Im Folgenden soll die politische Wirkungsgeschichte der von Treitschke eingeleiteten Kontroverse untersucht werden. Nach näherer Beleuchtung des geschichtlichen, politischen und sozialen Entstehungshintergrundes folgt im Hauptteil eine ausführliche Analyse der, in diesem Zusammenhang erschienen, Schriften. Besondere Beachtung finden hierbei die den Streit auslösende Schrift Treitschkes „Unsere Aussichten“ sowie der den Streit beendende Artikel von Theodor Mommsen, „Auch ein Wort über unser Judentum“. Abschließend soll diskutiert werden, wie und an wen die beiden Autoren ihre Überlegungen vermitteln wollten, ob es ihnen gelungen ist und welche unmittelbaren Auswirkungen diese auf die Öffentlichkeit und Geschichte Deutschlands hatten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichtlich-politischer Hintergrund
3. Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich
4. Berliner Antisemitismusstreit
4.1 Heinrich von Treitschke
4.2 Rezeption
4.3 Theodor Mommsen
4.4 Rezeption
4.5 Folgen und Abklang der Debatte
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Gerade der Kultus der Nationalität trägt diese Versuchung mehr als jeder andere in sich und artet leicht dahin aus, den Hass gegen andere Nationen zum Kennzeichen echter Gesinnung zu machen. Von diesem Hass gegen das Fremdartige jenseits der Grenze bis zum Hass gegen das, was sich etwa nicht als fremdartig in der eigenen Heimat ausfindig machen lässt, ist nur ein Schritt. Je mehr Hass, desto mehr Tugend“ “[1] So analysierte der deutsche Poli- tiker jüdischen Glaubens Ludwig Bamberger die Ereignisse im Deutschen Kai- serreich in der schwierigen Zeit der Reichsgründung und der Weltwirtschaft- krise. In diese Zeit fiel auch die, unter dem Begriff „Berliner Antisemitismus- streit“[2] zusammengefasste und über Zeitschriftenbeiträge und Briefe geführte Auseinandersetzung unter Intellektuellen.[3] Ausgelöst wurde diese durch den Artikel des Berliner Historikers Heinrich von Treitschke: „Unsere Aussichten“ vom 15.11.1879.
Im Folgenden soll die politische Wirkungsgeschichte der von Treitschke einge- leiteten Kontroverse untersucht werden. Nach näherer Beleuchtung des ge- schichtlichen, politischen und sozialen Entstehungshintergrundes folgt im Hauptteil eine ausführliche Analyse der, in diesem Zusammenhang erschienen, Schriften. Besondere Beachtung finden hierbei die den Streit auslösende Schrift Treitschkes „Unsere Aussichten“ sowie der den Streit beendende Arti- kel von Theodor Mommsen, „Auch ein Wort über unser Judentum“. Abschlie- ßend soll diskutiert werden, wie und an wen die beiden Autoren ihre Überle- gungen vermitteln wollten, ob es ihnen gelungen ist und welche unmittelbaren Auswirkungen diese auf die Öffentlichkeit und Geschichte Deutschlands hat- ten.
2. Geschichtlich-politischer Hindergrund
Nach dem Sieg über Frankreich 1871 wurde Preußen zum Königtum. Das Deutsche Kaiserreich entstand als ein Bündnis von 22 deutschen Monarchen und drei freien Städten. Mit einer Mehrheit der liberalen Partei im Reichstag übernahm Reichskanzler Otto von Bismarck die Führung der Koalition. Nach dem gewonnenen Krieg von 1870/1871 kulminierte der wirtschaftliche Auf- schwung - die Reparationszahlungen aus Frankreich taten ihr übrigens. Be- zeichnet wird diese Periode des Aufschwunges auch als die Gründerzeit. Es war die große Zeit des klassischen Liberalismus, in der das Bürgertum die kul- turelle Führung übernahm. Zwar wurden viele der liberalen Forderungen nur teilweise und erst zum Ende dieses Zeitraumes umgesetzt, dennoch wird diese Zeit auch als ein „Kulturkampf“ zwischen liberalen und konservativen Gedan- ken bezeichnet.[4]
Die in Deutschland seit der Revolution von 1848/49 immer stärker geforderte Gleichberechtigung und Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung wurde unter der Führung der Liberalen in der Reichsverfassung von 1871 verankert. Damit war die Emanzipation der rund 512.000 im Deutschen Reich lebenden Juden abgeschlossen.[5] Seit dem Mittelalter waren diese von leitenden Ämtern ausge- schlossen und übten vor allem die in der alten Agrargesellschaft als unehren- haft angesehenen Handels- und Geldgeschäfte aus. Durch den großen Einfluss der Kirche wurde die Art, auf die die Arbeit ausgeübt wurde, von den Glau- bensgrundsätzen beeinflusst- mit ihr auch die Wirtschaft. Das Christentum ver- bot seinen Gläubigen Geld gegen Zinsen zu verleihen. Da das Judentum dieses als einzige Religion gestattete und die jüdischen Bürger seit dem Mittelalter von den „ehrenhaften“ Ämtern ausgeschlossen waren, unterstand der Geld- und Handelssektor für eine lange Zeit ausschließlich der jüdischen Bevölkerung. Auch im sozialen Leben fand keine Integration statt, weil der gesamte Leben stil, vor allem aber die Bräuche und Feiertage, nicht in die christlich-geprägten Strukturen passten.[6]
Seit der Reichsgründung und im Zuge liberaler Reformen spürte man in Deutschland immer stärker die Veränderungen der Wirtschaft: „de(n) Durch- bruch der bürgerlichen Gesellschaft; des großen Marktes, des freien Wettbe- werbs, des Kapitalismus, der Mobilität, des Leistungsprinzips, gegen alle stän- dischen und bürokratischen Beschränkungen, und der Durchbruch der Klas- sengesellschaft auch. Das war ein entscheidender Schritt in die Modernität. Das hat jedes individuelle Leben verändert.“[7] Während früher die stetige kör- perliche und geistige Arbeit als der Selbstzweck des Lebens überhaupt und das Mittel um Gott auf der Welt zu würdigen angesehen wurde, regierten nun zu- nehmend der Markt und das Geld. Vor allem für traditionelles Handwerk und Gewerbe wurden die neuen Handels- und Verarbeitungsmethoden gefährlich.
Börsen erlebten lebhafte Aufschwünge und tiefe Fälle. Die Menschen waren direkt betroffen und konnten sich nicht durch Fleiß und Arbeit davor schützen. Mit diesen wirtschaftlichen Veränderungen und den durch die liberalen Geset- ze von 1871 verliehenen Freiheiten gehörten vor allem die jüdischen Bürger zu den sozialen Aufsteigern. Politisch waren sie linksliberal aktiv, ihre Kinder besuchten Gymnasien und Universitäten: auch gehörten die Juden zur mei- nungsbildenden „kritischen Intelligenz“ [8] der Zeitungen und Kultur. „Juden waren städtisch-großstädtisch, sie wiesen eine neue, besondere Berufsauftei- lung auf, waren im tertiären Sektor, im Handel und im Bankwesen und bei den freien Berufen unter Ärzten und Anwälten überproportional vertreten; sie ge- hörten überproportional zu den Selbständigen, den Beziehern höherer Ein- kommen und den Besitzern größerer Vermögen, kurz: sie waren erfolgreich“.[9]
„Die jahrhundertlange Berufsbeschränkung auf Handel und Geldwesen wirkte sich auch auf die besondere Fähigkeit zur Innovation oder zur Übernahme von Innovationen, wie sie Minderheiten gegenüber traditionellen Verhaltensmus- tern entwickeln.“[10] Die größte und einflussreichste jüdische Gemeinschaft be- fand sich zu dieser Zeit in Berlin. Die Juden wollten als Deutsche jüdischen Glaubens angesehen und behandelt werden. Die Gleichstellungsgesetzte waren für sie von einem hohen Wert.
Gleichlaufend mit der liberalen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politi- schen Öffnung verstärkte sich seit 1870 auch die neue Welle der Judenfeind- schaft. Man fürchtete den expansiven und angeblich schädlichen Einfluss der Juden auf Wirtschaft, Politik und Kultur. „Es bleibt eine Wahrheit, dass die Juden in Deutschland gerade im Prozess der Emanzipation in eine spezifische
„Nähe“ zur Modernität und den Mächten der Modernisierung - ökonomisch, intellektuell und politisch – getreten sind und ihr Aufstieg mit dieser „Nähe“ verbunden war. Das war für die Gesamtgesellschaft ein Problem.“[11] Die Juden standen für die alte- Strukturen- zerstörende Moderne. Sie waren die Symbol- figuren einer ungeliebten neuen Zeit.[12] Gleichgesetzt wurden diese Entwick- lungen auch mit dem Einfluss der Juden auf die liberalen Kräfte.[13] Konservati- ve und Antisemiten waren im Aufschwung.[14]
Mit dem Gründerkrach von 1873 und den sich in Deutschland immer stärker bemerkbar machenden Auswirkungen der zweiten Weltwirtschaftskrise ver- stärkten sich auch die antisemitischen Ausfälle und Ressentiments. Die Hoch- stimmung über die Nationalstaatsgründung wurde erheblich gedämpft. Die führenden Kräfte der liberalen Partei sowie ihre zwei größten Erfolge – die Wirtschaftsgesetze und Gleichstellung jüdischer Bürger – wurden zur „Juden- politik“ stilisiert. Zwar gewannen die Liberalen noch die Wahlen von 1974, doch die lang anhaltenden Folgen der Weltwirtschaftskrise und die immer mehr an Einfluss gewinnenden konservativen und antisemitischen Parteien kippten die Stimmung. Die Konservativen wollten einen strengen und stabilen Staat. Diese Forderungen waren mit der liberalen Politik unvereinbar. „Die Antisemitismus-Anfälligen waren vor allem unter den Krisenbetroffenen, den Opfern des Gründungsschwindels zuerst, dann den von dem Strukturwandel bedrohten, den Handwerkern und den Kleinhändlern und mit der Verschärfung der Agrarkrise der Bauern, schließlich den Akademikern, die an Status und Einkommen hinter den aufsteigenden Wirtschaftskreise zurückfielen.“ [15] Grund war die Angst vor wirtschaftlichen Verlusten und der Auflösung alter Traditio- nen.
Zu den Wahlen von 1879 warb man mit Slogans wie „Wählt keine Juden.“ [16] Der Sieg der Konservativen war ein Zeichen, dass die anti-liberale und anti- jüdische Thematik durchschlagende Kraft entfaltete.[17] Auch der Gründerkrach erreichte 1879 seinen Tiefpunkt. Der aufflammende Antisemitismus wurde zum Hauptventil sozialer und politischer Unzufriedenheit.[18] Die liberalen Kräf- te konnten dem großen Druck nicht standhalten und spalteten sich in die Natio- nalliberale und die Fortschrittspartei.[19] Die neue Deutschkonservative Partei gewann vor allem durch die Schwäche der liberalen Kräfte sowie durch ihre Unterstützung antisemitischer Gedanken immer mehr an Zuspruch. Unterstützt wurden sie auch durch die 1879 in den Reichstag eingezogenen antisemitischen Parteien.
3. Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich
Wenn man die Systematik der Feindbildstrukturen analysieren und verstehen will, kommt man an den antisemitischen Vorläufern im Deutschen Kaiserreich nicht vorbei. Als auslösender Moment des neuen Antisemitismus galt die Weltwirtschaftskrise von 1873. Diese löste den Richtungskampf zwischen dem bis 1873 dominierenden Liberalismus und dem Konservatismus aus und trieb den aufflammenden Antisemitismus voran.
Bereits 1874, als die Liberalen zum zweiten Mal die Mehrheit im Parlament errangen und die Regierung stellten, publizierte die konservative Neue Preußi- sche (Kreuz-)Zeitung fünf Texte unter dem Titel Ära-Artikel. Aufgrund der großen Nachfrage erschienen diese später auch als Sonderdruck. Geschrieben hatte die Artikel der konservative Schriftsteller Franz Perrot. Zum ersten Mal wurde hier öffentlich die antijüdische „Karte“ für parteipolitische Interessen gespielt. Man strebte an, den Liberalismus durch die Verbindung mit der nicht- kontrollierbaren Wirtschaft und den Juden zu schwächen. Die Freiheiten des liberalisierten Wirtschaftsmarktes und der Einfluss dieses auf die einfachen Gewerbetreibenden und Handwerker wurden mit der jüdisch-liberalen Politik gleichgesetzt. Der Vorwurf gegenüber den jüdischen Geschäftmännern und den liberalen Politikern war, dass diese ihre Erfolge auf den Schultern von fleißigen und ehrlichen deutschen Arbeitern austrugen. Eine große Rolle kam in den Artikeln vor allem dem jüdischen Finanzberater Bismarcks, Gerson von Bleichröder, zu. Von Bleichröder, ursprünglich Hofbankier der Hohenzollern, später dann Bismarcks Finanzberater, verschaffte 1866 Preußen die Gelder zur Kriegsführung und beteiligte sich 1871 an den Verhandlungen über die franzö- sischen Kriegsentschädigungen. Zum Mitarbeiter im Auswärtigen Amt aufge- stiegen, wurde er 1872 als erster nicht getaufter deutscher Jude geadelt. Für die neue konservativ-antisemitische Strömung wurde von Bleichröder zum Ver- bindungsglied zwischen dem Liberalismus, den Juden, der Weltwirtschaftskri- se und ihren Folgen. Auch die jüdischen Abgeordneten der liberalen Partei und ihr Einfluss auf die deutsche Politik wurden als ein Teil der „jüdischen Ver- schwörung und Machtübernahme“ qualifiziert.[20] „Wenn zugleich die Geld- und Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches immer den Eindruck von Judenpoli- tik, d. h. von und für Juden betriebener Politik und Gesetzgebung machte, so ist dies ebenfalls sehr erklärlich, da der intellektuelle Urheber dieser Politik, Herr G. v. Bleichröder, selbst Jude ist, und die von christlichen Eigentümern betrie- bene Minorität der Bankgeschäfte überhaupt nur die Politik der Bank- Majorität treibt und treiben kann, wie denn in jeder Beziehung die Leitung und Führung auf diesem Gebiet vollkommen in den Händen unserer Mitbürger mo- saischen Glaubens sich befindet. Dazu kommt, dass unsere Mitbürger semiti- scher Rasse und mosaischen Glaubens zugleich die intellektuelle Führung der Gesetzgebung in unseren Vertretungskörpern – mit Ausnahme natürlich des Herrenhauses – übernommen haben. Die Herren Laskers, Bamberger und der beiden eng befreundete, freilich erst neuerdings in den Reichstag gelangte Herr H. B. Oppenheim sind ja Juden und sind die eigentlichen Führer der sog.
„nationalliberalen“ Majorität des Reichstages und der preußischen zweiten Kammer.“[21]
Die konservative Kreuzzeitung wurde im Verlauf der nächsten Jahre zur anti- semitischen Stimme der Nation. Wilhelm Marr, Adolf Stoeckel, Heinrich von Treitschke und andere konservative und antisemitische Publizisten schrieben für sie. Zum zweiten antisemitischen Agitator wurde das Sprachrohr der katho- lischen Zentrumspartei: die Zeitschrift Germania. Während die Kreuzzeitung sich auf die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Streitpunkte be- schränkte, schrieb die Germania vor allem über die religiösen Unterschiede beider Konfessionen und versuchte das „jüdische Wesen“ und die Nicht- Integ- rierbarkeit der Juden theologisch zu begründen. Die Zeitungen beider Richtun- gen, sowohl die katholischen als auch die konservativen, richteten sich auch gegen liberales Denken und die liberale Politik.[22] Unterstützung für Juden und die liberalen Gedanken in Hochzeiten des Antisemitismus gab es seitens der altkatholizistischen Zeitschrift Merkur. Auch wenn die Unterstützung aus dem Wunsch nach Eigenständigkeit von der katholischen Kirche und vor allem ih- rem Oberhaupt, dem Papst, herrührte, darf die Wirkung dieser auf die zwischen 1890 bis 1910 von 9.000 auf 24.190 Gläubige angewachsenen Glaubensge- meinschaft nicht unterschätzt werden.[23]
Im Jahre 1874/75 veröffentlichte die mit 120.000 Abonnenten größte Familien- zeitschrift Deutschlands unter dem Herausgeber Otto Glagau einen Dreiteiler zum „deutschen Judentum und dem Börsenschwindel“ [24]. In allen drei Artikeln wurden die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf die deutsche Be- völkerung als die Folge der Geschäftspraktiken jüdischer Bankiers und Politi- ker dargestellt. Für Glagau war „die soziale Frage (im) wesentlich(en) Juden- frage“ [25]. Die angebliche Illoyalität jüdischer Bürger, die das Land und die Leute jederzeit verraten und verkaufen würden, kam vom allem bei den vom Wirtschaftliberalismus benachteiligten Gruppen wie Handwerkern, kleinere Unternehmern, Gewerbetreibenden sowie den Bauern gut an. Aufgrund der großen Nachfrage erschien auch diese Artikelserie als eine gebundene Ausgabe und erreichte bereits 1876 die vierte Auflage.[26]
Zu den einflussreichsten antisemitischen Agitatoren zählten unter anderen der Publizist Wilhelm Marr und der Hofprediger Adolf Stoecker. Das Buch des bis dahin erfolgslosen Marr „Sieg des Judentums über das Germanentum“ erreich- te zwölf Neuauflagen. Er prägte den Begriff des „Antisemitismus“, der von nun an als Selbstbezeichnung einer politisch-sozialen Bewegung, der Antise- mitenliga, die das Judentum as Ursache aller sozialen und kulturellen Miss- stände sah, galt.[27] Die Antisemitenliga wurde im Oktober 1879 in Berlin von Marr gegründet und bestand bis Ende 1880.[28] Die Antisemitenliga sah die Ju- den nicht mehr als eine minderwertige Rasse, sondern als eine im Zentrum der Gesellschaft stehende Macht, die ihre rechtliche Gleichstellung dazu miss- brauchte, die wirtschaftliche, politische und intellektuelle Führung zu über- nehmen. Es handelte sich um einen „post-emanzipatorischen Judenhass“[29] , der in der heutigen Forschung als „Moderner Antisemitismus“ bezeichnet wird.
Da das konservativ-protestantische Lager seinen Einfluss auf die Gesellschaft zu verlieren drohte, nutzte der Hofprediger am Dom, Adolf Stoecker, die sich immer stärker ausweitende Judenfeindschaft für kirchliche und parteipolitische Zwecke. Mit der Gründung der Christlich-Sozialen-Arbeiterpartei wollte er die durch Bismarcks Sozialsittengesetzte[30] abgeschreckten Arbeiter im Kampf gegen Liberalismus und das Judentum auf seine Seite holen. Da die Partei im Arbeitermilieu nicht den gewünschten Anklang fand,[31] wurde sie in die Christ- lich-Soziale-Partei umbenannt und genoss später einen durchgreifenden Erfolg im Mittelstand sowie unter Beamten und der akademischen Jugend. Neben der antisemitischen Propaganda stand die Christlich-Soziale-Partei für den Ausbau der „sozialen Ader“. Damit wollte man die Stellung der Konservativen in der Gesellschaft wieder festigen. In den Hochzeiten der Popularität zogen die Ver- sammlungen von Stockers Partei bis zu 3000 Hörer an.[32] Insgesamt erscheinen in der Bismarckzeit mehr als 500 antisemitische Schriften. Die Argumentation aller gegen die Juden und den Liberalismus hetzender Vereine und Agitatoren war gleich: Da die Religionsstreitigkeiten und konfessionelle Polemiken als mittelalterlich und unglaubwürdig galten, verbannte man alle religiösen Vorur- teile gegen die Juden aus dem Sprachgebrauch.[33] Diese „Widerlegung oder wenigstens Neutralisierung jenes wirkungsmächtigen liberalen Geschichtsbil- des, das den Judenhass als mittelalterliche Barbarei abwertete, gehörte zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Akzeptanz der antisemitischen Bewegung in der modernen Welt.“[34] Man bediente sich der durch die unsichere finanziel- le Situation während der Weltwirtschaftskrise entstandenen Ängste der Bevöl- kerung und radikalisierte durch den Gebrauch von Stereotypen von den anstän-
[...]
[1] Bamberger, Ludwig, Deutschtum und Judentum, in: Karsten Krieger (Bearb.), Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879 - 1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition in zwei Teilen, Zentrum für Antisemitismusforschung, München 2003, (23), S. 224.
[2] Dieser wurde durch den Journalisten Walter Boehlich in seiner 1965 unter diesem Titel er- schienen Dokumentation geprägt.
[3] hier: Professoren, Redakteuren und andrer in der Öffentlichkeit stehende Personen.
[4] Vgl. Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2. Machtstaat vor Demokra- tie, München 1992, S. 85-471.
[5] 1,25 Prozent der Gesamtbevölkerung.
[6] Vgl. Bernhardt, Hans-Michael, „Die Juden sind unser Unglück“, in: Christoph Jahr (Hrsg.), Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahr- hundert, Berlin 1994, S. 25-55.
[7] Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2. Machtstaat vor Demokratie, München 1992, S. 363.
[8] Ebd. S. 290.
[9] Ebd. S. 291.
[10] Ebd. S. 292.
[11] Ebd. S. 293.
[12] Vgl. Bernhardt, Hans-Michael, „Die Juden sind unser Unglück“, in: Christoph Jahr (Hrsg.), Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahr- hundert, Berlin 1994, S. 25-55.
[13] Dessen führende Köpfe Eduard Laskers und Ludwig Bamberger ebenfalls Juden waren.
[14] Vgl. Bernhardt, Hans-Michael, „Die Juden sind unser Unglück“, in: Christoph Jahr (Hrsg.), Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahr- hundert, Berlin 1994, S. 25-55.
[15] Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2. Machtstaat vor Demokratie, München 1992, S. 294.
[16] Bernhardt, Hans-Michael, „Die Juden sind unser Unglück“, in: Christoph Jahr (Hrsg.), Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahr- hundert, Berlin 1994, S. 25-55.
[17] Vgl. ebd. S. 22-55.
[18] Vgl. Hoffmann, Christhardt, Geschichte und Ideologie. Der Berliner Antisemitismusstreit, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitis- mus, Bundeszentrale für Politische Bildung 1997, S. 219-251.
[19] Vgl. ebd. S. 219-251.
[20] Vgl. ebd., S. 25-55.
[21] Franz Perrot, Bismarck und die Juden. „Papierpest“ und „Ära-Artikel von 1875.“, in: <http://germanhistorydocs.ghi- dc.org/pdf/deu/440_Franz%20Perrot_Aera%20Artikel_141.pdf> am 06.04.2008.
[22] Vgl. Hoffmann, Christhardt, Geschichte und Ideologie. Der Berliner Antisemitismusstreit, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitis- mus, Bundeszentrale für Politische Bildung 1997, S. 219-251.
[23] Vgl. Blaschke, Olaf, Der Altkatholizismus 1870 bis 1945. Nationalismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus, in Historische Zeitschrift (HZ), Band 261 (1995), S. 51 - 99.
[24] Karsten Krieger (Bearb.), Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879 - 1881. Eine Kontrover- se um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition in zwei Teilen, Zentrum für Antisemitismusforschung, München 2003, Einleitung, S. 11.
[25] Ebd. S. 12.
[26] Vgl. Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2. Machtstaat vor Demokra- tie, München 1992, S. 295.
[27] Vgl. Hoffmann, Christhardt, Geschichte und Ideologie. Der Berliner Antisemitismusstreit, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitis- mus, Bundeszentrale für Politische Bildung 1997, S. 219-251.
[28] In dieser kurzen Zeit des Bestehens hatte die Gruppe nie mehr als 40 Mitglieder.
[29] Kloke, Martin, Antizionismus und Antisemitismus als Weltanschauung? Tendenzen im deut- schen Linksradikalismus und -extremismus, in: Bundesministerium des Inneren (Hrsg.): Ex- tremismus in Deutschland. Erscheinungsformen und aktuelle Bestandsaufnahme, Berlin 2004, S. 22.
[30] Das Gesetz verbot sozialistische und sozialdemokratische Organisationen und deren Aktivi- täten im deutschen Reich außerhalb des Reichstags und der Landtage.
[31] Vgl. Boehlich, Walter (Hrsg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, 2. Ausgabe, Frankfurt am Main 1988, Nachwort, S. 239.
[32] Vgl. Hoffmann, Christhardt, Geschichte und Ideologie. Der Berliner Antisemitismusstreit, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitis- mus, Bundeszentrale für Politische Bildung 1997, S. 219-251.
[33] Vgl. Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2. Machtstaat vor Demokra- tie, München 1992, S. 295
[34] Hoffmann, Christhardt, Geschichte und Ideologie. Der Berliner Antisemitismusstreit, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, Bundeszentrale für Politische Bildung 1997, S. 227
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