„Eigennamen [EN] sind seit ältesten Zeiten mit allen Bereichen des menschlichen Lebens verbunden. Am Anfang jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens und Gemeinwesens steht […] der Mensch als ‚homo nominans’ […]. Indem der Mensch bestimmten Erscheinungen seiner Umwelt Namen gibt, eignet er sich diese gleichsam an.“
Eigennamen (Onyme) sind allgegenwärtig. Sie haften sowohl Personen (Anthroponyme) als auch geographischen Gebilden (Toponyme) wie Ortsnamen an und geben Aufschluss über ihren Träger. Die Informationen dienen der Identifizierung und Individualisierung des Namenträgers. Seit der Antike beschäftigen sich Geisteswissenschaftler mit dem Phänomen der Eigennamen, doch erst Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Namenforschung, genannt Onomastik, zu einer Spezialdisziplin der Linguistik. Die Onomastik befasst sich überwiegend mit der Klassifikation und der Funktion von Namen. Zu ihren Aufgabenfeldern gehören „neben der Klärung rein sprachwissenschaftlicher, historischer und geographischer Probleme auch die Beantwortung soziologischer und psychologischer Fragestellungen“. Durch die zunehmend differenzierende Betrachtung der Eigennamen haben sich „verschiedene Zweige innerhalb der onomastischen Forschung etabliert“. Darunter fallen unter anderem die Sozio-, Kontakt-, Psycho- aber auch die literarische Onomastik. Besonders in den letzten Jahrzehnten wuchs stetig das „Interesse an Fragen künstlerischer Namengebung“. Eigennamen in literarischen Werken wurden als wichtige Strukturelemente des Textes erkannt, „die ihre Funktionen erst im komplexen Zusammenwirken von Autor, Text und Leser realisieren“. Doch seitdem der Rezipient mit in die onomastische Analyse einbezogen wurde, ist die literarische Namenkunde oft dem Vorwurf der individuellen Spekulation ausgesetzt. Denn „[d]as unterschiedliche Vorwissen und die Erwartungshaltungen der einzelnen Rezipienten [beeinflussen] unwillkürlich die individuelle Begegnung mit einem literarischen Werk und den darin enthaltenen Eigennamen“. Um einer spekulativen Analyse zu entgehen, schlägt Ines Sobanski ein streng kontextbezogenes Vorgehen vor, das die Subjektivität des Rezipienten einschränkt. Bei einer umfassenden Untersuchung literarischer Namen müssen daher sprach- und literaturwissenschaftliche Aspekte ineinander übergreifen, da Namen und Text im wechselseitigen Verhältnis stehen und sie nur im Gesamtgefüge der Sprachzeichen des jeweiligen Werkes zu analysieren sind. ...
Inhaltsverzeichnis
1. Hinführung: Die literarische Onomastik
2. Methoden der literarischen Onomastik
2. 1. Wesen literarischer Eigennamen
2. 2. Funktionen literarischer Eigennamen
2. 2. 1. Sprachliche Funktionen
2. 2. 2. Literarische Funktionen
2. 3. Klassifikation der Namen aus Johann W. v. Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahren
2. 3. 1. Authentizität literarischer Namen und Namenträger
2. 3. 2. Sujetexterne Namen
2. 3. 3. Sujetinterne Namen
2. 3. 3. 1. Klassifizierende Namen
2. 3. 3. 2. Verkörpernde Namen
2. 3. 3. 3. Redende, klangsymbolische und klang-semantische Namen
3. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang:
Kurzinhalt: Wilhelm Meisters Lehrjahre
Schema 1: Semantische Subklassen von Substantiven nach Sommerfeld/Starke
Schema 2: Klassifikation der Arten literarischer Eigennamen nach Sobanski
Namensindex
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kurzinhalt von Johann Wolfgang von Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre
Die in acht Bücher unterteilten Lehrjahre verfolgen den Lebensweg des Kaufmannssohnes Wilhelm Meister, der aus zugleich wohlhabenden und engen Verhältnissen seines Elternhauses ausbricht, um in der Welt des Theaters eine freiere Entfaltungsmöglichkeit zu suchen. Wilhelm, der sich schon als Kind für das Puppenspiel begeistert, lernt die Schauspielerin Mariane kennen und träumt davon, Schöpfer eines künftigen National-Theaters werden. Als die Beziehung zu Mariane scheitert, weil er sie (fälschlich) für untreu hält, erkrankt Wilhelm schwer und gerät in eine tiefe Krise. Nachdem er sich von der Krankheit erholt hat, wendet er sich wieder den kaufmännischen Geschäften zu und verbrennt seine Dichtungen. Auf einer Dienstreise trifft er auf eine Truppe wandernder Schauspieler und schließt sich ihnen an. Dort trifft er auf die freizügige Schauspielerin Philine, das Ehepaar Melina, den Schauspieler Laertes, den Harfner, der sich Wilhelm anschließt und auf Mignon, die er einem Seiltänzer abkauft und sie als sein Kind aufnimmt. Auf einem Gastspiel im Grafenschloss begegnet der Protagonist der schönen Gräfin, die ihn in die Welt des Adels einführt, und verliebt sich in sie. Nach dem Aufenthalt im Schloss zieht die Schauspielergruppe weiter, um den Theaterdirektor Serlo aufzusuchen. Auf dem Weg wird Wilhelm von Räubern überfallen. Kurz drauf begegnet er der schönen Amazone, deren Identität zunächst offen bleibt. Als sich Geschäftsbesuche nicht länger aufschieben lassen, wachsen in Wilhelm Zweifel an seiner Bestimmung. Aber die Nachricht vom Tod des Vaters, die Wilhelm definitiv unabhängig macht, und ein Brief seines Schwagers Werner, der ihm die angeblichen Freuden eines gewinnorientierten bürgerlichen Daseins ausmalt, treiben den Protagonisten immer mehr in die Welt des Theaters. In Serlos Theater angekommen, bereitet sich die Gruppe auf eine Hamlet-Aufführung vor. Nach der erfolgreichen Aufführung, wird das Theater durch einen Brand zerstört und die Gruppe löst sich auf. Von der sterbenden Aurelie, Serlos Schwester, erhält Wilhelm den Auftrag, ihren untreuen Geliebten Lothario aufzusuchen und ihm einen letzten Brief zu überreichen. Bevor Wilhelm auf Lothario trifft, schildert die schöne Seele, Lotharios Tante, ihr religiöses Leben. Durch die Erzählungen der schönen Seele wird die Turmgesellschaft und Natalie, Lotharios Schwester, in den Roman eingeführt. Der aufgeschlossene Baron Lothario, den er in Gesellschaft Jarnos und eines Abbés antrifft, ermuntert Wilhelm, das Theater aufzugeben zugunsten eines tätigen Dienstes für die Gemeinschaft. Lothario führt ihn in die aufgeklärte Turmgesellschaft ein, die bisher verdeckt sein Leben gelenkt hat. Ein Lehrbrief bestätigt Wilhelm, dass seine Lehrjahre nun vorüber seien. Nach und nach enthüllen sich alle Geheimnisse. Es stellt sich heraus, dass Wilhelm einen Sohn mit der mittlerweile verstorbenen Mariane hat, Felix. Daraufhin verlobt sich Wilhelm mit Therese, die er fälschlicherweise für die schöne Amazone hält, damit Felix eine Mutter bekommt. Lotharios Schwester, Natalie, entpuppt sich als die schöne Amazone. Mignon ist das Kind aus der inzestuösen Liebe des Harfners zu seiner Schwester. Die oft undurchsichtigen Einflussnahmen der Turmgesellschaft, stürzen Wilhelm immer wieder in Verwirrung und Zweifel, so daß er sogar die Verlobung mit Therese löst und seine Abreise plant. Doch Friedrich, der Bruder Lotharios und Natalies, führt Wilhelm und die schöne Amazone schließlich doch noch zusammen, wodurch Wilhelm, der bürgerliche Kaufmannssohn, in den Adelsstand erhoben wird.
Vgl. http://www.uni-duisburg-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/washeisst/wilhmeister.htm
Semantische Subklassen von Substantiven nach Sommerfeld / Starke
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vgl. Sommerfeld, Karl-Ernst / Starke, Günter: Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 3., neu bearbeitete Auflage. Tübingen 1998. S. 93.
Klassifikation der Arten literarischer Eigennamen nach Sobanski
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sobanski, Ines: Die Eigennamen in den Detektivgeschichten Gilbert Keith Chestertons. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der literarischen Onomastik. Frankfurt am Main u. a., 2000. S. 82.
Namenindex
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Hinführung: Die literarische Onomastik
„Eigennamen [EN] sind seit ältesten Zeiten mit allen Bereichen des menschlichen Lebens verbunden. Am Anfang jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens und Gemeinwesens steht […] der Mensch als ‚homo nominans’ […]. Indem der Mensch bestimmten Erscheinungen seiner Umwelt Namen gibt, eignet er sich diese gleichsam an.“[1]
Eigennamen (Onyme) sind allgegenwärtig. Sie haften sowohl Personen (Anthroponyme) als auch geographischen Gebilden (Toponyme) wie Ortsnamen an und geben Aufschluss über ihren Träger. Die Informationen dienen der Identifizierung und Individualisierung des Namenträgers. Seit der Antike beschäftigen sich Geisteswissenschaftler mit dem Phänomen der Eigennamen, doch erst Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Namenforschung, genannt Onomastik, zu einer Spezialdisziplin der Linguistik. Die Onomastik befasst sich überwiegend mit der Klassifikation und der Funktion von Namen. Zu ihren Aufgabenfeldern gehören „neben der Klärung rein sprachwissenschaftlicher, historischer und geographischer Probleme auch die Beantwortung soziologischer und psychologischer Fragestellungen“.[2] Durch die zunehmend differenzierende Betrachtung der Eigennamen haben sich „verschiedene Zweige innerhalb der onomastischen Forschung etabliert“.[3] Darunter fallen unter anderem die Sozio-, Kontakt-, Psycho- aber auch die literarische Onomastik. Besonders in den letzten Jahrzehnten wuchs stetig das „Interesse an Fragen künstlerischer Namengebung“.[4] Eigennamen in literarischen Werken wurden als wichtige Strukturelemente des Textes erkannt, „die ihre Funktionen erst im komplexen Zusammenwirken von Autor, Text und Leser realisieren“.[5] Doch seitdem der Rezipient mit in die onomastische Analyse einbezogen wurde, ist die literarische Namenkunde oft dem Vorwurf der individuellen Spekulation ausgesetzt. Denn „[d]as unterschiedliche Vorwissen und die Erwartungshaltungen der einzelnen Rezipienten [beeinflussen] unwillkürlich die individuelle Begegnung mit einem literarischen Werk und den darin enthaltenen Eigennamen“.[6] Um einer spekulativen Analyse zu entgehen, schlägt Ines Sobanski ein streng kontextbezogenes Vorgehen vor, das die Subjektivität des Rezipienten einschränkt. Bei einer umfassenden Untersuchung literarischer Namen müssen daher sprach- und literaturwissenschaftliche Aspekte ineinander übergreifen, da Namen und Text im wechselseitigen Verhältnis stehen und sie nur im Gesamtgefüge der Sprachzeichen des jeweiligen Werkes zu analysieren sind. Die Linguistik „hebt Eigenschaften des Eigennamens als Sprechzeichen hervor und richtet sich auf seine formale und inhaltliche Beschreibung“.[7] Die Literaturwissenschaft hingegen betrachtet „vorrangig die spezifisch literarischen Funktionen des Namens“.[8] Erst das Zusammenwirken von Sprach- und Literaturwissenschaft bewirkt eine tiefere Einsicht in die Struktur des Textes und in die künstlerischen Intentionen des Autors. Zudem gestattet es dem Interpreten die textaufbauende und texterschließende Funktion des Eigennamens zu erschließen und ihn in eine bestimmte Namenklasse einzuordnen.[9] Die literarische Onomastik stellt somit eine Verbindung zwischen Linguistik und Literaturwissenschaft her, da sich sowohl Sprach- als auch Literaturwissenschaftler mit der Namengebung in der Literatur beschäftigen.
Die aktuelle literarische Onomastik beschäftigt sich überwiegend mit literarischen Namen bedeutender epischer und dramatischer Werke. Auch die Eigennamen in den Werken Goethes wurden analysiert. Die veröffentlichten Studien zum Namenschatz in Goethes Werken beschränkten sich aber überwiegend auf die klassifizierenden Propria.[10] Die vorliegende Arbeit versucht daher die Methoden der literarischen Onomastik auf die Namen in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre[11] anzuwenden und dabei alle Namenarten zu berücksichtigen. In die Analyse werden sowohl Anthroponyme als auch Toponyme im weitesten Sinn einbezogen. Letztere beziehen sich nicht nur auf Ortsnamen, sondern schließen auch Länder- und Kontinentnamen in die Untersuchung ein.
Ziel dieser Arbeit ist es, Arten und die damit verknüpften Funktionen der Eigennamen aus Goethes Werk zu ermitteln und somit einen Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis der literarischen Onomastik herzustellen. Eine Interpretation des Werkes soll dabei nicht geschehen. Damit eine umfangreiche Analyse der literarischen Namen gewährleistet werden kann, werden zunächst die Methoden der literarischen Onomastik vorgestellt. Dabei wird zuerst das Wesen literarischer Namen erklärt. Hier soll versucht werden Eigennamen und Appellativa voneinander abzugrenzen. Im Anschluss werden Funktionen und Arten literarischer Namen vorgestellt. Gleichzeitig werden ausgewählte literarische Namen aus dem goetheschen Werk den einzelnen literarischen Funktionen und Namenarten zugeordnet.[12] Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Klassifikation der ausgewählten Namen. Der theoretische Teil orientiert sich überwiegend an die literarisch-onomastische Studie der Eigennamen in den Detektivgeschichten Gilbert Keith Chestertons von Ines Sobanski.
Letztlich werden die Ergebnisse zusammengefasst. Dabei sollen Funktionen und Arten der Eigennamen in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ noch einmal beleuchtet und auf Besonderheiten hingewiesen werden.
[...]
[1] Sobanski, Ines: Eigennamen in den Detektivgeschichten Gilbert Keith Chestertons. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der literarischen Onomastik. Frankfurt am Main u. a., 2000. S. 23.
[2] Ebd. S. 24.
[3] Ebd.
[4] Sobanski, Ines: Eigennamen in den Detektivgeschichten Gilbert Chestertons. S. 35. Sobanski Keith verweist darauf, dass erst 1977 eine Spezialbibliographie der literarischen Onomastik als Beiheft 12 der Beiträge zur Namenforschung N.F erschien. Vgl. Ebd.
[5] Ebd.
[6] Ebd. S. 17.
[7] Ebd. S. 39.
[8] Ebd.
[9] Vgl. Ebd.
[10] Vgl. Schwanke, Martina: Name und Namengebung bei Goethe. Computergestützte Studien zu epischen Werken. Heidelberg 1992. S. 85. Schwanke merkt an, dass bisher leider nur zu den Wahlverwandtschaften und zum Faust eingehende Untersuchungen veröffentlicht wurden. Vgl. ebd. Klassifizierende Namen siehe unter 2. 2. 1.
[11] Inhalt siehe Anhang V und VI.
[12] Zu den ausgewählten Namen siehe Namensindex Anhang VIII und XI.
- Arbeit zitieren
- Florina Jurca (Autor:in), 2009, Literarische Onomastik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127642
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