge, das somit zerstört wird? Muß diese wunder b are Anmut n i cht a n jenem Orte verbleiben, an de n sie die Bestimmung gestellt hat? D och mich durcheilt der Gedanke: Ei n em gel i ebten Mens ch en, der ein sehnendes Herz hat, Freude berei t en, soll für mich die Bestimmu n g a ller Dinge sein. Es drängt mi ch nun, unter den Hunderten zu suchen, d a s schönste Zweiglein abzubrechen und dir zu überbringen.
Für Dein Schreiben vom 6.5., wodurch mir noch eine schöne Sonnta g sfreude bereitet wurde, meinen besten Dank. E s ist f ür mich hier noch das Schönste, von Dir einen Fah r tenbericht zu bekommen, und zu wissen, daß Du noch nach wie vor an dem eine Genu gt uung findest, w as auch meine Brust v o ll e r füllt, nämlich eine Wan d erung durch unsere schöne Heimat. In Bezug auf das Wetter während des Pfingstfestes komme ich mit Selbstverständlichkeit deinen Wünschen e n tgegen.
Richte meiner Mutter bitte aus, daß ich ihren Postabschnitt vom 4.5. mit 5,- Mark erhalten und mich sehr darüber gefreut habe.
Bei deinen nächsten Briefen verwende nach Möglichkeit Umschläge ohne Fütterung.
Euch allen nun die herzlichsten Grüße. Ein recht frohes und angenehmes Pfingstfest! Euer Heini.
Schreib mir bitte zum nächsten Mal die Bahnlinien-Kilometerzahl Jena-Bad Sulza mit. Das Geld dafür muß hier hinterlegt werden.
Verschlüsselte Botschaft:
du und kurt
unbedingte zurückhaltung
üben da sehr
verdächtigt ihr habt
mit einer ganzen
reihe von aufpassern
zu rechnen
ich bin noch
nicht nach o [eigentlich „a“]
gefragt worden
________________________________________________________________
Verschlüsselter Brief vom 25. Juli 1937
25.7.37.
Meine l iebe Elfriede!
Vielen, vielen D a nk für deinen schönen Brief vom 18.7. Im Stillen habe ich ja trotz allem mit einem solchen ger echnet.
Kann s t d u dich einma l z urückversetzen? Irgend ein [sic]Anl a ß hat dich als Kind au s deinem Gleichgewicht gewor f en. Du warst so unsagbar traurig. Di e äußer l ichen Vorgänge m ö gen ganz neben s ächlich und nich t ig gewesen sein. Aber dein kleines Herze und dein kleiner Ver s t a nd konnten diese nicht oder nur ungenüg e nd m eis t ern. We l che Wohltat war es dann, welches siche re Ge borgensein erf a ßte uns dann, wenn eine liebe Ha n d, die es von G rund auf mit uns gut m e i n te, uns streichelt e. Wie wu n derb a r waren wir do ch dann so schnell und h eil über alle d ie scheinba r en Klippen und Fährlichkeiten hinüber. Mit einem Schla ge standen wir wieder mit b eiden Beinen mitten d r in im Kindsein. Das Leben konnte mit L ach en und lus t igem Spiele d en normalen Gang nehmen. So ganz w ie sich gehörte.
Welche Wo h ltat bedeutete es für m i ch den Fl e iß, die Mühe und Liebe, die in deine r Beschreibung lagen, zu fühle n. Und alles sollte nur mir ge lten. Mir sc h ien e s, als folgte ich dir am Stra nd e in einiger Entfernu n g, ganz unhörbar und stumm, nur als stiller Beo b achte r. Be i m Anblick des g e waltigen Fe uerballes über dem weiten, bewegten Wasser wähnt man dessen Umdrehungen feststellen zu können. Die Ursache davon dürften wohl die in der Morgenfrühe aufsteigenden Wasserdämpfe sein, die ja auch der Sonne dann ihre glutrote Pracht verleihen. Die schäumend auslaufenden Wellen werden nicht mü de ihr Spiel auf dem s auber gewa s chenen Sande zu treib en. Im eifrigen Wettbewerb ver sucht nu n eine jede d i e andere zu übertreffen im Vorwärtsdringen auf dem Lande. Willig geben dann die Sandhörn c hen dem Wasser beim Zurückkehren ein gutes Stück Gel e i t. Die nächsten Wogen werden sie ja so wie so wieder mit zurücknehmen. Ob sie w ohl a uch spielen, wenn i h nen de r Men sch nicht zusieht? Fast möch te i ch es n icht g l auben. S ich er ist aber, daß sie es am liebsten tun, we nn ein einsame r Mensch in früher Morgenstun de zu ihne n kommt. Erde und W asser bemühen sich dann gleichzeitig ihm den Sinn de r Ewigkeit klar zu machen. Ihm die beste n Ermunterungen und Auffassungen für seinen kurze n Lebensweg zu geben. So sehe i ch dich mit dem bewegte n Wasser, dem Kind und dem Sand im Sch ein e der aufsteigenden Morgensonne. Ich darf dich hier nicht stören und ha l te mich im gemessenen Abst a nd. Aber was ich beobachte und erlebe, erfüllt mich mit nicht g eringem Stolz und Zufriedenheit.
Ihr Lie b en! Wi e i ch aus den W ort e n von Mutter auf dem Postabschn i tt vom 19.7. und Kurt entneh m e, hat Euch mein Umzug a rges Kopfzerbrechen bereitet. Ihr habt dies aber gar nicht nötig, da der Wechsel durchaus weiter nichts auf sich hat. Eine Einreichung um Besuchserlaubnis ist meines Erachtens noch nicht ang ebracht, da der Aufwand an Kosten und Mühe in keinem Verhältnis zu der nur so kurzen Wiedersehensfreude steht. Es soll uns für die nächste Zeit einmal genügen zu wissen, daß wir alle noch gesund sind.
Von deinen Briefen, Elfriede, hebe bitte eine Abschrift auf. Auch schicke mir bei Gelegenheit ein Bild von dir mit. Vielleicht zu meinem Geburtstage! Die herzlichsten Grüße, dein Heini
Verschlüsselte Botschaft:
lager sulza aufgelöst
sämtliche gefangene
nach hier gebracht
die
hier eingehenden Briefe
müssen vernichtet werden
wahrscheinlich werden wir
in kürze in ein Lager
bei Weimar gebracht
________________________________________________________________
Verschlüsselte Postkarte vom 4. August 1937
4. 8. 37.
Meine Liebe! Wie Du aus dem Aufdruck auf dieser Karte ersie h st, i st mit m e inem Aufenthaltsort wiede r eine V eränderung e i ng e t r eten. Und z war sind wir vorig e Woc h e So n nabend, den 31.7., in die s em Lager einge t roffen. Ich kann mir g u t vorstelle n, d aß di e se Be n achrichtigung bei Euch vielleicht schwere s Kopfzerbrechen w a chrufen könnte. Aber d i es is t durch au s ni ch t nötig. Wenn Rosel und Kurt Sonntag nicht zu mir kommen können, s o sollen sie sich ihren Urlau b nicht v er saue n lassen, und ihre paar freien Stunden recht genießen.
Deinen lieben Brief habe ich gestern erhalten. Die Zurechtweisung tat mir sehr wohl.
Herzliche Grüße
Euer Heini
Verschlüsselte Botschaft:
hier vierzehn
stunden schwere
arbeit auch
sonntags sieben
stunden
Verschlüsselter Brief vom 29. August 1937
29.8.37.
Bitte beachten
Jetzt Block 8
Meine liebe Elfriede!
Wie gefällt dir der letzte So nntag im Au g ust? Die Sonne kann ihre volle Kraft nicht entwickeln, d a ein leichte r Wolkenschleier sie daran hindert. Außerdem hat sie schon längst den Tag geteilt.
Zum Bad e n i s t e s wohl zu kühl. Vi e lleicht habe n w ir a ber auch heute nicht zu große s Verlangen na ch all d e m bunte n Treiben und wollen lieber allein sein. Die erhabene Ruhe draußen bei den Bergkräutern und dem Wilde ver s teht nicht einjeder [sic] zu genießen. Al s o ein W a ndernachmittag. Im Gedanken be f inde ich mich mit dir auf d e r Horizontale an den Kernbergen. Vom Forste her weht es kühl zu uns herüber. Die Häuser mit ihren Menschen haben wir zu Füßen liegen, un d können frei darüber hinwe g sehen. Wir fühl e n u n s leicht u nd unbesch w ert. Ist es uns doch zu Mute, als g ehörten wir untr e nnbar mit zur S o nne und Er d e. Der Gleichschlag z weier Menschenh e rzen läßt all das Geschehen i n der Na t ur zum wunderbaren, aufbauenden Erleben werden.
Du weißt, meine Elfriede, im Geiste bin ich ja nicht nur heute Nachmittag, sondern jeder Zeit bei dir. Jedoch das Niederschreiben erfordert mehr oder wenniger [sic] Können und Geschicklichkeit. Wenn es nunmehr auch wenniger [sic] an Menge von meiner Hand ist, so kommt es doch destomehr [sic] aus tiefstem Herzen. Dein letztes Schreiben ist doch vom 13.8.?
Das Geld von meiner Mutter vom 18.8. habe ich mit vielem Dank erhalten.
Überbringe bitte meiner Schwester zu ihrem Geburtstage meine besten Glückwünsche.
Nun viele Grüße an alle meine Lieben und sage ihnen, daß ich noch gesund und munter bin. Dein Heini
Verschlüsselte Botschaft:
sogar zum essen
waschen schlafen
haben wir
ungenügend Zeit
______________________________________________________________________
Verschlüsselter Brief vom 7. November 1937
7.11.37.
Ach, meine liebe Elfriede, Du hast mich wiedereinmal [sic] sehr nachdenklich gemacht. Der In h alt Deines Schreibens vom 29.10. kam m i r gänzlich un er wartet. Ich habe eigentlic h mit etwas Anderem g er echnet. Abe r wenn sc hon, am eigenen Leibe habe ich ja auch zur Genüge erfahren müssen, wie es is t, wenn man jeden Tag von früh bis abend vergeblich auf das so h e iß Erwü n schte warte t. Nur das Endergebnis ist verschieden. Ein Brief, aus dem ich volle Hingabe u nd Li e be herauslesen konnte, hat mich immer e n tschädigt und ist b e i mir n och nie zu spät eingetroffen. Die Fehlrechnung ist wohl d i e, daß ich bei dir zwang släufig die gleichen Bedingungen voraussetzte. Denn körperlich fühle ich mich noch a uf de r Höhe. Auch kenne ich Dir gegenü b er k ei ne Schwankungen. Im Streben nach der Zugesellung des Lebensgefähr t en habe ich nur dich als den für mich wertvollsten Menschen vor Augen. Durch meine Umwelt treten mir bei diesem Ausrichten keinerlei Störungen entgegen. Nach deinem Schreiben sc h eint es be i dir etwas a n ders zu stehen. Mit tiefem Erschrecken mußte ich feststellen, daß ein verhältnismäßig nur un bedeuten d er wid rige r Zwischenfall, wie das Au sb leiben der gew o hnten Post, bei dir seelische u n d körperliche Schäde n hervorrief. Allerdings spricht für sich, es erfolgte ausgerechnet vor deinem Geburts tag. Aber eine Schuld daran konntest Du mir doch unmöglich etwa beimessen. Dieses Auftreiben Deinerseits hat je d och unte r k ei nen Um ständen so weiter z u g e hen.
Höre, meine Liebe, i ch meine es nur gu t mit Dir. Wenn Du meinst, nicht die Kraft zu besitzen, dein Schwanken mir gegenüber durch eine grundfeste ][sic] Zuversicht, die se hr, sehr viel an einem geistigen und körperlichen Wohlbefinden beitragen wird, zu meistern, dann gibt es nur noch das Eine: weniger tiefgehend von [das Wort wurde gestrichen] an meinem jetzigen Dasein teilzuhaben, das nahe Anlehnen an die Schwester, Freundin o der was weiß ich, kann dahin den Weg e b nen. Du hast e ine n guten, gesunden Verstand, lasse ihn gemäß deiner Auffassung von der Selbsterhaltung walten. Versuc h e unb e dingt, dich nach eine r Richtung hin zu bewegen. Dies wird sich bestimmt für dich, letzten Endes aber auch für mich, günstig auswirken.
Ich werde immer für dich bereit sein und bleibe
dein Heini.
Herzliche Grüße, auch für meine lieben Angehörigen!
Verschlüsselte Botschaft:
hier herrscht jeden
tag von früh bis abend
entmuendigende
zwangsarbeit für
schreiben hin und
wi[e]der sonntags etwa
drei Stunden [eigentlich: ständen] zeit
diese wird von oben
her bestimmt
______________________________________________________________________
Unverschlüsselter Brief vom 5. Dezember 1937
5. 12.1937
Meine liebe gute Elfriede!
Bei Erhalt Deines Briefes vom 26.11. habe ich tatsächlich erleichtert aufatmen können. Mir war es die ganze Zeit hindurch, als ob ich am Lager eines treuen Kranken warte, der in seinem Fieber mich wie einen übelwollenden Fremden betrachtete. Nun ist der böse Traum vorüber. Die klaren Augen, ein inniges Zulächeln besagen es und bedeuten in diesem Augenblick so unendlich viel. Du weißt ja wieder, daß ich bei Dir bin. Denke stets daran, Du bist nie allein. Es gibt doch einen Menschen, der ganz für Dich denkt und fühlt. Suche bei diesen Gedanken, nach einem sanften Händedruck und einem Kuß von mir, die Dir so notwendige Ruhe zu finden.
Die Auswahl deines Adventkranzes mit seiner wohltuenden Schlichtheit, die eine solch in sich gekehrte Schönheit ausstrahlt, läßt mich glauben, daß Du Dich auf dem Wege der entspannenden Genesung befindest.
Alles Gute und die herzlichsten Grüße für Dich!
Dein Heini
[...]
1 Buchenwaldarchiv, Sign. 04.1.106. Siehe die Transkription der Briefe im Anhang.
2 Lediglich der exemplarische Lebenslauf Heinrich Adams als Widerständler und überzeugter Kommunist fand in der DDR-Zeit Beachtung und diente 1986 als Grundlage für die Abschlussarbeit einer Weimarer Studentin (Beate Peters, Biographie des Genossen Heinrich Adam/Jena zum Erwerb des Fachschulabschlusses am Institut für Lehrerbildung „Walter Wolf“ Weimar, Weimar, 30. März 1986), die in der Bibliothek der Gedenkstätte Buchenwald zu lesen ist.
3 Untersucht wurden diese illegalen KZ-Briefe vom Verfasser. Die Ergebnisse wurden unter dem französischen Titel „Lettres de l’ombre. Correspondance illégale dans les camps de concentration nazis“. Vorworte von Peter Kuon und Philippe Mesnard, Liège 2015, veröffentlicht. Unter dem deutschen Titel „Verbotene KZ-Briefe. illegale Korrespondenz aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern“ soll die deutsche Fassung voraussichtlich im Laufe des Jahres 2022 beim Metropol Verlag (Berlin) erscheinen.
4 Darüber berichteten die Thüringer Allgemeine in ihrer Ausgabe vom 9. Oktober 2006 („Geheime Botschaften“). und die Zeitung Vorwärts am 4. Oktober 2007 unter dem Titel „Die Briefe des Heinrich A.“.
5 Dies und folgende Aussagen aus der Biographie von Heinrich Adam wurden dem Personenblatt des Buchenwaldarchivs (Signatur Bwa 52-11-459), einem Brief Heinrich Adams vom 30. Mai 1984 an das Bezirkskomitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in Gera, der Abschrift der Anklageschrift vom 30. April 1935 gegen Heinrich Adam, einer Befragung der Nationalen Mahn-und Gedenkstätte Buchenwald aus dem Jahre 1965 (Buchenwaldarchiv, Signatur Bwa 52-11-496), sowie einem Fragebogen vom 8. Oktober 1965 entnommen. Vor allem dienten aber die von Heinrich Adam verfassten Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters „Biographie des Genossen Heinrich Adam/Jena“ (April 1981, Buchenwaldarchiv, Signatur Bwa 52-11-459) und der Bericht Heinrich Adams über das Konzentrationslager Bad Sulza (Erinnerungen an die Konzentrationslager Bad Sulza und Lichtenburg, Januar 1985, Buchenwaldarchiv, Signatur 31/953) zur Information.
6 Mehr über die Kommunistische Partei in Jena und die Rolle Heinrich Adams bei Heinz Grün, Bürger aus Jena und Umgebung im Widerstand gegen das Naziregime 1933-1945. Eine Übersicht, Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e.V. (Hrsg.), Jena 2005, S. 39, S. 40, S. 41, S. 65. Bekanntlich richtete sich der Terror der NS-Herrschaft von Anfang an gegen die Arbeiterbewegung und insbesondere gegen Marxisten und Kommunisten. Sie wurden zusammen mit den Juden zum Hauptfeind des deutschen Volkes erklärt.
7 Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 5.
8 Bad Sulza liegt in Thüringen, 21 km von Jena entfernt. Von 1933 bis 1937 unterhielten die Nationalsozialisten in einem ehemaligen Sanatorium Bad Sulzas im Osten der Stadt ein Konzentrationslager (KZ Bad Sulza), das die Nachfolge vom KZ Nohra antrat und auch bekannt unter dem Namen „Sonnenburg“ war. Etwa 1 000 Häftlinge wurden hier interniert und zu Arbeiten im Steinbruch und Straßenbau eingesetzt. Nach der Auflösung des KZ Bad Sulza wurde das KZ Buchenwald gegründet. Mehr darüber in den Begleitbändern zur Dauerausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora [Hrsg.], Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945, 2. Überarbeitete Auflage, Göttingen 2020, S. 19; Gedenkstätte Buchenwald (Hrsg.), Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945. Begleitband zur ständigen historischen Ausstellung, 2. Auflage, Göttingen 2000, S. 25-31).
9 Am 13. Juni 1933 wird die „Lichte“, ein „Konzentrationslager für männliche Schutzhäftlinge“, in einem Schloss bei Prettin im Süden Sachsen-Anhalts in der Nähe von Annaburg und Torgau eingerichtet. Mitte August 1937 wird es zu einem Frauen-KZ, das bis zum Bau des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück 1939 besteht. Darüber informieren die Webseite der Gedenkstätte Lichtenburg unter: https://gedenkstaette-lichtenburg.sachsen-anhalt.de/ (Stand: 8. März. 2021), sowie der Begleitband zur Dauerausstellung Buchenwald, überarbeitete Auflage, S. 14; S. 19 f.: S. 32; S. 45 f.; S. 203; S. 238-243.
10 Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 14.
11 Vgl. Heinrich Adam: „Gleich zu Anfang der Verhöre im KZ Bad Sulza, als man mich wegen der Reise in die Schweiz und Basel zu belasten anfing, hielt ich es unbedingt für erforderlich, daß Otto Paul durch Elfriede Stehling, an die ich im wesentlichen die üblichen Briefe mit belanglosem Text aus dem Konzentrationslager richtete, gewarnt werden müsse, indem ich gleichzeitig das miteinander abgesprochene System der geheimen Durchsagen anwendete“ (Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 14).
12 Siehe die beiden Briefe des Thüringischen Ministers des Innern Weimar vom 16. April 1936 und 20. Mai 1936 an Elfriede Stehling im Buchenwaldarchiv, Signatur Bwa 52-11-496.
13 Heinrich Adam, Erinnerungen an die Konzentrationslager Bad Sulza und Lichtenburg, S. 15.
14 Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 15.
15 Ebenda, S. 15.
16 Ebenda, S. 16.
17 Ebenda, S. 17.
18 VdN: Verfolgte des Naziregimes.
19Zu den Häftlingen, die nicht über eine Schreiberlaubnis verfügten, gehörten die Inhaftierten der Strafkompanien, die sowjetischen Kriegsgefangenen (trotz der internationalen Abmachungen), die Gefangenen, die mit dem Kryptonym „NN“ (Nacht und Nebel)[19] und „Meerschaum“ registriert waren. Auch diejenigen, die über die eine Postsperre als kollektive oder individuelle Strafe verhängt worden war, waren vom Postverkehr ausgeschlossen. Die jüdischen Häftlinge, die nicht gleich nach ihrer Ankunft in den Gaskammern vergast wurden, durften aufgrund eines Erlasses vom 30. März 1943 im Prinzip einmal innerhalb von zwei Monaten einen Brief schreiben. Es kam aber öfters vor, dass sie mehrere Monate Empfangs- und Sendeverbot hatten (mehr dazu Jean-Louis Rouhart, Verbotene KZ-Briefe. Illegale Korrespondenz aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Berlin 2022, S. 10-12 [im Erscheinen]).
20 Er durfte aber im April 1937 zwei Schreiben von Elfriede empfangen (siehe Heinrich Adam, Anfang des Briefes vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
21 Beide Zitate aus Heinrich Adam, Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza. Originale Schreibweise.
22 Briefe mussten für eine erste Kontrolle an den Blockältesten (einen Häftling) überreicht werden, dann wurden sie an den Blockführer (einen SS-Mann) weitergeleitet, kamen anschließend zur Postzensurstelle, wo nachgesehen wurde, ob der Inhaftierte wohl das Recht zum Schreiben hatte und der Inhalt der Briefe wieder kontrolliert wurde. Siehe dazu u.a. Eugen Kogon, Der SS-Staat, Anmerkung 19, München 2004.
23 Im Heinrich-Adam-Ordner befindet sich außerdem die unvollständige Kopie einer Mitteilung von Heinrich Adam (Datum nicht erkennbar) über seine Verlegung des KZ Bad Sulza in das KZ Lichtenburg. Er erwähnt seine Einlieferung am 9. Juli 1937, teilt seinen „Angehörigen“ mit, dass sie in den nächsten Tagen seine Wäsche erhalten werden, weil alle Kleidungsstücke im Lager gestellt werden. Er bestätigt den Erhalt einer Postüberweisung in Höhe von 5 Mark und bittet seine Familie, „seiner“ Elfriede schöne Grüße auszurichten. Eine Kopie dieser Karte ist auch bei Klaus Drobisch, Konzentrationslager im Schloß Lichtenburg, Cottbus 1981/1987, S. 62 - 63 zu lesen. In seinen Aufzeichnungen für die Studentin Beate Peters erwähnt Heinrich Adam, dass Elfriede Stehling auch „2 Originalschreiben aus der Untersuchungshaft“, die ebenfalls Geheimtexte enthielten, aufbewahrt habe (Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 16). Diese Unterlagen fehlen aber im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald.
24 Die deutsche Frakturschrift oder auch „Sütterlin-Schrift“ genannt, wurde von 1915 bis etwa 1940 an den deutschen Schulen gelehrt. Erst am 3. Januar 1941 kam Martins Bormanns Schrifterlass, nach dem nicht mehr die deutsche Schreibschrift, sondern die „Normal-Schrift“, d. h. die „Antiqua-Schrift“ (lateinische Schreibschrift) zu schreiben sei. Die Fraktur wurde also von den Nazis und nicht, wie manche meinen, nach dem 2. Weltkrieg von den Siegermächten abgeschafft.
25 1937 protestierte die Weimarer Ortsgruppe der „NS-Kulturgemeinde“, weil der Name „Ettersberg“ bis dahin exklusiv mit einem Gedächtnisort der Weimarer Klassik verbunden war. Obwohl der Verein kurz vor der Eröffnung des Lagers zugunsten der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ aufgelöst wurde, ging Himmler auf den Einspruch ein und benannte das Lager um. Siehe das Schreiben des Führers der SS-Totenkopfverbände und Konzentrationslager Theodor Eicke an den Reichsführer Heinrich Himmler, vom 24. Juli 1937 datiert, in: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora [Hrsg.], Buchenwald, S. 13. Interessanterweise schlägt Theodor Eicke in diesem Schreiben den Namen „K.L. Hochwald“ vor (ebenda, S. 13).
26 Zu einer allgemeinen Analyse der KZ-Briefe aus der Sicht der Postgeschichte, der Philatelie und der Marcophilie siehe in der Bibliographie die Studien von Heinrich Heeren, Henry Kahn, Julien Lajournade, Erik Lǿrdahl, Jan J. Mozdzan, Sam Simon. Patrick Verwerft und Karl Kurt Wolter, um nur einige zu nennen.
27 Siehe Fußnote 2.
28 Damit meint Heinrich Adam wohl „Botschaft, Nachricht“.
29 Jeweils Zitate von Heinrich Adam in seinen Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 8. Andere, wohl bekanntere Beispiele für eine ähnliche Chiffrierungstechnik sind in die Geschichte eingegangen. Am bekanntesten ist wohl die Caesar-Verschlüsselung, ein einfaches symmetrisches Verschlüsselungsverfahren, das auf einer monographischen und monoalphabetischen Substitution basiert. Siehe dazu Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, Cäsar-Verschlüsselung, https://de.wikipedia.org/wiki/Caesar-Verschlüssselung (Stand: 14. März 2021).
30 Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 8.
31 Ebenda, S. 16.
32 Siehe Fußnote 28.
33 Oder erst später, aus Vorsichtsgründen. In jedem Fall ist es nicht die Handschrift von Heinrich Adam.
34 Ähnlich wie alle Briefe mit geheimen Botschaften und wie alle weiteren illegalen Briefe (Kassiber, aus den Deportationszügen geworfene Zettel, auf dem Lagergelände versteckte Briefe…). Mehr dazu siehe Jean-Louis Rouhart, Verbotene Briefe aus den Konzentrationslagern, Berlin 2022 (im Erscheinen begriffen).
35 Heinrich Adam, Brief vom 4. August 1937 aus dem KZ Buchenwald.
36 Heinrich Adam, Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
37 Heinrich Adam, Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald. Mit dem „heiß Erwünschten“ ist ein Brief von Elfriede gemeint.
38 Siehe unten.
39 Siehe Comité International de Dachau/Barbara Distel/KZ-Gedenkstätte Dachau, Katalog zur Ausstellung „Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1945“, München 2005, S. 192.
40 Siehe u. a. Wojciecha Buraczyńska - Zeiske, Bericht, in: Andrea Genest, (Hrsg.), Damit die Welt es erfährt … Illegale Dokumente polnischer Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück. Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Bd. 14, Berlin 2015, S. 180–183, hier S. 180.
41 Siehe Hermann Langbein, Nicht wie Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Frankfurt am Main 1980, S. 265.
42 Diese Kassiber wurden nicht abgefangen. Sie sind heute in den Sammlungen des Archivs des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau (APMO) aufbewahrt.
43 Mehr dazu siehe Bella E. Čistova/ Kirill V. Čistov, Volksdichtung und Sprache der Ostarbeiter in den Jahren 1942 – 1944, in: Bella E. Čistova/Kirill V. Čistov (Hrsg.), „Fliege, mein Briefchen von Westen nach Osten.“ Auszüge aus Briefen russischer, ukrainischer und weißrussischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter 1942 – 1944, Studien zur Volksliedforschung. Bd. 18, Bern 1998, S. 9–51, hier S. 33.
44 Man lese die Erläuterungen zu den Kopien der Briefe des „Predigers von Buchenwald“ in: Gedenkstätte Buchenwald, Buchenwaldarchiv, Paul Schneider, Briefe, Signatur Bwa. 52-11-20.
45 Nach einer Definition von Marit Köhntopp. Siehe http://marit.koentopp.de/pub/steganograhie ( Stand: 11. August 2022). Der Begriff „Steganographie“ ist abgeleitet von den griechischen Wörtern „steganos“ (versteckt) und „graphein“ (schreiben). Im Gegensatz zur Kryptographie, die die erkennbare Benutzung eines Kryptosystems zur Chiffrierung einer Nachricht untersucht, bleibt bei der Steganographie auch „die Tatsache des Verschlüsselns selbst geheim. Den Texten sieht man also nicht an, dass sie eine geheime Botschaft enthalten. Die interne Botschaft kann nur der Empfänger dieser Texte entziffern, der vorher mit dem Schreiber eine bestimmte Kodierungsvorschrift vereinbart hat“ (Die freie Enzyklopädie Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Steganographie, Stand: 10. März 2021). Mehr zur Steganographie und zur Kryptologie siehe auch Nils Babion, Steganographie im Wandel der Zeit, TU Ilmenau 2003 unter http://www.zeropage.de/it/security/students/steganographie_im_wandel_der_zeit.pdf (Stand:10. März 2021) sowie die Studien von Albrecht Beutelspacher, Martin Gardner, David Kahn, Rudolf Kippenhahn, David Newton, Simon Singh usw. (s. die Titel dieser Studien in der Bibliographie unten).
46 Dieser Widerstandskämpfer war „der Leiter des Naturfreundegeschäfts in Basel, ein Vertrauensmann, von dem man möglicherweise Hinweise über den Aufenthalt von Emigranten erhalten könne“ (Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 5). Nach dem Treffen mit dieser Person und dem folgenden geheimen Gespräch mit einer Schneidermeisterin in einer Werkstatt erhalten Heinrich und sein Freund Otto „die Auskunft, dass sich das Emigrantenlager in Straßburg befände“ (ebenda, S. 6).
47 Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 6.
48 Heinrich Adam, Botschaft in dem Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
49 Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza. Wahrscheinlich wusste die Gestapo durch Spitzel, dass Elfriede Stehling damals eine aktive Rolle in der Jenaer Widerstandsbewegung spielte. Zweimal bekam sie, als Heinrich Adam der Gestapo im KZ Bad Sulza unmittelbar gegenüberstand, Vorladungen der Kriminalpolizei und wurde in Jena verhört. Siehe diese Vorladungen im Buchenwaldarchiv, Signatur Bwa 52-11-459.
50 Heinrich Adam, Botschaft in dem Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
51 Er weiß damals noch nicht, dass eine gewisse Mascha aus Jena, die ihn in Basel gesehen hatte und im KZ Bad Sulza denunziert hatte, Otto Paul mit einem anderen Widerstandskämpfer (Erich Hartung) verwechselt hatte. Nach Heinrich Adam hatten Otto Paul und Erich Hartung eine gewisse Ähnlichkeit miteinander. Erich Hartung wurde gefoltert und in ein Straflager abtransportiert (Heinrich Adam, Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 13-14).
52 Elfriede hat vermutlich einen Buchstaben falsch transkribiert. Sie hat „o“ notiert, obwohl sie im Text ein „a“ (richtig) markiert hat. Für eine mögliche Erklärung siehe oben.
53 Heinrich Adam, Botschaft in dem Brief vom 29. August 1937.
54 Heinrich Adam, Botschaft in dem Brief vom 7. November 1937.
55 Heinrich Adam, Botschaft in dem Brief vom 7. November 1937.
56 Vgl. u. a. Stanisław Kłodziński, Häftlingsbriefe aus dem Konzentrationslager Auschwitz. Ihre historische und psychologische Bedeutung, in: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Die Auschwitz- Hefte, Texte der polnischen Zeitschrift „Przegląd Lekjzerski“ über historische, psychische und medizinische Aspekte des Lebens und Sterbens in Auschwitz, Ergänzungsband, Weinheim und Basel 1987. S. 22 f.
57 Henryk Świebocki, Spontane und organisierte Formen des Widerstandes, in: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann, Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Bd. II, Göttingen 2002, S. 29.
58 Für die Krakauer Forscher, die einen Katalog der in den KZ zum Überleben befähigenden Eigenschaften und Einstellungen erarbeitet haben, war die Abfassung verbotener Schriften als Form der Solidarität mit den Mitgefangenen und mit den Widerstandsbewegungen draußen ein wichtiger „Überlebensfaktor.“ Siehe dazu Zenon Jagoda/Stanisław Kłodziński/Jan Maslowski, Das Überleben im Lager aus der Sicht ehemaliger Häftlinge von Auschwitz-Birkenau, in: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Die Auschwitz-Hefte. Texte der polnischen Zeitschrift „Przeglad Lekarksi“ über historische, psychische und medizinische Aspekte des Lebens und Sterbens in Auschwitz, Bd. 1, Weinheim und Basel 1987, S. 13˗51.
59 Vgl. Alvin Rosenfeld, Ein Mund voll Schweigen. Literarische Reaktionen auf den Holocaust, Göttingen 2000. S. 47.
60 Hermann Langbein, … nicht wie Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1938-1945, Frankfurt am Main 1988, S. 57.
61 Rolf D. Krause, in: Doris Griesser, KZ-Bibliothek: Lesen gegen die Unerträglichkeit, Der Standard, 29. Juli 2018 (online unter https://www.derstandard.de/story/2000084037613/KZ-bibliotek-lesen-gegen-die-unertraeglichkeit, Stand: 21. März 2021).
62 Christoph Daxelmüller zeigt auch, dass die kulturelle Betätigung „neben der therapeutischen, identitätsstiftenden und lebensrettenden Funktion zu dem Bewusstsein verhalf, sich als kultiviertes Wesen von den Tätern zu unterscheiden“ (Kulturelle Formen und Aktivitäten als Teil der Überlebens- und Vernichtungsstrategien in den Konzentrationslagern, in: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hrsg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Bd. II, Göttingen 2002, S. 983-1005, hier Anm. 55, S. 999-1000.
63 Siehe Jean-Louis Rouhart, Lettres de l’ombre, S. 54.
64 Heinrich Adam Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 14. Wenn er in einem Brief vom 29. August 1937 Elfriede mitteilt, dass das Schreiben einen mühsamen Vorgang darstelle und dass „das Niederschreiben mehr oder weniger Können und Geschicklichkeit“ erfordere, dann meint er wohl mit dem „mühsamen Vorgang“ das Verklausulieren der Briefe.
65 Heinrich Adam Anlagen zur Abschlussarbeit von Beate Peters, S. 14.
66 Recherchen im Internet haben nichts ergeben.
67 An dieser Stelle könnte man argumentieren, dass das Referat von Heinrich Adam in einen pädagogischen Kontext eingebettet war (es waren ja Anlagen zu einer schulischen Abschlussarbeit) und dass es ihm darum ging, den Akzent auf seine Widerstandsaktionen in der Form von verborgenen Botschaften für seine Mitkämpfer in den Vordergrund zu setzen, ganz im Sinne der damaligen vereinfachenden und heroisierenden Lebensdarstellungen. Wenn er aber der Autor der dichterischen Stellen gewesen wäre, hätte er doch dies wahrscheinlich in seinen Aufzeichnungen an irgendwelcher Stelle erwähnt, schon um zu zeigen, dass kommunistische Widerstandskämpfer in den Höllen der Konzentrationslager dazu fähig warten, sich als Verfasser von gehobenen Texten zu behaupten.
68 Heinrich Adam, Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald.
69 Heinrich Adam, Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
70 In den Briefen vom 15. Mai 1937, vom 25. Juli 1937 und vom 29. August 1937 nehmen sie die Hälfte, in dem Brief vom 1. Mai 1937 sogar zwei Drittel des Brieftextes ein.
71 Anlässlich des Geburtstages seiner Schwester führt er „ganz deutlich die verträumte Altstadt [von Rathenow] mit der Kirche als Wahrzeichen, die rote Heide, die ausgedehnten Wälder, die weiten, blanken Wasserflächen mit ihren weissen Segeln, die Dampfer und Schleppkahnzüge, wie sie ‚durch die Wiesen fahren‘, und die Abschied nehmenden Storchscharen darüber, vor Augen (Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza).
72 Von „Es muß etwas Großartiges sein, […]“ bis „[…] das schönste Zweiglein abzubrechen und dir zu überbringen.“
73 Von “Mir schien es, als folgte ich dir am Strande […]“ bis „Aber was ich beobachte und erlebe, erfüllt mich mit nicht geringem Stolz und Zufriedenheit.“
74 Bei dieser Wanderung ist Heinrich und Elfriede zumute, “als gehörten sie untrennbar mit zur Sonne und Erde“ (Brief vom 29. August 1937 aus dem KZ Buchenwald).
75 Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza. Weitere Beispiele wären „die schäumend auslaufenden Wellen, die nicht müde werden, ihr Spiel auf dem sauber gewaschenen Strande zu treiben“ (Brief vom 25. Juli 1937) oder der frische Luftzug, der „in neckisch froher Laune, nie müde werdend, die Wolken zu immer anders gestalteten Gebilden aufziehen läßt“ (Brief vom 15. Mai 1937) usw. .
76 Allegorisch steht dieser Apfelbaum für allerlei abstrakte Begriffe wie den Überfluss (der Baum ist „mit Blüten über und über behangen“), die Lebendigkeit (wegen der „lebendigen“ weißen Farbe dieses Baumes), den Frohsinn (die „sich lachend im Sonneschrein wiegenden weißen Blüten“), die „ruhige Selbstverständlichkeit“ (mit der die Blüten den Schmetterling erwarten), die Sorglosigkeit (des „schaukelnden Schmetterlings“), die Zärtlichkeit (das „sprießende zarte Weiß und Rot und Grün“ der Blüten; das „Streicheln“ des Gesichts mit den Blüten) und die Selbstbestimmung („solange es mir nur immer gefällt“) etc. (Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
77 Heinrich Adam, Briefe vom 1. September 1936 und vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
78 Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg.
79 Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
80 Die Buchenwalder Bibliothek war die größte Lagerbibliothek im Dritten Reich. Der Buchbestand stammte aus den aufgelösten KZs Bad Sulza, Sachsenburg und Lichtenburg. Erweitert wurde er durch Spenden von KZ-Insassen. Mehr dazu und zur Rolle der Bibliotheken in den NS-Konzentrationslagern siehe den schon genannten Beitrag von Doris Griesser, KZ-Bibliothek: Lesen gegen die Unerträglichkeit.
81 In dem verschlüsselte Brief vom 1. Mai 1937 mehr als die Hälfte, in dem verschlüsselten Brief vom 7. November 1937 fast die ganze Länge.
82 Elfriede musste ahnen, dass es andere Gründe für die Funkstille seines Verlobten geben musste als seine angebliche „Versäumnis“. Mit einer kodierten Nachricht in demselben Schreiben erklärt er ihr aber den wahren Grund des Ausbleibens seiner Post. Um Druck auf ihn auszuüben und von ihm ein Geständnis zu erhalten, habe man ihm die Besuchserlaubnis verweigert. Wahrscheinlich hat man auch eine Postsperre über ihn verhängt (geheime Botschaft des Briefes vom 1. Mai 1937).
83 Heinrich Adam, Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
84 Diese Folgen würden „schmerzlich“, „zerrüttend und niederschmetternd“ auf ihre Liebesbeziehung wirken, durch das stetige „Denken an den Gefährten“ „Spannung“ schaffen, „Kummer“ bereiten und eine „Störung der Erfüllung“ verursachen (Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
85 „Ein Wesen aber, das selbst bei Ereignissen, die das seelische Gleichgewicht betreffen, keine inneren Wallungen kennt, sei es aus erhabener Überlegenheit oder aus gedankenlosem Stumpfsinn, ist entweder einem Gott oder einem niederen Tier gleich“ (Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
86 „Das Zusammengehörigkeitsgefühl verlangt, um sich zu vertiefen und an Wert zuzunehmen, eine dauernde, immer von Neuem wiederkehrende Bestätigung. Wir ersehnen und verlangen diese Bestätigung mit allen Fasern unseres Herzens“ (Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
87 „Du hast einen guten, gesunden Verstand, lasse ihn gemäß deiner Auffassung von der Selbsterhaltung walten. Versuche unbedingt, dich nach einer Richtung hin zu bewegen. Dies wird sich bestimmt für dich, letzten Endes aber auch für mich, günstig auswirken“ (Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald).
88 Man denke z.B. an die kodierten Briefe des KZ-Häftlings Josef Kentenich, der die Umschreibung der Zustände im Lager tarnte, indem er von Korinth schrieb und dem heiligen Paulus eigene Ansichten und Tätigkeiten zuschrieb. Siehe den Vortrag von Pater Elmar Busse am 27. Mai 2006 auf dem 96. Katholikentag in Saarbrücken unter dem Titel „Aufrecht – aufrichtig – Richtung gebend. Menschen, die sich für die Gerechtigkeit eingesetzt haben – Pater Josef Kentenich“, unter www. archiv.schoenstatt.de news 2006/05/6t0527de-deu-katholikentag-busse-doku.php (Stand: 5. November 2020).
89 Auch Julien Lajournade erkennt in den Briefen der französischen KZ-Häftlinge ein solches Schema (Le Courrier dans les camps de concentration: Système et rôle politique. Images et documents, Paris 1989, Anmerkung 32, S. 73).
90 „Es kommt mir heute vor allem darauf an, Euch mitzuteilen, dass ich vor der Hand noch vollauf gesund bin. Hoffentlich ist dies auch bei Euch noch der Fall“ (Brief vom 12. Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza).
91 Z. B. die Bitte um ein Foto: „Auch schicke mir bei Gelegenheit ein Bild von dir mir. Vielleicht zu meinem Geburtstage!“ (Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Bad Lichtenburg).
92 „Auch bewirke, dass mir Kurt etwa 7 Mark zukommen lässt“ (Brief vom aus dem KZ Bad Sulza).
93 „Vielen, vielen Dank für deinen schönen Brief vom 18.7“ (Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg).
94 „Den Postabschnitt mit fünf Mark habe ich mit vielen [sic] Dank am 15. 4. erhalten“ (Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
95 Z. B.: „Die 3 Unterhosen sowie die Taschentücher […] sind in meinem Besitz. Nochmals vielen Dank dafür“ (Brief vom 1. Januar 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
96 „Herzliche Grüße, auch für meine lieben Angehörigen!“ (Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald). Zu diesen Angehörigen gehören seine Eltern, seine Schwester Rosa und sein Schwager Kurt Jäger.
97 Z. B.: „An meinen Vater und Schwager Kurt werde ich zu deren gemeinsamen [sic] Geburtstage ganz besonders denken“ (Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
98 Kurt Adamy, Was bleibt ist Hoffnung, S. 8.
99 „An Mitteilungen waren nur Familienangelegenheiten erlaubt; selbstverständlich kein Sterbenswort über das Lager oder über den Zustand, in dem man sich befand“ (Eugen Kogon, Der SS-Staat, München 2004, S. 148).
100 Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
101 Brief vom 12. Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
102 Brief vom Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
103 Ebenda.
104 Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald.
105 Es wäre schon interessant, die Briefe graphologisch zu untersuchen.
106 Heinrich Adam, Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg.
107 Heinrich Adam, Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
108 Ebenda.
109 Ebenda.
110 Heinrich Adam, Brief vom 12. Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
111 Heinrich Adam, Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
112 Unter den individuellen Eigenschaften, die Wolf Oschlies zum Thema Widerstandsfähigkeit vorträgt, steht die Bindung an die Familie durch Briefkontakte (Wolf Oschlies, Widerstand 1933-1945. Sechs Thesen (vorgetragen mit der Bitte um Kritik und Diskussion), https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/widerstand-1933-1945 [Stand: 11. März 2021]).
113 Heinrich Adam, Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
114 Wie Heinrich Adam schreibt: «[Schreiben sind] wohl gute Mittel und Wege zur Auflockerung einer gepressten Gemütsverfassung“ (Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza).
115 Heinrich Adam, Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
116 Ebenda.
117 Kurt Adamy, Was bleibt, ist Hoffnung, S. 9.
118 Vgl. Maja Suderland über die Kultur bei den KZ-Häftlingen: „Diese früher angeeignete inkorporierte Kultur war der letzte Besitz aus ihrem bürgerlichen Leben, er stellte etwas Eigenes dar, das sich offenbar nicht in gleicher Weise zerstören und manipulieren ließ wie ihre körperliche Verfassung“ (Maja Suderland, Überlegungen zu einer Kontroverse zwischen Jean Améry und Primo Levi, in: Bildung und Habitus im Konzentrationslager unter https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/bildung-und-habitus-im-konzentrationslager [Stand: 11. März 2021]).
119 Vgl. Primo Levi: „Wer Reste seiner kulturellen Identität bewahren konnte, hatte noch nicht alles verloren und verfügte über eine letzte Reserve gegen die Selbstaufgabe“ (zitiert von Maja Suderland, Überlegungen zu einer Kontroverse zwischen Jean Améry und Primo Levi).
120 Maja Suderland, Überlegungen zu einer Kontroverse zwischen Jean Améry und Primo Levi.
121 Heinrich Adam, Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald.
122 Darüber klagt er in einem Brief vom 12. Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
123 Heinrich Adam, Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza. Über diese Erfahrung meint der ehemalige KZ-Häftling Eugen Kogon: „Wochen entsetzlich bangen Wartens, ausgefüllt mit quälenden Zweifeln über das Schicksal der Angehörigen, über die Treue der Frauen [...] verstrichen dann. Dieser schreckliche Nervenkrieg stellte eine der zermürbendsten Belastungen des Lagers dar“ (Eugen Kogon, Der SS-Staat, S. 149).
124 Unverschlüsselter Brief vom 1. Januar 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
125 Siehe Kurt Adamy, Was bleibt, ist Hoffnung, Anm. 19, S. 9.
126 Brief vom 12.Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
127 Ebenda.
128 Postkarte vom 4. August 1937 aus dem KZ Buchenwald.
129 Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
130 Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg.
131 In dieser Hinsicht erweisen sich die Briefe Heinrich Adams wiederum als exemplarische und interessante Zeitdokumente. Sie zeigen, wie sich die Liebe zwischen zwei für eine unbestimmte Zeit voneinander getrennten jungen Leuten ̶ Heinrich Adam war damals 28, Elfriede Stehling wahrscheinlich etwas jünger ̶ innerhalb einer bestimmten Periode und unter extremen Verhältnissen entwickeln kann.
132 Aus Versehen schreibt Heinrich Adam das Wort „zerüttelnd“.
133 Heinrich Adam, Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza.
134 Den sexuellen Akt assoziiert er auch mit der Fortpflanzung als Mittel, dem Tod zu trotzen und in den Nachkommen weiterzuleben: „[Es handelt sich] nicht in erster Linie um das Verlangen nach körperlichem Wohlergehen, sondern um den Drang, nicht mit dem Stillstehen der Lebensfunktionen von der für uns Menschen einzigen Erde vertilgt zu sein, und in vielleicht verhältnismässig wertvollen Nachkommen weiterzuleben“ (Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza).
135 Heinrich Adam, Brief vom 12. Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
136 Heinrich Adam, Brief vom 29. August 1937 aus dem KZ Buchenwald.
137 Ebenda.
138 Da es sich um Auszüge aus dem unverschlüsselter Brief vom 1. Januar 1937 aus dem KZ Bad Sulza handelt, kann man davon ausgehen, dass Heinrich Adam der wahre Verfasser dieser Auszüge ist, dass sie seine Gedanken widerspiegeln.
139 Alle Zitate aus dem unverschlüsselten Brief vom 1. Januar 1937 aus dem KZ Bad Sulza. Hier auch geht es höchstwahrscheinlich um die Meinung von Heinrich Adam.
140 Heinrich Adam, Brief vom 12. Juli 1936 aus dem KZ Bad Sulza.
141 Heinrich Adam, Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg und Postkarte vom 4. August 1937 aus dem KZ Buchenwald.
142 Heinrich Adam, Brief vom 7. November 1937 aus dem KZ Buchenwald.
143 Ebenda.
144 Alle Zitate aus dem unverschlüsselten Brief vom 5. Dezember 1937 aus dem KZ Buchenwald.
145 Sie sind auch in der Korrespondenz einiger anderer KZ-Gefangener anzutreffen. Siehe Jean-Louis Rouhart, Lettres de l’ombre, S. 88-94.
146 „Ich brauche zur Zeit vor allem Menschen, die mir den grösstmöglichen Ruhepunkt gewähren“ (Brief vom 1. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
147 „Welche Wohltat war es dann, welches sichere Geborgensein erfasste uns dann, wenn eine liebe Hand, die es von Grund auf mit uns gut meinte, uns streichelte„ (Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg).
148 Er vergegenwärtigt sich „alle die schönen, in Rathenow verlebten Tage so besonders lebhaft“ und führt sich ganz deutlich die Altstadt, die Heide, die Wälder, die Wasserflächen, die Dampfer usw. vor die Augen (Brief vom 1. September 1936 aus dem KZ Bad Sulza).
149 Aus dem Paradies verjagt, vermisst er „die herrliche Umgebung“ seiner „schönen Heimat“ (Briefe vom 1. September 1936 und vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza).
150 Dieses Gefühl wird in dem Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza besonders intensiv ausgedrückt. Der Verfasser spürt das Verlangen, „wieder einmal durch einen duftenden, frischen Wiesengrund zu wandern“; er fühlt, wie ein frischer Luftzug seinen Körper durchdringt, der „nicht zurückgehalten werden möchte. Er wünscht, er wäre so frei wie „die darüber hinsegelnden Wolken“ und könnte ihnen „einmal so im Fluge folgen“; er sucht „die Weite der herrlichen Welt“ und er träumt davon, etwas in aller Freiheit nach Herzenslust tun zu können, z. B. sich das Gesicht mit den Blüten eines Apfelbaums zu streicheln.
151 Diese Visionen und Halluzinationen hat der Verfasser beim Anblick des oben erwähnten symbolträchtigen Apfelbaumes (Brief vom 15. Mai 1937 aus dem KZ Bad Sulza), bei einer imaginären Wanderung mit Elfriede in der Umgebung seiner Heimatstadt (Brief vom 28. August 1937 aus dem KZ Buchenwald) oder auch bei einem Spaziergang entlang eines exotisch - paradiesischen Strandes (Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg).
152 Ungeachtet der Tatsache, dass diese Passagen höchstwahrscheinlich nicht von ihm stammen, muss Heinrich Adam als ehemaliges Mitglied des Vereins „Die Naturfreunde“ die Verbundenheit mit der Natur schmerzlich vermisst haben. Das Ideal eines Lebens im Einklang mit der Natur und die romantische Idee von der Natur als Quelle des irrrationalen Wissens waren in der damaligen Zeit verbreitet. Außerdem war die „Besinnung auf die Natur, die sich dem Unterdrücker nicht unterwirft, eine für die Häftlinge typische Reaktion, die einen Zug romantischer Vorstellungen von der Allverbundenheit des Menschen in sich trägt“ (Andrea Reiter, „Auf dass sie entsteigen der Dunkelheit“. Die literarische Bewältigung von KZ-Erfahrung, Wien 1995. Anm. 55, S. 124).
153 „Erde und Wasser bemühen sich dann gleichzeitig ihm den Sinn der Ewigkeit klar zu machen. Ihm [dem „einsamen Menschen in früher Morgenstunde“] die besten Ermunterungen und Auffassungen für seinen kurzen Lebensweg zu geben“ (Brief vom 25. Juli 1937 aus dem KZ Lichtenburg).
- Quote paper
- Jean-Louis Rouhart (Author), 2022, Die verschlüsselte Korrespondenz des KZ-Häftlings Heinrich Adam im neuen Licht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1292864
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