Die von einem Völkermord betroffenen Gesellschaften müssen diverse Probleme bewältigen: Es geht konkret um Strafe und Verzeihen, Ausgleich und Wiedergutmachung, aber auf einer abstrakteren Ebene auch um die Identität der Gemeinschaft, der Täter wie der Opfer, gegenüber sich selbst und gegenüber Außenstehenden, auf der Grundlage spezifischer Interpretationen der eigenen Geschichte. In der mittlerweile breit geführten innerdeutschen Debatte wurden für diese Problembereiche die Begriffe Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur geprägt, der Terminus „identity politics“ aus der Forschungsdebatte über Ruanda nach dem Genozid hingegen kann als spezifische Form der Beeinflussung des gesellschaftlichen Vergangenheitsdiskurses verstanden werden.
Vergleicht man die Ausgangskonstellationen in Deutschland und Ruanda, wird man feststel-len, dass sich vorallem die Täter-Opfer-Konstellation deutlich unterscheidet. So verschiebt sich das Vergleichsziel hin zu Fragen der Identitätsbildung und Vergangenheitsinterpretation nach außen wie nach innen, die in einem sich gegenseitig beeinflussenden System Bedingung und Folge konkreter vergangenheitspolitscher Maßnahmen sind.
Dabei soll es, entsprechend dem frühen Zeitpunkt der post-genozidalen Geschichte Ruandas, um eine Darstellung verschiedener Aspekte in der Bewältigung der Vergangenheit gehen, so dass zwi-schen den jeweiligen Aspekten wiederum Parallelen gezogen werden können. Dies soll genutzt werden, um festzustellen, welche Ge-meinsamkeiten der Erinnerungslogiken vorliegen, welche gemachten Annahmen nicht zutref-fen, und welche Rückschlüsse dies auf zukünftige Entwicklungen in Ruanda oder allgemeine Regelmäßigkeiten der Erinnerung nach Genozid und gesellschaftlichem Zusammenbruch zu-lassen. Dabei soll das Augenmerk auch auf den unterschiedlichen internationalen strukturellen Rahmenbedingungen liegen, um Belege für die These zu finden, dass in einer weiter zusammengewachsenen und gleichzeitig sensibilisierten Weltöf-fentlichkeit heute mehr – direkter oder indirekter – Einfluss auf die Entwicklungen in einer post-genozidalen Gesellschaft genommen wird, als das nach dem zweiten Weltkrieg der Fall war. Dies sollte modellhaft gedacht zu einer Beschleunigung von vergangenheitspolitischen Prozessen führen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Vergangenheitspolitik, nationale Identität und kollektives Gedächtnis
2 Die Ausgangslage: Parallelen und Unterschiede zwischen den Konstellationen
2.1 Genozid und Krieg
2.2 Täter- und Opferidentitäten
2.3 Externe Strukturen
3 Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur in Deutschland
3.1 Gesetzgebung und Justiz: Bestrafung oder Re-Integration der Täter
3.2 Erinnerung und Interpretation der Geschichte im gesellschaftlichen Diskurs
3.3 Der Einfluss externer Faktoren
4 Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur in Ruanda
4.1 Gesetzgebung und Justiz: Gacaca, Strafe und speech crimes
4.2 Erinnerung und Interpretation der Geschichte im gesellschaftlichen Diskurs
4.3 Der Einfluss externer Faktoren
5 Deutschland und Ruanda im Vergleich
5.1 Vergangenheitspolitische Strafjustiz: Ahnden, ignorieren oder Amnestieren?
5.2 Externalisierung von Schuld als Mittel zur Integration
5.3 Aktive und passive identity politics
5.4 Weltöffentlichkeit und internationale Politik als Korrektiv
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Völkermorde als Massenverbrechen kennzeichnen das ausgehende 20. Jahrhundert, das von Genozidforschern auch als „the century of genocide“ bezeichnet wird[1]. Dieser Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, denn mögen auch in vergangenen Jahrhunderten ebenfalls ganze Völker nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit ausgelöscht worden sein: Der industrialisierte, perfekt organisierte Massenmord der Moderne, welcher in krassem Widerspruch zu der gleichzeitigen Zivilisierung und Humanisierung des Völker-, Menschen- und Strafrechts weltweit, aber auch der sozialen Ethik allgemein steht, hat eine eigene Qualität. Aus einer Vielheit derartiger Massenverbrechen ragt der Holocaust an den europäischen Juden als ein in vielerlei Hinsicht einmaliges Verbrechen heraus. Die in der Folge insbesondere zwischen 1945 und 1955, sowie ab ca. 1988 stark intensivierten Bemühungen um eine internationale Rechtsetzung[2], sowie die allgemeine internationale Zusammenarbeit im Rahmen der UNO konnten dennoch nicht verhindern, dass weiterhin Völkermorde begangen wurden.
Insbesondere der Kasus Ruanda hat Aufmerksamkeit erlangt: Bei dem Völkermord an der Minderheit der Batutsi und oppositionellen Hutu durch die Bahutu verloren in wenigen Wochen je nach Schätzung zwischen 500000 und einer Million Menschen ihr Leben.[3] Nicht nur die bloßen Zahlen verleihen diesem Völkermord seinen Schrecken, sondern auch die Tatsache, dass er unter den Augen einer handlungsfähigen, aber nur bedingt handlungswilligen internationalen Gemeinschaft stattfand.[4] Andererseits wurden – zeitgleich auch in Ex-Jugoslawien - zum ersten Mal seit den Nürnberger Prozessen die politischen Verantwortlichen für den Völkermord in einem internationalen Strafprozess zur Verantwortung gezogen.
Die Genese des Völkerstrafrechts, die zwischen Nürnberg und dem International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) liegt, wurde umfassend dokumentiert[5] und auch strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen den Ereignissen in Ruanda und dem Holocaust wurden zumindest skizziert.[6] Ein – zumindest in komparativer, nicht jedoch in einzelstaatlicher Hinsicht - noch weitgehend unbeackertes Feld stellen hingegen die Entwicklungen dar, die dem Genozid und der Strafverfolgung einiger weniger, in letzter Instanz Verantwortlicher nachfolgen. Die betroffenen Gesellschaften müssen diverse Probleme bewältigen: Es geht konkret um Strafe und Verzeihen, Ausgleich und Wiedergutmachung, aber auf einer abstrakteren Ebene auch um die Identität der Gemeinschaft, der Täter wie der Opfer, gegenüber sich selbst und gegenüber Außenstehenden, auf der Grundlage spezifischer Interpretationen der eigenen Geschichte. In der mittlerweile breit geführten innerdeutschen Debatte wurden für diese Problembereiche die Begriffe Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur geprägt, der Terminus „identity politics“ aus der Forschungsdebatte über Ruanda nach dem Genozid hingegen kann als spezifische Form der Beeinflussung des gesellschaftlichen Vergangenheitsdiskurses verstanden werden. Die Begrifflichkeiten sollen in Kapitel 1 kurz dargelegt werden.
Vergleicht man die Ausgangskonstellationen in Deutschland und Ruanda, wird man feststellen, dass sich vorallem die Täter-Opfer-Konstellation deutlich unterscheidet, wie in Kapitel 2 noch näher darzulegen ist. So verschiebt sich das Vergleichsziel hin zu Fragen der Identitätsbildung und Vergangenheitsinterpretation nach außen wie nach innen, die in einem sich gegenseitig beeinflussenden System Bedingung und Folge konkreter vergangenheitspolitscher Maßnahmen sind. Diese Leistungen haben die Gesellschaften zu erbringen, unabhängig davon, ob sie wie im Falle der Bundesrepublik zunächst eher nach außen, gegenüber dem Ausland wirken müssen, oder aber, wie Falle Ruandas, der Fokus vor allem – aber nicht ausschließlich – auf dem inneren Konflikt liegt. Diese Parallelen, aber eben auch die Unterschiede der Ausgangskonstellation sollen in Kapitel 2 näher benannt werden, um den genauen Vergleichsgegenstand in Form der Parallelen zu definieren. Der Untersuchungsgegenstand ist Westdeutschland, da die DDR sich selbst nicht als in der Tradition des Deutschen Reiches stehend sah, was im Vergleich zur Bundesrepublik eine in Umfang und Zielsetzung stark eingeschränkte Vergangenheitspolitik zur Folge hatte.
Die Darstellung der konkreten Maßnahmen, sowie ihrer abstrakteren Intentionen für die beiden Länder erfolgt in Kapitel 3 für Deutschland und in Kapitel 4 für Ruanda. Dabei soll es, entsprechend dem frühen Zeitpunkt der post-genozidalen Geschichte Ruandas, um eine Darstellung verschiedener Aspekte in der Bewältigung der Vergangenheit gehen, so dass zwischen den jeweiligen Aspekten wiederum Parallelen gezogen werden können. Dies soll in der schlussendlichen Zusammenschau in Kapitel 5 genutzt werden, um festzustellen, welche Gemeinsamkeiten der Erinnerungslogiken vorliegen, welche gemachten Annahmen nicht zutreffen, und welche Rückschlüsse dies auf zukünftige Entwicklungen in Ruanda oder allgemeine Regelmäßigkeiten der Erinnerung nach Genozid und gesellschaftlichem Zusammenbruch zulassen. Dabei soll das Augenmerk auch auf den unterschiedlichen außergesellschaftlichen – sprich internationalen - strukturellen Rahmenbedingungen liegen, um Belege für die These zu finden, dass in einer weiter zusammengewachsenen und gleichzeitig sensibilisierten Weltöffentlichkeit heute mehr – direkter oder indirekter – Einfluss auf die Entwicklungen in einer post-genozidalen Gesellschaft genommen wird, als das nach dem zweiten Weltkrieg der Fall war. Dies sollte modellhaft gedacht zu einer Beschleunigung von vergangenheitspolitischen Prozessen führen.
1 Vergangenheitspolitik, nationale Identität und kollektives Gedächtnis
Den Rahmen, in den sich Begriffe wie Vergangenheitspolitik, Erinnerungspolitik, aber auch nationale Identitäten einordnen lassen, liefert Aleida Assmann mit ihren Überlegungen zum „kollektiven Gedächtnis“ und den mit dem Gedächtnisbegriff verbundenen Begriffen „Erinnern“ und „Vergessen“. Gedächtnisformationen bilden sich nach Assmann durch direkte Interaktion auf individueller sowie sozialer Ebene und durch indirekte, symbolische Vermittlungsmechanismen als kollektives politisches und individuelles kulturelles Gedächtnis.[7] Dabei stehen die einzelnen Formationen-Begriffe sowohl für die aggregierten analytischen Konstrukte in ihrer Gesamtheit, als auch den jeweilligen Anteil, den sie im gesamten Gedächtnis eines Individuums einnehmen. Durch diese Anteile, deren Inhalte das Individuum in einer „freien Identifikation“ wählt, „gewinnt das Individuum neben personaler und sozialer seine kulturelle Identität“.[8] Für die vorliegenden Überlegungen zu Wirkweisen der Vergangenheitspolitik kommt es vor allem auf die kollektiven, also sozialen und politisch-kulturellen Gedächtnisformationen in ihrer Aggregationsform und deren Entstehung an, nicht auf ihre Wiederaneignung durch Individuen.
Das soziale Gedächtnis entsteht in der sozialen Interaktion, hier definiert als Kommunikation, bei der symbolische Medien nur eine unterstützende Funktion wahrnehmen. Die individuellen Erinnerungen werden, meist ohne bewusste Trennung, durch Erinnerungen anderer ergänzt und in Perspektive gesetzt. Es ist als eine „Koordination individueller Gedächtnisse“ durch Austausch, auch in Form von umfassenderen und normierenden Diskursen konzipiert. Das kulturelle Gedächtnis (in seiner Funktionsweise dem politischen äquivalent) funktioniert ohne die direkte Interaktion von Subjekten ausschließlich über vermittelnde Symbole, wie sie zum Beispiel Feiertage oder Denkmäler darstellen. Diese sind objektivierte, institutionalisierte und vor allem materialisierte Erinnerungen, deren Existenz über die begrenzte Lebensspanne einzelner Menschen zeitlich unendlich hinausreichen kann. Gleichzeitig ist Bedingung ihres Fortbestehens, dass sich lebendige Gedächtnisse ihre Topoi immer wieder neu aneignen.[9] An dieser Stelle soll nur kursorisch darauf eingegangen werden, dass die Bedeutung der jeweils gegenwärtigen sozialen Normierung in diesem Modell möglicherweise unterschätzt wird: Zwar vertieft Assmann die Rolle des „sozialen Rahmens“ für das Erinnern an anderer Stelle[10], doch bleibt – auf der Modellebene - unklar, inwiefern gegenwärtige Diskurse auch die Interpretation des kulturellen Gedächtnisinhaltes beeinflussen. Dass sie zweifelsohne eine Rolle spielen und welche das ist, wird in den Kapiteln 3.2 und 4.2 behandelt werden: Was wird in Deutschland erinnert, wie wird es erinnert (bzw. interpretiert), was wird vergessen? Auch die Trennung zwischen sozialem und kulturellem Gedächtnis verliert von ihrer Klarheit, bedenkt man, dass sich beide Formationen letztlich meist auf die gleichen Medien stützen: Sprache in geschriebener Form, (bewegte) Bilder. Institutionen ohne den erklärenden Bedeutungszusammenhang bleiben vermutlich nicht lange Institutionen. Daher ist auch von einer Interaktion zwischen beiden Formationen auszugehen.
Vergangenheitspolitik im einem Sinne, wie ihn Norbert Frei[11] oder Constantin Goschler[12] für Deutschland verwenden, lässt sich in den konzeptionellen Rahmen der Assmann’schen kollektiven Gedächtnisse wie folgt integrieren: Es handelt sich um die konkreten, durch das politische System vorgenommenen legislativen Normsetzungen, die sowohl gesellschaftliche Re-Integration als auch in einem abstrakteren Sinne die Definition einer von der Vergangenheit teilweise abgegrenzten, neuen Identität zum Ziel hatte.[13] Diesen Entscheidungen gingen gesellschaftliche Diskurse voraus, so dass gegenwärtige Erinnerung und Interpretation der Vergangenheit Grundlage der Entscheidungen wurde. Gleichzeitig konnte die Institutionalisierung dieser Erinnerung ihrerseits wiederum einen bestätigenden, somit verstärkenden Einfluss auf die vorherrschende kollektive Erinnerung entfalten. Die Begrenzung des Begriffs auf Täter und Mitläufer betreffende Gesetze, die Frei vornimmt[14], ist nicht begriffsimmanent und soll daher vernachlässigt werden. Definitorisch geringfügig anders gewichtet ist der ebenfalls bei Assmann auftauchende Begriff der Geschichtspolitik: Er bezieht sich auf politisches Handeln, das unmittelbar und intentional der Umwidmung vorherrschender Erinnerungsmuster und –interpretationen dienen soll, wohingegen Vergangenheitspolitik den Umgang mit Folgen der Vergangenheit als primäre Intention hat.[15]
Schwieriger in das hier als Rahmen verwandte Gedächtnisschema einzuordnen ist die Definition von „identity politics“ nach Helen Hintjens. Diese tendenziell politischen Identitäten, die die – in ihrer Untersuchung ruandischen - Bürger einnehmen können bzw. ihnen zugeschrieben werden, werden durch die identity politics des politischen Systems mehr oder weniger aktiv beeinflusst. Identitäten nach Hintjens wären also Kategorien wie Bahutu und Batutsi, Opfer und Täter, oder auch die des Staatsbürgers an sich. Dabei kann die Regierung sich der Mittel der spezifischen Geschichtsinterpretation im Sinne einer Geschichtspolitik, der Gesetzgebung im Sinne von vergangenheitspolitischen und darüber hinausgehenden Maßnahmen und der politics allgemein als Möglichkeit zur Definition und Umsetzung politischer Ziele bedienen.[16] „Identity politics“ nutzen also – unter anderem – zur Definition und Re-Definition von Identitätsmustern der Beeinflussung des kollektiven politischen Gedächtnisses mit Mitteln der Vergangenheits- und Geschichtspolitik. Der Versuch der Beeinflussung der sozialen und kulturellen Erfahrungen erscheint angesichts der sozio-kulturellen Konstitution dieser politischen Identitäten nur logisch. Wie „identity politics“ in Ruanda eingesetzt werden, wird in den Kapiteln 3.1 und 3.2 näher beleuchtet, ob und in welcher Form solcherlei politics in Deutschland vorzufinden sind, wird in Kapitel 5.3 diskutiert.
2 Die Ausgangslage: Parallelen und Unterschiede zwischen den Konstellationen
2.1 Genozid und Krieg
In Ruanda und Deutschland haben sich Genozide ereignet, doch sind die Ausgangssituationen nach dem Geschehen in vielerlei Hinsicht nicht zu vergleichen. Der Holocaust als Völkermord an den europäischen Juden kann auch und gerade in seinen Rückwirkungen auf die bundesrepublikanische Gesellschaft im Kontext dieser Untersuchung nicht ohne den 2. Weltkrieg als expansionistischem Vernichtungskrieg in ganz Europa (und darüber hinaus), sowie die Verfolgung der politischen Opposition verstanden werden.[17] Dabei soll der Weltkrieg über seine Rolle als Rahmen des Geschehens in seinen direkt zuordenbaren Folgen weitestgehend ausgeklammert werden, wie die – völlig anders gelagerte – Bürgerkriegssituation in Ruanda, die auch in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen nur bedingt vergleichbar sind.
Obwohl der dem Genozid vorgelagerte Bürgerkrieg in Ruanda in keiner Hinsicht mit dem 2. Weltkrieg zu vergleichen ist, sind für die innergesellschaftlichen Folgen des Genozids für Ruanda Parallelen zu der Ausgangslage in Deutschland zu erkennen, die hier eben vorwiegend dem Krieg geschuldet ist: Das „nationale Gedächtnis“ (Assmann) beider Länder hat mehr als nur eine einfache Niederlage zu erinnern und zu interpretieren.[18] Mit dem Genozid und vernichtend verlorenem Vernichtungskrieg in Deutschland und einem der verheerendsten Völkermorde der Nachkriegszeit in Ruanda ist den Gesellschaften der beiden Länder von Außenstehenden eine kollektive Identität zugeschrieben worden, die durch ihre Verbindung mit dem Genozid stark negativ konnotiert ist.[19] Daraus ergibt sich auch die Erwartung bestimmter Handlungsweisen von außen. In der Bundesrepublik folgte aus dem Krieg und dem Holocaust eine Gesellschaft, die betreffs ihrer Identität nach innen wie nach außen, sowie ihrer kollektiven Erinnerung einen umfassenden Bruch hinnehmen musste: Bisherige Interpretationen verloren angesichts von Fremdherrschaft, vernichtender Niederlage, Ansehensverlust und der Erkenntnis der Qualität eines – noch nicht so bezeichneten - Völkermordes ihre Gültigkeit.[20]
Gleichzeitig ist die nationale kollektive Erinnerung an diese im Vergleich nach außen krassen Normverletzungen je nach Täter- oder Opferperspektive mit Scham, Schuld, Trauer oder Trauma behaftet. Die differierenden Erinnerungen von Tätern und Opfern sowie ihre größere Bedeutung für die ruandische Gesellschaft sind an dieser Stelle auszuklammern, sie werden im folgenden Kapitel behandelt. Die Tragweite einer Identität als Gesellschaft, in der global in höchstem Maße akzeptierte moralische Normvorstellungen verletzt wurden, wird möglicherweise in Ruanda noch an Bedeutung gewinnen, wenn Täter-Opfer-Identitäten im Laufe der Zeit langsam unwichtiger werden. Die Parallele zwischen Ruanda und Deutschland wäre also erstens bei der Vergangenheits- und Geschichtspolitik, sowie im gesellschaftlichen Diskurs zu suchen, wo versucht wird, auf eine negative Identitätszuschreibung von außen und die Last einer allgemeinen negativen Erinnerung des nationalen Gedächtnisses nach innen zu reagieren. Dies geschieht auch, so die Hypothese, indem kollektive Erinnerung und Interpretation (u.a. durch das politische System) dahingehend beeinflusst wird, dass die kollektiven, im Vergleich nach außen schmach- und schmamvollen Erinnerungen abgemildert werden. Das Konstrukt einer nationalen Identität, an der sich partizipieren lässt, lebt von einer positiven Konnotation, die Partizipation erst wünschenswert macht.[21] Mögliche Strategien könnten beispielsweise eine Externalisierung von Schuld sein, das Beschweigen des Geschehenen, oder eine umfassende Re-Interpetation.
[...]
[1] Vgl. Mark Levene: Why is the 20th Century the Century of Genocide?, in: Journal of World History 11 (2000), Heft 2, S. 305-356.
[2] Vgl. William A. Schabas: Genozid im Völkerrecht, Hamburg 2003, S.112-138.
[3] Vgl. Sandrine Schilling: Gegen das Vergessen. Justiz, Wahrheitsfindung und Versöhnung nach dem Genozid in Rwanda durch Mechanismen transitionaler Justiz: Gacaca Gerichte, Bern 2005, S. 87.
[4] Vgl. Schilling: Gegen das Vergessen, S. 80.
[5] Vgl. Schabas: Völkerrecht, S. 30-112.
[6] Vgl. Mark Levene: Connecting Threads. Rwanda, the Holocaust and the Pattern of Contemporary Genocide, in: Roger W. Smith (Hrsg.): Genocide. Essays Toward Understanding, Early-Warning and Prevention Williamsburg 1999, S. 28-64.
[7] Vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, S. 31-36.
[8] Ebd., S. 34.
[9] Vgl. Assmann: Vergangenheit, S. 33f.
[10] Vgl. ebd., S. 157-168.
[11] Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996.
[12] Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005 (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Band 3).
[13] Vgl. Frei: Vergangenheitspolitik, S. 13f.
[14] Vgl. ebd., S. 14.
[15] Vgl. Assmann: Vergangenheit, S. 75 f.
[16] Vgl. Helen Hintjens: Post-genocide identity politics in Rwanda, in: Ethnicities 8 (2008) Heft 1, S. 5-41, hier S. 6-7, sowie S. 14-19.
[17] Selbstverständlich handelt es sich hier nicht um eine erschöpfende Aufzählung von Unrechtsopfergruppen. Die Auswahl erfolgt aus Gründen der analytischen Präzision und des Mangel an Platzes anhand der Relevanz des Geschehenen in der späteren gesellschaftlichen „Verarbeitung“.
[18] Vgl. Assmann: Vergangenheit, S. 64-69.
[19] Vgl. ebd., S. 83 f.
[20] Vgl. Edgar Wolfrum: Die Bundesrepublik Deutschland 1949-1990, Stuttgart 2005 (=Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte Band 23), S. 215f.
[21] Vgl. Assmann: Vergangenheit, S. 75.
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