Parteiensysteme sind weit mehr als reine Abbildungen und Darstellungen politischer Diskurse auf Regierungsebene. Sie stehen vielmehr in mannigfaltigen Abhängigkeiten und Beziehungen zu den ökonomischen, kulturellen und sozialen Eigenheiten eines Landes. Parteiensysteme spiegeln Konflikte wider, die über Jahrhunderte den gesellschaftlichen und politischen Rahmen dominiert und sich langfristig im politischen System institutionalisiert haben. Gerade diese mentalitätsprägenden, meistens im vorpolitischen Raum gelegenen gesellschaftlichen Konfliktlinien konnten dauerhaft für die für Parteien so signifikanten elektoralen und mitgliederbezogenen Kontinuitäten sorgen, die auf Basis der Politisierung dieser Konflikte entstanden.
Ob es in den Niederlanden die strikt getrennten religiösen und sozialdemokratischen Säulen, die in Österreich antagonistisch gegenüberstehenden und militanten Lager oder wie in Deutschland die durch den Außendruck der Mehrheitsgesellschaft entstandenen katholischen und sozialdemokratischen Milieus waren , alle subkulturellen Ausformungen basierten doch auf tiefgreifenden und emotional überformten gesellschaftlichen Konfliktlinien, die bestimmte Gruppen sowie Klassen politisch aktivieren und langfristig an eine Partei binden konnten.
Westliche Parteiensysteme beruhen insofern größtenteils auf gesellschaftlichen Konfliktstrukturen, hängen aber auch zugleich mit den historischen Grundentscheidungen und strategischen Ausrichtungen der jeweiligen Parteieliten zusammen. Gesellschaftliche Konflikte können sich folglich nicht selbst in ein Parteiensystem übersetzen, sondern bedürfen auch Artikulierungs- und Vermittlungsmechanismen sowie politischer Koalitionen zwischen politischen Eliten und bestimmten Bevölkerungsgruppen. Politischen Eliten kommt hierbei eine zentrale Rolle zu, weil sie die Konflikte direkt in den politischen Raum übertragen können. Gesellschaftliche Konfliktlinien stellen nach Rohe demzufolge keinen parteiprägenden Automatismus, sondern „nur Chancen dar, die von den politischen Eliten wahrgenommen werden können, aber nicht wahrgenommen werden müssen.“In der vorliegenden Arbeit sollen dabei auf Basis der Cleavage-Theorie die Entstehung und Fortentwicklung der gesellschaftlichen Konfliktlinien im deutschen Parteiensystem untersucht werden. Im Zentrum dieser Arbeit steht gleichwohl die Frage nach der Entstehung, Prägekraft und Bedeutung alter und neuer gesellschaftlichen Konflikte für das gegenwärtige Parteiensystem.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung und Fragestellung
- Der theoretische Rahmen des Cleavage-Modell
- Entstehung und Verfestigung der gesellschaftlichen Konfliktlinien im deutschen Parteiensystem
- Die Konstituierungsphase im Kaiserreich
- Die Entwicklung der Konfliktlinien in der Bundesrepublik
- Sozialstruktureller Wandel und Erosion sozialmoralischer Milieus. Die Transformation der Konfliktstrukturen
- Die Ausprägung einer neuen Konfliktlinie im Parteiensystem
- Fortentwicklung und Prägekraft klassischer Konfliktlinien im gesamtdeutschen Parteiensystem
- Die Renaissance der Konfliktlinien zwischen Arbeit und Kapital sowie Zentrum und Peripherie
- Fazit und Ausblick
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert die Entstehung und Fortentwicklung der gesellschaftlichen Konfliktlinien im deutschen Parteiensystem. Sie untersucht, wie diese Konfliktlinien im Laufe der Geschichte entstanden sind, wie sie sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels verändert haben und welche Bedeutung sie heute für das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland haben.
- Entstehung und Verfestigung der gesellschaftlichen Konfliktlinien im deutschen Parteiensystem
- Entwicklung der Konfliktlinien in der Bundesrepublik
- Fortentwicklung und Prägekraft klassischer Konfliktlinien im gesamtdeutschen Parteiensystem
- Die Rolle der politischen Eliten bei der Artikulation und Vermittlung von gesellschaftlichen Konflikten
- Die Bedeutung des Cleavage-Modells für die Analyse von Parteiensystemen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Fragestellung der Arbeit vor und erläutert die Relevanz der gesellschaftlichen Konfliktlinien für das deutsche Parteiensystem. Das zweite Kapitel widmet sich dem theoretischen Rahmen des Cleavage-Modells von Lipset und Rokkan. Es werden die vier zentralen Konfliktlinien des Modells vorgestellt und ihre Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung von Parteiensystemen erläutert.
Im dritten Kapitel wird die Entstehung und Verfestigung der gesellschaftlichen Konfliktlinien im deutschen Parteiensystem im Kaiserreich untersucht. Es werden die wichtigsten Konfliktlinien, wie z.B. die Konflikte zwischen Zentrum und Peripherie, Arbeit und Kapital sowie Kirche und Staat, analysiert und ihre Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Parteiensystems dargestellt.
Das vierte Kapitel befasst sich mit der Entwicklung der Konfliktlinien in der Bundesrepublik. Es werden die Veränderungen der Sozialstruktur und die damit verbundene Erosion der früheren prägenden Konfliktlinien untersucht. Außerdem wird die Ausprägung einer neuen Konfliktlinie im Parteiensystem, die sich aus den Veränderungen der postindustriellen Gesellschaft ergibt, analysiert.
Das fünfte Kapitel untersucht die Fortentwicklung und Prägekraft klassischer Konfliktlinien im gesamtdeutschen Parteiensystem. Es wird die Renaissance der Konfliktlinien zwischen Arbeit und Kapital sowie Zentrum und Peripherie analysiert und ihre Bedeutung für das heutige deutsche Parteiensystem dargestellt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen das deutsche Parteiensystem, gesellschaftliche Konfliktlinien, Cleavage-Modell, Lipset und Rokkan, Zentrum-Peripherie-Konflikt, Arbeit-Kapital-Konflikt, Kirche-Staat-Konflikt, Sozialstruktureller Wandel, Postindustrielle Gesellschaft, Politische Eliten, Artikulation und Vermittlung von Konflikten.
- Quote paper
- Jens Gmeiner (Author), 2008, Gesellschaftliche Konfliktlinien im deutschen Parteiensystem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128968