Der Mensch "ist mehr" als seine Arbeit, aber er definiert sich zu einem nicht unbedeutenden Teil über das, was er tut, über das, wofür ihm gesellschaftliche Anerkennung zuteil wird. Die Herausforderungen globalisierter Wirtschaftsabläufe haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einer Brisanz des Problems "Massenarbeitslosigkeit" geführt, die zu einem Umdenken dessen führen kann und führen sollte, was mit dem Begriff "Arbeit" eigentlich gemeint ist und welche Zusammenhänge bestehen zwischen den gesellschaftlich relevanten, häufigst jedoch unentlohnten Tätigkeiten etwa im Bereich des Gemeinwohls und einer regulär entlohnten Erwerbstätigkeit, deren Anerkennung sich zwar nicht nur aber doch zu einem gewissen Teil über einen "Lohn" ausdrückt.
Wie lässt sich aber die unbezahlte, gesellschaftliche Wertschöpfung der Familienarbeit, der ehrenamtlichen Tätigkeit "messen" und "entlohnen", ohne dass damit der Begriff "Ehrenamtlichkeit" ad absurdum geführt wird? Aktuelle Ansätze der laufenden politischen Diskussion um das "Grundeinkommen", den "Mindestlohn" um die sogenannten "1-Euro-Jobs" oder eine "Bürgerversicherung" in den unter Druck stehenden Sozialsystemen zeigen erste Spuren eines sich vollziehenden Bewusstseinswandels auf, der in engem Zusammenhang steht mit dem christlichen Menschenbild und dem Tätigsein als humanem Ausdruck des eigenen, menschlichen Selbstwertes.
INHALTSVERZEICHNIS
0) Exposition
1) Armut und Arbeitslosigkeit: Die „verdeckte Armut“ der 'working poor' in der (wiedervereinigten) Bundesrepublik Deutschland 1983-1990 (1991 & 1995)
2) Von Strukturmodellen zu konkreten Initiativen zur Abschmelzung von verfestigter Dauer- und Sockelarbeitslosigkeit in der BRD
2.1) „ Bürgergeld “ und „ negative Einkommensteuer “ als grundlegendes Element einer pekuniären Grund(ab)sicherung und eines sozialstrukturellen Wandels
2.2) Das sog. „ Mainzer Modell “- Wege aus dem Mißbrauch geringfügiger Beschäftigungs-
hältnisse
2.3) Monetäre und nichtmonetäre Formen der Anerkennung von gemeinnütziger Arbeit
2.4) Das „Sero-System“ der Abfallwirtschaft in der ehemaligen DDR: Nachhaltigkeit als Prinzip ökologisch- bewußter Zukunftsgestaltung und Quelle neuer Arbeitsplätze
3) Die unverändert hohen Ressourcen gesellschaftlichen Engagements in der BRD: Eine ge- sellschaftlich unterschätzte und oft verkannte Größe
4) Epilog
0) Exposition
„Visionen für die Arbeitsgesellschaft von morgen“1 - davon gibt es viele. Das gewaltige und in seiner sozialen Sprengkraft kaum überschätzbare Problem einer sich nicht nur in der Bundesrepu-blik Deutschland seit 25 Jahren zunehmend verfestigten Sockelarbeitslosigkeit braucht aber mehr als Denkmodelle und Visionen. Diese waren notwendig und brauchten ihre Zeit, um von Menschen mit politischer und sozialer Phantasie entwickelt zu werden. Doch muß sich der am politisch-sozialen Diskurs Beteiligte verantworten vor einer nicht unbegrenzt zur Verfügung stehenden Zeit,
vor Menschen, die unter nichts mehr leiden als unter der bekümmernden Realität, keine Arbeit (mehr) zu haben. „Alles hat seine Stunde, ... eine bestimmte Zeit“, wie uns der griechische Weisheitslehrer Kohelet zu ermahnen weiß. So können eine planvolle und zielgerichtete Evaluation der maßgeblichen Ausgangslage eines Problems und die entwickelten, theoretisch denkbaren Lösungsstrategien auch in ihrer Unvollständigkeit nicht davon dispensieren, allmählich in eine pragmatische Phase überzugehen. Dies gebietet zum einen die zunehmende Bedrängnis, in die der Sozialstaat durch steigende Erwerbslosenzahlen geraten ist, dann die Angst jedes Menschen, der abhängig beschäftigt ist, davor, arbeitslos zu werden und die generationsübergreifenden Folgen, die eine Gesellschaft unter dem bedrückenden Vorzeichen anhaltender Dauerarbeitslosigkeit zu erwarten hat. Aufbrüche in eine neue Arbeitswelt, die der wirtschaftlichen wie demographischen
Realität näherkommen unter der Berücksichtigung dynamischer familiärer und familienähnlicher Lebensformen, sie wollen einerseits gut überlegt sein, andererseits wird erst die Konfrontation mit der Realität zeigen, wie nachhaltig sie dazu beitragen, Arbeitslosigkeit zu vermindern. Der Blick in andere europäische Länder, nach Dänemark, in die Niederlande oder auch nach Irland kann helfen,
an Erfahrungen mit einzelnen Projekten zu partizipieren.
Mit einem „Bündnis für Arbeit“, in dessen Umfeld Verantwortliche aus wirklich allen politischen,
sozialen und tarifvertraglichen Gremien zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, nämlich die Arbeitslosigkeit dauerhaft und nachhaltig zu reduzieren, ist ein guter Anfang gemacht.
Und es bleibt zu hoffen, dass auch dieses Bündnis die erste und entscheidendste pragmatische Hürde überwindet, die eine ökologische Steuerreform lange Zeit verhindert hat und die sich nun ihrer entscheidenden Bewährung, der Realität, zu stellen hat.
Der christliche Glaube ist entscheidend geprägt von der Vorstellung, dass all unser Tun und Unter-lassen
vom kairos bestimmt ist2. Dieser gibt keinen Zeit punkt an, sondern die Notwendigkeit des Tuns, eines (ge-) rechten Tuns- mit Blick auf die Inhalte der Botschaft Jesu. Dies ermutigt- zum Tun. In dieser Verantwortung stehen nicht nur die politischen wie sozialen Institutionen, sondern, nach christlichem Menschenbild, jeder einzelne. Dies hat mich mitunter zur Erstellung dieser Hausarbeit motiviert, die das Thema Arbeitslosigkeit vor dem Hintergrund eines neuen Umgangs mit der Zeit,3 der Lebens arbeitszeit des Menschen, beleuchten soll und in den in ihrer Relevanz oft unterschätzten Verwirklichungsformen menschlichen Tuns innerhalb des sog. Dritten Sektors.
1) Armut und Arbeitslosigkeit: Die „verdeckte Armut“ der 'working poor' in der (wiedervereinigten) Bundesrepublik Deutschland 1983-1990 (1991 & 1995)
Der Begriff „working poor“ bezeichnet erwerbstätige4 Personen, deren „Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um ein soziokulturelles Existenzminimum zu sichern“.5 Sie gehen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit aus, deren Monatsnettoverdienst aber den Bezug von Leistungen aus der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt aber nicht ausschließt. Entsprechende Untersuchungen belegen, dass diese Personengruppe dann insbesondere von der Gefahr „verdeckter Armut“ bedroht ist, wenn der Haushalt des einzig Erwerbstätigen mehrere Haushaltsangehörige, z.B. Kinder oder Pflegebedürftige umfaßt, die für ihr eigenes Einkommen nicht aus eigener Kraft aufkommen können, oder aber wenn es sich um einen alleinerziehenden Menschen handelt.6 „ Verdeckt arm“ sind diese Menschen deswegen, weil ihr monatliches Einkommen unterhalb der festgelegten Sozialhilfeschwelle liegt und die trotz ihres bestehenden, potentiellen Rechtsanspruches7 keinerlei oder aber nur teilweise Leistungen aus der gesetzlichen Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Eine nur teilweise Einlösung sozialer Rechtsansprüche läge beispielsweise bei Wohngeldbezug vor, den regulärer Sozialhilfebezug begleiten könnte.
Diese Menschen erscheinen verständlicherweise in keiner öffentlichen Statistik, daher läßt sich ihre reelle Zahl nur annäherungsweise schätzen. Außerdem wurden bislang diesbezüglich auch kaum wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt.8 „Verdeckte Armut“ betrifft in statistisch stärkerem Maße Familien oder familienähnliche Lebensgemeinschaften von Unverheirateten mit Kindern, „Kindern unter und ab 16 Jahren“.9 Knapp drei Prozent der erwerbstätigen Personen in Gesamtdeutschland (auf der Datenbasis von 1995), also rund 900 000 Menschen, leben demzufolge unterhalb des ihnen gesetzlich zugesicherten Existenzminimums, dessen grundgesetzliche Grundlage der Art. 20 Abs. 1 ist. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Eckregelsatz für den Haushaltsvorstand zuzüglich evtl. Mehrbedarfszuschläge, insbesondere bei haushaltszugehörigen Kindern. Ein Forschungsbericht im Auftrag der Friedrich-Ebert- Stiftung des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung (ISL) in Frankfurt (s. Literaturverzeichnis) aus dem Jahr 1995 belegt, dass die Armutsquote dieser working poor in Ostdeutschland um ein gutes Prozent höher lag als im Vergleichszeitraum für den Westen Deutschlands. Gehen Neumann und Hertz im Bericht des ISL von einer mutmaßlichen Dunkelziffer der verdeckten Armut10 von knapp über 50 Prozent aus, dann waren gemäß einer früheren Untersuchung aus dem Jahr 199111 davon knapp 56 Prozent der Menschen aus dieser Personengruppe der Meinung, dass neben dem regelmäßigen Bezug von monatlichem Erwerbseinkommen ein Bezug von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nicht möglich sei. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass es offenbar unabweisbar unmittelbare Zusammenhänge zwischen (Dauer-)Arbeitslosigkeit und „offener“ wie „verdeckter“ Armut in der Bundesrepublik gibt. Der Unterschied zwischen beiden Arten der Armut leitet sich jedoch vornehmlich aus der Praxis sozialpolitischer Interventionen ab, die sich maßgeb-lich der Bekämpfung offener Armut verschreiben.12
[...]
1 Stellvertretend für viele sei von christlicher Seite aus genannt: Publik-ForumManifest: „Einschiffen statt Ausbooten - Das Jobwunder ist möglich“ in: PF 4/98 v. 27.02.98 (Heftmitte); Hg. Leserinitiative Publik e.V.
2 Vgl. die m.E. sehr hilfreichen Überlegungen diesbezügl. von Claus Eurich, a.a.O., die mehr praktischen Stellenwert verdienten, auf S. 74: „ Zeitpunkte sind meßbar, bestimmbar, vorhersagbar, inhaltlich neutral. Der Augenblick charakterisiert demgegenüber die personengebundene Wahrnehmung, das personengebundene Bewußtsein und daraus resultierendes Begreifen. Das blickende Auge realisiert Zeit, Raum und Situation gleichzeitig, in eins, erspürt den Kairos- Gehalt, den die Zeit grundsätzlich trägt, auch für sich, nimmt ihn wahr und an als Gnade und Schicksal.“
3 Vgl. zu diesen Überlegungen insbesondere den Beitrag von Gerd Mutz: Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit, in: PolZ 9/99 v. 26.02.1999, S.3-11. Seine Hauptthese, insbesondere unter Punkt IV.entfaltet, lautet: „Die Neue Arbeitsgesellschaft ist eine Zeitgesellschaft“.
4 Erwerbstätig sind diese Personen , die „regelmäßig voll- oder teilzeiterwerbstätig sind“, Auszubildende miteingerechnet, ohne unregelmäßig Beschäftigte, Saisonarbeitskräfte, Wehr - und Zivildienstleistende (Neumann (1999),S.31, Anm. 16).
5 Neumann, a.a.O., S.31.
6 Palentien u.a., S.34, Tabelle 1. 7 Neumann, a.a.O., S.27.
8 Dto..
9 Dto., S.31.
10 Sie entspricht dem Quotienten aus dem Anteil der verdeckt Armen im Verhältnis zum Anteil der Leistungsbezieher nach dem BSHG (laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von ständigen Einrichtungen).
11 Vgl. Richard Hauser/Werner Hübinger: Arme unter uns. Teil 1: Ergebnisse und Konsequenzen der Caritas-Armuts- untersuchung, Deutscher Caritasverband e.V. (Hg.), Freiburg i.Br. 1993, S.122-129. Grundlage dieser Untersuchung war eine repräsentative Befragung von Klientes der Caritas von 1991.
12 So Neumann, S.27.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.