Anläßlich seiner Europareise 1928 bestätigte Jesse L. Lasky, Präsident der amerikanischen „Fa-mous Players“-Gesellschaft, offiziell die aus Hollywood kommenden Gerüchte, nach denen es mit dem Stummfilm zu Ende gehe. Die ersten Ton- und Sprechfilme hätten wie Bomben einge-schlagen und die neue Spezies würde sich binnen kurzem die Weltleinwand erobern. Mir und Gleichgesinnten war es apokalyptisch zumute.
Mit diesen Worten kommentierte der französische Filmregisseur René Clair die Zeit des großen Umbruchs vom Stumm- zum Tonfilm, die für viele Zeitzeugen mit Ängsten, Unsicherheit, aber auch Hoffnung verbunden war.
Die Verfasserin dieser Hausarbeit möchte sich mit diesem Einschnitt in die Filmgeschichte befassen und die Einführung des Tonfilms unter technischen, ökonomischen und ästhetischen Gesichtspunkten beleuchten. Die Untersuchungsfrage ist jeweils, inwiefern der Tonfilm im Vergleich zum vorangegangen Stummfilm die gesellschaftlichen Gegebenheiten verändert hat. Der Betrachtungswinkel liegt hierbei überwiegend auf europäischer bzw. nicht-englischsprachiger Seite.
Die Arbeit soll zu Beginn einen kurzen geschichtlichen Abriss über die technische Entwicklung liefern (Nadeltonverfahren – Lichttonverfahren), danach werden die wirt-schaftlichen und sozialen Folgen beleuchtet (ökonomische Probleme der Filmwirtschaft, Schauspielerkarrieren und -niederlagen, Berufsstand der Kinomusiker) und dann intensiv die neue ästhetische Umsetzung der neuen Technik herausgearbeitet (visuelle Spra-che durch Sprache, Kameraeinsatz, Montage und Schauspiel). Auch die Aufnahme des Tonfilms durch die Filmschaffenden wird kurz angerissen. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit von 1928 bis 1933 – also in den frühen Jahren des Tonfilms und den späten Jahren der Weimarer Republik.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Einordnung ins historische Umfeld
II. Wie die Bilder sprechen lernten
II. 1 Das Nadeltonverfahren
II. 2 Das Lichttonverfahren
II.3. Übernahme des Tonfilms durch die Filmindustrie
III. Der Tonfilm und seine Konsequenzen
III. 1. Wirtschaftliche und soziale Folgen
III. 2 Ästhetik des Tonfilms
III.2.1 Sprache
III.2.2 Kameraarbeit
III.2.3 Montage
III.2.4 Schauspiel
III.3 Resonanz auf den Tonfilm
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Anläßlich seiner Europareise 1928 bestätigte Jesse L. Lasky, Präsident der amerikanischen „Famous Players“-Gesellschaft, offiziell die aus Hollywood kommenden Gerüchte, nach denen es mit dem Stummfilm zu Ende gehe. Die ersten Ton- und Sprechfilme hätten wie Bomben eingeschlagen und die neue Spezies würde sich binnen kurzem die Weltleinwand erobern. Mir und Gleichgesinnten war es apokalyptisch zumute.[1]
Mit diesen Worten kommentierte der französische Filmregisseur René Clair die Zeit des großen Umbruchs vom Stumm- zum Tonfilm, die für viele Zeitzeugen mit Ängsten, Unsicherheit, aber auch Hoffnung verbunden war.
Die Verfasserin dieser Hausarbeit möchte sich mit diesem Einschnitt in die Filmgeschichte befassen und die Einführung des Tonfilms unter technischen, ökonomischen und ästhetischen Gesichtspunkten beleuchten. Die Untersuchungsfrage ist jeweils, inwiefern der Tonfilm im Vergleich zum vorangegangen Stummfilm die gesellschaftlichen Gegebenheiten verändert hat. Der Betrachtungswinkel liegt hierbei überwiegend auf europäischer bzw. nicht-englischsprachiger Seite.
Die Arbeit soll zu Beginn einen kurzen geschichtlichen Abriss über die technische Entwicklung liefern (Nadeltonverfahren – Lichttonverfahren), danach werden die wirtschaftlichen und sozialen Folgen beleuchtet (ökonomische Probleme der Filmwirtschaft, Schauspielerkarrieren und -niederlagen, Berufsstand der Kinomusiker) und dann intensiv die neue ästhetische Umsetzung der neuen Technik herausgearbeitet (visuelle Sprache durch Sprache, Kameraeinsatz, Montage und Schauspiel). Auch die Aufnahme des Tonfilms durch die Filmschaffenden wird kurz angerissen. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit von 1928 bis 1933 – also in den frühen Jahren des Tonfilms und den späten Jahren der Weimarer Republik.
I. Einordnung ins historische Umfeld
In den so genannten „goldenen Zwanziger Jahren“ der Weimarer Republik entwickelten sich Film, Theater und Literatur in einem rasanten Tempo. Durch die Verbindung der laufenden Bilder mit Sprache, Geräuschen und Musik entstand in dieser Zeit auch der Tonfilm. Wie auch die anderen Künste in damaliger Zeit beeinflusste das Medium Film in der Weimarer Republik fast alle Lebensbereiche:
Die Künstler dieser Epoche streben danach, die Kunst wieder mit dem Leben zu verbinden und die Erschütterungen wirtschaftlicher Zerrüttung und geistiger Zusammenbrüche hatten ihnen aus gesellschaftlicher Verantwortung den Willen gegeben, das Leben zu verändern und für den unterdrückten Menschen Partei zu ergreifen, den sie bewusst in den Mittelpunkt ihrer Kunst stellen.[2]
Das Kino der Weimarer Republik war demnach politisch, stellte bürgerliche Denkmuster in Frage, zeigte im Sinne der Neuen Sachlichkeit die realen Probleme des täglichen Lebens schonungslos auf, brach Tabus und beeinflusste die Mode sowie den Massenkonsum. „Bereits im ersten Jahr des Tonfilms, 1926, besitzt Berlin mit dem 1600 Sitzplätze fassenden Gloria-Palast einer der größten Vergnügungsstätten.“[3]
Historisch betrachtet ist die Entstehung des Tonfilms auch aus einem anderem ganz anderen Sichtwinkel interessant, nämlich bezüglich der Archivierung von filmischen Quellen. Durch diesen tiefen Einschnitt entstand nämlich überhaupt erst ein „Bewußtsein für Filmgeschichte“[4], das vorher nur gering vorhanden war. Viele Stummfilme wurden bis zu dieser Zeit nach Gebrauch vernichtet, „nun entstehen Anfang der 30er Jahre die ersten Filmarchive (1933 in London, 1936 in Berlin), die retten wollen, was zu retten ist, um überhaupt erst eine materiale Filmgeschichte zu ermöglichen.“[5]
II. Wie die Bilder sprechen lernten
Der Film war auch vor dem Aufkommen des Tonfilms nicht vollkommen stumm, sondern auch der Stummfilm war immer von Musik aus Konzertausschnitten begleitet, die über ein Grammophon in das stumme Filmbild eingespielt wurde.[6] Bereits in den ersten Jahren des Films – seit Mitte der 1890er Jahre – begleiteten Varieté-Orchester jene frühen Filme, die damals noch als Teil eines Bühnenprogramms aufgeführt wurden. Bis in die späten 1920er Jahre blieb der Klang steter Begleiter der Kinovorführung, zum Beispiel durch Klaviere, durch Kammermusik-Ensembles oder durch die in den 1910er Jahren entwickelten Kino-Orgeln. Kurt Johnen beschrieb die Funktion der musikalischen Untermalung folgendermaßen: „Die Musik unterstrich und verstärkte die Intensität des Filminhalts.“[7] Ton und Bild waren demnach schon in der frühen Geschichte des Films miteinander verbunden. Zu den Filmvorführungen in der Stummfilm-Ära gehörten also immer auch Töne und musikalische Einlagen.
Und doch gelang die Durchsetzung des Tonfilms, einer synchronen Verbindung des Bildes mit einem dazugehörigen Ton, erst gut 30 Jahre nach der Erfindung des Films. 1929 wurde das erste deutsche Tonfilmatelier der Ufa in Neubabelsberg gebaut. Nun begann in Deutschland ein neues Kapitel der Filmgeschichte. Der erste deutsche Tonfilm war Melodie des Herzens mit Willy Fritsch, dem 1930 die Uraufführung des Blauen Engels von Josef von Sternberg mit Marlene Dietrich und Emil Jannings in den Hauptrollen folgte.[8]
II. 1 Das Nadeltonverfahren
Am 6. Oktober 1927 wurde der erste amerikanische Tonfilm The Jazz Singer von Warner-Bros. in den Kinos uraufgeführt. Dieses Datum lässt sich als Premiere des ersten sprechenden Films („Talkie“) bezeichnen. Mit synchronen Lippenbewegungen sprach hier der bekannte Varieté-Star Al Jolson die für die Filmgeschichte berühmten Worte: „You ain't heard nothin’ yet!“[9] Diese Parallelität von Bild und Ton wurde durch das von Warner Bros. und Western Electric entwickelte Vitaphone-System bewerkstelligt: Bei diesem so genannten Nadeltonverfahren wurde der Filmprojektor mit Schallplatten verbunden, die durch eine Nadel abgetastet wurden. Der gefeierte Nadelton jedoch blieb nur ein paar Jahre im Einsatz, beispielsweise auch 1928 bei der Produktion von The Singing Fool, bevor er durch ein anderes, erfolgreicheres Prinzip ersetzt wurde: das Lichtton-Verfahren, welches Anfang der 1930er Jahre die internationale Verbreitung des Tonfilms ermöglichen sollte und das schon zehn Jahre zuvor in Deutschland zum Einsatz gekommen war.[10]
II. 2 Das Lichttonverfahren
Seit 1918 forschten die drei deutschen Techniker Joseph Engl, Joseph Masolle und Hans Vogt an der Entwicklung eines Lichtton-Verfahrens, welches sie später Tri-Ergon (Werk der Drei) nannten. Dabei wurde zwischen Bild- und Perforationslöchern eine lichtdurchlässige gezackte Spur aufgenommen, bei der die Größe der Zacken die Lichtdurchlässigkeit bestimmte. Während der Film abgespielt wurde, projizierte man mittels einer Tonlampe diese gezackte Tonspur auf eine Fotozelle. Die unterschiedliche Helligkeit erzeugte unterschiedlich starke Spannungen, die mithilfe von Verstärkern und Lautsprechern in hörbare Töne umgewandelt wurden. Hiermit war der analoge Mono-Tonfilm (1 Kanal) geboren. Nach anfänglicher Skepsis gingen 1923 die Patente an die von Schweizer Finanziers gegründete Tri-Ergon AG in Zürich über, bevor sich schließlich 1925 der deutsche Filmkonzern Ufa zur Kooperation entschloss.
Guido Bagier , künstlerischer Leiter der Tri-Ergon-Abteilung der Ufa produzierte in einem ausdrücklich dafür eingerichteten Filmatelier in Berlin-Weißensee den ersten Tonkurzfilm: Das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Die Premiere des knapp 20-minütigen Films am 20. Dezember 1925 verlief jedoch katastrophal: Mitten in der Vorführung im Berliner Mozartsaal versagte der Ton, was die Gäste mit Gelächter und Protest quittierten. Die Ufa zog sich nach dieser Panne allerdings erst einmal aus dem Lichtton-Projekt zurück und vertraute erst Jahre später wieder auf die Lichtton-Technik. In Deutschland und Europa sollten daher nicht die Ufa, sondern die Tobis den entscheidenden Beitrag für die Tonfilmindustrie leisten.[11]
[...]
[1] Clair, René: Kino. Vom Stummfilm zum Tonfilm. Kritische Notizen zur Entwicklungsgeschichte des Films 1920-1950, Zürich 1995, S. 105.
[2] Vierhuff, Hans Gotthard: Die Neue Sachlichkeit. Malerei und Fotografie, Köln 1980, S. 10.
[3] Gessner, Dieter: Die Weimarer Republik, Darmstadt 22005, S. 56.
[4] Paech, Anne / Paech, Joachim: Menschen im Kino. Film und Literatur erzählen, Stuttgart / Weimar 2000, S. 131.
[5] Ders., S. 131.
[6] Vgl. Mühl-Benninghaus, Wolfgang: Das Ringen um den Tonfilm, Düsseldorf 1999, S. 11.
[7] Johnen, Kurt: Den Schatten eine Stimme geben, in: Keitz, Ursula von (Hg.): Früher Film und späte Folgen. Restaurierung, Rekonstruktion und Neupräsentation historischer Kinematographie, Marburg 1998 (= Schriften der Friedrich Wilhelm Murnau-Gesellschaft e.V. 6), S. 97.
[8] Vgl. Toeplitz, Jerzy: Geschichte des Film, Bd. 2 (1928-1933), München 1979, S. 86.
[9] Vgl. Ders., S. 28f.
[10] Vgl. Müller, Corinna: Vom Stummfilm zum Tonfilm, München 2003, S. 188-199.
[11] Vgl. Müller, S. 199-208.
- Quote paper
- M. A. Nikola Poitzmann (Author), 2009, Vom bewegten zum klingenden Bild, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126603
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