Guido Westerwelle sagte am 4. September 2004 im ZDF Sportstudio: „Bis 40 kann man Sport machen, ab 40 muss man Sport machen.“ Die Aussage trifft den Nerv der Zeit, denn sie zielt auf die rasant anwachsenden Kosten im Gesundheitswesen. Diese resultieren unter anderem aus Bewegungsmangel und falscher Ernährung und könnten durch eine angepasste, dem Körper entsprechende Lebensweise vermieden werden. Gleichzeitig zeigt der Ausspruch, dass dem Thema Sport im mittleren Lebensabschnitt in der öffentlichen Diskussion zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen geht vom demographischen Wandel aus. In den nächsten 45 Jahren wird die Zahl älterer Menschen in Deutschland deutlich steigen, wobei im Jahr 2050 auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 78 alte Menschen kommen werden (vgl. Statistisches Bundesamt, 2003, S. 31). Diese Entwicklung, die charakteristisch für alle hoch entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften ist, wird nicht ohne Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme bleiben.
Zum Beispiel wird der Gesundheitszustand einer immer älter werdenden Bevölkerung das Gesundheitswesen und die sozialen Dienste nachhaltig bestimmen. Chronische Rückenschmerzen verursachen beispielsweise in Deutschland jährlich Kosten in Höhe von 26 Milliarden €. Allerdings sind nur 15% der Rückenschmerzen auf einen organischen Befund zurückzuführen (vgl. Stephan, 2005, S. 10). Daher werden bereits heute Stimmen laut, die den Einzelnen zu mehr Verantwortung für seine Gesundheit und für seinen Körper aufrufen, um langfristig teure Alterslasten zu verringern.
Aber auch die Vereine werden stärker in die Pflicht genommen. So wird beispielsweise gefordert, die Leistungen der „Turn- und Sportvereine mit ihrem speziellen Angebot im Gesundheitssektor als Träger von Vorsorgeleistungen anzuerkennen“ (Deutscher Sportbund, 2004 a, S. 13). Dies soll im Rahmen eines Präventionsgesetzes geschehen.
Es stellt sich die Frage, welche Grundlagen zur Erhaltung der Gesundheit und für eine selbständige und zufriedene Lebensführung bereitgestellt werden können und müssen. Zur Gesunderhaltung seines Organismus und zur Aufrechterhaltung seines Wohlbefindens braucht der Mensch ein ausreichendes Maß an regelmäßiger körperlicher Aktivität: Der Mensch ist nach seinem genetischen Grundprogramm auf Bewegung ausgerichtet...
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
1.1 ZIELSETZUNG DIESER ARBEIT
1.2 VORGEHENSWEISE UND AUFBAU
2 BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG IN DEUTSCHLAND
2.1 VON DER PYRAMIDE ZUM PILZ - DIE VERALTERUNG UND SCHRUMPFUNG UNSERER GESELLSCHAFT
2.2 NIEDRIGE GEBURTENRATE
2.3 STEIGENDE LEBENSERWARTUNG
2.4 RELEVANZ DER DEMOGRAPHISCHEN ENTWICKLUNG FÜR MEINE UNTERSUCHUNG DES SPORTANGEBOTES DER 41- BIS 60-JÄHRIGEN
3 SPORT DER ÄLTEREN IN DEUTSCHLAND
3.1 BEGRIFFSKLÄRUNGEN: ALTERSSPORT, SPORT DER ÄLTEREN UND SENIORENSPORT
3.2 THEORIEN ZUM THEMA SPORTLICHE AKTIVITÄT UND ALTERN
3.2.1 Das Defizitmodell
3.2.2 Theorien erfolgreicher Anpassung an das Alter und Altern
3.2.3 Neuere Forschungsansätze zum Alter und Altern
3.2.4 Relevanz dieser Theorien für die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre und deren sportliche Betätigung
3.3 STRUKTURWANDEL DES ALTERNS
3.3.1 Veränderte Lebensbedingungen
3.3.2 Die Sandwich-Generation
3.3.3 Freizeit in Deutschland
3.3.4 Schlussfolgerungen für den Sport
3.4 ZIELE UND MOTIVE IM SPORT DER ÄLTEREN
3.4.1 Ziele und Motive im Seniorensport
3.4.2 Ziele und Motive der Altersgruppe 41 bis 60 Jahre
3.5 DAS GESUNDHEITSMOTIV IM SPORT DER ÄLTEREN
3.5.1 Altern, Alter und Gesundheit
3.5.2 Auswirkungen von Sport auf Veränderungsprozesse des Körpers
4 SPORTSTADT PADERBORN
4.1 EINE DEMOGRAPHISCHE EINORDNUNG
4.2 SPORTTREIBEN IN PADERBORN
5 DIE BEFRAGUNG DER SPORTVEREINE IN PADERBORN
5.1 BEGRÜNDUNG DER METHODENWAHL
5.2 DIE FRAGEBOGENERHEBUNG
5.2.1 Der Fragebogen
5.2.2 Rücklauf und Qualität der Beantwortung
5.2.3 Zur Repräsentativität der Untersuchung
6 STRUKTUREN DER SPORTVEREINE IN PADERBORN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE ALTERSGRUPPE 41 BIS 60 JAHRE
6.1 VEREINSSTRUKTUREN
6.1.1 Vereinsgröße
6.1.2 Abteilungsgliederung
6.1.3 Der Organisationsgrad der Paderborner Bevölkerung
6.1.4 Die Altersstruktur in den Paderborner Sportvereinen
6.1.5 Potentiale für neue Mitglieder
6.2 ANGEBOTSSTRUKTUREN IM SPORTLICHEN SEKTOR
6.2.1 Spektrum der Sportarten
6.2.2 Sportarten-Ranking nach Mitgliederzahlen
6.2.3 Spezielle Angebote für die 41- bis 60-Jährigen
6.2.4 Sportorganisation der Angebote für die Älteren
6.2.5 Zielgruppenbezogene Sportangebote und Zusammenarbeit mit Organisationen
6.2.6 Sportliche Zusatzangebote
6.3 VEREINSGESELLIGKEITEN
7 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Vorausberechnung der Bevölkerungsentwicklung nach ausgewählten Altersgruppen
Tabelle 2: Bevölkerung am 31.12.2002 nach ausgewählten Altersgruppen
Tabelle 3: Präventionsstrategien ab dem 50. Lebensjahr
Tabelle 4: Ursachen der Leistungsbegrenzung im Alterungsprozess
Tabelle 5: Aktuelle Bevölkerung und Prognose für das Jahr 2020 für die Gesamtbevölkerung der Stadt Paderborn nach Altersgruppen (vgl. Stadt Paderborn, 2005)
Tabelle 6: Vergleich der Vereinsbefragung meiner Diplomarbeit und der Bestandserhebung 2004 des LSB NRW unter dem Kriterium der prozentualen Anteile der Vereinsgröße
Tabelle 7: Vergleich der Vereinsbefragung meiner Diplomarbeit und der Bestandserhebung 2004 des LSB NRW unter dem Kriterium der prozentualen Anteile der einzelnen Altersgruppen
Tabelle 8: Vergleich der prozentualen Verteilung der Vereinsmitglieder auf die verschiedenen Vereinsgrößen in Paderborn und in Westdeutschland
Tabelle 9 Anteil der 41- bis 60-Jährigen und aller Mitglieder nach Vereinsgröße
Tabelle 10: Gegenüberstellung von Bevölkerungszahlen, Sportvereinsmitgliedschaften und Organisationsgrad der Stadt Paderborn und NRW
Tabelle 11: Abbildung der Altersstruktur der Paderborner Bevölkerung sowie der Sportvereinsmitgliedschaften in Paderborn und in Nordrhein Westfalen
Tabelle 12: Potentiale für die Mitgliedergewinnung
Tabelle 13: Die 10 mitgliedstärksten Sportarten in den Paderborner Vereinen für die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre (N = 127) und nach Gesamtmitgliedern (a) gemäß der Bestandserhebung 2004 des LSB NRW (N = 127) und (b) gemäß meiner Fragebogenerhebung (n = 63)
Tabelle 14: Sportangebote für bestimmte Zielgruppen (n = 38)
Tabelle 15: Zusatzangebote im nichtsportlichen Sektor (n = 59)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 1910
Abbildung 2: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2001
Abbildung 3: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2050
Abbildung 4: Anzahl der Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren
Abbildung 5: Durchschnittliches Alter der Bevölkerung in Jahren
Abbildung 6: Ausgewählte Freizeitaktivitäten von Frauen und Männern 1991/1992 und 2001/2002
Abbildung 7: Zielstruktur der Bewegungs- und Sportaktivität bei Älteren
Abbildung 8: Subjektives physisches Wohlbefinden bei sportlich aktiven und inaktiven Frauen und Männern über 40 Jahre
Abbildung 9: Aktuelle Stimmungslagen bei sportlich aktiven und inaktiven Frauen und Männern über 40 Jahre
Abbildung 10: Bevölkerungsentwicklung und Vorausberechnung für die Stadt Paderborn 1990 bis 2020
Abbildung 11: Vergleich der Altersstrukturen von NRW und Paderborn
Abbildung 12: Organisationsformen des Sporttreibens in Paderborn
Abbildung 13: Sportaktivenquote nach Altersgruppen in Paderborn 1993 und 2003
Abbildung 14: Freizeitbeschäftigungen der Paderborner nach Altersgruppen
Abbildung 15: Verhältnis der Gesamtmitglieder zum prozentualen Anteil der 41- bis 60-Jährigen in den Paderborner Sportvereinen (N = 127)
Abbildung 16: Verhältnis der Abteilungszahl zum Anteil der 41- bis 60- Jährigen in den Paderborner Sportvereinen in Prozent (N = 127)
Abbildung 17: Einschätzungen der Vereine zur Sportaktivität ihrer Mitglieder (n = 63)
Abbildung 18: Einschätzung der Vereine zur Sportaktivität ihrer Mitglieder zwischen 41 und 60 Jahren (n = 60)
Abbildung 19: Die am häufigsten angebotenen Sportarten in Paderborn und im DSB
Abbildung 20: Betreuung der Trainingsgruppen für die Älteren (n = 45)
Abbildung 21: Zusammenarbeit mit Organisationen (n = 104)
Abbildung 22: Sportliche Zusatzangebote (n = 63)
Abbildung 23: Prozentuale Anteile der nichtsportlichen Zusatzangebote der Paderborner Vereine und in Deutschland
1 Einleitung
Guido Westerwelle sagte am 4. September 2004 im ZDF Sportstudio: „Bis 40 kann man Sport machen, ab 40 muss man Sport machen.“ Die Aussage trifft den Nerv der Zeit, denn sie zielt auf die rasant anwachsenden Kosten im Gesundheitswesen. Diese resultieren unter anderem aus Bewegungsmangel und falscher Ernährung und könnten durch eine angepasste, dem Körper entsprechende Lebensweise vermieden werden. Gleichzeitig zeigt der Ausspruch, dass dem Thema Sport im mittleren Lebensabschnitt in der öffentlichen Diskussion zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen geht vom demographischen Wandel aus. In den nächsten 45 Jahren wird die Zahl älterer Menschen in Deutschland deutlich steigen, wobei im Jahr 2050 auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 78 alte Menschen kommen werden (vgl. Statistisches Bundesamt, 2003, S. 31). Diese Entwicklung, die charakteristisch für alle hoch entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften ist, wird nicht ohne Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme bleiben.
Zum Beispiel wird der Gesundheitszustand einer immer älter werdenden Bevöl- kerung das Gesundheitswesen und die sozialen Dienste nachhaltig bestimmen. Chronische Rückenschmerzen verursachen beispielsweise in Deutschland jähr- lich Kosten in Höhe von 26 Milliarden €. Allerdings sind nur 15% der Rücken- schmerzen auf einen organischen Befund zurückzuführen (vgl. Stephan, 2005, S. 10). Daher werden bereits heute Stimmen laut, die den Einzelnen zu mehr Verantwortung für seine Gesundheit und für seinen Körper aufrufen, um langfristig teure Alterslasten zu verringern.
Aber auch die Vereine werden stärker in die Pflicht genommen. So wird beispielsweise gefordert, die Leistungen der „Turn- und Sportvereine mit ihrem speziellen Angebot im Gesundheitssektor als Träger von Vorsorgeleistungen anzuerkennen“ (Deutscher Sportbund, 2004 a, S. 13). Dies soll im Rahmen eines Präventionsgesetzes geschehen.
Es stellt sich die Frage, welche Grundlagen zur Erhaltung der Gesundheit und für eine selbständige und zufriedene Lebensführung bereitgestellt werden kön- nen und müssen. Zur Gesunderhaltung seines Organismus und zur Aufrechter- haltung seines Wohlbefindens braucht der Mensch ein ausreichendes Maß an regelmäßiger körperlicher Aktivität: Der Mensch ist nach seinem genetischen Grundprogramm auf Bewegung ausgerichtet. Bewegungsmangel hingegen ver- ringert die Leistungsfähigkeit des gesamten Körpers, schmälert das Wohlbefin- den und beschleunigt den Alternsprozess (vgl. Hollmann & Liesen, 1986, S. 343; Altern, 1996, S. 443).
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken werden Präventions- und Rehabilitationsprogramme initiiert, in denen der Sport eine wichtige Rolle spielt. Denn Sport bietet einen Ausgleich in einem stark durch technische Hilfen geprägten täglichen Leben (vgl. Kaiser, 1998, S.155).
Zwar gilt dies auch schon für junge Menschen, aber es wird umso wichtiger, je älter die Menschen werden. Für den Sport bedeutet dies, dass Aktivitäten für ältere Menschen entsprechend auf die Bedürfnisse dieser Menschen im körper- lichen, geistig-seelischen und sozialen Bereich ausgerichtet sein müssen. Es drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, inwieweit sich die Sportvereine bestimmten Zielgruppen, wie zum Beispiel der älteren Generation, zuwenden und spezielle Angebote konzipieren. Dabei bedeutet ältere Generati- on nicht nur die Menschen nach der Erwerbstätigkeit, sondern es müssen bei der älteren Generation bereits die über 40-Jährigen mit in den Focus der Be- trachtung einbezogen werden.
Auch für die Stadt Paderborn ist dies von besonderer Relevanz. Die Stadt Pa- derborn hat 1993 vom Deutschen Sportbund den Titel Sportstadt verliehen be- kommen. Der Stadtentwicklungsbericht 2010 der Stadt Paderborn hält fest, dass Paderborn ein attraktiver Lebensstandort mit attraktiver Freizeitgestaltung ist und auch in Zukunft bleiben soll (vgl. Stadt Paderborn, 2002, S. 25). Unter diesem erklärten Ziel kann auch die Stadt Paderborn die besondere Bedeutung des Sports für die über 40-Jährigen nicht ignorieren. Logische Schlussfolgerung müsste es demnach sein, dass im Bereich des Sports für die über 40-Jährigen ein attraktives Angebot zur Verfügung gestellt wird. Allerdings gibt es bisher in Paderborn keine gesicherten Erkenntnisse über das Sport(vereins)angebot für die ältere Generation.
Damit steht Paderborn allerdings nicht alleine da. Auch in der wissenschaftli- chen Diskussion scheint das Thema Sport der Älteren ein Stiefkind zu sein. Es gibt zwar zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen und Veröffentlichungen zum Sport der Senioren, also der ganz Alten, die Theorielegung für die mittlere Altersgruppe aber, nämlich die 41- bis 60-Jährigen, fällt sehr dürftig aus.
1.1 Zielsetzung dieser Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist daher die Untersuchung des Angebots der Paderborner Sportvereine für die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre. Es soll dabei soweit wie möglich herausgefunden werden, ob die Angebotsstruktur auf die Bedürfnisse dieser Altersgruppe ausgerichtet ist. Untersucht werden soll auch, inwieweit die Paderborner Vereine auf die veränderten Rahmenbedingungen und die öffentliche Diskussion reagiert haben und für die 41- bis 60-Jährigen ein angepasstes Sportangebot zur Verfügung stellen. Damit wird indirekt die Sensibilität der Sportvereine für diese Zielgruppe erfasst.
Als praktischer Nebeneffekt dieser empirischen Untersuchung soll das Thema Sport für die ältere Generation in besonderer Weise in das Bewusstsein der Geschäftsführer und Vereinsvorstände gerückt werden.
Zwar wird inzwischen erkannt, dass für die mittlere Generation eigene Angebo- te gemacht werden müssten, allerdings stelle ich die konkrete Umsetzung in Frage.
1.2 Vorgehensweise und Aufbau
Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit sind, wie in der Zielsetzung erläutert, die Sportangebote in den Paderborner Sportvereinen für die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre. Aufgrund mangelnder vorliegender Daten wurde diese Diplomarbeit als empirische Untersuchung konzipiert.
Ausgehend von der demographischen Entwicklung in Deutschland und der damit einhergehenden anwachsenden Zahl älterer Menschen in der Bundesrepublik, wird der Zusammenhang zwischen dem Sport und älteren Menschen eingehender betrachtet.
Dabei ist zunächst von Bedeutung den Begriff Sport der Älteren genau zu klä- ren. In der wissenschaftlichen Diskussion wird der Sport der Älteren häufig nicht klar vom Seniorensport abgegrenzt, was zu Missverständnissen führen kann.
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird die konkrete Bedeutung von Bewegung und sportlicher Aktivität für den älteren Menschen näher beleuchtet. Es wird sowohl die besondere Lebenssituation dieser Menschen betrachtet als auch Motive und Ziele von sportlicher Aktivität besprochen. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte über die Auswirkungen des Sports der Älteren auf die Ge- sundheit und damit indirekt auch auf die Kosten im Gesundheitswesen, wird dem Gesundheitsmotiv in Kapitel 3.5 ein eigener Abschnitt gewidmet.
Wie bereits angedeutet muss auch Paderborn als Sportstadt ein Interesse daran haben, die Älteren mit einem entsprechenden Angebot zu versorgen, denn auch an Paderborn geht die demographische Entwicklung nicht vorbei. Die Sportstadt Paderborn bietet eine hervorragende Infrastruktur für Aktivität und Sport. Auf Basis von bereits zwei durchgeführten Sportverhaltensstudien lässt sich darüber hinaus relativ genau ermitteln, was für einen Sport die Paderbornerinnen und Paderborner1 gern ausüben. Damit bietet sich ein Vergleichsinstrument zu den realen Angeboten der Sportvereine.
Es kann bereits vorweggenommen werden, dass in den Paderborner Sportver- einen im Vergleich zu allen Vereinen Nordrhein Westfalens keine herausragen- den Unterschiede im Hinblick auf den prozentualen Anteil der Älteren erkannt werden konnte. Etwa jedes vierte Mitglied in einem Sportverein ist zwischen 41 und 60 Jahren alt.
Des Weiteren kann eine verstärkt präventive Ausrichtung der speziellen Angebote für die über 40-Jährigen, wie sie sich aus der Gesundheitsdebatte ergeben müsste, nicht bestätigt werden.
Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse der Befragung und der Analyse der Vereins- und Angebotsstrukturen der Paderborner Sportvereine gibt Kapitel 6 wieder.
2 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland
2.1 Von der Pyramide zum Pilz - die Veralterung und Schrumpfung un- serer Gesellschaft
Der Altersaufbau in Deutschland hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts ent- scheidend verändert. Um 1900 entsprach die Bevölkerungsstruktur dem Ideal einer Pyramide. Danach stellen die Kinder als geburtenstarke Jahrgänge die breite Basis. Aufgrund der natürlichen Sterblichkeit verringern sich alle späteren Jahrgänge allmählich, und damit läuft die Pyramide spitz zu. Wie in Abbildung 1 erkennbar, ist dieser Pyramidenaufbau 1910 noch Realität gewesen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 1910 (aus Statistisches Bundesamt, 2003, S. 30)
Durch die beiden Weltkriege wurden die zu der Zeit wehrpflichtigen Jahrgänge deutlich dezimiert, und die Pyramide erhielt dadurch tiefe Einkerbungen. In der weiteren Entwicklung folgten Babyboom, Pillenknick und eine insgesamt niedrigere Geburtenhäufigkeit. Daher gleicht heute der Bevölkerungsaufbau in Deutschland optisch eher einer ausgefranzten Wettertanne denn einer Pyramide wie Abbildung 2 verdeutlicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2001 (aus Statistisches Bundesamt, 2003, S. 30)
Der Blick in die Zukunft zeigt die Weiterentwicklung zum Pilz, dargestellt in Abbildung 3.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2050 (aus Statistisches Bundesamt, 2003, S. 30)
Die Veralterung der Gesellschaft in Deutschland wird auch durch einen Blick auf aktuelle und geschätzte zukünftige Zahlen deutlich, die in Tabelle 1 gezeigt werden:
Tabelle 1: Vorausberechnung der Bevölkerungsentwicklung nach ausgewählten Altersgruppen (vgl. Birg, 2004 b, S. 22)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1998 waren über 20% der Gesamtbevölkerung 20 Jahre und jünger. Bis 2050 wird sich dieser Prozentsatz deutlich auf etwas mehr als 14% reduzieren. Im Gegenzug wird die Anzahl der über 60-Jährigen von 22% in 1998 auf über 40% in 2050 ansteigen. In der mittleren Altersklasse (41 bis unter 60 Jahre) ist bis 2010 ein kurzfristiger Anstieg auf etwa 32% erkennbar. Ursache sind die gebur- tenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, die bis 2030 in die Gruppe der über 60-Jährigen wechseln. Ab dieser Zeit sind die 40- bis 60-Jährigen nur noch mit circa 25% am Bevölkerungsaufbau beteiligt. Dieser Wert bleibt bis zum Jahr 2080 in etwa konstant.
Betrachtet man die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur, dargestellt in Abbildungen 1 bis 3 und Tabelle 1, so ist klar zu erkennen, dass sich die Veralterung der Bevölkerung auch in Zukunft weiter fortsetzen wird.
War vor 50 Jahren jeder Dritte ein junger Mensch unter 20 Jahren und lediglich jeder Siebte älter als 59, so ist heute lediglich jeder Fünfte un- ter 20, dagegen erreicht schon fast jeder Vierte das Seniorenalter. In Zukunft wird sich diese Entwicklung noch stärker auswirken: Nach der mittleren Variante2 wird im Jahr 2050 nur noch jeder Sechste unter 20, aber jeder Dritte bereits 60 Jahre oder älter sein. (Statistisches Bun- desamt, 2003, S. 29)
Danach wird spätestens in 2050 mehr als die Hälfte der Bevölkerung älter als 48 Jahre sein.
Da die Menschen immer älter werden wäre anzunehmen, dass die Bevölkerung Deutschlands langfristig zahlenmäßig steigt. Wie aus Tabelle 1 erkennbar ist, wird die Bevölkerungsentwicklung aber rückläufig verlaufen. Dies hat verschiedene Ursachen, die im Folgenden dargelegt werden.
2.2 Niedrige Geburtenrate
Deutschland war weltweit das erste Land mit einer natürlichen Bevölkerungs- schrumpfung durch sinkende Geburtenzahlen (in der BRD seit 1969, in der ehemaligen DDR seit 1972). Ein-Kind- und Zwei-Kind-Familien haben stark zu- genommen, die „Großfamilie“ mit drei oder mehr Kindern wird dagegen immer seltener.
Die Geburtenzahlen könnten nur dann auf dem gleichen Niveau bleiben, wenn jede folgende Müttergeneration genau so groß wäre wie die vorherige. Dies wäre dann gegeben, wenn das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau erreicht wird. Tatsache ist jedoch, dass die Geburtenhäufigkeit derzeitig bei 1,4 Kindern pro Frau liegt. Dies bedeutet, dass die jetzt geborenen Mäd- chenjahrgänge zahlenmäßig schwächer sind als die Jahrgänge ihrer Mütter. Wie Abbildung 4 zeigt, sinkt bei gleich bleibender Geburtenhäufigkeit dadurch die absolute Geburtenzahl und damit verbunden auch langfristig die Gesamtbe- völkerung Deutschlands.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Anzahl der Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren (aus Statistisches Bundesamt, 2003, S. 29)
Unter der Annahme einer Stagnation der Nettoreproduktionsrate auf dem Niveau von 1,4 Kindern pro Frau in Deutschland „steigt das Geburtendefizit vom Zeitraum 2000-2005 bis zum Zeitraum 2045-2050 von rund 215.000 auf 720.000 Personen pro Jahr“ (Birg, 2004 b, S. 19).
2.3 Steigende Lebenserwartung
Demographische Alterung3 ist ein weltweites Phänomen. In den Industrieländern wie in den Entwicklungsländern hebt sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung, wie nachfolgende Abbildung 5 veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Durchschnittliches Alter der Bevölkerung in Jahren (aus Birg, 2004 a, S. 15)
Europa weist dabei im Jahr 2000 bereits das höchste Durchschnittsalter mit 37,7 Jahren auf. Die Prognose für 2050 liegt sogar noch 10 Jahre höher. In Deutschland steigt das Medianalter in den Jahren 1998 bis 2050 von 39 auf 52 Jahre an (vgl. Birg, 2004 b, S. 21). Die Menschen in Deutschland werden also immer älter. Darüber hinaus verschiebt sich der Altenquotient in diesem Zeit- raum von 44 auf über 78. Das bedeutet, dass es im Verhältnis zu den Älteren immer weniger junge Menschen geben wird (vgl. Statistisches Bundesamt, 2003, S. 31).
Die durchschnittliche4 und die ferne5 Lebenserwartung in Deutschland ist durch die Fortschritte in Gesundheitswesen, Hygiene, Ernährung, Wohnsituation und Arbeitsbedingungen stark gestiegen. Der höhere materielle Wohlstand und eine verminderte Säuglings- und seit den 1970er Jahren auch eine geringere Alterssterblichkeit haben ebenfalls einen Beitrag zu einem durchschnittlich längeren Leben geleistet.
Vom Anfang bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die Lebensdauer bei Frauen von etwa 51 auf 81 Jahre und bei Männern von 47 auf etwa 76 Jahre stark verschoben. In Deutschland haben Frauen und Männer bei der Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78,3 Jahren. Bis 2050 lautet die Vorausberechnung auf 86,6 Jahre für Frauen und 81,1 Jahre für Männer. Statistisch gesehen haben 60-jährige Frauen noch 23 Jahre und Männer 19 Jahre zu leben. Auch dieser Wert wird sich bis 2050 erhöht haben, nämlich auf 28 Jahre (Frauen) bzw. 24 Jahre (Männer) (vgl. Birg, 2004 b, S. 20).
Neben der geringeren Geburtenrate ist also die immer höhere Lebenserwartung ein Grund für die Entwicklung des Altersaufbaus in Deutschland.
2.4 Relevanz der demographischen Entwicklung für meine Untersu- chung des Sportangebotes der 41- bis 60-Jährigen
Nachfolgende Tabelle 2 stammt aus dem Jahr 2004 und enthält die neuesten mir zur Verfügung stehenden Zahlen. Leider ist nicht genau meine Zielgruppe der 41- bis 60-Jährigen abgebildet, dennoch können interessante Rückschlüsse gezogen werden.
Tabelle 2: Bevölkerung am 31.12.2002 nach ausgewählten Altersgruppen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2004 a, S. 29)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 zeigt, dass in Deutschland im Jahr 2002 über 14 Mio. Menschen über 65 Jahre lebten. Der Anteil der Älteren, also der über 40-Jährigen, lag bei 51,7%, also bei über 42,5 Mio. Menschen. Die Altersgruppe der 40- bis 65- Jährigen stellt mit 34,1% die stärkste Gruppe, gefolgt von den 15- bis 40- Jährigen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Dominanz der über 40-Jährigen innerhalb der nächsten Jahre erhalten bleiben wird. An anderer Stelle steht im Statistischen Jahrbuch 2004, dass in Deutschland ca. 22,5 Mio. Menschen zwischen 40 und 60 Jahren leben (Statistisches Bun- desamt, 2004 b, S. 40).
Schon allein von der Größe der Gruppe resultiert daraus, dass die 40- bis 60- Jährigen eine wichtige Zielgruppe für den Sport darstellen.
Bisher wurde jedoch im Sinne eines Sport für alle des Deutschen Sportbundes diese Zielgruppe nur wenig spezifisch angesprochen.
Viele Vereine orientieren sich nach wie vor primär an dem traditionellen Vereinsklientel der Kinder und Jugendlichen (vgl. Bauer, Koch, Krüger, Quilitz, Ruge, & Telschow, 1996, S. 45).
Die Überlegungen für den Sport der Älteren des Landessportbundes Nordrhein Westfalen e. V. (= LSB NRW) orientieren sich an der Zielgruppe der „Älteren ab etwa 55 Jahre, die sich bisher nicht bzw. schon lange nicht mehr für eine aktive sportliche Betätigung interessiert haben“ (Fuß, Kusch, Probst, & Weingärtner, 2004, S. 41), also hauptsächlich an Personen im Ruhestand. Ob und wie Vereine die mittlere Altersgruppe mit Sportangeboten versorgen liegt bislang überwiegend in einer Grauzone.
Zwar wird auch die Gruppe der 41- bis 60-Jährigen so wie die Gesamtbevölke- rung zahlenmäßig schrumpfen, allerdings wird ihr prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung ab 2030 in etwa konstant bei 25% liegen (vgl. Tabelle 1). Die Relevanz dieser Altersschicht für den Sport kann jedoch nicht nur über Zah- len gemessen werden. Vielmehr gibt es neben der demographischen auch noch andere Betrachtungsweisen, die im Folgenden erläutert werden. Zuvor müssen jedoch noch einige Begrifflichkeiten genauer untersucht und geklärt werden.
3 Sport der Älteren in Deutschland
3.1 Begriffsklärungen: Alterssport, Sport der Älteren und Seniorensport
Im Handlexikon Sportwissenschaft findet sich eine Begriffsklärung zum Thema Alterssport. Zunächst wird dort darauf hingewiesen, dass ein immer größerer Anteil älterer Menschen die Bevölkerung der Zukunft ausmachen wird. Dabei werden degenerative Prozesse entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität haben. Andererseits wird betont, dass eine ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensführung „die Chancen auf ein relativ gesundes und zufriedenes Altern erheblich erhöhen kann. Dabei kommt der körperlichen Aktivität im Sinne von Alterssport eine ganz zentrale Bedeutung zu. Unter Alterssport oder Sport für Ältere versteht man die sportliche Betätigung etwa vom 40. Lebensjahr an“ (Meusel, 1987, S. 16).
Auch im Sportwissenschaftlichen Lexikon von Röthig u. a. wird der Begriff Alterssport (sports for seniors) aufgegriffen:
Der Begriff A. [Alterssport] umfasst zum einen jenen Teil des Erwachse- nensports, der sich an den älteren Menschen ab etwa 40 Jahren wendet und meist „Sport für Ältere / für den älteren Menschen“ genannt wird, zum anderen auch den Sport im Renten- / Pensionsalter, also ab etwa 60 / 65 Jahren, den man auch als „Seniorensport“, „Altensport“, „Sport für Betagte“ und “Altersturnen“ (in der Schweiz) bezeichnet. Die Abgrenzung des A. [Alterssports] nach unten bei etwa 40 Jahren darf natürlich nur als allg. Richtwert betrachtet werden. Man kann aller- dings davon ausgehen, dass zu Beginn des 5. Lebensjahrzehnts die Regressions- und Involutionserscheinungen versch. Art allmählich deut- lich und klin. erfaßbar werden und bei der Gestaltung der sportl. Betäti- gung - insbes. für bisherige Nichtsportler - berücksichtigt werden müs- sen. (Singer & Ungerer-Röhrich, 1992, S. 28)
Beide Ansätze ordnen den Sport jenseits des 40. Lebensjahres bereits dem Alterssport zu.
Diese Sichtweise war nicht immer so. In älteren Definitionsansätzen ist keine oder eine deutlich höhere Altersangabe zu finden.
So formuliert die Brockhaus Enzyklopädie im Jahr 1966: „Alterssport dient der Erhaltung von Elastizität und Leistungsfähigkeit. Er nimmt Rücksicht auf den individuellen leib-seelischen Zustand, erstrebt keine Hochleistungen, kann mit Wanderübungen beginnen, auch Schwimmen und Radfahren hinzunehmen und langsam gesteigert werden. Waldlauf ist besonders zu empfehlen“ (Alterssport, 1966, S. 399-400).
Verwundert musste ich feststellen, dass der Begriff Alterssport in der Brockhaus Enzyklopädie aus dem Jahr 1996 nicht mehr enthalten ist. Eine Begründung dafür konnte ich nicht finden.
Meyers enzyklopädisches Lexikon definiert 1971 für den Alterssport: „Alters- sport, im fortgeschrittenen Alter betriebene sportl. Übungen, die keine Höchst- leistungen zum Ziele haben, sondern durch eine positive phys. und psych. Auswirkung auf den gesamten Organismus ohne gesundheitsschädigende Be- lastung die allgemeine Leistungsfähigkeit des Körpers erhöhen“ (Alterssport, 1971, S. 839).
Die Definitionen von 1966 und 1971 legen sich auf keine Altersgrenze fest. Al- lerdings findet sich diese in der Beschreibung des Begriffs Alter: „Alter [ist] der letzte Lebensabschnitt, bes. beim Menschen; die Zeit jenseits des 6. Lebens- jahrzehnts“ (Alter, 1966, S. 394). Demnach müsste sich der Alterssport mit der sportlichen Betätigung für Menschen über 60 Jahren beschäftigen. Dies deckt sich in etwa mit dem allgemeinen Sprachgebrauch der meisten Pub- likationen, die sich mit Seniorensport, Alterssport, Altensport oder Sport der Äl- teren beschäftigen. Dort ist der Alterssport der Sport nach der Erwerbstätigkeit. Als Beispiel sei an dieser Stelle der LSB NRW angeführt. Im LSB NRW wurde nämlich eine Übungsleiter-Sonderausbildung Sport der Älteren initiiert. Für die- se Ausbildung definieren Fuß et al. die Zielgruppe für den Sport der Älteren „als die Älteren ab etwa 55 Jahre, die sich bisher nicht bzw. schon lange nicht mehr für eine aktive sportliche Betätigung interessiert haben“ (2004, S. 41).
Soziologische und pädagogische Ansätze betrachten bei einem Sport für Ältere in der Regel ebenfalls den Menschen nach der Erwerbstätigkeit. Auch hier wird bei einem Großteil der Veröffentlichungen von den Älteren im Sport, dem Sport der Älteren, von Alters- oder Seniorensport gesprochen, allerdings findet wieder keine klare definitorische Eingrenzung dieser Begriffe statt.
Die meisten Autoren gehen von folgenden Lebensabschnitten aus:
1. Lebensabschnitt Kindheit und Jugend bis zur Erwerbstätigkeit (ca. 0-20 Jahre)
2. Lebensabschnitt Zeit der Erwerbstätigkeit (ca. 20-55 / 60 Jahre)
3. Lebensabschnitt Zeit nach der Erwerbstätigkeit (ca. + 55 / 60 Jahre)
Inzwischen wird häufig der dritte Lebensabschnitt nochmals unterteilt in die jungen Alten (60 bis 79 Jahre), die alten Alten (80 bis 99 Jahre) und die Hochbetagten (über 100 Jahre).
Der überwiegende Teil der Veröffentlichungen zum Thema Sport der Älteren beschäftigt sich mit dem dritten Lebensabschnitt, da gerade dann im Hinblick auf die sozialen und personalen Ressourcen einige entscheidende Verände- rungen auftreten.
Im amerikanischen Sprachraum wurde für diese Menschen der Begriff Selpis6 geprägt, der inzwischen allgemein gebräuchlich ist. Damit werden die Menschen bezeichnet, die einem zweiten, von gesellschaftlichen Verpflichtungen überwiegend befreiten Lebensabschnitt entgegen sehen, welcher häufig auch als Golden Age bezeichnet wird (vgl. Kolb, 2001, S. 193).
Die Begrifflichkeiten Sport der Älteren, Sport mit Älteren, Sport für Ältere, Ältere im Sport, Alterssport und Seniorensport werden in den meisten Zusammenhängen weitgehend als Synonyme verwendet.
Ich folge in meiner vorliegenden Arbeit der Begriffsklärung von Singer & Unge- rer-Röhrich sowie Meusel, welche zu Beginn dieses Kapitels zitiert wurden. Wenn im Folgenden von den Älteren gesprochen wird, so ist die Rede von den 41- bis 60-Jährigen. Der Begriff Senioren oder Alte wird für die über 60- Jährigen verwendet.
3.2 Theorien zum Thema sportliche Aktivität und Altern
In meinen weiteren Ausführungen werde ich folgende Aspekte darstellen: Zu- nächst geht es um die Frage eines erfolgreichen Alterns im Sinne von Gesund- heit, Kompetenz und Aktivität. Darüber hinaus soll festgestellt werden, welche Rolle der Sport in dem Prozess des erfolgreichen Alterns spielen kann oder sollte.
Da ich für die mittlere Generation, die Älteren (41 bis 60 Jahre), keine Veröffent- lichungen zu diesem Themenbereich gefunden habe, werde ich mich auf Bei- träge aus dem Seniorensport, dem Sport für die Alten, beziehen. In einem wei- teren Schritt werde ich aus diesen Ansätzen Rückschlüsse für die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre ziehen.
Doch auch in der Diskussion zum Seniorensport gibt es kein allgemein anerkanntes theoretisches Gerüst, welches ein erfolgreiches Altern mit Aktivität und Sport erklärt. Bereits 1981 bemerkte Singer, dass in der wissenschaftlichen Diskussion um den Alterssport kaum ein Bezug zu einem allgemeinen theoretischen Rahmen erkennbar ist (vgl. S. 12). Auch Kolb stellte fest, dass es weder für den Sport der Älteren noch für den Alterssport eine allgemein gültige theoretische Einbettung gibt (vgl. 1999, S.5).
Aus diesem Grund wird seit längerem versucht, zusammen mit der Geragogik7 und der Gerontologie8 einen theoretischen Rahmen für das Thema Alter(n), Aktivität und Sport zu schaffen.
Zunächst werde ich in diesem Kapitel das Defizitmodell vorstellen, da es das erste Konstrukt in diesem Kontext war. Es folgen Theorien einer erfolgreichen Anpassung an Alter und Altern sowie eine Kompetenz betonende Betrach- tungsweise.
Dieses Kapitel schließt mit möglichen Rückschlüssen dieser Theorien auf die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre.
3.2.1 Das Defizitmodell
Das Defizitmodell bzw. die Defizittheorie basiert auf medizinischen und psycho- logischen Querschnittsuntersuchungen, bei denen in verschiedenen Bereichen deutliche Defizite bei älteren gegenüber jüngeren Altersgruppen gefunden wer- den konnten. Daraus resultiert die Annahme eines generellen, zwangsläufigen Altersabbaus und einer verminderten körperlichen und geistigen Leistungsfä- higkeit im Alter insgesamt.
„Im Defizitmodell geht man letztlich davon aus, dass dem Alter ein unumgängli- cher biologischer Prozess zugrunde liegt, in dessen Verlauf die Fähigkeiten in verschiedenen Dimensionen grundsätzlich nachlassen, die Funktionen gestört werden und zunehmend Defekte auftreten“ (Kolb, 1999, S. 84). Das Modell in- terpretiert das Altern als einen Prozess der körperlichen, psychischen und sozialen Rückbildung. Ursache ist die sinkende Anpassungsfähigkeit des Organismus, wodurch die Fähigkeit des Körpers, auf besondere Belastungen zu reagieren, herabgesetzt wird. Als Folge brechen Krankheiten aus, die bislang vom Körper kontrolliert und unterdrückt werden konnten. Der alte Mensch wird nach diesem Modell daher stets mit Krankheitsprozessen und verminderter Leistungsfähigkeit in Verbindung gebracht.
Die Defizittheorie gilt heute als überholt. In der Brockhaus Enzyklopädie von 1996 wird festgehalten, dass „das früher weit verbreitete Defizitmodell des A. [Alterns] durch neuere Ergebnisse von Längsschnittuntersuchungen nicht ge- stützt werden“ (Altern, 1996, S. 442) konnte. Zum einen wurden in den ersten Untersuchungen immer nur Teilaspekte untersucht. So wird davon gesprochen, dass in verschiedenen Bereichen Defizite gegenüber jüngeren Altersgruppen festgestellt werden konnten. Hinzu kommt, dass lediglich Querschnittsuntersu- chungen durchgeführt worden waren, und die untersuchten Stichproben nicht die gleichen Voraussetzungen besaßen. Daher waren die Ergebnisse nur be- dingt vergleichbar und aussagekräftig.
Dennoch ist das heutige Bild von den Älteren und Alten in den westlichen Ge- sellschaften immer noch stark vom Defizitmodell geprägt. Danach können Älte- re mit der raschen technischen Entwicklung kaum mithalten. „In der leistungs- orientierten Gesellschaft, in der die benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten mit dem technischen Fortschritt rasch wechseln, sind ältere Menschen weniger ge- fragt“ (Altern, 1996, S. 442). Dieses negative Bild hat einen entscheidenden Einfluss auf das Selbstbild der älteren Menschen. Allerdings stellen die jungen Alten, die in der Realität durch Agilität und eine aktive Lebensgestaltung ge- kennzeichnet sind, in gewisser Weise einen Gegenpol zu dieser negativen Grundhaltung der Gesellschaft dar.
3.2.2 Theorien erfolgreicher Anpassung an das Alter und Altern
Während das Defizitmodell lediglich negative Entwicklungen im Alter feststellt, befassen sich andere Theorien damit, wie die ältere Generation dem alt werden begegnen kann. Dabei wird zunächst ebenfalls lapidar festgehalten, dass sich mit dem Alter psychische, physische und soziale Veränderungen ergeben, die den individuellen Wünschen und Zielen des Einzelnen zuwiderlaufen können. Um ein zufriedenes Leben führen zu können, müssen persönliche Ziele und Wünsche einerseits und eigenes Vermögen andererseits „in einem persönli- chen Anpassungsprozeß unter Beachtung der biographischen Situation und der gesellschaftlichen Erwartungen miteinander in Einklang“ (Kolb, 1999, S. 86) gebracht werden.
Ein Ansatz, die Disengagementtheorie, besagt, dass ein Rückzug aus sozialen Systemen für die Lebensphase des Alters kennzeichnend ist. Dieser findet häufig gleichzeitig mit dem Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit statt. Ältere Menschen geben bisherige Rollen auf und ziehen sich in ihre Privatsphäre zurück. Die Reduktion der sozialen Kontakte und der Rückzug aus dem öffentlichen Leben sind nach dieser Theorie wesentliche Bestandteile für die Zufriedenheit im Alter. Es wird davon ausgegangen, dass ältere Menschen diese Zurückgezogenheit suchen und sie auch wünschen.
Ganz anders ist der Zugang der Aktivitätstheorie. Sie beruht im Wesentlichen auf empirischen Befunden. Zwar ist mit dem Ausscheiden aus der Erwerbstä- tigkeit ein Umbruch zu beobachten, aber nach dieser Theorie suchen ältere Menschen neue Aufgaben und Ziele. „Die Aktivitätstheorie hält die Aufrechter- haltung der Sozialkontakte für unerlässlich für eine zufriedenstellende Lebens- führung im Alter“ (Altern, 1996, S. 442). Nach der Aktivitätstheorie geben ältere Menschen ihre bisherigen Rollen auf, sie ersetzen diese jedoch durch Aktivitä- ten in anderen Bereichen. Dabei ist der Begriff Aktivität weit gefasst und reicht von einer rein physischen Beanspruchung bis zu geistig-seelischen Prozessen. Im Prozess des Alterns ist Aktivität ein Weg zu Energie und des sich selbst Spürens und Wahrnehmens.
Die Aktivitätstheorie ist immer wieder auf Kritik gestoßen. So formuliert beispielsweise Kolb, dass „erfolgreich zu altern … hier paradoxerweise [bedeutet], nicht zu altern, sondern die Lebensführung des mittleren Alters unverändert aufrecht zu erhalten“ (1999, S. 92).
Die kognitive Alternstheorie basiert primär auf subjektiver Wahrnehmung. Es wird festgestellt, dass Ältere durch soziale und biologische Gegebenheiten un- ter bestimmten Lebensvoraussetzungen leben. Jedoch hat jedes Individuum unterschiedliche persönliche Möglichkeiten mit dieser Grundsituation umzuge- hen. Erst die Art und Weise, wie die aktuelle Situation bewertet wird, entschei- det darüber, ob das Alter als zufriedenstellend erlebt wird oder nicht (vgl. Kolb, 1999, S. 95 f.).
Die Theorie der Optimierung durch Selektion und Kompensation versucht zu erklären, wie entstandene Defizite kompensierbar sind. Danach werden unter- schiedliche Verhaltensweisen ausprobiert und - ähnlich wie bei einer Konditio- nierung - die erfolgreichen Verhaltensweisen beibehalten. Durch diese Selekti- on von möglichem Verhalten findet eine Optimierung der eigenen Ressourcen statt, und die eigenen Kompetenzen werden möglichst optimal kanalisiert.
Problematisch bei dieser Theorie ist, dass sie eher ein allgemeines Verhaltensprinzip beschreibt und nicht als eigenständige Theorie fundiert ist. Sie leitet sich logisch aus einem lerntheoretischen Verständnis ab und negiert aktive Veränderungen und neue Herausforderungen im Alter.
Darüber hinaus müsste die Lebenswelt der älteren Menschen nach dieser Theorie immer eingeengter werden, da mit dem Verlust weiterer Funktionen auch bestimmte erfolgreiche Verhaltensweisen nicht mehr durchführbar sind.
Die bisher angesprochenen Theorien gehen im Wesentlichen doch von der Grundannahme des Defizitmodells aus. Es geht hauptsächlich darum, negative Begleiterscheinungen des Alterns aufzufangen und nicht darum das Altern aktiv zu gestalten und anzunehmen. Möglichkeiten und Chancen des Alterns im Sin- ne eines personalen Gewinns werden bei diesen Ansätzen nicht berücksichtigt. Mag es aus medizinisch-biologischer Sicht eine Herausforderung und ein Wunsch sein, „20 Jahre lang 40 Jahre alt zu bleiben“ (Hollmann & Liesen, 1986, S. 353), so ist dieses Ziel jedoch insgesamt kritisch zu bewerten. Die daraus entstehende Paradoxie ist, dass ein erfolgreiches Altern darin besteht nicht zu altern. Da Altern aber auch Chancen auf eine neue Lebensgestaltung (insbe- sondere in der Zeit nach der Erwerbstätigkeit) mit sich bringt, greift dieses Ziel nicht weit genug.
3.2.3 Neuere Forschungsansätze zum Alter und Altern
In den neueren Forschungsansätzen wird versucht die Chancen und Stärken älterer Menschen in den Vordergrund zu rücken. Die zentralen Fragestellungen lauten nicht mehr: Was können ältere Menschen nicht mehr oder nur schlech- ter? In welchen Situationen sind ältere Menschen benachteiligt? Sondern es wird überlegt, von welchen Ressourcen man schöpfen kann, um ein würdiges Leben im Alter und damit ein erfolgreiches Altern zu erreichen.
Die Environment-Docility-Hypothese9 geht davon aus, dass der Einfluss der Umwelt umso größer wird, je stärker die persönlichen Ressourcen einer Person nachlassen und je geringer ihre Kompetenzen werden.
Besonders für die Senioren ist diese Hypothese von Bedeutung. Alte Menschen sind häufig räumlich eingeschränkt (= niedrige persönliche Ressourcen) und auf die Angebote ihrer unmittelbaren Umgebung angewiesen (= großer Einfluss der Umwelt auf das eigene Leben).
Andererseits impliziert dieser Ansatz jedoch auch, dass die Pflege der eigenen Ressourcen wichtig ist. Gelingt es, Kompetenzen beim Altern zu bewahren, so wird die Lebensqualität in einem späteren Lebensabschnitt höher und die Lebensführung unabhängiger und selbständiger sein.
In der kompetenzbezogenen Perspektive werden die Befunde aufgegriffen, die das Defizitmodell widerlegt haben. Gefragt wird nach den Kompetenzen zur Bewältigung des Alltags. Diese wachsen zum Teil mit dem Älterwerden. „Auch wenn wahrnehmungs- und geschwindigkeitsabhängige Leistungen des Gehirns im Alter abnehmen, bleiben andere Bereiche der geistigen Leistungsfähigkeit, insbesondere die Informationsverarbeitung, bei ausreichendem Training unver- ändert“ (Altern, 1996, S. 442).
Dabei sind Kompetenzen keine starren Konstrukte, sondern sie verändern sich im Laufe des Lebens entscheidend. „Die Routine eines langen Lebens gleicht den gebremsten Gedankenfluß aus. Das Nachlassen der Leistungsfähigkeit auf diesem oder jenem Gebiet wird oft durch das, was als ‚Weisheit des Alters’ be- zeichnet wird, mehr als ausgeglichen“ (Alternsforschung, 1971, S. 831). Sportliche Aktivität und Bewegung bieten ein mögliches Feld, um Ressourcen auszubilden. Allerdings sind „die Chancen hierzu … ihrerseits in höchstem Ma- ße ressourcenabhängig, wobei wohl noch stärker als materielle Ressourcen die Erfahrungsbestände der Biografie und die erworbenen Bewältigungsformen eine herausragende Rolle spielen“ (Klein, 2001, S. 286). Aus dieser Überlegung heraus wird deutlich, dass das Zusammenfallen bestimmter Faktoren (soziale Schicht, Geschlecht, Schulbildung, etc.) die aktive Gestaltung des Alterns und Alters entscheidend beeinträchtigen oder fördern kann.
Eigenkompetenz, Selbstreflektiertheit, kritische Selbsteinschätzung und die ei- gene Definition von lebbaren Zielen sind Zeichen für erworbene Kompetenzen des älteren Menschen. Sie sind notwendig als Ressourcen zum Erhalt eines selbständigen, eigenverantwortlichen und persönlich zufrieden stellenden Le- bens.
3.2.4 Relevanz dieser Theorien für die Altersgruppe 41 bis 60 Jahre und deren sportliche Betätigung
Ich habe in diesem Kapitel Theorien zum Alter(n) vorgestellt, da diese Theorien sich nicht nur auf das Alter jenseits der 60 beziehungsweise (= bzw.) die Zeit nach Erwerbstätigkeit beziehen. Es wird vielmehr der Alterungsprozess insge- samt ins Auge gefasst, und dieser beginnt nicht erst ab dem 60. Lebensjahr oder später.
So hat beispielsweise das Defizitmodell einen Bezug zu dieser Arbeit und damit zur Altersklasse der 41- bis 60-Jährigen, da die beschriebenen Defizite nicht erst schlagartig nach Überschreitung der 60 Jahre bzw. mit Austritt aus dem Erwerbsleben auftreten. Im Gegenteil: Häufig bahnen sich bestimmte Defizite viel früher an, und die Menschen müssen lernen, bereits während ihrer Erwerbstätigkeit kompetent damit umzugehen. Hier kann der Sport ein wichtiges Erfahrungs- und Erprobungsfeld darstellen.
Die Environment-Docility-Hypothese hat eine Bedeutung für die 41- bis 60- Jährigen, da hier gesagt wird, dass Einflussfaktoren der Umwelt umso größeren Einfluss auf eine Person ausüben, desto stärker die persönlichen Ressourcen und Kompetenzen nachlassen. Ein Kompetenz- bzw. Fähigkeitsabbau kann bereits mit Überschreitung der 40 Jahre eintreten. Als Beispiel denke man an den Bandscheibenprolaps, der inzwischen zur Volkskrankheit avanciert. Ande- rerseits können Kompetenzen und persönliche Ressourcen nicht plötzlich ab dem 60. Lebensjahr aufgebaut und alles, was vorher versäumt wurde, nachge- holt werden. Für den Erhalt der körperlichen Ressourcen kann der Sport eine wichtige Stützfunktion einnehmen.
Die Disengagement- und die Aktivitätstheorie beziehen sich explizit auf die Zeit nach Erwerbstätigkeit. Im Sinne der Aktivitätstheorie werden alte Rollen aufge- geben und neue Rollen ausgeprägt. Es kann davon ausgegangen werden, dass es vielen Menschen in der Regel leichter fallen wird, sich weiterhin in bereits bekannten Lebenskontexten zu bewegen und nicht das gesamte Leben neu zu gestalten. Dies bedeutet letztendlich, dass eine sportliche Aktivität nach Er- werbstätigkeit eher aufgenommen bzw. weitergeführt werden wird, wenn eine Person bereits vorher mit dem Sport Berührungspunkte besaß und den Sport als sinnvolles, das Leben mitgestaltendes Element in der eigenen Lebensfüh- rung empfunden hat.
3.3 Strukturwandel des Alterns
Das Alter und das Altern in Deutschland unterliegt signifikanten Veränderungen. Die heutige Generation im Ruhestand kann mit früheren Generationen kaum mehr verglichen werden. „Diese Menschen unterscheiden sich sowohl durch ihre körperliche als auch psychische Rüstigkeit, sind in ihrer Interessenlage gravierend geprägt durch Fortschritte in Wissenschaft und Technik, ihre Erwar- tungen an den neuen Lebensabschnitt sind ganz andere“ (Ludwig & Poschida- jew, 1998, S. 189).
Wie es um die mittlere Altersgruppe der 41- bis 60-Jährigen bestellt ist, wird in diesem Kapitel näher untersucht. Dabei werden zunächst Lebensbedingungen im allgemeinen betrachtet und danach die so genannte Sandwich-Generation in Augenschein genommen. Daran schließt sich die veränderte Freizeitstruktur der heutigen Gesellschaft an. Zuletzt werden Konsequenzen für eine sportliche Ak- tivität abgeleitet.
3.3.1 Veränderte Lebensbedingungen
Bereits 1986 konstatierte Beck für die gesamte Gesellschaft „ein kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft [und] Massenkonsum“ (S. 122). Auch der ältere Mensch ist heutzutage so gut aufgeklärt und so gut gebildet wie noch nie zuvor.
Die Zahl höherer Schulabschlüsse (Realschule, Gymnasium) und steigende Studienzahlen belegen diese Entwicklung. Im Jahr 1989 nahm jeder Dritte ei- nes Jahrgangs bereits ein Studium auf (vgl. Baur et al., 1996, S. 67) - Tendenz steigend. Im Gegensatz dazu nimmt der Anteil der Bevölkerung ohne Ausbildung immer weiter ab.
Die Forderungen in vielen Berufen, mit aktuellen Technologien Schritt zu halten und sein Leben lang zu lernen, fördern und erfordern eine verbesserte Bildung. Durch Fernsehen und Internet werden eine Vielzahl von Informationen weitergegeben. Die Welt wird für jedermann zugänglicher und transparenter, vielleicht aber auch verwirrender.
Die Senioren verfügen heutzutage über eine hohe Kaufkraft. Denk, Pache & Schaller bemerken, dass sich „generell … feststellen [lässt], dass alte Menschen noch nie so hohe Einkommen und soviel Vermögen in Besitz hatten wie heute“ (2003, S. 37). Darüber hinaus macht „die statistisch ausgewiesene zunehmende Vermögenskummulation bei den Älteren … diese zu einem für das Wirtschaftsleben bedeutsamen Faktor“ (ibid, S. 53).
Diese Tatsache macht sie auch für den Sport interessant. Von privaten Haushalten wurden in 2001 durchschnittlich 12% der Konsumausgaben (etwa 225 €) für Freizeit, Unterhaltung und Kultur ausgegeben. Darin sind die Ausgaben für den Sport enthalten (vgl. Statistisches Bundesamt, 2004 a, S. 162).
Durch die moderne Lebensart werden Lebensläufe individueller und vielschichtiger. Es ergeben sich moderne Muster der Lebensführung, rollenspezifische Muster lösen sich auf. Ältere Menschen fühlen sich heutzutage nicht nur jünger, sie weisen auch ein jüngeres Verhalten auf als früher. Sie leben eine aktive selbst gestaltete und selbst gewählte Kultur bei besserer Gesundheit, die durch Reisen, Mode, Sport, Sexualität, Lernen, Weiterbildung etc. entscheidend geprägt wird. Objektiv werden diese Menschen immer älter, subjektiv halten sie an den Lebensgewohnheiten und Idealen der Lebensmitte fest.
Im Gegensatz dazu hält sich aber in der Gesellschaft immer noch ein Altersbild, welches durch den kranken, gebrechlichen, defizitären und hilflosen alten Men- schen gekennzeichnet ist, wie er im Defizitmodell skizziert wurde. Besonders deutlich wird diese Meinung über die ältere Generation, wenn einige Betriebe Arbeitssuchende mit 45 Jahren als zu alt nicht mehr einstellen. Daraus resultiert eine viel zu frühe Freisetzung in einen nicht selbst gewählten Ruhestand.
3.3.2 Die Sandwich-Generation
An dieser Stelle wende ich mich nun der Gruppe der 41- bis 60-Jährigen zu. Bei der Betrachtung dieser Altersgruppe wird schnell deutlich, dass sich deren Le- benszyklusmodelle von denen früherer Generationen unterscheiden. Die klassi- schen, klar abgrenzbaren Lebensphasen sind bei ihnen häufig nicht mehr er- kennbar. „Aus dem traditionellen Lebensbogen Ausbildung / Beruf / Ruhestand sind heute einzelne Streckenabschnitte im Leben geworden. …[Es] entwickeln sich Patchwork-Biographien zwischen Teilzeitarbeit, Zeitarbeit und Job-Sharing, Mutterschaftsurlaub, Babypause und Sabbatical, Nebenjobs und Phasen länge- rer Arbeitslosigkeit“ (Opaschowski, 2004, S. 24). Früher beschäftigte sich die Altersforschung, basierend auf der Dreiteilung des Lebens, mit der Zeit nach der Erwerbstätigkeit, also etwa mit der Zeit ab dem 60. Lebensjahr. Heute wird zunehmend die gesamte zweite Lebenshälfte in den Focus genommen. Das bedeutet, dass sich dieser Forschungszweig inzwischen mit den Menschen ab etwa 40 Jahren beschäftigt. Das Altern verläuft sehr individuell und multidirekti- onal. Es gibt keinen typischen Lebensaufbau mehr.
Trotz der Tendenz zur Individualisierung und der Zunahme von Ein-Personen- Haushalten ist die Familie dennoch ein zentral wichtiges Element im Leben der meisten Menschen. Bemerkenswert ist, dass es hier nicht nur um die selbst gegründete Familie geht, sondern es werden Beziehungen unter allen Genera- tionen gepflegt. Opaschowski formuliert: „Die Mehr-Generationen-Familie lebt - in einem multilokalen Netzwerk, nicht unbedingt unter einem Dach. Der histori- sche Wandel von der Groß- zur Kleinfamilie hat damit weder zum Verfall der Familie noch zu deren sozialer Isolation geführt“ (2004, S. 57).
Daraus ergibt sich für die Generation zwischen 41 und 60 Jahren eine sehr spe- zielle Konstellation. Es ist eine Generation, die zwischen jung und alt lebt, die so genannte Sandwich-Generation. Sie ist zum einen Elterngeneration für die eigenen Kinder und mit deren Betreuung und Erziehung beschäftigt. Gleichzei- tig sind diese Menschen aber auch die Kinder ihrer noch lebenden Eltern, die ihrerseits wiederum Aufmerksamkeit und eventuell sogar Pflege bedürfen. Au- ßerdem sind die meisten Menschen in dieser Generation erwerbstätig. Die Ge- neration 41 bis 60 stellt die eigenen Bedürfnisse teilweise in den Hintergrund, um diesen Anforderungen nachzukommen und gerecht zu werden. So verwun- dert es nicht, wenn sich diese Generation einerseits den Ansprüchen meistens gewachsen, andererseits auch gestresst, erschöpft und belastet fühlt (vgl. O- paschowski, 2004, S. 75).
Der Sport könnte in diesem Zusammenhang einen Fluchtpunkt für eine persönliche Zeit bieten. Er könnte darüber hinaus Stress abbauen und trotz der Zeit, die er der Familie nimmt, zur Harmonisierung des Lebens beitragen.
3.3.3 Freizeit in Deutschland
Für meine Untersuchung sind noch weitere Faktoren wichtig, wie zum Beispiel die Freizeit und das Freizeitverhalten. Freizeit wird an vielen Stellen in unterschiedlicher Art und Weise definiert. Für diese Arbeit genügt die grobe Unterscheidung der Zeit in Schlaf- und Regenerationszeit, Erwerbszeit, Obligationszeit10 und Dispositionszeit11, auch Freizeit genannt. Es ist also die Freizeit im engeren Sinne gemeint (vgl. Baur et al., 1996, S. 69).
Sportaktivitäten sind in der Regel Freizeitbeschäftigungen. Als solche sind sie wichtiger Bestandteil der Lebensführung auch Älterer. Aufgrund der Entwick- lung der Freizeit in Deutschland „wird man davon ausgehen können, dass sich die Freizeitengagements auch von älteren Menschen zunehmend erweitern, eine Tendenz, die sich jedoch erst in Zukunft ausprägen dürfte“ (ibid). Im Folgenden wird die quantitative wie die qualitative Entwicklung der Freizeit in Deutschland und die Bedeutung dieser Entwicklungen für den Sport dargestellt.
Quantitative Erweiterung der Freizeit
Nimmt man die Freizeit während des gesamten Lebens zusammen, so spricht man von der Lebensfreizeit. Diese hat stark zugenommen. Dabei ist zum einen die Freizeit nach und zum anderen die Freizeit während der Erwerbstätigkeit gestiegen. „Diese überproportionale Zunahme der ‚Lebensfreizeit’ im Gesamt- lebenslauf kann vor allem auf das durchschnittlich frühere Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, die höhere Lebenserwartung, die Abnahme der Wochenar- beitszeit und die Zunahme von arbeitsfreien Tagen (z. B. Urlaub) zurückgeführt werden“ (Denk et al., 2003, S. 37).
In der Bundesrepublik hat sich die wöchentliche Arbeitszeit von 48 (1959) auf 37 Stunden (Ende der 80er Jahre) verkürzt. Im gleichen Zeitraum sind die ar- beitsfreien Tage von 105 auf 158 Tage angestiegen (vgl. Baur et al., 1996, S. 69). Auch neuere Zahlen belegen dies. 2004 kommt das Statistische Bundesamt zu dem Ergebnis, dass die „durchschnittlich geleistete Arbeitszeit … in den vergangenen 20 Jahren ständig zurückgegangen [ist]. Damit hat sich der Spielraum für Freizeitaktivitäten vergrößert“ (2004 a, S. 161).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Ausgewählte Freizeitaktivitäten von Frauen und Männern 1991/1992 und 2001/2002 (aus Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003, S. 37)
Abbildung 6 zeigt einen Vergleich der Freizeitaktivitäten von Frauen und Män- nern in den Jahren 1991/1992 sowie 2001/2002. Es wird deutlich, dass beide Geschlechter mehr Freizeit haben als noch vor 10 Jahren. So haben Frauen etwa 5¾ Stunden Freizeit pro Tag, Männer etwa ½ Stunde mehr. Betrachtet man die Freizeitaktivitäten, so ist festzustellen, dass den größten Raum Kontakte / Unterhaltungen und Fernsehen / Musik hören einnehmen. In- teressant ist, dass auch der Sport seinen regelmäßigen Platz in der Freizeitges- taltung der Deutschen findet. Der Umfang der sportlichen Aktivitäten ist in den letzten 10 Jahren in etwa gleich geblieben. Frauen treiben etwa 30 min. pro Tag Sport, Männer etwa 45 min. (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003, S. 36 f.).
Wählt man in einem anderen Zugang Erwerbstätigkeit bzw. Nicht- Erwerbstätigkeit als Vergleichskriterium, so wird vom Statistischen Bundesamt festgestellt, dass im Freizeitverhalten den Sport betreffend keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen bestehen (2004 a, S. 550). Vielmehr ist ein gleichermaßen hohes Sportinteresse zu beobachten.
[...]
1 Auf die Unterscheidung von Begriffen in eine männliche und eine weibliche Form wird aus Gründen der Lesbarkeit im weiteren Verlauf meiner Arbeit verzichtet.
2 Insgesamt werden neun Varianten der Bevölkerungsentwicklung vom Statistischen Bundes- amt berechnet. Sie setzen sich zusammen aus der Kombination von drei Annahmen über die Zunahme der Lebenserwartung und drei Annahmen über den Wanderungssaldo. Die Gebur- tenstärke wird mit 1,4 Kindern pro Frau als konstant vorausgesetzt (vgl. Statistisches Bundes- amt, 2003, S. 25). In dieser Arbeit wird immer der mittlere Wert (Variante 5) der Vorausberech- nung zugrunde gelegt. Eine detaillierte Aufschlüsselung der neun Varianten befindet sich in Anhang I.
3 „Demographische Alterung“ bezeichnet die Zunahme des Durchschnittsalters der Bevölke- rung, gemessen durch das so genannte Medianalter (Alter, das die Hälfte der Bevölkerung über- bzw. unterschreitet) oder durch den so genannten Altenquotienten (Zahl der über 60- Jährigen in% der 15- bis 60-Jährigen)
4 Durchschnittliche Lebenserwartung = Lebensjahre, die ein neugeborenes Kind zu erwarten hat
5 Ferne Lebenserwartung = Lebenserwartung für Personen, die ein bestimmtes Alter erreicht haben
6 Selpis = Second Life People
7 Geragogik = Teilgebiet der Pädagogik, das sich mit Bildungsfragen und -hilfen für ältere Menschen befasst (Geragogik, 2001, S. 350)
8 Gerontologie = Fachgebiet, auf dem die Alterungsvorgänge beim Menschen unter biologi- schen, medizinischen, psychologischen u. sozialen Aspekten erforscht werden (Gerontologie, 2001, S. 351)
9 Environment-Docility-Hypothese = Umwelt-Einfühlsamkeits-Hypothese
10 Obligationszeit = Zeit, die zur Verrichtung der alltäglichen häuslichen Pflichten benötigt wird
11 Dispositionszeit = Zeit, die zur freien Verfügung steht
- Quote paper
- Martina Vögele (Author), 2005, Midlife-Krise im Verein?! - Eine Untersuchung des Angebots im Paderborner Vereinssport , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127233
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