Die Arbeit setzt sich mit dem Thema Handschrift in der Schule auseinander. Nachdem Finnland als europäischer Vorreiter in Sachen Bildungssystem das flüssige Tippen auf der Tastatur als wichtige Kompetenz der flüssigen Handschrift eines Schülers überordnet und das finnische Bildungsministerium das Vermitteln der Schreibschrift zugunsten der Tastatur zum Herbst 2016 offiziell vom Lehrplan streicht, regen sich nicht nur in Deutschland Formen des Widerstands gegen derartige Reformbestrebungen.
Begründet wird diese Entscheidung von der finnischen Bildungsministerin Minna Harmanen laut einem Artikel der WELT vom 06. Januar 2015 mit den Problemen, die die Schüler mit dem Verfassen handschriftlicher Texte - insbesondere mit der zusammenhängenden Schönschrift - immer häufiger haben und die mitunter bereits zu Schreibblockaden führen. Weiterhin sei das Tippen auf einer Tastatur mit dem Alltag der Schüler eher in Verbindung zu bringen, als handschriftlich verfasste Texte.
Tatsächlich häufen sich auch in Deutschland die von Lehrern berichteten Problematiken mit der Handschrift. Wie gravierend diese faktisch sind und welche Ursachen sich dahinter verbergen, wird derzeit vom Schreibmotorikinstitut Heroldsberg, dem Deutschen Lehrerverband und dem Bundeselternrat versucht, zunächst mithilfe einer bundesweiten Umfrage zu klären.
Zur Bedeutung der Schulausgangsschrift für den Schriftspracherwerb
Einleitung
Nachdem Finnland als europäischer Vorreiter in Sachen Bildungssystem das „flüssige Tippen auf der Tastatur“ als „wichtige Kompetenz“ der flüssigen Handschrift eines Schülers überordnet und das finnische Bildungsministerium das Vermitteln der Schreibschrift zugunsten der Tastatur zum Herbst 2016 offiziell vom Lehrplan streicht, regen sich nicht nur in Deutschland Formen des Widerstands gegen derartige „Reformbestrebungen“. Begründet wird diese Entscheidung von der finnischen Bildungsministerin Minna Harmanen laut einem Artikel der WELT vom 06. Januar 2015 mit den Problemen, die die Schüler mit dem Verfassen handschriftlicher Texte - insbesondere mit der „zusammenhängenden Schönschrift“ - immer häufiger haben und die mitunter bereits zu Schreibblockkaden führen. Weiterhin sei das Tippen auf einer Tastatur mit dem „Alltag der Schüler“ eher in Verbindung zu bringen, als handschriftlich verfasste Texte. (Vgl. 1)
Tatsächlich häufen sich auch in Deutschland die von Lehrern berichteten Problematiken mit der Handschrift. Wie gravierend diese faktisch sind und welche Ursachen sich dahinter verbergen wird derzeit vom Schreibmotorikinstitut Heroldsberg, dem Deutschen Lehrerverband und dem Bundeselternrat versucht zunächst mithilfe einer bundesweiten Umfrage zu klären.
Die Auswertung dieser Umfrage ergibt, dass laut teilnehmender Lehrer gut 60 Prozent der Schüler, laut teinlnehmender Mütter gut 20 Prozent der Schüler Probleme haben, länger als 30 Minuten zu schreiben. Dies sei den Beobachtungen der befragten Lehrer zufolge vorwiegend dem Verkrampfen der Hand und einer falschen Stifthaltung geschuldet, weiterhin bestünden Probleme bei der Einhaltung der Lineatur und der Orientierung auf dem Blatt, sowie bei Einhaltung eines maßvollen Stiftedruckes. Eltern sehen die größten Probleme im mangelnden Interesse ihrer Kinder am Schreiben und an Verkrampfungen und Schmerzen in der Hand nach längeren Schreibübungen. (Vgl. 2)
1. Kulturgeschichtliche Aspekte der Handschrift
Die "Urform unserer Handschrift" bildete sich im Italien der Renaissance in der Mitte des 8. Jahrhunderts als Regionalschrift im Königskloster Corbie aus. Die, als "Carolingischen Minuskel" bezeichnete, Schriftart zeichnet sich durch die Klarheit und Einfachheit des Schrifbildes, sowie das Verfügen über Ober- und Unterlängen aus. So bildet die Carolingische Minuskel die Grundlage unserer heutigen Kleinbuchstaben der Schreib- und Druckschrift. Ab dem 9. Jahrhundert breiteten sich die Carolingischen Minuskel über die Hofschule und Schreibzentren Karls des Großen aus und ersetzt die bis dahin gebräuchliche lateinische Schrift in Großbuchstaben (Capitalis-Majuskel). (Vgl. 4)
Die Verbindung von Capitalis-Majuskel (Großbuchstaben) und Carolingischer Minuskel (Kleinbuchstaben) wurde "Antiqua" genannt, hat sich jedoch stilistisch nicht gut vertragen, da die einzelnen Buchstaben kaum sinnvoll verbunden werden konnten. Aus dem Wunsch, schneller schreiben zu können, wurden die Buchstaben nunmehr schräg verfasst. Der Schrifttyp Antiqua wurde auch für den Buchdruck verwendet. (Vgl. 4)
Aus der Carolingischen Minuskel entwickelte sich gegen Ende des 11. Jahrhunderts in Belgien und Nordfrankreich die frühgotische Minuskel als neue Schriftart, die sich schnell über ganz Europa verbreitete.
Während das handschriftliche Verfassen von Texten lange Zeit als Kunst galt und nur von Wenigen wie den Schreibmeistern des 16.-18. Jahrhunderts beherrscht wurde, brachte die Verbreitung der Druckkunst die Schreiber und Schreibmeister recht schnell in wirtschaftliche Not.
Mit der Erfindung des modernen Buckdrucks und der Druckerpresse durch Gutenberg um 1450 wurden alle Komponenten zu einem effizienten Produktionsprozess zusammengeführt und so die maschinelle Massenproduktion von Büchern ermöglicht. (Vgl. 3)
Zunächst wurden die Druckschriften der Frühdrucker noch den schönsten Handschriften ihrer Zeit nachgeahmt. Die wirtschaftliche Not der Schreiber und Schreibmeister führte dazu, dass sie ihre Schiften mit diversen Schmuckelementen verzierten und die Buchstaben miteinander verbanden, sodass diese mit den herkömmlichen Drucklettern nicht mehr nachgeahmt werden konnten. Diese Verbindung der Buchstaben und die in der Barockzeit aufkommenden Schnörkel und Girlanden verformten die Buchstaben mitunter "bis an die Grenze der Unleserlichkeit". (Vgl. 3, S. 32) Nun ließen die Schreibmeister ihre Lehrbücher im Kupferstichverfahren herstellen. Diese waren häufig in rot gedruckt und mussten in ihrer Form genau nachgezeichnet werden. Dieses "Formideal" der Schrift wurde bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts beibehalten und mit der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht (1717-1835) in explizit schulischen Lehrgängen des Schreibunterrichts gelehrt.
Die handschriftlich verfassten Texte, die lange Zeit das "Speicher- und Kommunikationsmedium der Verwaltungen" war, mussten nach festen Normen, in einem bestimmten Duktus (bzw. Schreibstil) verfasst werden. So beherrschten Kanzleischreiber in der Regel mehrere Schriftcharaktere, welche genau umgesetzt werden mussten. Klarheit, Lesbarkeit und Formkonstanz waren gefordert. Dieses schreibmeisterliche Ideal wurde auf die Schüler übertragen. So wurde mit Drill und Einübung der vorgegebenen Formen der Bedarf an Schreibern für die zunehmende Verwaltung und die Bedürfnisse der Kanzleien und Kontore in der Schule versucht, ein passgenaues Potential an Arbeitskräften heranzubilden. Schreiben war weniger das selbstständige Verfassen eigener Texte, vielmehr war es in erster Linie das Abschreiben von Textmustern. (Vgl. 3, S. 32) Der Bedarf solcherart gedrillten Schreibkräfte sank Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Vordringen der Schreibmaschine rapide ab. Somit wurden die Schreibkräfte erneut verdrängt durch den maschinellen Fortschritt und durch die klassische "Tippmamsel" ersetzt, welche die Anforderungen der Verwaltungen mithilfe der Schreibmaschine weit besser erfüllen konnte, als die klassischen Schreiber. (Vgl. ebd.)
Mit dem Entbinden der Schreibhand "von den alten Pflichten" wird die Handschrift nunmehr zur Privatsache. Angeregt durch Rudolf von Larisch (Kalligraph) und Ludwig Klages (Psychologe und Graphologe) entsteht das neue Konzept der "Ausgangsschrift", welche als Grundform der Handschrift zu verstehen ist, die dem Schreiber durch individuelle Abwandlung eine "expressive, persönliche Ausformung" ermöglichen soll. Diese "Ausgangsschriften" und Schulalphabete, die nun gelehrt werden sollten, waren jedoch noch längere Zeit stark am Ideal des Schriftmeisters orientiert. Die theoretisch erwünschten Individualisierungen der einzelnen Schüler wurden noch viele Jahre von den Lehrkräften nach den Gesichtspunkten der Duktustreue zensiert und das Konzept der Ausgangsschrift in seiner individuellen Tragweite missverstanden.
Die in Deutschland als Schreib- und Druckschrift ebenfalls verbeitete Gotische- bzw. Frakturschrift von Sütterlin, wurde in ihren Handschriftvarianten als "Schwabacher Judenlettern" bezeichnet und am 03. Januar 1941 per Erlass von den Nationalsozialisten verboten und weitgehend durch Antiqua ersetzt. Weiterhin propagierten die Nationalsozialisten ausdrücklich die Ausgangsschrift/Persönlichkeitsschrift und erhofften sich so über die persönliche Handschrift an eine Auskunft über denjeweiligen Menschen zu gelangen.
Aufbauend auf die diffuse Theorie Ludwig Klages, isolierte man neben charakterlichen auch rassistische Merkmale auf Grundlage der jeweiligen Handschrift und "nutzte" die Graphologie als Selektionsinstrumentim Dienste der Nationalsozialisten. (Vgl. ebd.)
In Schulen wurden ab 1941 ein lateinisches Alphabet verbindlich - die "Deutsche Normalschrift". Nach dem Krieg musste in Abgrenzung zum Nationalsozialismus schnell eine andere Ausgangsschrift her. So entschied man sich statt der Rückbesinnung auf Antiqua-Kursiv in der Bundesrepublik übereilt für die "Lateinische Ausgangsschrift" (LA), welche seit 1953 in den Schulen gelehrt wird, jedoch ebenso, wie die "Deutsche Normalschrift" noch stark von den "künstlerischen Verirrungen barocker Schreibmeister und der Spitzfeder geprägt ist" und insbesondere durch die Form der Großbuchstaben hohe Anforderungen an die kindliche Motorik stellt. (Vgl. 3, S. 33)
In derDDRwird 1968 die Schulausgangsschrift (SAS) eingeführt. Die gechilderte Problematik der LA führte in der Bundesrepublik schließlich zur Entwicklung der "Vereinfachten Ausgangsschrift" (VA), welche 1973 von einem Göttinger Grundschullehrer, Heinrich Grünewald, auf der Grundlage seiner 1969 druchgeführten methodischen Untersuchungen zur Schreibmotorik und den 1970 veröffentlichten Ergebnisse zusammen mit dem Frankfurter "Arbeitskreis Grundschule" erarbeitet und vorgelegt wurde. Grünewald führt die fehlende Systematik, sowie umständliche Wellenlinien und Schlaufen als Hauptursache für Schwierigkeiten beim Erlernen der Schriftsprache an. Grünewald erhoffte sich durch die - unter lernpsychologischen Gesichtspunkten entwickelte - vereinfachte Ausgangsschrift ein erleichtertes Schreibenlernen, mehr Formkonstanz und eine bessere Lesbarkeit.
Die inzwischen vorliegenden Beispiele ausgeschriebener Handschriften auf der Grundlage der VA sprechen jedoch laut van der Ley eine andere Sprache. Oftmals seien diese Handschriften in ihrer Lesbarkeit denen der LA unterlegen und auch unter ästhetischen Gesichtspunkten alles andere als ansehnlich. Nach van der Ley sollte die Form der Schrift nicht den motorischen Fähigkeiten eines Kindes angepasst werden, wie es Grünewald mit seiner VA anstrebt. Vielmehr sollte die Schule das Kind vorsichtig an eine gute Schrift heranführen, die "freie Formentwicklung erlaubt und ästhetisch entwicklungsfähig ist". Wenn sich das Muskelgedächtnis eines Kindes erst auf kindgemäße Formen des Schreibens kontidioniert hat, wird der erwachsene Mensch mit ausgereifter Feinmotorik nur mühsam eine ästhetisch ansprechende Handschrift entwickeln, und "plagt sich mit einer Kinderschrift, an deren Formkonstanz niemand Freude finden kann". (Vgl. ebd, S. 33)
“Fehler” der Lateinischen Ausgangsschriften gehen zurück auf "Materialbedingungen und schreibmeisterliche Spielereien der Barockzeit", welche durch die VA nicht behoben werden konnten. Diese sei eine "Flickschusterschrift ohne ästhetische Qualität, eine Technokratenleistung von künstlerischen Laien", die ebenfalls voller Fehler stecke, insbesondere bei der Schreibung des kleinen "s" und des "ss", sowie das "t" und des "z", die im Anschluss an weitere Buchstaben überflüssige Schleifen und Formverzerrungen nach sich ziehen und die Lesbarkeit negativ beeinflussen.
So, wie sich die als geeignete Buchstabenformen erachteten Ausgangsschriften mit den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an Schrift in verschiedene Richtungen ändern, divergerten und entwickelten sich auch die als geeignet erachteten Lese- und Schreiblehrmethoden und Konzepte nach der jeweils vorherrschenden Vorstellung davon, welche Kriterien Schrift erfüllen muss. Bei den geführten didaktischen Diskussionen geht es immer auch um die “Funktion”, die diejeweilige Methode “für etwas anderes hat, nämlich für Rechtschreiben, für Lesen, für den Schreibenden als Person oder für Kommunikation”. (Vgl. 6, S. 159)
Diese “Kontroversen um die zentral angezielten Fähigkeitsdimensionen beim Schriftpracherwerb spiegeln sowohl allgemein bildungstheoretische und - politische Auseinandersetzungen als auch fachdidakische Überlegungen zum Stellenwert von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von Lesen und Rechtschreiben, zum methodischen Fokus der Unterrichtskonzeption zwischen Lehr- und Lemorienterung und schließlich der sprachlichen Einheit, von der der Anfangsunterricht ausgehen sollte: dem Buchstaben/Laut, der Silbe, dem Wort oder Satz.” (Vgl. 6, S.147) Diese unterschiedlichen Orientierungen spiegeln sich auch in den Fibellehrwerken der jeweiligen Zeit wider, da die Fibel unbestritten das “Leitmedium des Anfangsunterrichtes” war und ist. Heutige Fibeln entsprechen professionell gestalteten Kinderbüchern, die unterschiedliche didaktischmethodische Schwerpunktsetzungen berücksichtigt. So gibt es in Anpassung an die neuen, kompetenzorientierten Bildungsstandards des Kultusministerium Material, welches stärker lehrgangsgebundenen oder stärker lemwegsorientierten Konzepten entspricht, fachdidaktische Orientierungen werden ebenfalls aufgegriffen (Silbenansatz) als auch der jeweilige Bedarf der Schulpraxis (jahrgangsübergreifend oder Schulanfangsphase). (Vgl. Ebd., S. 234) Weiterhin werden Schreiblehrgänge mit verschiedenen Schulausgangsschriften (LA, VA, SAS) angeboten. Einige wenige Lehrwerke bieten neben den genannten Ausgangsschriftvarianten bereits die neue Grundschrift an. Diese Schriftvariante wird vom Grundschulverband empfohlen und ist stark an den Druckbuchstaben orientiert, die bereits als Erstschrift in der Schulanfangsphase praktiziert wird.
So stellt sich die Frage, welche Funktion die Wahl der Ausgangsschrift (LA, VA, SAS, Grundschrift) für das schreiben lernende Kind im digitalen Zeitalter hat und haben soll. Haben herkömmliche Ausgangsschriften positive Effekte auf den Schriftspracherwerb, die das Umlernen von der Erstschrift und das Verwerfen der bis dahin erreichten Schreibentwicklung des Kindes rechtfertigen und sinnvoll erscheinen lassen? Muss eine flüssige Handschrift unter allen Umständen verbunden sein? Bartnitzky (u. a. 2011) würden diese Frage verneinen. Kritierien, die in der heutigen Zeit an eine mehr und mehr in den privaten Bereich gedrängte Handschrift gestellt werden, sind laut Bartnitzky eine gute Lesbarkeit und Formklarheit, sowie ein - für den Schreiber - guter Bewegungsfluss und eine hohe Schreibgeschwindigkeit, mit einem hohen Maß an Individuallisierungsmöglichkeiten, die der Schreibmotorik des Schreibers Rechnung trägt. Die Einführung der Grundschrift, die sich stark an der Druckschrift orientiert würde einerseits Zeit sparen und ggf. Frustrationen vermeiden, die mit dem “Umlernen” von der Erstschrift auf eine der herkömmlichen Schulausgangsschriften (LA, VA, SAS) verbunden ist durch ihre Offenheit in der Wahl geeigneter Materialien und der Ausführung (Stifte, Lineaturen und Verbindungspunkte zwischen einzelnen Buchstaben) weiterhin sehr gut mit dem derzeit vorherrschenden didaktischen Neuorientierung, dem Spracherfahrungsansatz, der eine kognitiv-konstruktivistische Sicht auf Lernen zu Grunde legt und den individuellen Zugang eines Kindes zur Schrift betont, vereinbar.
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- Arbeit zitieren
- Diplom-Pädagogin Christine Haase (Autor:in), 2016, Zur Bedeutung der Schulausgangsschrift für den Schriftspracherwerb, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1273794
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