Im ausgehenden 18. Jahrhundert gelang es der Menschheit, erstmals arbeitsfähige Maschinen wie die Spinn-, Dampfmaschine und den mechanischen Webstuhl herzustellen. Es bezeichnet die Frühphase der europäischen Industrialisierung und den anfänglich damit verbundenen Enthusiasmus der Menschen. Folglich beginnt der westliche Mensch immer stärker, sich über seine technischen Fähigkeiten zu definieren und zu verstehen.
Aufgrund dieser Kontroversen soll in der vorliegenden Arbeit das Thema “Beschreibung der Entwicklung in der anthropologischen Diskussion des Automaten-Menschen während des 18. und 19. Jahrhunderts und die daraus folgende Selbstentfremdung des Menschen aufgezeigt an E.T.A. Hoffmanns Novelle "Der Sandmann" von 1816" bearbeitet werden.
Die Erzählung "Der Sandmann" von E. T. A. Hoffmann eignet sich hierfür besonders, da sie nach der Hochzeit der so genannten erleuchteten Maschinen, nämlich 1816, erscheint. Teilweise wird in dieser Arbeit die ironische Lesart des Hoffmanschen Textes außen vor gelassen. Es wird hingegen versucht, die in der oben genannten Zeitspanne gefallenen Äußerungen und die dazugehörigen heutigen Stellungnahmen zu ordnen, um diese in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Anhand des Sandmanns sollen die Thesen weiter gefestigt werden.
Inhalt
Beschreibung der technischen Situation in Europa um das 18./19. Jahrhundert
Kurze Einführung in die Bedeutung des Automaten-Menschen für die anthropologische Diskussion ..
Stufen der Entwicklung des AM
Das Wesen der Automaten-Menschen
Die Idealisierung des Automaten-Menschen
Der Automaten-Mensch als ambivalentes Ideal
Die im Automaten-Menschen begründete Selbstentfremdung des Menschen
Unvollkommenheit des Selbst
Wunsch und Sehnsucht nach Vollkommenheit
Vollkommenheit des Anderen
Die Selbstentfremdung des Nathanael im Sandmann
Vorbereitung der Thematik der Selbstentfremdung
Der Prozess der Selbstentfremdung
Die Selbstentfremdung Nathanaels und ihre Folgen
Zusammenfassung mit Blick auf die Frage der Willensfreiheit
Literaturverzeichnis
Beschreibung der technischen Situation in Europa um das 18./19. Jahrhundert
Im ausgehenden 18. Jahrhundert gelang es derMenschheit erstmals arbeitsfähige Maschinen wie die Spinn-, Dampfmaschine und den mechanischen Webstuhl herzustellen. Es bezeichnet die Frühphase der europäischen Industrialisierung und den anfänglich damit verbundenen Enthusiasmus der Menschen. Folglich beginnt der westliche Mensch immer stärker, sich über seine technischen Fähigkeiten zu definieren und zu verstehen.
Währenddessen machen sich geübte Mechaniker, wie der Uhrmacher Vaucanson, Jaques-Droz und Kempelen, daran, Automaten zu erschaffen, die Tieren und sogar Menschen äußerst ähnlich sehen; nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in ihrem Verhalten. Sie möchten ihr Geschick beweisen und setzen durch bestehende Konkurrenten bald zu nicht realisierbaren Höhenflügen an. Interessierte Mediziner geben beispielsweise einen “mechanischen Sprecher”[1] oder eine “Blutkreislauf-Maschine”[2] in Auftrag, die als Modell in Vorlesungen wie auch für den promovierten Arzt dienen sollen. Der damalige Stand der Forschung lassen dies allerdings noch nicht zu.
Insgesamt erstreckt sich die Reaktion auf diese Experimente von Begeisterung über Belustigung bis hin zur völligen Ablehnung und Angst in allen Bevölkerungsschichten. Vor allem die Deutlichkeit, mit der einem vor Augen geführt wird, dass ein Mensch, das höchste Wesen der Schöpfung, vielleicht doch nichts weiter sei als eben eine Maschine und kaum mehr wert als ein Tier, ruft diese Vielfalt an Meinungs-
Verschiedenheiten hervor. Aufgrund dieser Kontroversen soll in der vorliegenden Arbeit das Thema “Beschreibung der Entwicklung in der anthropologischen Diskussion des Automaten-Menschen während des 18. und 19. Jahrhunderts und die daraus folgende Selbstentfremdung des Menschen aufgezeigt an E.T.A. Hoffmanns Novelle Der Sandmann von 1816” bearbeitet werden.
Die Erzählung Der Sandmann von E. T. A. Hoffmann eignet sich hierfür besonders, da sie nach der Hochzeit der so genannten erleuchteten Maschinen, nämlich 1816, erscheint. Teilweise wird in dieser Arbeit die ironische Lesart des Hoffmanschen Textes außen vor gelassen. Es wird hingegen versucht, die in der oben genannten Zeitspanne gefallenen Äußerungen und die dazugehörigen heutigen Stellungnahmen zu ordnen, um diese in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Anhand des Sandmanns sollen die Thesen weiter gefestigt werden.
Kurze Einführung in die Bedeutung des AutomatenMenschen für die anthropologische Diskussion
Die Menschenmaschinen liefern in der Zeit der Aufklärung den Philosophen, Naturwissenschaftlern und Psychologen - die Bezeichnungen der Tätigkeiten werden damals noch nicht getrennt - für die Erklärung des Menschen und der Welt neue Perspektiven sowie Bekräftigungen bereits formulierter Thesen. Zunehmend ergibt sich ein verwissenschaftlichtes und technisiertes Welt- und Menschenbild. Die Physiologie Descartes’ weist bereits auf die partielle Maschinenhaftigkeit des Menschen voraus. Für Descartesjedoch bleibt der Mensch durch seine Seele, die mit einfachen mechanischen Mitteln weder beschrieben noch hergestellt werden könne, einzigartig. Später übernimmt der Philosoph La Mettrie diese Gedankengänge. Er erweitert diese aber und bricht mit dem Dualismus von Geist und Materie, indem er in seinem strengen Materialismus die Seele an die mechanisch ablaufenden Körperfunktionen koppelt. Sie sei somit nicht mehr als ein Resultat der menschlichen Maschinerie.
Die Philosophen der Aufklärung begrüßen die technische Entwicklung als eine Art Beweis ihrer bisher geführten Argumentationen. Dagegen steuert die spätere romantisch geprägte Strömung, da mit dem Aufkommen der Irrenanstalten der Mensch durch seine Irrationalität sich von einer berechenbaren Maschine unterscheiden würde. Während man also in der Antike den Mechanismus nicht als einen Beitrag zur Erkenntnis über die Welt bewertet, wird dieser Gedanke im 13. und 17. Jahrhundert umgekehrt.
Zudem findet der Adel eine Bestätigung seines Standes durch das mechanistisch vorgestellte Weltbild, was später ausgeführt wird. Die Kirche ihrerseits sieht darin ihre Stellung bedroht, da sie bis dahin monopolistisch vermeintlich das Wissen über das Leben besitzt.
Ebenso befassen sich Schriftsteller wie Jean Paul oder E. T. A. Hoffmann mit der Thematik, auch wenn letzterer den Vergleich Mensch - Maschine eher abgelehnt haben soll. Er macht sich das weit verbreitete Wissen um die neuen Modelle unter anderem für seine Gesellschaftskritik zu Nutze, in der der wirkliche Mensch bereits zu einer Maschine geworden sei.
An den angeführten Punkten wird ersichtlich, dass der Automatenmensch für die Debatte einen hohen Stellenwert einnimmt, da einerseits alle Bevölkerungsschichten betroffen sind und andererseits philosophische Ideen eine neue Dynamik entwickeln.
Stufen der Entwicklung des AM
Bei der Sichtung der Quellen fällt auf, dass - nimmt man alle Aussagen zusammen - ein Prozess in der Wahrnehmung der Automaten-Mensch sichtbar wird. Dieser wird in den folgenden Kapiteln in einer Stufentheorie entfaltet.
Das Wesen des Automaten-Menschen
Aber was ist diese Maschine? Kann man diese mechanistische Konstruktion gar als Subjekt betrachten und wenn dem so ist, was zeichnet diesen neuen Menschen aus? Der folgende Abschnitt wird mit der letzten Frage beginnen, der Beschreibung der Eigenschaften dieses Wesens.
Zunächst besticht die Vollkommenheit der Arbeitsausführung der Menschenmaschinen. Sie arbeiten mit einer Präzision, die weder der hervorragendste Meister seiner Zunft noch der genialste Künstler zu übertreffen im Stande ist. Es grenzt an übermenschliche Leistungen. “Der Ton dieser Trompete ist so rein und angenehm, wie ihn der geschickteste Virtuose dieses Instruments nicht hervorzubringen vermag, (.. ,)”[3] beschreibt ein damaliger Journalbericht den künstlichen Trompeter. Eine Werbung preist zur Schau gestellte Automatenkinder mit diesen Worten an:
Begeben Sie sich zur Rue Richelieu, und Sie werden dort ein Kind antreffen, dem Sie diktieren können, was Sie wollen und seine Feder wird in eleganter Schrift das Wort oder den Satz schreiben [...] während er [der andere Junge] eine Zeichnung anfertigt, die er vorerst skizziert und vor Ihren Augen mit dem Bleistift schattiert. Die Leichtigkeit seiner Hand ist unbeschreiblich und seine Zeichnungen bestehen keineswegs aus simplen und gleichförmigen Strichen, wie zum Beispiel bei einer Maschine, man spürt wahrhaftig die geschickte Hand eines jungen Zeichners [...] seine Hand bewegt sich mit unglaublich viel Geschick und Leichtigkeit. Wir bezweifeln, dass ein Künstler aus dem Stegreif schneller und besser eine Skizze anfertigen könnte. [...] er scheint [dabei] von Zeit zu Zeit zu überlegen.[4]
Damit ermöglicht der Automaten-Mensch scheinbar alles erdenkliche Schöne und Ideale, was damals insbesondere auf das Musizieren und Denken übertragen wird.
Weiterhin fällt auf, dass der Maschinenmensch sich durch sein zivilisiertes Auftreten gut in die Gesellschaft einfügt. Er ahmt nämlich die damals herrschende Etikette der Oberschicht, die “selbst schon eine quasi mechanische Disziplinierung und Koordination von Bewegungsabläufen”[5] fordert, detailgetreu nach. Für die Romantiker stellt die Maschine nichts weiter als den stereotypen Philister ihrer Zeit dar, der sich durch Ausführung steifer und abgezirkelter Bewegungen dem gesellschaftlichen Leben regelgerecht unterwirft. Kritisch gesehen demonstriert die Automate somit die Maschinenhaftigkeit der vergesellschafteten Menschen.
Obwohl die oben genannten Eigenschaften bereits ein menschenähnliches bis übermenschliches Bild der Maschine zeichnen, gibt es trotzdem ein Merkmal, in der sie sich vom Menschen von Grund auf unterscheidet. Sie besitzt keine Seele, “sein Gehirn, seine Seele und sein Herz sind aus Bronze”[6] heißt es in der bereits zitierten Werbung. In der damaligen Zeit wird dies jedoch noch leidenschaftlich diskutiert. Anhänger des Materialismus, wie La Mettrie, setzen die Seele zwar mit einer “Haupttriebfeder der ganzen Maschine”[7] gleich, stufen sie aber “von dem eigentümlichen Bau des Gehirns und des ganzen Körpers”[8] als abhängig ein. Anderen wiederum genügt die Selbstbewegung des Konstrukts ohne fremde Hilfe. Dennoch wird schließlich die Seelenlosigkeit dieser Maschine von Zeitgenossen an ihrer begrenzten Sprachfähigkeit und nicht vorhandenen Sehkraft erklärt.
Ein weiteres Charakteristikum des Automaten-Menschen besteht in seiner Abhängigkeit. Er wird an einer Feder aufgezogen, von seinem Konstrukteur zum Leben erweckt. Er darf in seinem “auf einige Minuten beschränktes Leben”[9] für seinen Meister arbeiten, ihn berühmt machen und zeigen, zu welchen Techniken er im Stande ist. Solange wie der ihn hergestellte Mensch es wünscht, geschieht immer dieselbe Handlung. Er hat keine Rechte, nur Pflichten. Ein individuelles Wesen wird dadurch nicht gefördert. Descartes beschreibt dies als ein “Handeln nicht aus Einsicht, sondern Einrichtung”[10]. Es besteht auch nicht die Absicht dazu, denn diese Unfreiheit und die Gleichmäßigkeit seines Geschöpfes beruhigt den Menschen. Genauso wie es ihn erfreut, da eine mögliche Beherrschbarkeit der (Um-)welt immer mehr in das Zentrum der Überlegungen gerät.
Mit der letzten Eigenschaft eng verbunden ist die Transparenz nicht ausschließlich im Hinblick auf die Abläufe der Bewegungen einer Maschine, sondern vorwiegend in Bezug auf den menschlichen Organismus. Der Mensch als derzeit wenig erforschtes Lebewesen, noch mit der Krone der Schöpfung auf dem Haupt, wird beispielsweise für die mechanistische Naturphilosophie ansatzweise durchschaubar und entzaubert. Trotz dieser beunruhigenden Wirkung siegt die freudige Gewissheit über die Berechenbarkeit und Durchschaubarkeit des Maschinenmenschen im ersten Moment.
Zusammenfassend ist diese Maschine nun eine zweite Natur, die nach dem Bild der ersten Natur, dem wahren Menschen, erstellt und von ihr geschaffen wird. Es ist eine durch den Menschen kontrollierbare und hergestellte “aufgabenmäßige Entsprechung”[11] der ersten Natur.
[...]
[1] Tabbert, Thomas T., Die erleuchtete Maschine - Künstliche Menschen in E. T. A. Hoffmanns “Der Sandmann”, Studienausgabe, Hamburg, Artislife Press, 2006, S. 69. Das Werk wird im folgenden unter der Sigle TT zitiert.
[2] Ebd.
[3] TT, S. 15
[4] TT, S. 70f
[5] TT, S. 67
[6] TT, S. 70
[7] TT, S. 44
[8] Ebd.
[9] TT, S. 70f
[10] TT, S. 32
[11] TT, S. 23
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