Automatisierung, durch welche Maschinen Menschen als Arbeitskräfte ersetzen; ein Staat, der aufgrund seiner Struktur den Herausforderungen der Dritten Industriellen Revolution nicht gewachsen sein wird; ökonomische und soziale Instabilität in einer Welt wachsender Gegensätze – das ist das Szenario, welches der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin in seinem 2004 als aktualisierte Neuauflage erschienenen Buch „Das Ende der Arbeit (und ihre Zukunft)“ beschreibt. Der globalisierungskritische Autor prophezeit eine arbeits-lose Zukunft (sic!), in welcher die Rolle des Individuums in der Gesellschaft neu definiert werden muss. Dem Zerfall sozialer Netzwerke in einer auf einem extremen Marktkapitalismus basierenden Welt setzt Rifkin seine Idee des Dritten Sektors entgegen. Der Staat soll die im Zuge von Massenarbeitslosigkeit freiwerdende Arbeitskraft in diesem Dritten Sektor sinnvoll beschäftigen und so den Übergang in eine neue Ära schaffen. Dabei sieht Rifkin den Dritten Sektor als das kulturelle Leben der Gesellschaft – ein Ort der Bildung und Wissenschaften, des Sports und der Erholung, der Kunst und Religion, aber auch der Rechtshilfe und des Gesundheitswesens. In „Das Ende der Arbeit“ wird Adam Smiths Theorie des Markt-Kapitalismus widersprochen, da Rifkin die Befriedigung des individuellen Interesses aus dem Einsatz eines jeden Menschen für das Gemeinwohl erwachsen sieht. Im folgenden Essay soll an einem konkreten Beispiel untersucht werden, inwiefern in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits auf die Herausforderungen dieser ökonomischen Transformation reagiert wurde. Herangezogen werden hierfür die Faith-Based Organizations (FBOs). Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Dritten Sektor und diesen religiösen Wohlfahrtsorganisationen sollen herausgestellt und die Rolle der FBOs im schwachen sozialen Netz der USA analysiert werden. Dabei wird die These vertreten, dass trotz der Übereinstimmungen beider Konzepte die FBOs durch praktische Anforderungen nicht dem Idealbild entsprechen, welches Rifkin für seinen Dritten Sektor zeichnet. Sie sind stattdessen in der amerikanischen Zivilgesellschaft verwurzelte, zeitgemäße und zuverlässige, aber eben auch zwingend notwendige Einrichtungen im amerikanischen Wohlfahrtsstaat, der sehr deutlich an den Prinzipien der Marktwirtschaft und des amerikanischen Kapitalismus festhält.
Inhaltsverzeichnis:
„Das Ende der Arbeit“: Rifkins Vision einer arbeits-losen Zukunft
Das System der staatlichen Finanzunterstützung der Faith-Based Organizations
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Rifkins Konzept und den FBOs
Die Zivilgesellschaft bei Tocqueville
American Exceptionalism und das Spannungsverhältnis zwischen Bürger und Staat
Kommunitarismus als Gegenkonzept zum amerikanischen Liberalismus
Sozialkapital in Theorie und Praxis
Theorie versus Praxis: Die Bedeutung und Risiken der FBOs
Schlussfolgerung: FBOs als traditionelle, praxisorientierte Umsetzung von Rifkins Vorstellungen
Quellen
Name: Renard Teipelke
Abgabedatum: 15.03.2009
Faith-Based Organizations und Jeremy Rifkins Dritter Sektor
„Das Ende der Arbeit“: Rifkins Vision einer arbeits-losen Zukunft
Automatisierung, durch welche Maschinen Menschen als Arbeitskräfte ersetzen; ein Staat, der aufgrund seiner Struktur den Herausforderungen der Dritten Industriellen Revolution nicht gewachsen sein wird; ökonomische und soziale Instabilität in einer Welt wachsender Gegensätze – das ist das Szenario, welches der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin in seinem 2004 als aktualisierte Neuauflage erschienenen Buch „Das Ende der Arbeit (und ihre Zukunft)“ beschreibt[1]. Der globalisierungskritische Autor prophezeit eine arbeits-lose Zukunft (sic!), in welcher die Rolle des Individuums in der Gesellschaft neu definiert werden muss. Dem Zerfall sozialer Netzwerke in einer auf einem extremen Marktkapitalismus basierenden Welt setzt Rifkin seine Idee des Dritten Sektors entgegen. Der Staat soll die im Zuge von Massenarbeitslosigkeit freiwerdende Arbeitskraft in diesem Dritten Sektor sinnvoll beschäftigen und so den Übergang in eine neue Ära schaffen. Dabei sieht Rifkin den Dritten Sektor als das kulturelle Leben der Gesellschaft – ein Ort der Bildung und Wissenschaften, des Sports und der Erholung, der Kunst und Religion, aber auch der Rechtshilfe und des Gesundheitswesens[2]. In „Das Ende der Arbeit“ wird Adam Smiths Theorie des Markt-Kapitalismus widersprochen, da Rifkin die Befriedigung des individuellen Interesses aus dem Einsatz eines jeden Menschen für das Gemeinwohl erwachsen sieht[3].
Das System der staatlichen Finanzunterstützung der Faith-Based Organizations
Im folgenden Essay soll an einem konkreten Beispiel untersucht werden, inwiefern in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits auf die Herausforderungen dieser ökonomischen Transformation reagiert wurde. Herangezogen werden hierfür die Faith-Based Organizations (FBOs). Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Dritten Sektor und diesen religiösen Wohlfahrtsorganisationen sollen herausgestellt und die Rolle der FBOs im schwachen sozialen Netz der USA analysiert werden. Dabei wird die These vertreten, dass trotz der Übereinstimmungen beider Konzepte die FBOs durch praktische Anforderungen nicht dem Idealbild entsprechen, welches Rifkin für seinen Dritten Sektor zeichnet. Sie sind stattdessen in der amerikanischen Zivilgesellschaft verwurzelte, zeitgemäße und zuverlässige, aber eben auch zwingend notwendige Einrichtungen im amerikanischen Wohlfahrtsstaat, der sehr deutlich an den Prinzipien der Marktwirtschaft und des amerikanischen Kapitalismus festhält.
Ihre Rolle in der öffentlichen Diskussion haben die FBOs dabei vor allem den Executive Orders 13198 und 13199 des ehemaligen Präsidenten George W. Bush zu verdanken, der mit der Einrichtung eines White House Office of Faith-Based and Community Initiatives den religiösen Wohlfahrtsorganisationen ermöglichte, Sozialdienste von staatlicher Seite finanziell fördern zu lassen[4]. Mit dem mittlerweile umbenannten White House Office of Faith-Based and Neighborhood Partnerships und seinen fünf Centern (unter anderem im U.S. Department of Labor) versuchte die Regierung in Washington auf die zusätzlichen Lücken im sozialen Netz, die im Zuge der Welfare Reform von 1996 entstanden waren, zu reagieren[5]. Konkret wurde die Section 104 mit der „Charitable Choice“-Bestimmung heftig diskutiert. Dabei ging es um direkte Gelder des Staates an religiöse Organisationen zur Unterstützung sozialer Dienste[6]. In der Debatte um die Reform standen sich auf bundespolitischer Ebene zwei Interessengruppierungen gegenüber: Die Konservativen unterstützten die Reform und forderten gleiche Fördergelder für alle Wohlfahrtsdienstleister. Liberale Kräfte befürchteten dahingegen eine Koordinatenverschiebung, bei der eine strikte Trennung von Staat und Kirche nicht mehr gewährleistet sei. Auf regionaler Ebene unterstützten im Gegensatz dazu aber vor allem liberale Wohlfahrtsverbände die Reform, weil sie stärker auf staatliche Gelder angewiesen sind und so aus ihrer bisherigen Erfahrung mit den staatlichen Antragsprozeduren profitieren konnten, während sich konservative Organisationen kaum für staatliche Gelder bewarben, sondern ihre Arbeit stark auf Spendenbasis stützten[7].
Kritiker wie Theocracy Watch sprachen davon, dass „our country is experiencing a major transformation from a secular to a religious government“ und kritisierten die Diskriminierung bei der Arbeitnehmeranstellung, die dem Civil Rights Act von 1964 widerspricht[8]. Die Regierung konnte das Programm dennoch nachhaltig durchsetzen, weil es an die staatliche Mittelvergabe Bedingungen für die FBOs knüpfte: So durften die Mittel nicht für direkte kirchliche Aktionen verwendet werden. Kirchliche und soziale Dienste mussten zeitlich oder örtlich getrennt voneinander angeboten werden. Außerdem war eine Diskriminierung zwischen den Hilfesuchenden nicht erlaubt. Entscheidend bei der Reform war vor allem, dass die FBOs religiöse Symbole nicht mehr verbergen mussten[9].
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Rifkins Konzept und den FBOs
Folgt man dieser Beschreibung, so fällt es schwer, sich Gemeinsamkeiten zwischen religiösen Wohlfahrtsorganisationen und den Ideen Rifkins von einem Dritten Sektors vorzustellen. Dennoch lassen sich gleiche Aufgaben finden. Sowohl Rifkin als auch das System der FBOs greifen auf die Rolle des Staates als Unterstützer des Wohlfahrtssektors zurück. Das Engagement im Dritten Sektor wird mit Steuererleichterungen und Steuerumschichtungen gefördert. Die FBOs übernehmen die Rolle seelisch-moralischer Hilfe, die auch Rifkin in einer kapitalistischen Welt einfordert[10]. Der Dritte Sektor fungiert als soziales Rückzugsgebiet und die Organisationen fördern das Erlernen demokratischer Werte und Normen – zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuung oder Jugendprogrammen. Die FBOs sind ein Element bei der Integration von sozial schwächeren Menschen und mit ihrer lokalen Verankerung, die auch Rifkin als Grundlage einer effektiven Hilfe beschreibt, erreichen sie alle Bürger[11]. Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl Rifkins Visionen des Dritten Sektors als auch die FBOs auf eine Idee des Gemeinschaftsgeistes zurückgeführt werden können. Beide Konzepte sind Reaktionen auf die von ihm beschriebene, ökonomische Transformation.
[...]
[1] Rifkin, Jeremy. Das Ende der Arbeit (und ihre Zukunft). Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert. Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt a.M. 2005.
[2] Ebd., S. 193 ff.
[3] Ebd., S. 39
[4] National Archives and Record Administrations. Executive Orders 13198 & 13199. 2001. In: http://www.archives.gov/federal-register/executive-orders/2001-wbush.html. [05.02.2009].
[5] Pipes, Paula F./ Ebaugh, Helen Rose. Faith-Based Coalitions, Social Services, and Government Funding. Sociology of Relgiion 2002, 63: 1. S. 64
[6] Chaves, Mark. Religious Congregations and Welfare Reform. Society Jan./ Feb 2001. S. 21
[7] Ebd. S. 25 f.; Ebaugh, Helen Rose et al.. Where’s the Religion? Distinguishing Faith-Based from Secular Social Service Agencies. Journal for the Scientific Study of Religion 2003, 42: 3. S. 417 ff.
[8] Theocracy Watch. Faith-Based Initiative. 2006. In: http://www.theocracywatch.org/faith_base.htm. [05.03.2009] Siehe Anm. 5, S. 53
[9] Siehe Anm. 5, S. 53
[10] Siehe Anm. 1, S. 198 ff.
[11] Ebd., S. 197
Ebaugh, Helen Rose et al.. Where’s the Religion? Distinguishing Faith-Based from Secular Social Service Agencies. Journal for the Scientific Study of Religion 2003, 42: 3. S. 222 f.
- Quote paper
- Renard Teipelke (Author), 2009, Faith-Based Organizations und Jeremy Rifkins Dritter Sektor, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125981
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