[...] Diese Arbeit wird auf zwei Länder eingehen: die Bundesrepublik Deutschland und die
Französische Republik. Dabei soll insbesondere die politische Behandlung des Themas von
der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Neunziger Jahre im Zentrum stehen. In den beiden
Länder ist die Erinnerung jeweils vielfältig: Entschädigung, Anerkennung der Schuld,
Verdrängung oder sogar Leugnung. Der Umgang mit dem Holocaust ist umstritten und seit
1945 gab es verschiedene Vorstellungen von möglichen Erinnerungsformen. Hierbei kann
man jedoch deutliche Entwicklungslinien erkennen. Der Historiker Jörn Rüsen konstatiert
„drei zeitlich einander folgenden Einstellungen“3, die das historische Selbstbewusstsein der
Deutschen prägen: die Zeit von 1945 bis 1968 mit der Kriegs- und Wiederaufbaugeneration,
die von 1968 bis 1989 mit der Nachkriegsgeneration und schließlich die Zeit nach 1989. Für
die erste Epoche sei die Strategie des Verschweigens typisch, für die zweite die „moralische
Distanzierung“, und für die dritte die „Historisierung und Aneignung“. Für Frankreich lässt
sich eine ähnliche Entwicklung beobachten, wobei die Phase des Verdrängens noch länger
andauerte: eine systematische Aufarbeitung setzte hier erst später ein. Die These dieser Arbeit ist folgende: die Erinnerung an den Holocaust in Frankreich
und in Deutschland ist vom jeweiligen nationalen Kontext abhängig. Zu erörtern ist, inwiefern
die Erinnerung an den Holocaust von den Machthabern instrumentalisiert wird. Im Rahmen
dieser Arbeit gilt es zunächst, die Lage in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu untersuchen,
eine Epoche, die durch das Verschweigen der Verbrechen gekennzeichnet war. Anschließend
soll die Phase betrachtet werden, in der, wo u.a. Intellektuelle und Politiker angefangen
haben, den Holocaust zu thematisieren – wie beispielsweise den berühmten Historikerstreit in
Deutschland. Zum Schluss werde ich zeigen, wie die Errichtung nationaler Holocaust-
Mahnmale zur Versöhnung beitragen kann.
GLIEDERUNG
Einleitung
1. Die unmittelbare Nachkriegszeit: die Mythen der Nationen
1.1 Das Verdrängen in der BRD
1.2 Der Nachkriegsmythos in Frankreich
2. Der Holocaust in der Öffentlichkeit
2.1 Die Entstehung einer unterschiedlichen Erinnerungskultur im geteilten Deutschland
2.2 « Le chagrin et la pitié »
3. Eine „Vergangenheit, die nicht vergehen will“
3.1 Historikerstreit zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas
3.2 Die umstrittene Deutung von Vichy
4. Die Mahnmäler
4.1 Eine Bürgerinitiative als Ausgangspunkt für die Mahnmäler
4.2 Das Holocaust-Mahnmal in Berlin
4.3 Das Vél d’Hiv-Mahnmal
Schluss
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Charlotte Knobloch kritisierte jüngst die Behandlung des Nationalsozialismus im Schulunterricht: „Es ist dringend notwendig, den Geschichtsunterricht neu zu gestalten, weil das Thema Nationalsozialismus darin viel zu kurz kommt“[1] sagte sie. Auf diesen Vorwurf antwortete der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Josef Kraus: „Keine Epoche der deutschen Geschichte wird so intensiv an deutschen Schulen behandelt wie der Nationalsozialismus“[2]. Diese Aussagen verdeutlichen, dass es noch keinen Konsens über die Geschichtspolitik im Bezug auf den Holocaust gibt. Man muss auch darauf hinweisen, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus und insbesondere an den Holocaust von Land zu Land unterschiedlich behandelt wird. Die Erinnerungskultur hängt einerseits von der Erfahrung der einzelnen Länder im Zweiten Weltkrieg und andererseits von den verschieden politischen Kulturen ab.
Diese Arbeit wird auf zwei Länder eingehen: die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik. Dabei soll insbesondere die politische Behandlung des Themas von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Neunziger Jahre im Zentrum stehen. In den beiden Länder ist die Erinnerung jeweils vielfältig: Entschädigung, Anerkennung der Schuld, Verdrängung oder sogar Leugnung. Der Umgang mit dem Holocaust ist umstritten und seit 1945 gab es verschiedene Vorstellungen von möglichen Erinnerungsformen. Hierbei kann man jedoch deutliche Entwicklungslinien erkennen. Der Historiker Jörn Rüsen konstatiert „drei zeitlich einander folgenden Einstellungen“[3], die das historische Selbstbewusstsein der Deutschen prägen: die Zeit von 1945 bis 1968 mit der Kriegs- und Wiederaufbaugeneration, die von 1968 bis 1989 mit der Nachkriegsgeneration und schließlich die Zeit nach 1989. Für die erste Epoche sei die Strategie des Verschweigens typisch, für die zweite die „moralische Distanzierung“, und für die dritte die „Historisierung und Aneignung“. Für Frankreich lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten, wobei die Phase des Verdrängens noch länger andauerte: eine systematische Aufarbeitung setzte hier erst später ein.
Die These dieser Arbeit ist folgende: die Erinnerung an den Holocaust in Frankreich und in Deutschland ist vom jeweiligen nationalen Kontext abhängig. Zu erörtern ist, inwiefern die Erinnerung an den Holocaust von den Machthabern instrumentalisiert wird. Im Rahmen dieser Arbeit gilt es zunächst, die Lage in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu untersuchen, eine Epoche, die durch das Verschweigen der Verbrechen gekennzeichnet war. Anschließend soll die Phase betrachtet werden, in der, wo u.a. Intellektuelle und Politiker angefangen haben, den Holocaust zu thematisieren – wie beispielsweise den berühmten Historikerstreit in Deutschland. Zum Schluss werde ich zeigen, wie die Errichtung nationaler Holocaust-Mahnmale zur Versöhnung beitragen kann.
1. Die unmittelbare Nachkriegszeit: die Mythen der Nationen
Die Ausstellung "Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen"[4], die 2004-2005 im Deutschen Historischen Museum in Berlin stattgefunden hat, hat sich mit der Geschichte der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Europa, in Israel und in den USA beschäftigt. Sie zeigte, dass zunächst nur der Kampf gegen und der Sieg über Deutschland in den anderen Ländern thematisiert wurden. Hingegen wurde die Ermordung der Juden – sogar in Israel - viel weniger behandelt, weil die Opfer sich schämten, so erniedrigt worden zu sein und sich nicht trauten, das Schlimmste zu erzählen. Der Holocaust-Überlebende Arno Lustiger erzählt: „40 Jahre lang habe ich geschwiegen, keinen Ton gesagt, auch meinen Kindern nicht […] Ich war ganz sicher, dass das, was ich erzählen würde, man mir nicht glauben würde, weil solche Dinge noch nie passiert sind in der Geschichte."[5]
1.1 Das Verdrängen in der BRD
Da nicht nur die Täter und Mitläufer, sondern auch die überlebenden Opfer, geschwiegen haben, war die Erinnerung an den Holocaust zunächst in Gefahr. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wiederaufbau Deutschlands hatte in den Augen der Zeitgenossen Vorrang. Rüsen beobachtet dass „das Bewusstsein einer Niederlage, der Kampf mit materieller Not und die Schuldzuweisungen von außen […] vielfach eine Disposition der Erinnerung zur Übernahme und Anerkennung dieser Verstrickung und Schuld als Teil der eigenen Lebensgeschichte [verhinderten].“[6]
Im Rahmen der Demokratisierung und Entnazifizierung Deutschlands wollte man betonen, dass die Epoche des Nationalsozialismus endgültig der Geschichte angehörte. Die Mehrheit des Deutschen wollte sich nicht mehr mit der Zeit vor 1945 identifizieren. Außerdem war das Wirtschaftswunder eine willkommene Ablenkung von der Vergangenheitsbewältigung. Aus diesen beiden Gründen wurde das Thema des Holocausts und des Krieges im Allgemeinen vermieden.
Dies bedeutet aber nicht, dass es überhaupt keine Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg gab. In der damaligen offiziellen Erinnerungskultur gab es zwar keinen Platz für die ermordeten Juden sondern; wohl aber gedachte man öffentlich den Gefallenen beider Weltkriege.
Die Entmilitarisierung Deutschlands war unproblematisch im Vergleich zu der Entnazifizierung. Die Nürnberger Prozesse sind zwar ein sichtbares Beispiel für Entnazifizierung aber viele Historiker sind sich einig, dass innerhalb der deutschen Gesellschaft Kontinuitäten durchaus akzeptiert wurden.
Allgemein kann die Lage bis zum Ende der Sechsziger Jahre als ein Verdrängen der Verbrechen bezeichnet werden. In Deutschland lässt sich Verdrängen dadurch erklären, dass die Deutschen den verlorenen Krieg unbedingt vergessen wollten. Diese Feststellung gilt in einem gewissen Maße auch für Frankreich.
1.2 Der Nachkriegsmythos in Frankreich
Im Jahre 1940 war die Lage katastrophal. Innerhalb weniger Wochen verlor Frankreich den Krieg. Nach der militärischen Niederlage kam Maréchal Pétain an die Macht und die etablierte das so genannte Vichy-Regime mit einer autoritären Verfassung. Obwohl es verschiedene Auffassungen über die Kollaboration gibt, ist es unumstritten, dass die Regierung teilweise freiwillig mit dem Nazi-Regime zusammengearbeitet hat.
General Charles de Gaulle verweigerte sich, diese Niederlage anzuerkennen und floh nach England, wo er die Bewegung des "Freien Frankreichs" schuf. Diese Bewegung bildete die Avantgarde des antifaschistischen Widerstands. Obwohl sie nur von einer Minderheit der Franzosen unterstützt wurde, konnten de Gaulle und seine Mitarbeiter ihre Sicht der Dinge nach dem Krieg offiziell durchsetzten. Diese Legende bestand darin, dass Frankreich im nationalen Widerstand einig war und dass es sich selbst befreit hat. Carrier halt die gaullistische Wahrnehmung von Vichy für eine “anomaly or form of parenthesis in French political tradition, an interpretation that both overestimates the role of resistance and underestimates political, legal and social continuities between Vichy and the republic before and after 1944.”[7] Auf diese Art und Weise wollte die Regierung einen Konsens herstellen und die verschieden Teile der Bevölkerung miteinander versöhnen. Dies schien ihr gelungen zu sein, denn “even for Jews, a successful economic reintegration, coupled with the removal of all anti-Jewish legislation, […] and the persecution of war criminals provided concrete evidence that the four years of Vichy rule had been a violent deviation from a long century and a half of republican commitment to equal Jewish participation in the polity.”[8]
[...]
[1] „Knobloch kritisiert Lehrer“: ein Artikel von Im Internet: http://www.focus.de/wissen/nationalsozialismus_nid_31306.html (18.05.2007)
[2] „Lehrer verteidigen Unterricht zu Holocaust“ Im Internet: http://66.102.9.104/search?q=cache:Xb-qjkwc8A0J:www.lehrerverband.de/holoc.htm+knobloch+holocaust+unterricht&hl=de&ct=clnk&cd=6&gl=de (18.05.2007)
[3] Rüsen, Jörn : Holocaust, Erinnerung, Identität. Drei Formen generationeller Praktiken des Erinnerns. In: Welzer, Harald (Hg): Das soziale Gedächtnis, Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001, S. 243-259.
[4] http://www.dhm.de/ausstellungen/mythen-der-nationen/index.htm (Stand 19.05.2007)
[5] Aus der Sendung Kulturzeit zum Thema : Feld der Erinnerung – Vergessen und Erinnern. Im Internet : http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/specials/79035/index.html (Stand 15.05.07)
[6] Rüsen, Jörn : Holocaust, Erinnerung, Identität. Drei Formen generationeller Praktiken des Erinnerns. In: Welzer, Harald (Hg): Das soziale Gedächtnis, Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001, S. 243-259.
[7] Vgl. Carrier, Peter: Holocaust monuments and National Memory cultures in France and Germany since 1989, New-York 2005
[8] Vgl Mandel, Maud : In the aftermath of genocide, Armenians and Jews in twentieth-century France, Durham, 2003
- Quote paper
- Audrey Houssiere (Author), 2008, Die Unterschiede in der Erinnerung an den Holocaust zwischen der Bundesrepublik Deutschlands und der Französischen Republik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126561
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