Diese Ausarbeitung thematisiert psychische Gewalt auf der Eltern-Kind-Ebene, ihre psychosozialen Folgen und die Rolle und Verantwortung der Sozialen Arbeit in Bezug auf diese reale Problematik.
Aus dem § 1631(2) BGB geht hervor, dass jedes Kind das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung hat. Dies bezieht sich auf „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen“ nach demselben Gesetz. Körperliche Gewalt hinterlässt sichtbare Folgen und Spuren für den Körper der jungen Menschen und ist deshalb zunächst einfacher zu identifizieren. Allerdings sind diese seelischen Verletzungen auf der Ebene von Bezugsperson und Kind ebenso tragisch und bergen nachhaltige belastende Konsequenzen für betroffene Kinder und ihre weitere Entwicklung. Statistisch gesehen ist die häufigste Form der Kindeswohlgefährdung in Deutschland Vernachlässigung und psychische Gewalt, welche im Jahr 2020 zusammengezählt 92% der Kinder und Jugendlichen, neben weiteren Gefährdungsarten, betroffen haben.
Gliederung
1. Einleitung
2. Psychische Gewalt
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Die Bedeutung der Bindung im Kontext psychischer Gewalt
2.3 Psychosoziale Folgen von psychischer Gewalt
2.3 Die Bedeutung einer bindungsorientierten Sozialen Arbeit
3. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Aus dem § 1631 (2) BGB geht hervor, dass jedes Kind das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung hat. Dies bezieht sich auf „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen“ nach demselben Gesetz. Körperliche Gewalt hinterlässt sichtbare Folgen und Spuren für den Körper der jungen Menschen und ist deshalb zunächst einfacher zu identifizieren. Allerdings sind diese seelischen Verletzungen auf der Ebene von Bezugsperson und Kind ebenso tragisch und bergen nachhaltige belastende Konsequenzen für betroffene Kinder und ihre weitere Entwicklung (vgl. Brisch 2017, S. 16). Statistisch gesehen ist die häufigste Form der Kindeswohlgefährdung in Deutschland Vernachlässigung und psychische Gewalt, welche im Jahr 2020 zusammengezählt 92% der Kinder und Jugendlichen, neben weiteren Gefährdungsarten, betroffen haben (vgl. Statistisches Bundesamt 2022, o.S.).
Aufgrund dessen thematisiert diese Ausarbeitung psychische Gewalt auf der Eltern-Kind-Ebene, ihre psychosozialen Folgen und die Rolle und Verantwortung der Sozialen Arbeit in Bezug auf diese reale Problematik.
2. Psychische Gewalt
2.1 Begriffsbestimmung
Nach dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) zielt psychische Gewalt auf das Innere, also die Persönlichkeit eines Menschen ab (vgl. StMAS o.J., o.S.). Das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit des Opfers wird durch verschiedene Arten der Demütigung angegriffen. Der*Die Täter*in verwendet dafür beschimpfende und entwürdigende Worte, Tiere oder Gegenstände zur Einschüchterung und Ängstigung und bewusstes Ignorieren des Opfers oder seine*ihre eigene ständige körperliche Präsenz als Machtdemonstration. In Bezug auf Kinder zeigt sich psychische Gewalt durch Bezugspersonen ebenfalls vielseitig: Beispielsweise durch Ablehnung und durch den Entzug von Aufmerksamkeit, durch Bloßstellen oder durch das Schaffen von extremen Angstsituationen, durch Isolation oder das Anleiten zu kriminellem Verhalten, durch das Adultifizieren des Kindes und durch Androhungen von weiterer Gewalt (vgl. ebd.; vgl. Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.V. 2022, o.S.).
Von dieser Gewalt betroffene Kinder bekommen vermittelt, das sie nicht wert sind anders behandelt zu werden und fühlen sich als Konsequenz daraus lieb- und wertlos (vgl. Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.V. 2022, o.S.).
2.2 Die Bedeutung der Bindung im Kontext psychischer Gewalt
Um die psychosozialen Folgen psychischer Gewalt nachzuvollziehen, wird zunächst die Bindung zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson, als ein Zugang zu dieser komplexen Thematik, simplifiziert illustriert.
Wir Menschen bringen eine angeborene Motivation mit, uns an eine Bezugsperson zu binden. Dies ist für Säuglinge lebensnotwendig, da sie von diesen vollkommen abhängig sind (vgl. Grossmann/Grossmann 2003, S. 42). Hat ein Kind Angst, Hunger oder Schmerzen, sucht es aktiv durch Weinen, Rufen und Schreien die zärtliche Körpernähe und Trost der Bezugsperson, welche zum „sicheren Hafen“ (Brisch 2011, S. 19) des Kindes wird (vgl. Grossmann/Grossmann 2003, S. 31). Durch eine feinfühlige und angemessene Reaktion der Bezugsperson auf das aktive Bindungsbedürfnis des Kindes, fühlt sich das Kind wieder sicher, geborgen und geliebt. Dieses Verhalten fördert eine sichere Bindung auf der Eltern-Kind-Ebene (vgl. Brisch 2011, S. 19f.). Das Bindungsbedürfnis steht dabei im komplementären Wechselspiel zum Explorationsverhalten des Kindes. Fühlt sich das Kind sicher, kann es sich ganz neugierig der Erkundung seiner Umwelt durch das Spiel widmen und dadurch Neues von der Welt erfahren und sich weiterentwickeln. Ist das Kind ängstlich und das Bindungsbedürfnis aktiv, so sucht es wieder die Nähe zur Mutter oder zum Vater und zieht sich vom Spiel zurück, bis es sich wieder sicher fühlt (vgl. Grossmann/Grossmann 2003, S. 43 f.). Durch diese positiven Bindungserfahrungen, die das Kind mit seinen Bezugspersonen macht, entwickelt sich ein inneres Arbeitsmodell, welches das Gerüst für ein Bindungsmuster darstellt, auf das in bindungsrelevanten Situationen immer wieder zurückgegriffen wird (vgl. Brisch 2010, S. 37 f.; Grossmann/Grossmann 2003, S. 61 ff.).
Hat das Kind jedoch verinnerlicht, dass seine Bindungsperson(en) nicht feinfühlig und angemessen auf das aktivierte Bindungsbedürfnis in beispielsweise angsterregenden Situationen reagiert, kann eine Bindungsunsicherheit bzw. Bindungsstörung entwickelt werden. Nach empirischen Untersuchungen von Mary Ainsworth kristallisierten sich bei Kleinkindern neben einer sicheren Bindung noch die drei folgenden Bindungstypen mit verheerenden psychosozialen Folgen heraus (vgl. Brisch 2011, S. 20ff.):
- Die unsicher-vermeidende Bindung
- Die unsicher-ambivalente Bindung
- Die desorientierte/ desorganisierte Bindung
Unsicher-vermeidend gebundene Kinder meiden ihre Bezugspersonen in bindungsrelevanten Kontexten. Sie haben verinnerlicht, dass diese nicht ausreichend und feinfühlig auf ihre Bedürfnisse antworten und diese sogar ignorieren. Daher passen sie ihr Verhalten an, scheinen sehr gelassen und zeigen nur geringe Wünsche nach Nähe und Geborgenheit. Dies führt jedoch zu hohem inneren Stress durch eine erhöhte Cortisolausschüttung, welche dauerhaft zu neuronalen Schäden im Gehirn des Kindes führen kann (vgl. Brisch 2011, S. 21).
Kinder die unsicher-ambivalent gebunden sind reagieren in bindungsrelevanten Situationen mit intensivem Klammern und Schreien. Gleichzeitig verhalten sie sich auch aggressiv gegenüber der Bezugsperson auf den Versuch der Beruhigung und scheinen sich nicht emotional wieder ausgleichen und beruhigen zu können. Diese Kinder haben ambivalente und unzuverlässige Bindungsinteraktionen mit ihren Bindungspersonen erlebt, welche manchmal feinfühlig, andere Male hingegen ablehnend waren (vgl. Brisch 2011, S. 21f.).
Das desorganisierte/desorientierte Bindungsmuster zeigt im Vergleich zu den anderen Bindungstypen ein unvorhersehbares Verhalten, da diese Kinder keine Verhaltensstrategie in bindungsrelevanten Situationen entwickelt haben. Sie erstarren, gelangen in kurze Trancezustände, laufen manchmal von ihrer Bezugsperson weg oder manchmal auf sie zu, was sich häufig auf extreme Traumata zurückführen lässt (vgl. Brisch 2011, S. 22).
2.3 Psychosoziale Folgen von psychischer Gewalt
Traumatische Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit gefährden das Wohl des Kindes und sind als emotionale bzw. psychische Gewalt zu verstehen. Unsicher gebundene Kinder haben ein größeres Risiko für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen, da ihnen wichtige Schutzfaktoren fehlen. Sie besitzen weniger Bewältigungsstrategien in Krisen, haben eine geringere Empathiefähigkeit und selbstreflexive Fähigkeit, was Freundschaften und andere soziale Interaktionen erschwert. Des Weiteren können Sprachentwicklungsstörungen auftreten, eine geringere Ausdauerfähigkeit und geringere Gedächtnisleistungen im Vergleich zu sicher gebundene Kinder. Ebenfalls sind sicher gebundene Kinder generell kreativer, flexibler und aufmerksamer (vgl. Brisch 2011, S. 23f.).
Die betroffenen Kinder erleben massive Angst- und Panikzustände, bis hin zur Todesangst, anstatt Sicherheit und Geborgenheit durch ihre Bezugspersonen, zu denen sie in einer Abhängigkeitsbeziehung stehen (vgl. Brisch 2011, S. 24). Eine solche dauerhafte körperliche Überregung führt zu psychosomatischen und neurobiologischen Folgen, da der hohe Cortisolspiegel neuronal fixiert wird und es nicht zum Abbau des Stresshormons kommt. Dies wiederum führt zum Abbau von Gehirnzellen und beeinträchtigt das Gehirnwachstum im Bereich des Hippocapus, des Corpus Callosum und der Amygdala (vgl. ebd., S. 24f., 37). Die Affektentwicklung wird ebenfalls durch fehlende Feinfühligkeit und empathischer, dialogischer Sprache beeinträchtigt, sodass die Gefahr besteht, dass betroffene Kinder auf einem frühen Entwicklungsstand in ihrer Affektwelt stehen bleiben (vgl. ebd., S. 20). Weitere Studien über emotionaler Gewalt zeigen ebenfalls Auswirkungen auf das Immunsystem der Kinder (vgl. Brisch 2017, S. 16).
Diagnostizierte Bindungsstörungen können als zwei Formen einer Psychopathologie nach dem ICD-10 klassifiziert werden: die reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1) und die Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2) (vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2022, o.S.). Bei der ersten Form verhält sich das Kind übervorsichtig und extrem furchtsam und vermeidend in sozialen Interaktionen. Hier kann es ebenfalls zu Wachstumsverzögerungen kommen. Im Gegenteil dazu verhält sich ein Kind mit einer enthemmenden Bindungsform überaus angepasst, willkürlich freundlich und aufmerksamkeitssuchend. Es unterscheidet in bindungsrelevanten Situationen nicht ob es von bekannten oder völlig fremden Menschen getröstet werden will (vgl. ebd.).
Weitere klinisch bedeutsame Typen zeichnen sich beispielsweise durch übermäßiges Klammern, Aggressivität, durch das Begeben in gefährlichen und riskanten Situationen, durch Rollenumkehr - hier ist das Kind der sichere Hafen seiner Eltern - und durch weitere psychosomatische Störungen, aus. In der weiteren Entwicklung, etwa als Jugendliche, zeigen sie deutlich aggressiveres Verhalten, zeigen eine geringe Empathie- und Reflexionsfähigkeit und erleben und begehen häufiger Missbrauch und Misshandlungen (vgl. Brisch 2011, S. 25ff.). Werden diese Jugendlichen Eltern, übertragen sie ihre traumatischen Bindungsinteraktionen wiederum auf ihre Kinder (vgl. ebd, S. 23, 27). Unverarbeitete Traumata der Eltern tragen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einem desorganisierten Bindungstyp der Kinder bei (vgl. ebd., S. 33f.). Ein noch weiter zu untersuchender Zusammenhang besteht ebenfalls in der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD) des Kindes und ungelöste Traumata der Eltern oder des Kindes. Studien belegen, dass zumindest aggressive Verhaltensauffälligkeiten im Zusammenhang mit einem desorganisierten Bindungsmuster stehen (vgl. ebd., S. 34).
Um diesen generationsübergreifenden Kreislauf zu brechen, müssen dauerhaft neue, positive Bindungserfahrungen im Kontext der Sozialen Arbeit gemacht werden und bei ersten Anzeichen frühzeitig professionelle Unterstützung vorliegen (vgl. ebd., S. 20, 28).
[...]
- Quote paper
- Maria Gerburger (Author), 2022, Psychosoziale Folgen von psychischer Gewalt auf der Eltern-Kind-Ebene, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1289108
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.