Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab, welcher durch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung am 01.07.2021 in Kraft getreten ist. Die Äußerung der KZBV, welche aussagt, dass der Bewertungsmaßstab den derzeitigen Wissensstand der Parodontologie beinhaltet, wird mittels einer direkten Gegenüberstellung des Bewertungsmaßstabs und den aktuellen S3-Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Parodontologie bewertet.
Das Ziel dieser Arbeit ist es zu überprüfen, ob der neue einheitliche Bewertungsmaßstab der Kassenzahnärztlichen Vereinigung die S3-Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Parodontologie vollumfänglich umsetzt. Anhand dessen werden die Leistungen des neuen Bewertungsmaßstabs auf eine Delegation an eine/n Dentalhygieniker/in überprüft.
Die Fragestellung "Welche Auswirkungen hat der neue einheitliche Bewertungsmaßstab der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung auf die Struktur und die Delegierbarkeit der Leistungen im Rahmen der systematischen Parodontaltherapie?" wird mit Hilfe einer Literaturtabelle beantwortet, welche eine evidenzbasierte Umsetzung einer systematischen Parodontitistherapie mit entsprechenden Literaturstücken aus der aktuellen S3-Leitlinie vorzeigt. Zudem werden die einzelnen Richtlinien der S3-Leitlinie auf eine Delegation an den/die Dentalhygieniker/in überprüft.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Parodontaler Screening Index
2.2 Professionelles mechanisches Plaquemanagement
2.3 Anamnese und parodontale Befunderhebung
2.4 Aufklärungs- und Therapiegespräch
2.5 Mundhygieneunterweisung
2.6 Antiinfektiöse Therapie
2.7 Nachbehandlung
2.8 Befundevaluation
2.9 Chirurgische Therapie
2.10 Unterstützende Parodontitistherapie
2.11 Delegation zahnärztlicher Leistungen
3 Methodik
4 Ergebnisse
5 Diskussion
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
Abstract
Theoretischer Hintergrund/ Forschungsproblem: Diese Literaturarbeit beschäftigt sich mit dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab, welcher durch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung am 01.07.2021 in Kraft getreten ist. Die Äußerung der KZBV, welche aussagt, dass der Bewertungsmaßstab den derzeitigen Wissensstand der Parodontologie beinhaltet, wird mittels einer direkten Gegenüberstellung des Bewertungsmaßstabs und den aktuellen S3-Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Parodontologie bewertet.
Zielstellung: Das Ziel dieser Arbeit ist es zu überprüfen, ob der neue einheitliche Bewertungsmaßstab der Kassenzahnärztlichen Vereinigung die S3-Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Parodontologie vollumfänglich umsetzt. Anhand dessen werden die Leistungen des neuen Bewertungsmaßstabs auf eine Delegation an eine/n Dentalhygieniker/in überprüft.
Fragestellung: Welche Auswirkungen hat der neue einheitliche Bewertungsmaßstab der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung auf die Struktur und die Delegierbarkeit der Leistungen im Rahmen der systematischen Parodontaltherapie?
Methode: Die Fragestellung wird mit Hilfe einer Literaturtabelle beantwortet, welche eine evidenzbasierte Umsetzung einer systematischen Parodontitistherapie mit entsprechenden Literaturstücken aus der aktuellen S3-Leitlinie vorzeigt. Zudem werden die einzelnen Richtlinien der S3-Leitlinie auf eine Delegation an den/die Dentalhygieniker/in überprüft.
Ergebnis: Ohne eine private Mitfinanzierung erhält der gesetzlich krankenversicherte Parodontitispatient keine evidenzbasierte Umsetzung einer systematischen Parodontitistherapie. Mit der Einführung des Aufklärungs- und Therapiegesprächs, der Mundhygieneunterweisung und besonders der Erhaltungstherapiesitzungen in Form einer unterstützenden Parodontitistherapie, gab es in der Umsetzung einer adäquaten und nachhaltigen Parodontitistherapie auf der Basis von Kassenrichtlinien eine entscheidende Veränderung. Die Delegation der parodontalen Leistungen ist unverändert geblieben.
Fazit: Die Ergebnisse der Literaturarbeit zeigen, dass der neue einheitliche Bewertungsmaßstab zwar viele positive Neuerungen mit sich bringt, dieser jedoch noch weiter ausbaufähig in Bezug auf die aktuelle Evidenz der Parodontologie ist.
Schlüsselworte: Bewertungsmaßstab, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Parodontitistherapie, Delegation, S3-Leitlinie
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Literaturtabelle
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Parodontitis ist eine bis heute unterschätzte altersassoziierte Volkskrankheit (Jordan & Micheelis, 2016). Trotz abnehmender Prävalenzen in den jüngeren Bevölkerungsgruppen wird laut der vierten deutschen Mundgesundheitsstudie (2016) durch den demografischen Wandel eine Zunahme an parodontologischem Behandlungsbedarf in der Gruppe der über 75-jährigen vermutet. Die Aufklärung in der Bevölkerung über diese chronische Erkrankung ist minderwertig (Eßer & Nobmann, 2021). Das Wissen über die Ätiopathogenese sowie über Prävention, Therapie und Folgen von Parodontitis ist nach den Aussagen von Eßer und Nobmann (2021) weitestgehend nicht bekannt. Da die Krankheitsentwicklung oftmals ohne bemerkbare Symptome verläuft, hat dies gravierende Folgen. Parodontitis wird von den Patienten erst dann wahrgenommen, wenn diese bereits weit fortgeschritten ist.
Diese Literaturarbeit beschäftigt sich mit dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab, welcher zum 01.07.2021 in Kraft getreten ist. Erstmals ist laut der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) eine individualisierte Betreuung von Parodontitispatienten1 nach dem neuen Wissensstand in der Parodontologie möglich (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021b). Es sind neue Leistungen eingeführt und die seit langem überholte Form überarbeitet worden. Die hinzugekommene unterstützende Parodontitistherapie stellt dabei die bedeutsamste Leistung in der neuen PAR-Richtlinie dar (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021a). Dadurch, dass diese Leistung nach der alten PAR-Richtlinie der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) nicht honoriert wurde, wurden die Kassenpatienten für die nachfolgende Erhaltungstherapie privat zur Kasse gebeten. Um ein Rezidiv der Erkrankung zu verhindern, ist diese jedoch zwingend notwendig, wie bereits Axelsson und Lindhe (2004) es mit ihrer 30-jährigen Studie bestätigen konnten (Axelsson & Lindhe, 2004).
Um eine evidenzbasierte Umsetzung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes, der sich in der neuen S3-Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) widerspiegelt, durch den neuen Bewertungsmaßstab, zu gewährleisten, wird die Aufmerksamkeit auf einen Dentalhygieniker beziehungsweise eine Dentalhygienikerin gerichtet (Galle, 2021). Welche Leistungen vom Zahnarzt an das Personal delegiert werden können, kann aus dem Delegationsrahmen der Bundeszahnärztekammer für Zahnmedizinische Fachangestellte (2009) und dem Deutschen Zahnheilkundegesetz (1952) entnommen werden.
Diese Arbeit ist auf den neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab (2021) gerichtet (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021a). Um einen Bezug zu der Notwendigkeit eines neuen Maßstabs zu erhalten, wird zunächst der langwierige Weg dorthin erklärt. Nachfolgend wird der Inhalt der aktuellen S3-Leitlinie sowie der Inhalt der PAR-Richtlinie erläutert. Zuletzt wird über den Delegationsrahmen für zahnmedizinisches Fachpersonal (2009) informiert (Bundeszahnärztekammer, 2009). Daraufhin wird die Methodik dargelegt und mit Hilfe der Fragestellung beantwortet, wodurch das Ziel der Arbeit erreicht werden kann. Das Ergebnis dieser Arbeit ergibt sich aus den Untersuchungen der S3-Leitlinie, der neuen Behandlungsstrecke für Parodontitispatienten nach neuen Kassenrichtlinien und der Untersuchung des Delegationsrahmens sowie der des deutschen Zahnheilkundegesetzes. Es wird die aktuelle S3-Leitlinie für Parodontologie (2020) mit dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab (2021) verglichen und bewertet. Anschließend folgt eine Diskussion, in der die Fragestellung, ob der neue Bewertungsmaßstab den aktuellen Wissenstand in der Parodontologie vollumfänglich beinhaltet und eine adäquate Behandlung nach Kassenrichtlinien stattfindet, bewertet wird. Da die Anzahl der erforderlichen Parodontitisbehandlungen in Deutschland durch die mit dem demographischen Wandel assoziierte Morbiditätskompression zunehmen wird (Jordan & Micheelis, 2016), wird sich auch mit der Rolle der Dentalhygiene in näherer Zukunft auseinandergesetzt. Beendet wird die Literaturarbeit mit einem abschließenden Fazit.
2 Theoretischer Hintergrund
Zum Ende des letzten Jahrtausends wurde 1999 eine neue Klassifikation für parodontale Erkrankungen auf dem „International Workshop for a Classification of Peridodontal Diseases and Conditions“ beschlossen (Armitage, 1999). Nach der Klassifikation von Armitage (1999) wurde die Parodontitis als chronisch, aggressiv, nekrotisierend oder als eine Manifestation einer systemischen Erkrankung beschrieben.
Mit der Klassifikation von Papapanou et al. (2018) wurde diese Einteilung abgelöst und an den neuen Wissensstand hinsichtlich der Parodontologie angepasst. Mit der Beurteilung von Schweregrad und Progression der Krankheit ist eine Diagnosestellung und Behandlungsgrundlage ermöglicht worden (Jepsen, 2021). Dem Behandler/ der Behandlerin ist es möglich eine patientengerechte Therapieplanung zu erstellen und ein nachhaltiges Therapieergebnis zu gewährleisten. Mit der Veröffentlichung der S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO, 2020) wurden die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Behandlung einer Parodontitis im Stadium I-III festgehalten und der Patient kann danach bestmöglich betreut und behandelt werden (Kebschull et al., 2020).
Obwohl sich die Erkenntnisse in der Parodontologie umfassend erweitert haben, waren bisher die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für die Parodontitistherapie seit 2004 unverändert geblieben (Eßer & Nobmann, 2021). Es entstand nach Eßer und Nobmann (2021) eine enorme Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und den Richtlinieninhalten. Diese Versorgungslücke von Parodontitispatienten vergrößerte sich und die Behandlungsabläufe in Deutschland differenzierten sich enorm von den internationalen Standards. Seit 2013 gab es Verhandlungen über die neuen Richtlinien, welche das Behandlungskonzept in der Praxis an den aktuellen Wissensstand anpassen sollten.
Nachdem im Oktober 2013 der Antrag durch den gemeinsamen Bundesausschuss angenommen und die Einleitung eines Beratungsverfahren durchgesetzt wurde, wurde über einen längeren Zeitraum durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) der aktuelle medizinische Wissenstand bewertet (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2021). Am 17.12.2020 erschien vom gemeinsamen Bundesausschuss die Erstfassung der Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen. Zum 01.07.2021 ist der neue einheitliche Bewertungsmaßstab in Kraft getreten und gesetzlich krankenversicherte Parodontitispatienten erhalten laut der KZBV eine nachhaltige und auf dem aktuellen Wissenstand beruhende Versorgung (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021b).
Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu überprüfen, ob die PAR-Richtlinie im neuen BEMA tatsächlich vollumfänglich die S3-Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG-PARO) umsetzt. Welche Auswirkungen hat der neue einheitliche Bewertungsmaßstab der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung auf die Struktur und die Delegierbarkeit der Leistungen im Rahmen der systematischen Parodontaltherapie? Daraus ergibt sich die Rolle, die die Dentalhygienikerin in der Zukunft in Bezug auf das neue Behandlungskonzept spielen wird.
2.1 Parodontaler Screening Index
Parodontitis ist eine chronische Erkrankung, welche im gesamten Parodont weitgehend irreversible Schäden verursacht (Dannewitz, 2021). Der Verlust von parodontalem Gewebe stellt dabei laut Dannewitz (2021) das Hauptmerkmal dar. Dies wird klinisch durch Attachmentverluste, die Ausbildung parodontaler Taschen, gingivale Blutungen und radiologisch nachweisbaren Knochenabbau sichtbar. Dass die Erkrankung bei Ausbruch oftmals nicht bemerkt wird, trägt zu einer hohen Verbreitung in der Bevölkerung bei (Irlstorfer, 2015). Der parodontale Screening-Index soll einen Überblick über die parodontale Gesundheit des Patienten bieten und sollte Bestandteil einer routinemäßigen zahnärztlichen Kontrolluntersuchung sein, um die Erkrankung frühzeitig zu erkennen (Hellwig et al., 2013).
Bei der Erhebung des Indizes wird nach dem Schriftstück von Hellwig et al. (2013) das Gebiss in Sextanten eingeteilt und die vorhandenen Zähne an sechs Stellen sondiert. Aufgenommen wird jeweils der höchste ermittelte Codewert. Zur Ermittlung des Codewertes wird das Augenmerk auf Blutungen, Zahnstein, Störstellen, Rezessionen, Furkationsbeteiligungen, mukogingivale Probleme, Zahnbeweglichkeit und letztendlich die Höhe der Sondierungstiefen gelegt. Mittels dieser Faktoren können mögliche Verdachtsdiagnosen und Handlungsempfehlungen ausgeschrieben werden (Hellwig et al., 2013).
Das Messinstrument, wie zum Beispiel die WHO-Sonde spielt bei der Aufnahme des PSI-Codes die wichtigste Rolle. Um eine Verfälschung der Messergebnisse zu verhindern, ist die korrekte Anwendung wichtig. Die Untersuchung von Nossek und Thierichen (1989) beschäftigte sich mit dem Sondierungsdruck in Bezug auf den Blutungsparameter. Sie stellten fest, dass der Sondierungsdruck unter den Behandlern variiert und somit unterschiedliche Ergebnisse hervorruft (Nossek & Thierichen, 1989). Auch in der Untersuchung von Grossi et al. (1996) wurden selbst bei ordnungsgemäßer Anwendung Messfehler beobachtet (Grossi et al., 1996).
In dem Artikel von Eickholz (2010) heißt es, dass bei Sondierungskräften von mehr als 0,25N Verletzungen des subgingivalen Gewebes provoziert werden und somit vermehrt Blutungen auch bei Abwesenheit einer subgingivalen Entzündung entstehen können. Aufgrund dessen wird ein Sondierungsdruck von 0,2 – 0,3N empfohlen (Eickholz, 2010).
In der vertragszahnärztlichen Versorgung ist die Erfassung des Parodontalen Screening Index seit 2004 Bestandteil (Dannewitz et al., 2021). Auch in dem neuen Bewertungsmaßstab der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (2021) ist dieser mit der BEMA Nr. 04 Bestandteil der neuen PAR-Richtlinie. Die Position 04 kann einmal innerhalb von zwei Jahren abgerechnet werden. Neu dazugekommen ist, dass der Versicherte ein Formular über seinen Befund ausgehändigt bekommt und die dazugehörigen Informationen vermittelt bekommt. Die Bewertungszahl ist von 10 auf 12 Punkte angehoben worden (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021a).
2.2 Professionelles mechanisches Plaquemanagement
Die professionelle mechanische Plaquereduktion (PMPR) stellt laut der S3 Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Parodontologie (2020) die erste Therapiestufe dar. Das Ziel ist es, die Adhärenz des Patienten bezüglich seiner Therapie zu fördern und somit die Qualität der Therapieergebnisse zu steigern. Sie umfasst die Umsetzung einer effizienten Patientenmotivation und Verhaltensänderung im Hinblick auf seine häusliche Mundhygiene und seinen lokalen und systemischen Risikofaktoren, die auf das Krankheitsbild signifikant einwirken (Kebschull et al., 2020). Für Golmes et al. (2014) stellt die erste Therapiestufe die notwendige Grundlage für die Langzeitstabilität der resultierenden Ergebnisse der Therapie dar. Die Effektivität der parodontalen Vorbehandlungssitzung konnte ebenfalls durch Needleman et al. (2015) und Trombelli et al. (2015) bestätigt werden.
Die Signifikanz der regelmäßigen professionellen mechanischen Plaquereduktion konnte von Axelsson und Lindhe in einer 30-jährigen Studie (2004) bewiesen werden. In ihrer Studie wurden 30 Jahre lang mehr als 550 Probanden unter den Parametern Plaque, Karies, Sondierungstiefen, Attachmentlevel und PSI untersucht. Durchgeführt wurde in individuell festgelegten Abständen alle 3-12 Monate die PMPR von einem Dentalhygieniker. Darunter fiel eine Mundhygieneinstruktion, das Anfärben der Zähne und anschließend die supragingivale Reinigung mit nachfolgender Fluoridapplikation. Innerhalb der 30-jährigen Studie gingen nur 21 Zähne aufgrund parodontaler Erkrankungen oder Karies verloren. Während sich bei den meisten parodontalen Messstellen kein Attachmentverlust aufzeigte, wurde in den Approximalräumen sogar ein Attachmentgewinn festgestellt (Axelsson & Lindhe, 2004).
Somit ist auch heute noch die Kontrolle des supragingivalen Biofilms, die Motivation des Patienten, eine effiziente Mundhygieneinstruktion, die Entfernung supragingivaler Plaque und Zahnstein, die Beseitigung lokaler Reizfaktoren, die die häusliche Mundhygiene erschweren und die Fluoridierung sowie das Einüben der vermittelten Inhalte durch den Patienten selbst vor den Augen des oder der Dentalhygieniker*in Inhalt der ersten Therapiestufe (Kebschull et al., 2020).
Hinzugekommen ist die Kontrolle von Risikofaktoren sowie Interventionen, die zu einer Veränderung des Gesundheitsverhaltens führen sollen, wodurch die Progression der Parodontitis gemildert wird (Kebschull et al., 2020). Im Vordergrund stehen dabei vor allem die Raucherentwöhnung und die Verbesserung der metabolischen Kontrolle eines Diabetes. Aber auch die körperliche Bewegung und die Ernährungslenkung sowie die Gewichtsreduktion spielen für eine bessere Therapieergebnisse eine Rolle (Wölber, 2021).
Die parodontale Vorbehandlung findet in dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab keine Erwähnung. Laut der Kassenzahnärztlichen Vereinigung in Baden-Württemberg (2021) ist das Fehlen von Zahnstein keine Voraussetzung für die parodontale Befunderhebung.
2.3 Anamnese und parodontale Befunderhebung
Die Betreuung eines jeden Patienten sollte mit der Aufnahme der Krankenvorgeschichte beginnen (Stein, 2012). Sie dient unter anderem zur Abklärung von Erkrankungen, welche möglicherweise Bezüge zu anderen Allgemeinerkrankungen herstellen. Da Parodontitis eine multifaktoriell bedingte Krankheit darstellt, spielen oftmals systemische Erkrankungen oder auch genetische Erkrankungen eine Rolle (Dannewitz, 2021). Somit stehen zum Beispiel der Diabetes mellitus, Bluthochdruck, hormonelle Veränderungen, kardiovaskuläre Erkrankungen und die Einnahme von diversen Medikamenten oftmals im Zusammenhang mit der parodontalen Gesundheit (Stein, 2012). Auch die Nachfrage der Rauchgewohnheiten oder des Alkoholkonsums des Patienten sind laut Stein (2012) ein wichtiger Bestandteil der allgemeinmedizinischen Anamnese. Die Ermittlung der speziellen Anamnese wie zum Beispiel Zahnfleischbluten, Zahnmobilitäten, Halitosis oder Zahnverlusten können bereits Hinweise auf das Vorliegen parodontaler Erkrankungen geben. Um Rezidiven nachhaltig vorzubeugen, ist die Fragestellung nach ehemaligen Parodontalbehandlungen von großer Bedeutung. Mit dem Wissen über die familiäre Anamnese des Patienten kann die Differentialdiagnostik verbessert werden.
Die parodontale Gesundheit eines Patienten wird bestimmt auf der Grundlage der Klassifikation für parodontale und periimplantärer Zustände (Papapanou, 2018). Parodontale Gesundheit am intakten Parodontium liegt bei Sondierungswerten von ≤ 3mm und einem Bleeding on Probing Wert von unter 10% vor (Kebschull et al., 2020). Nach erfolgter parodontaler Therapie zeichnet sich nach Kebschull et al. (2020) parodontale Gesundheit durch einen vorliegenden Attachmentverlust, einer Sondierungstiefe von ≤ 4mm und einen Bleeding on Probing Wert von unter 10% aus. In diesen Fällen wird von der closed pocket gesprochen.
Das Messen der Sondierungstiefen sollte im Idealfall mit einer starren Metallsonde stattfinden (Hierse & Kebschull, 2018). Um Messfehler zu vermeiden, sollte die Zahnanatomie und eventuell vorliegende Konkremente berücksichtigt werden. Die Sondierungswerte sollten an sechs Stellen pro Zahn aufgenommen werden, um ein möglichst genaues Ergebnis über den Knochenverlauf zu erhalten. Gleiches gilt für die Aufnahme der Sondierungsblutung mittels BOP. Dabei gibt die Blutung einen entscheidenden prognostischen Faktor an und dient dazu den Entzündungszustand des Parodontiums besser zu beurteilen. Zusätzlich sollten für eine vollständige parodontale Befundaufnahme Rezessionen, Furkationsbefälle und Zahnlockerungen aufgenommen werden.
Des Weiteren sollten zur genaueren Diagnosestellung Röntgenbilder angefertigt werden (Hierse & Kebschull, 2018). Aufgrund der verminderten Qualität eines Orthopantomogramms und der Überlagerung vor allem im Frontzahnbereich ist es sinnvoll zusätzliche Einzelzahnaufnahmen oder direkt einen Röntgenstatus der Zähne anzufertigen, um das Knochenniveau genaustens beurteilen zu können. Nach den Ausführungen von Walter et al. (2010) kann eine digitale Volumentomografie in Betracht gezogen werden, um einen Informationsgewinn bezüglich der Zähne mit Furkationsbefall zu erhalten. Dabei sollte jedoch die Strahlenbelastung und somit eine rechtfertigende Indikation berücksichtigt werden. Dadurch kann vor allem der röntgenologische Knochenabbau und mögliche Furkationsbefälle genaustens beurteilt werden (Walter et al., 2010).
Mit den Daten, welche aus einer umfangreichen Befunderhebung hervorgehen, kann die multifaktoriell bedingte Krankheit des Patienten klassifiziert werden (Papapanou, 2018). Anhand der Klassifikation für parodontale und periimplantärer Zustände aus dem Jahr 2018, kann eine auf den Patienten angepasste Diagnose erstellt und dieser entsprechend therapiert werden. Dem Patienten wird ein Stadium (I-IV) unter den Faktoren röntgenologischer Knochenabbau, Clinical Attachmentlevel, Zahnverlust, Sondierungstiefen, Furkationsbefälle und Zahnlockerungen zugeordnet. Anschließend wird die Progressionsrate mit einem Grad (A-C) bewertet. Dieser wird mit dem Knochenabbauindex (Knochenabbau/Alter), Rauchgewohnheiten und dem HbA1C-Wert, falls ein Diabetes vorliegt, ermittelt.
Diese Befunderhebung und die anschließende Antragsstellung bei der entsprechenden Krankenkasse sind mit der BEMA-Nr. 4 abgegolten (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (2021). Der Punktwert wurde von 39 auf 44 Punkte angehoben. In den Antrag zur Behandlung einer Parodontitis sollten laut der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein (2021) die Sondierungswerte an mindestens zwei Stellen pro Zahn aufgenommen werden (mesioapproximal und distoapproximal). Halbe Millimeterwerte sollen dabei auf den nächstgelegenen ganzen Millimeterwert gerundet werden. Eine Sondierungsblutung sollte mit einem Sternchen hinter der Sondierungstiefe kenntlich gemacht werden. Die Zahnlockerung sollte mit dem Grad 0-III eingetragen werden. Ebenso sollten Furkationsbefälle mit dem Grad 0-III angegeben werden. Fehlende Zähne werden durchgekreuzt und nicht erhaltungswürdige Zähne sollen mit drei oder vier horizontalen Linien durchgestrichen werden. Die Voraussetzung für eine antiinfektiöse Therapie nach Kassenrichtlinie ist eine Sondierungstiefe von 4mm oder größer an mindestens einer Stelle des betroffenen Zahnes. Nach der Genehmigung des Antrages ist die Durchführung und Abrechnung der parodontologischen Leistungen nach Kassenrichtlinie möglich (Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein, 2021).
2.4 Aufklärungs- und Therapiegespräch
Die Signifikanz eines vorherigen Therapiegesprächs wird in der S3-Leitlinie bestätigt (Kebschull et al., 2020). Sie sieht es als eine „essenzielle Voraussetzung“ an und erklärt ebenfalls, dass eine Modifizierung des Behandlungsplans stattfinden sollte, wenn sich die Notwendigkeit abhängig von den klinischen Befunden oder Veränderungen der Patientengesundheit ergeben sollte. Der Patient sollte über seine chronische Erkrankung hinsichtlich Ätiologie und Pathogenese informiert werden, ihm sollten ebenfalls seine, wenn vorhandenen Risikofaktoren geschildert werden. Er sollte sowohl über die Vor- und Nachteile der Therapie als auch über mögliche Therapiealternativen aufgeklärt werden. Die Zustimmung des Patienten unter diesen zugrunde liegenden Informationen ist die Voraussetzung für die Durchführung der Therapie.
In dem neuen Bewertungsmaßstab (2020) für Parodontologie ist das Aufklärungs- und Therapiegespräch (ATG) ergänzt worden (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021a). Der Kassenpatient erhält dadurch vor der Parodontitistherapie eine umfangreiche Beratung zu seiner chronischen Erkrankung hinsichtlich Ätiologie und Pathogenese der Krankheit, aber auch zu seinen persönlichen Risikofaktoren und Wechselwirkungen mit anderen Erkrankungen. Auch in dem Bewertungsmaßstab (2021) ist festgehalten, dass der Patient über die Vor- und Nachteile der Therapie informiert und mögliche Therapiealternativen vorgeschlagen werden sollte. In dem Gespräch sollte der Patient für seine Erkrankung sensibilisiert werden.
2.5 Mundhygieneunterweisung
Da Parodontitis eine vor allem plaquebedingte Erkrankung ist, ist die häusliche Mundhygiene des Patienten ein entscheidender Faktor für ein langfristig gesichertes Therapieergebnis (Meyle & Chapple, 2015). Nach der aktuellen S3-Leitlinie (2020) sollte in regelmäßigen Abständen eine Mundhygieneinstruktion stattfinden. Denn auch das Wiederholen kann zu einem Mehrwert für den Patienten führen und somit die häusliche Mundhygiene verbessern (Kebschull et al., 2021).
Zur mechanischen Biofilmentfernung und damit effektiven Gingivitisreduktion werden Hand- oder elektrische Zahnbürsten empfohlen (Sälzer et al., 2015). Als weitere Hilfsmittel zur Mundhygiene werden vor allem Interdentalraumbürstchen, aber auch die gewöhnliche Zahnseide empfohlen und deren Anwendung sollten individuell dem Patienten vermittelt werden (Kebschull et al., 2021).
Nach dem aktuellen Bewertungsmaßstab (2021) sollte die Mundhygieneunterweisung (MHU) im zeitlichen Zusammenhang mit der antiinfektiösen Therapie (AIT) stattfinden. Der Leistungsinhalt dieser Position ist die Bestimmung des Entzündungszustandes der Gingiva, das Anfärben der Plaque und die darauffolgende individuelle Instruktion in der häuslichen Mundhygiene (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021a). Es sollte nach den Aussagen der KZV ein Überblick über die häusliche Mundhygiene des Patienten geschaffen werden und in Erfahrung gebracht werden, welche Erkenntnisse der Patient über parodontale Erkrankungen besitzt. Der Patient erhält eine individuelle Beratung und eine praktische Anleitung zu den geeigneten Mundhygienehilfsmitteln.
2.6 Antiinfektiöse Therapie
Die antiinfektiöse Therapie richtet sich auf die Reduktion des subgingivalen Biofilms (Kebschull et al., 2020). Nach den Aussagen der aktuellen S3-Leitlinie (2020) sollte das subgingivale Debridement unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung bei jedem Parodontitispatienten, der parodontale Taschen aufweist, durchgeführt werden.
Das systematische Review von Suvan et al. (2020) zeigt auf, dass es keine Unterschiede zwischen dem Full-Mouth Verfahren oder dem quadrantenweise Vorgehen in der Parodontitisbehandlung gibt. Zur Instrumentierung sollten hand- oder maschinell betriebene Instrumente verwendet werden. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, ob diese in Kombination oder allein verwendet werden (Suvan et al., 2020). Aus dem von Hahner et al. (2019) veröffentlichten Artikel kann man entnehmen, dass es jedoch Unterschiede in dem Substanzabtrag der verschiedenen Instrumente gibt. Ritz et al. (1991) fand durch seine in-vitro Studie heraus, dass der Substanzabtrag mit einem Ultraschallscaler mit dem Wert von 11,6 μm deutlich geringer ausfiel, als mit einer Kürette, welche einen Substanzabtrag von 108,9 μm aufwies (Ritz et al., 1991).
Die Effektivität der subgingivalen Instrumentierung kann ebenfalls durch Suvan et al. (2020) bestätigt werden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass in 6/8 Monaten durchschnittlich eine Reduktion der Sondierungstiefen von 1,7mm, ein „pocket closure“ Anteil von 74% und eine Reduktion des BOP um 63% durch die antiinfektiöse Therapie erreicht werden konnte. Bei Taschen über 6mm wurde eine durchschnittliche Reduktion der Taschensondierungstiefe von 2,6mm festgestellt (Suvan et al., 2020).
Denkbar ist nach den Aussagen der S3-Leitlinie (2020) beruhend auf dem Schriftstück von Teughels et al. (2020) eine Antibiotikagabe bei jüngeren Parodontitispatienten mit Stadium III/IV. Bei Patienten unter 35 Jahren mit über 35% der Sondierungstiefen über 5mm sollte ein Antibiotikum verordnet werden. Bei Patienten unter 56 Jahren mit über 35% der Sondierungstiefen über 5mm kann ein Antibiotikum verordnet werden und bei Patienten über 56 sollte kein Antibiotikum verabreicht werden. Empfohlen wird eine Kombination aus 500mg Amoxicillin und 400mg Metronidazol dreimal täglich für sieben Tage ab Therapiebeginn. Besteht eine Penicillinunverträglichkeit sollte Metronidazol allein eingenommen werden (Teughels et al., 2020).
Die antiinfektiöse Therapie ist mit der AITa für einwurzelige Zähne und AITb für mehrwurzelige Zähne in dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab (2020) abgegolten. Sie schließt die subgingivale Instrumentierung von Zahnfleischtaschen mit einer Sondierungstiefe von 4mm oder mehr, die Antibiotikagabe sowie Gingivektomien und Gingivoplastik mit ein (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, 2021a).
2.7 Nachbehandlung
Zeitnah nach der antiinfektiösen Therapie sollte eine Kontrolle des Parodontiums stattfinden, bei der die parodontale Wundheilung kontrolliert wird. Die Integrität der parodontalen Gewebe wird begutachtet und eventuell auf noch auftretende Blutungen bewertet. Der adäquate Zeitpunkt für die Nachkontrolle liegt etwa 1-2 Wochen nach der AIT, da es dann aufgrund des schnellen Turnovers der Saumepithelzellen mit vier bis sechs Tagen etwa doppelt so schnell wie der des oralen Sulkusepithels mit 6 bis 12 Tagen zum epithelialen Verschluss, der beim subgingivalen Debridement entstandenen Verletzungen bei ungestörter Wundheilung gekommen sein sollte (Eickholz & Dannewitz, 2021). Die Mundhygiene sollte in dieser Sitzung ebenfalls nochmal kontrolliert werden. Zudem wird eine weitere Mundhygieneunterweisung bei noch nicht optimaler Mundhygiene notwendig sein. Das Parodontium sollte in den ersten drei Monaten nach der antiinfektiösen Therapie nicht mehr sondiert werden, da dies die parodontale Wundheilung beeinflussen würde. In der Sitzung kann ebenfalls mit antibakteriellen Lösungen gespült werden oder wieder neu gebildeter Zahnstein entfernt werden.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Literaturarbeit überwiegend die Form des generischen Maskulinums verwendet. Diese Form bezieht sich dabei auch auf die weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten.
- Arbeit zitieren
- Jacqueline Elbrandt (Autor:in), 2022, Der neue Bewertungsmaßstab für die parodontale Erhaltungstherapie. Auswirkungen auf Struktur und Delegierbarkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1278033
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