'Der Wille zum Wissen' ist der erste Band von 'Sexualität und Wahrheit', in dem sich Foucault mit der Geschichte der Entstehung des Sexualitätsbewusstseins der europäischen Gesellschaft, vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Machverhältnisse, beschäftigt. Im ersten Kapitel dieses Bandes stellt Foucault seine Repressionshypothese vor, um im weiteren Verlauf jene, in diesem Kapitel dargestellten, gesellschaftlichen Sichtweisen der Sexualität zu kritisieren. In dieser kurzen Darstellung wird auf die allgemeine Begrifflichkeit der Repressionshypothese eingegangen und es werden die wesentlichen Kernpunkte dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
I Vorwort
II. Zum Begriff: Repressionshypothese
III. Foucaults Repressionshypothese
Literaturverzeichnis
I. Vorwort
Der Wille zum Wissen ist der erste Band1 von Sexualität und Wahrheit, in dem sich Foucault mit der Geschichte der Entstehung des Sexualitätsbewusstseins der europäischen Gesellschaft, vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Machverhältnisse, beschäftigt. Im ersten Kapitel dieses Bandes stellt Foucault seine Repressionshypothese vor, um im weiteren Verlauf jene, in diesem Kapitel dargestellten, gesellschaftlichen Sichtweisen der Sexualität zu kritisieren. Im Folgenden soll auf die allgemeine Begrifflichkeit der Repressionshypothese eingegangen und die wesentlichen Kernpunkte dargestellt werden.
II. Zum Begriff: Repressionshypothese
Die Repression, aus dem lateinischen repressio – das Zurückdrängen, meint die Unterdrückung von Triebregungen, individueller Entfaltung und individueller Triebäußerungen durch gesellschaftliche Strukturen und Autoritätsverhältnisse.2
An dieser Stelle ist noch wichtig zu erwähnen, dass eine Hypothese eine „zunächst unbewiesene Annahme von Gesetzlichkeiten oder Tatsachen“3 ist. Dementsprechend hat Foucaults Repressionshypothese keinen Anspruch auf Theorie, denn sie wurde bisher weder verifiziert noch falsifiziert.
III. Foucaults Repressionshypothese
Für die Beschreibung seiner Hypothese beginnt Foucault mit dem 17. Jahrhundert, mit dem „ein Zeitalter der Unterdrückung einsetzen“4 sollte und „das wir angeblich immer noch nicht restlos hinter uns gebracht haben“5. Was zuvor noch unabdingbar für die Beichte war – die Beichte bis ins kleinste Detail – wurde in jenem Jahrhundert mit immer größerem Nachdruck zur Diskretion veranlasst. Diskretion zu wahren und eine sorgfältig gefilterte, genau bedachte Sprache zu verwenden, wenn über Sex gesprochen wird, war lange Zeit zuvor lediglich eine Norm der asketischen und monastischen Tradition. „Das 17. Jahrhundert erst hat daraus eine Regel für alle gemacht“.6 Doch durch jene Diskretion, nimmt, laut Foucault, der Diskurs über den Sex unaufhörlich zu; sowohl von Gegnern wie von Befürwortern.
Im 18. Jh. verschärfte sich die Situation. Im Bereich des sexuellen Diskurses wurde analysiert, Buch geführt, klassifiziert und spezifiziert; der Sex rückte ins Zentrum von Politik, Ökonomie und Technik. Aus der moralischen Abhandlung im 17. Jh., wurde es im 18. und 19. Jh. notwendig, den Diskurs über den Sex rational zu gestalten. Foucault beschreibt dies als die „Polizei des Sexes: [...] die Notwendigkeit, den Sex durch nützliche und öffentliche Diskurse zu regeln“7. Das sexuelle Verhalten der Bevölkerung wurde im Zuge der Diskurse8 zum Gegenstand der öffentlichen Gewalt. Der Mensch, als staatliche Ressource, vergrößert einerseits durch den Sex die Prokopfzahl der Bevölkerung und der Arbeitskräfte, andererseits erlebt er durch die Auslebung seines Sexes die für den Staat notwendige Zufriedenheit. So wurde der Sex zu einem nützlichen Mittel für Eingriffe in die Gesellschaft.
Besonders der eheliche Sex stand „unter erhöhter Überwachung“9, während andere Sex-formen noch weitgehend frei von Diskursivierung 10 waren. Bis zum Ende des 18. Jh. gab es aus strafrechtlicher Sicht „keine klare Unterscheidung zwischen Verstößen gegen die Regeln der Ehe und Abweichungen von der Genitalität“11, beides galt als verdammungswürdig.
Mit dem Ende des 18. und Anfang des 19. Jh. bekam der ordentliche Sex der Ehe nun einen Anspruch darauf, im Privatbereich der Eheleute bleiben zu dürfen. Stattdessen rückte der Sex der Kinder, der Irren und Kriminellen, der Homosexuellen und jener mit Träumereien und Zwangsvorstellungen in den Vordergrund. Ärzte, Pädagogen, Lehrer und Eltern sprachen vom widernatürlichen Sex und belagerten ihn mit Ratschlägen, Vorschriften und medizinischen Anweisungen. Jene „sozialen Kontrollen [...] suchen zu schützen, zu trennen und vorzubeugen, sie signalisieren überall Gefahren [und] rufen zur Wachsamkeit [auf]“12. So zum Beispiel wurde der kindliche Sex vom gesellschaftlichen Diskurs als Gefahr dargestellt, vor der das Kind zu schützen galt. Doch im Gegensatz räumte er dem Kind genügend Schlupflöcher ein, sich still und heimlich zurückzuziehen und, angereizt durch seine (durch Verbote und Anstandsregeln erhöhte) Neugier, die Geheimnisse des Sexes zu erkunden. Durch jene Diskurse traten aus strafrechtlicher Sicht, neben dem Ehebruch und andersartiger Lüste, neue Sexformen auf, welche die Notwendigkeit auf den Plan riefen, Strafen zu unterscheiden.
[...]
1 Der zweite Band „Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2.“ und der dritte Band „Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3.“ erschienen jeweils 1989 in Deutschland.
2 Vgl. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2000, S.1165.
3 Ebd., S. 589.
4 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt/Main 1983, S. 27.
5 Ebd.
6 Ebd., S. 31
7 Ebd., S. 37.
8 Im Laufe der Jahrhunderte verändert sich die Form des sexuellen Diskurses. Durch die verschiedenartigen Diskurse, kann nicht mehr nur von einem Diskurs gesprochen werden; vielmehr von unzähligen Diskursen. (vgl. ebd., S. 47).
9 Ebd., S. 51.
10 Die von Foucault geprägte „Diskursivierung“ meint die verstärkte Bearbeitung eines bestimmten Themas durch verschiedenste Diskurse in der Gesellschaft.
11 Ebd., S. 52.
Häufig gestellte Fragen
Was ist "Der Wille zum Wissen" von Michel Foucault?
"Der Wille zum Wissen" ist der erste Band von Foucaults Werk "Sexualität und Wahrheit", in dem er die Entstehung des Sexualitätsbewusstseins in der europäischen Gesellschaft im Kontext sich verändernder Machtverhältnisse untersucht.
Was ist die Repressionshypothese nach Foucault?
Foucault stellt in diesem Buch seine Repressionshypothese vor, um gesellschaftliche Sichtweisen der Sexualität zu kritisieren. Die Repressionshypothese geht davon aus, dass Triebregungen und individuelle Entfaltung durch gesellschaftliche Strukturen und Autoritätsverhältnisse unterdrückt werden.
Was bedeutet Repression im Kontext von Foucaults Hypothese?
Repression, abgeleitet von lateinisch "repressio" (das Zurückdrängen), bezieht sich auf die Unterdrückung von Triebregungen und individueller Äußerungen durch gesellschaftliche Strukturen und Autoritäten.
Ist Foucaults Repressionshypothese eine bestätigte Theorie?
Nein, es ist wichtig zu beachten, dass Foucaults Repressionshypothese eine "zunächst unbewiesene Annahme" ist, weder verifiziert noch falsifiziert, und somit keinen Anspruch auf Theorie erhebt.
Wie datiert Foucault den Beginn der Unterdrückung im sexuellen Bereich?
Foucault datiert den Beginn einer vermeintlichen Unterdrückung der Sexualität auf das 17. Jahrhundert, ein Zeitalter, das seiner Ansicht nach noch nicht vollständig überwunden ist.
Welche Veränderung fand im 17. Jahrhundert bezüglich des Diskurses über Sex statt?
Im 17. Jahrhundert wurde Diskretion zur Regel für alle gemacht, während zuvor detaillierte Beichten üblich waren. Trotz dieser Diskretion nahm der Diskurs über Sex laut Foucault zu.
Wie veränderte sich die Situation im 18. Jahrhundert?
Im 18. Jahrhundert wurde der sexuelle Diskurs analysiert, klassifiziert und spezifiziert. Sex wurde ins Zentrum von Politik, Ökonomie und Technik gerückt, was Foucault als "Polizei des Sexes" bezeichnet.
Was versteht Foucault unter der "Polizei des Sexes"?
Die "Polizei des Sexes" beschreibt die Notwendigkeit, Sex durch nützliche und öffentliche Diskurse zu regeln, wobei das sexuelle Verhalten der Bevölkerung zum Gegenstand öffentlicher Gewalt wurde.
Wie wurde Sex zu einem Mittel für staatliche Eingriffe in die Gesellschaft?
Sex wurde als Ressource betrachtet, die zur Vergrößerung der Bevölkerung und der Arbeitskräfte beiträgt, gleichzeitig aber auch zur Zufriedenheit der Bürger beiträgt. Somit wurde er zu einem Werkzeug für staatliche Eingriffe.
Welchen Sex betrachtete man unter erhöhter Überwachung?
Besonders der eheliche Sex stand unter erhöhter Überwachung, während andere Formen sexuellen Verhaltens weitgehend frei von Diskursivierung waren.
Wie veränderte sich der Fokus auf sexuelle Praktiken im 19. Jahrhundert?
Im 19. Jahrhundert rückte der Sex von Kindern, Irren, Kriminellen und Homosexuellen in den Vordergrund, während der eheliche Sex als privater Bereich betrachtet wurde.
Wie wurde der kindliche Sex im gesellschaftlichen Diskurs dargestellt?
Der kindliche Sex wurde als Gefahr dargestellt, vor der das Kind geschützt werden musste, was paradoxerweise die Neugier des Kindes weckte, die Geheimnisse des Sex zu erkunden.
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- Manon A. Priewisch (Author), 2008, Die Repressionshypothese von Michel Foucault, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126114