Erziehung zu Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit

Was macht stationäre Jugendhilfe erfolgreich?


Bachelorarbeit, 2008

77 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Qualität in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
2.1 Erziehungshilfe aus unterschiedlichen Perspektiven
2.2 Überprüfen von Wirkungen

3. Untersuchung ausgewählter Studien
3.1 Baur et al. 2002: Leistungen und Grenzen von Heimerziehung
3.1.1 Ergebnisse der Studie
3.1.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.2 Schmidt et al. 2002: Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe
3.2.1 Ergebnisse der Studie
3.2.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.3 Klein et al. 2003: Die Kinderdorf-Effekte-Studie
3.3.1 Ergebnisse der Studie
3.3.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.4 Kufeldt; Simard; Vachon 2000: Looking after Children in Canada
3.4.1 Ergebnisse der Studie
3.4.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.5 Barber; Delfabbro 2004: Children in Foster Care
3.5.1 Ergebnisse der Studie
3.5.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.6 Hartnett; Bruhn 2006: The Illinois Children Well-Being Study
3.6.1 Ergebnisse der Studie
3.6.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.7 Kurz-Adam 2001: Umbau statt Ausbau
3.7.1 Ergebnisse der Studie
3.7.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.8 ÜBBZ 2000: Würzburger Jugendhilfe-Evaluationsstudie
3.8.1 Ergebnisse der Studie
3.8.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.9 Macsenaere; Hermann 2004: Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS)
3.9.1 Ergebnisse der Studie
3.9.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.10 Hansen 1994: Die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in Erziehungsheimen
3.10.1 Ergebnisse der Studie
3.10.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.11 Lambers 1996: Heimerziehung als kritisches Lebensereignis
3.11.1 Ergebnisse der Studie
3.11.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.12 Walter Gehres 1997: Das zweite Zuhause
3.12.1 Ergebnisse der Studie
3.12.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.13 Normann 2003: Erfahrungsprozesse in institutioneller Erziehung
3.13.1 Ergebnisse der Studie
3.13.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.14 Osborn; Delfabbro 2006: National Comparative Study for Children and Young People with High Support Needs in Australian Out-of-Home Care
3.14.1 Ergebnisse der Studie
3.14.2 Kriterien für gelingende Hilfen
3.15 IFCO; FICE; SOS-Kinderdorf 2007: Quality4Children
3.15.1 Ergebnisse der Studie
3.14.2 Kriterien für gelingende Hilfen

4. Aspekte gelingender Hilfen
4.1 Beteiligung
4.2 Elternarbeit
4.2 Hilfebeendigung und Vorbereitung auf Selbständigkeit
4.4 Prozessqualität in der Jugendhilfeeinrichtung

5. Schlussfolgerung

ANHANG: Tabellarische Zusammenfassung

LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Anna

Die 9jährige Anna fällt in der Schule durch ihr Verhalten auf, vor allem durch Aggressivität, Wutausbrüche und Stören des Unterrichts. Das benachrichtigte Jugendamt stellt eine Vernachlässigung und Verwahrlosung des Kindes fest. Die mit dem Fall beauftragte Jugendamtsmitarbeiterin spricht mit der Mutter, um Möglichkeiten der Unterstützung zu klären. Der Vater ist unbekannt verzogen. Eine Kooperation der Mutter mit den JugendamtsmitarbeiterInnen ist schwierig, da sie weitere Gespräche oft verweigert und außerdem durch ihren Job als Fernfahrerin häufig nicht erreichbar ist. Anna wird zunächst in einer Pflegefamilie untergebracht, in der sie, wie sich nachträglich herausstellt, vermutlich missbraucht wird. Sie kommt dann in ein Heim, wo sie heute, mit 17 Jahren, noch lebt. Anna zeigt Auffälligkeiten vor allem im Bindungs- und Sozialverhalten, was häufig in grenzüberschreitendem Verhalten gegenüber anderen eskaliert. Die Situation zwischen der Mutter und dem Jugendamt wird im Verlauf der Hilfe angespannter, da die Mutter sich durch die zuständige Mitarbeiterin bevormundet fühlt. Sie meldet sich nur sehr selten bei ihrer Tochter. Schließlich werden der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Personensorgerecht für das Kind entzogen. Anna leidet sehr unter dem unregelmäßigen Kontakt mit ihrer Mutter.

Diese ist oft viele Wochen lang für ihre Tochter nicht erreichbar, selten kommt ein Besuch zustande, der aber meist problematisch verläuft. Kontakt der Mutter mit Jugendamts- und HeimmitarbeiterInnen findet kaum mehr statt, da sie sagt, das Jugendamt habe ihr ihre Tochter weggenommen.

Anna habe ich im Rahmen meines Praxissemesters in einer Jugendhilfeeinrichtung kennengelernt. Durch gute pädagogische und therapeutische Unterstützung ist sie heute soweit, dass für sie ein eigenverantwortliches Leben vorstellbar wird, jedoch wird Anna in jedem Fall noch viel Unterstützung für den Schritt in die Selbständigkeit brauchen.

Besonders Annas Schwierigkeit im Umgang mit Beziehungen wirft einige Fragen auf, sowohl im Blick auf die Vergangenheit als auch im Blick auf Annas Zukunft. So kann hier fachliches Handeln von Seiten der Jugendhilfe im Hilfezuweisungsprozess und später während der Unterbringung in der Pflegefamilie kritisch hinterfragt werden, weiter ist zu fragen, inwieweit die Entwicklung Annas nach der Hilfe stabil bleiben kann ohne ausreichende soziale und familiäre Einbindung und welche Schritte notwendig sind, eine Stabilität nach der Hilfe zu gewährleisten.

Die zum Teil äußerst schwierigen Lebenssituationen von Jugendlichen wie Anna in einer Heimsituation machen die Notwendigkeit deutlich, Wirkungen von Jugendhilfemaßnahmen zu überprüfen, um sie optimieren zu können.

„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§1 Abs.1 SGB VIII). Sobald die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie eines jungen Menschen dieses im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) bestimmte Recht nicht ausreichend ermöglichen können, ist es Aufgabe des Staates, in Form von erzieherischen Hilfen hier unterstützend zu wirken.

Den umfassendsten Eingriff in die Lebenssituation von Eltern und Kindern stellen die stationären Hilfen zur Erziehung nach Paragraf 34 des KJHG dar. Diese Hilfen sind sehr kostenintensiv, auch im Vergleich mit ambulanten Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe. Gleichzeitig werden laut Jugendhilfe-Effekte-Studie (SCHMIDT et al. 2002) mehr als ein Viertel dieser Hilfen vorzeitig abgebrochen. Hier stellt sich die Frage sowohl nach der Effektivität stationärer Erziehungshilfe als auch nach passgenauen Hilfezuweisungen und somit auch die Frage nach einer wirkungsorientierten und evaluationsbasierten Gestaltung von Hilfen. „Denn eine Maßnahme, die nicht wirksam ist, ist – unabhängig davon, wie viel sie kostet – eine teure Maßnahme. Dabei geht es (. . .) auch um die Zeit, die Arbeitskraft und das Engagement in der Regel gut ausgebildeter, kompetenter Professioneller“ (SCHRÖDTER; ZIEGLER 2007: 5). Die Erziehung eines jungen Menschen zielt auf die Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit, sichtbar werden dabei Entwicklungsmerkmale, die in gewisser Weise subjektiv beobachtet und wahrgenommen werden. Ist es somit überhaupt möglich, allgemeingültige Kriterien für Effektivität und Erfolg von Erziehung durch die Jugendhilfe aufzustellen?

Wenn man als übergreifendes Ziel der Jugendhilfe benennt die

„Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit“ eines jungen Menschen, so lässt dies immer noch - je nach Perspektive - unterschiedliche Auffassungen von Erfolg einer Maßnahme zu. Für die Gesellschaft etwa stehen im Vordergrund normative Gesichtspunkte, Fachkräfte der Jugendhilfe orientieren sich an Zielen wie der Reduzierung von Verhaltensauffälligkeiten der jungen Menschen und dem Ausgleich von Defiziten, betroffene Eltern können sich wünschen eine Entlastung ihrer eigenen Situation sowie neue Möglichkeiten des Umgangs mit ihrem Kind. Die Kinder und Jugendlichen selber messen den Nutzen einer Hilfe eher am individuellen Erleben ihrer Lebenssituation und der unterstützenden Wertschätzung durch Beziehungen. Jede dieser Sichtweisen hat ihre Berechtigung, der Versuch also, stationäre Erziehungshilfen auf Wirksamkeit zu überprüfen, kann erst ein ganzheitliches Bild ergeben unter Einbeziehung der unterschiedlichen Erwartungen an eine Hilfe.

Mehrere Studien mit unterschiedlichen Ansatzpunkten und Zielsetzungen haben Wirkungen erzieherischer Hilfen untersucht, indem der Entwicklungsverlauf eines jungen Menschen während einer Jugendhilfemaßnahme in Zusammenhang mit bestimmten Einflussfaktoren sichtbar gemacht wurde.

Ziel meiner Arbeit ist es, durch Analyse dieser Wirksamkeitsstudien aufzuzeigen, welche Bedingungen für das Gelingen einer stationären Erziehungshilfe förderlich sind mit Blick auf die Indikation der Hilfezuweisung und die Gestaltung einer Hilfemaßnahme.

Hintergrund dieser Zielsetzung ist das Anliegen des Jugendamtes Ravensburg, Hilfezuweisungen und –prozesse zu optimieren, indem auf der Grundlage bisheriger Erhebungen eine langfristig angelegte eigene Studie Aufschluss geben soll über Faktoren gelingender und nicht gelingender Hilfen. Geplant ist eine Längsschnittuntersuchung unter Einbeziehung der AdressatInnenperspektive, die sowohl zu Beginn und während der Hilfe im Zusammenhang mit Hilfeplangesprächen als auch nach Hilfebeendigung durchgeführt werden soll.

Die vorliegende Arbeit will somit relevante Wirkfaktoren in der stationären Erziehungshilfe anhand ausgewählter Studien identifizieren als Grundlage für die Erstellung von Fragebögen durch das Jugendamt Ravensburg, die in überschaubarer Weise Erfolgs- oder Misserfolgsaspekte einer Hilfe beleuchten können.

2. Qualität in der stationären Kinder- und Jugendhilfe

„Mit dem Begriff der Lebensqualität werden zwei Interessenfelder verknüpft – der Wunsch der jungen Menschen nach erfülltem Leben und der Anspruch der Organisation, dies auf einem gesellschaftlichen, in die Zukunft gerichteten Niveau zu fördern und abzusichern“(MÜNSTERMANN 1999: 26).

Stationäre Erziehungshilfe nach Paragraf 34 des KJHG umfasst unterschiedliche Betreuungsformen wie Wohngruppen in Heimen, professionelle Erziehungsstellen in Familien, Betreutes Wohnen oder Kinderdorffamilien. So liegen allein durch die verschiedenen strukturellen Ausgangsbedingungen verschiedene Einflussfaktoren einer Hilfe vor, die es schwierig und umfangreich machen, Qualität der Maßnahmen in vergleichender Weise zu betrachten. Die vorliegende Arbeit wird sich darum schwerpunktmäßig mit Heimerziehung befassen, mit Ausnahme einiger vor allem englischsprachiger Studien, die auch auf Erziehungsstellen und Pflegefamilien fokussieren.

Die Durchführung stationärer Erziehungshilfen wird finanziell ermöglicht durch die Entgelte der öffentlichen Träger. Voraussetzung hierfür sind nach §78b SGB VIII drei Vereinbarungen, die zwischen der leistungserbringenden Einrichtung und dem Jugendamt als öffentlichem Träger geschlossen werden:Leistungsvereinbarungen,die Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen beinhalten,EntgeltvereinbarungensowieQualitätsentwicklungsvereinbarungenüber die „Grundsätze und Maßstäbe für die Qualität der Leistungsangebote sowie über geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung“ (§78b Abs.1 Nr.3 SGB VIII). Dies beinhaltet eine gegenseitige Verpflichtung von Leistungserbringer und Leistungsträger, Qualität der Erziehungshilfen zu entwickeln und sicher zu stellen. Hierbei ist es nicht ausreichend, Aufwand und Leistungsumfang einer Maßnahme in den Blick zu nehmen, Qualität zeigt sich vielmehr in den Wirkungen stationärer Erziehungshilfe, das heißt im positiven Sinne im intendierten Ergebnis (STRUZYNA 2007: 7).

Qualität ist zu verstehen als „das Ergebnis eines Prozesses, nämlich der Übereinstimmung zwischen Erwartungen hinsichtlich der Leistungen und der tatsächlich erbrachten Dienstleistung“ (MÜNSTERMANN 1999: 23). Um zu einer Definition von Qualität stationärer Erziehungshilfen zu gelangen, bedeutet dies also, dass zunächst Erwartungen an die Hilfe geklärt und somit Ziele bestimmt werden müssen, um diese im Blick auf ihre Erreichbarkeit während einer Hilfemaßnahme zu betrachten. Hier wird schon die Schwierigkeit der Komplexität sichtbar: so etwa sind es auf unterschiedliche Weise Betroffene, die ihre Erwartungen an eine Hilfe formulieren, ebenso hat man es mit unterschiedlichen strukturellen Bedingungen der Einrichtungen zu tun sowie mit sich verändernden Problemlagen.

Im Folgenden soll versucht werden, einige Aspekte von Qualität und Wirkungen der Erziehungshilfen näher anzuschauen.

2.1 Erziehungshilfe aus unterschiedlichen Perspektiven

„Die Auswahl der Wirkungskriterien und die Interpretation der Ergebnisse sind zwingend an die Perspektive der Betrachtung gebunden“(GABRIEL 2007: 15).

„Qualität als Maßstab für mehr oder weniger erfüllte Anforderungen“ (GERULL 2007:

259) muss versuchen, den Ansprüchen von Jugendhilfe Betroffener gerecht zu werden. Diese Erwartungen unterscheiden sich je nach Perspektive. Die Perspektiven müssen sichtbar gemacht und reflektiert werden, um zu einer Zieldefinition gelingender Erziehungshilfe zu gelangen.

Im weitesten Sinne von Jugendhilfe betroffen ist die Öffentlichkeit, d.h. die Gesellschaft. Hier ist das Anliegen erfolgreicher Heimerziehung begründet durch die Finanzierung der Jugendhilfe mit öffentlichen Geldern und durch die „gesellschaftliche Funktion von Heimerziehung und ... (die) Funktionsweise sozialer Kontrolle“ (GABRIEL 2007: 15). Im Vordergrund steht dabei die Forderung nach einer Erziehung, die junge Menschen sozusagen „passend macht“ für die Gesellschaft, dies beinhaltet vor allem die Einhaltung von Normen und Gesetzen, d. h. die Anpassung an aktuell gesellschaftlich erwünschte Normalität. Dass hier von der Jugendhilfe etwa als grundlegendes Ziel anerkannt werden muss, delinquentes Verhalten von jungen Menschen abzubauen zum Schutz der Gesellschaft, darin herrscht Übereinstimmung.

Die Frage kann hier gestellt werden, ob gesellschaftliche Wert- und Moralvorstellungen, die geprägt sind von Wandel und vom Einfluss beispielsweise der Medien, eine Basis und ein Ziel für Erziehungshilfen darstellen müssen, um ein konformes Verhalten hervorzubringen, oder ob nicht vielmehr die Entwicklung der jungen Menschen hin zu ihren individuellen Fähigkeiten und zu seelischer Gesundheit oberstes Ziel der Jugendhilfe sein soll und so eine Integration in die Gesellschaft in selbstbestimmter Weise vollzogen werden kann.

Die Perspektiven öffentlicher und freier Träger haben aufgrund ihrer professionellen Verantwortung den größten Einfluss auf die Zielrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Als übergeordnete Ziele der Fremdunterbringung werden in Paragraf 34 des KJHG formuliert die Rückführung des jungen Menschen in die Herkunftsfamilie, die Verselbständigung oder die Schaffung eines Betreuungsverhältnisses auf Dauer. Als Leitidee stehen hinter der Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe die im KJHG formulierten Grundsätze von Befähigung, Partizipation und Lebensweltorientierung (z. B. §§1, 8, 9 SGB VIII). Die unterschiedlichen Aufgaben von Einrichtung und Jugendamt geben unterschiedliche Schwerpunkte in der Umsetzung dieser Ziele vor.

GERULL (2007: 266) formuliert hier „eine komplementäre Aufgabenverteilung zwischen Jugendämtern und Einrichtungen (...) – hier Steuerung und Gewährleistung, Fallmanagement und Controlling, da fachliche Leistungserstellung zu wettbewerbsfähigen Preisen“. Diese etwas streng formulierte Einteilung macht deutlich, dass selbst der fachliche Blick auf unterschiedliche Ziele fokussieren kann. Die öffentlichen Träger haben den Gesamtüberblick über einen Fall, die Verantwortung in der Zuweisung der passenden Hilfe sowie die finanzielle Verantwortung. Die vorrangige Erwartung, die ein Jugendamt an die Qualität der erzieherischen Hilfe stellt, könnte man als Effizienz, das heißt als ausgeglichenes Kosten-Nutzen-Verhältnis, bezeichnen. Nutzen einer Hilfe, aus Sicht des Jugendamtes formuliert, zeigt sich in erster Linie an der Erreichung von Hilfeplanzielen sowie einer planmäßigen Beendigung einer Hilfe. Fachkräfte der freien Träger bemessen ihre Ziele eher am sichtbaren Erfolg der eigenen Arbeit. Erwartungen betreffen hier also vor allem die Einhaltung fachlicher Standards bei der Durchführung einer Hilfe sowie die strukturellen Bedingungen hierfür und daraus folgend die positiven Ergebnisse einer professionellen Intervention.

Die Sicht der betroffenen Eltern und Familien auf Jugendhilfemaßnahmen ist zunächst geprägt von unterschiedlichen Ausgangslagen. Wenn es im Hilfe(zuweisungs)prozess gelingt, dass Eltern die Jugendhilfemaßnahme als Unterstützung anerkennen und somit ein Veränderungsbedarf in der Situation mit dem Kind eingestanden wird, dann können Aspekte wie Entlastung der eigenen Überforderungssituation, Verbesserung der Beziehung zum Kind und Verbesserung von Erziehungsschwierigkeiten als Erwartung formuliert werden. Qualität der Erziehungshilfe muss unter diesen Aspekten sich nicht nur auf das Kind, sondern auch auf die Eltern beziehen, das heißt also, auf die Gesamtsituation der Familie.

Die betroffenen jungen Menschen selber wollen sich vor allem in einem Heim wohlfühlen. Ihnen ist in dieser „Familienersatzsituation auf Zeit“ wichtig, dass sie Bezugspersonen haben und dass sie sich wertgeschätzt und ernst genommen fühlen. Für viele Kinder und Jugendliche hat die Unterstützung ihrer schulischen und beruflichen Situation einen hohen Stellenwert. Dies kommt besonders im Rückblick auf die erfahrene Hilfe zum Ausdruck, wenn junge Menschen bewerten, was die Unterstützung der Jugendhilfe ihnen für ihre aktuelle Lebenssituation gebracht hat. Qualität der Jugendhilfe aus Sicht der betroffenen jungen Menschen lässt sich demnach zu einem wichtigen Teil auch an der Lebenssituation und der Lebenszufriedenheit nach Hilfebeendigung bemessen.

In die Überlegungen, wohin Jugendhilfe führen soll, muss also eine Reflexion der verschiedenen Perspektiven einfließen, um „zu einer höheren Kongruenz der Erwartungshaltungen der Beteiligten“ (GABRIEL 2007: 17) und damit zu wirkungsorientierten Hilfeprozessen zu führen.

2.2 Überprüfen von Wirkungen

Qualität in der Jugendhilfe umfasst die „Angemessenheit von Strukturen und Prozessen für die zu bewältigenden (...) pädagogischen Aufgaben“ (BAG 2001: 1). Um dies feststellbar zu machen, müssen zunächst die miteinander verflochtenen Aspekte von Qualität voneinander unterschieden werden. Hier spricht man heute in der Regel von Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität.

Strukturqualität als „Dienstleistungspotenzial“ der Jugendhilfe umfasst die Voraussetzungen, unter denen Ergebnisse in der Jugendhilfe erzielt werden. Dies beinhaltet die materiellen, räumlichen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen wie z. B. die Ausstattung der Angebote, die Kompetenz und Qualifikation der Mitarbeiter sowie die Organisation des Hilfeprozesses.

Die Prozessqualität beinhaltet das „Wie“ eines erreichten oder intendierten Ergebnisses. Dies schließt die Art der Interaktionen und Methoden sowie die Zielorientierung und Zielangemessenheit von Hilfeverläufen ein.

Als Ergebnisqualität schließlich wird bezeichnet, was sich als Wirkung und Leistung einer Jugendhilfemaßnahme erkennen lässt. Ergebnisqualität stellt erreichte Veränderungen fest und damit Erfolg oder Misserfolg einer Hilfe. (BAG 2001: 4).

Um Hilfen auf ihren Erfolg zu überprüfen, muss also auf jeden Fall die Ergebnisqualität betrachtet werden. Um gleichzeitig Hilfen in ihren Wirkungen optimieren zu können, ist es jedoch ebenso notwendig, Prozess- und Strukturqualität in diese Überprüfung mit einzubeziehen. Um Wirkung der erzieherischen Hilfen zu erfassen als Veränderung, die sich aufgrund von bestimmten Einflussfaktoren ergibt, muss folglich mit Blick auf ihre Optimierung, d. h. mit Blick auf die Steuerung von Hilfeprozessen, nicht nur das „Ob“ sondern auch das „Wie“ einer Veränderung mit einbezogen werden.

Effektivität beschreibt die positive Wirkung einer Jugendhilfemaßnahme. Gleichzeitig können jedoch auch nicht intendierte Wirkungen festgestellt werden, so beispielsweise wenn im Hilfeverlauf durch bestimmtes Training oder Sanktionen ein angepasstes Verhalten des Jugendlichen erreicht wurde, dieser jedoch nach Hilfebeendigung nicht fähig ist zu eigenverantwortlicher Lebensführung oder kriminell wird. Um Effektivität der erzieherischen Hilfen bewerten zu können, ist es somit nicht ausreichend, auf einzelne Wirkungen und Wirkfaktoren zu fokussieren, sondern es sollten die unterschiedlichen Lebensbereiche eines jungen Menschen in eine Bewertung von Wirkung mit einbezogen werden, um Zusammenhänge und Wechselwirkungen begründet beleuchten zu können.

Wie kann Wirkung nun in den erzieherischen Hilfen messbar gemacht werden? Einerseits muss eine Bestimmung von Indikatoren möglichst breit angelegt sein, um der Komplexität gerecht zu werden und um Wechselwirkungen erkennen zu können, andererseits besteht wiederum die Notwendigkeit einer Reduzierung der Komplexität, um Untersuchungen durchführbar und überschaubar zu machen und die Ergebnisse praxisrelevant verwerten zu können. In die Überlegungen miteinbezogen werden müssen ebenso die Messzeitpunkte der Erhebungen und Befragungen. Hierzu muss eine Vorstellung davon vorhanden sein, innerhalb welchen Zeitraums überhaupt Veränderungen einer Situation erwartet werden können und wie etwa die Nachhaltigkeit einer Maßnahme mit einbezogen werden muss.

Die untersuchten Studien weisen hier unterschiedliche Ansätze auf. Die quantitativ ausgerichteten Erhebungen erfassen meist mehrere Zeitpunkte während und nach der Hilfe und fokussieren in der Regel auf Verhaltensänderungen des jungen Menschen, die in Beziehung zu bestimmten Einflussfaktoren gesetzt werden. In qualitativen Studien wird hauptsächlich die NutzerInnenperspektive in den Blick genommen, die eher auf das Erleben tatsächlicher Handlungsmöglichkeiten gerichtet ist.

3. Untersuchung ausgewählter Studien

Die Auswahl der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Studien umfasst 15 Forschungsarbeiten, die aufgrund ihres Ansatzes geeignet erschienen, relevante Aspekte der stationären Erziehungshilfe so zu beleuchten, dass Wirkfaktoren der Fremdunterbringung sichtbar werden.

Die Studien sollten möglichst nicht nur die fachliche Perspektive beinhalten, wichtig war hier vielmehr, ein umfassendes Bild der Heimunterbringung zu gewinnen durch Einbeziehen der AdressatInnenperspektive.

Die Studien „Umbau statt Ausbau“ (KURZ-ADAM 2001), die „Würzburger Jugendhilfe-Evaluationsstudie (WJE)“ (ÜBBZ 2000) sowie die „Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS)“ (MACSENAERE; HERMANN 2004) wurden in die Auswahl aufgenommen, obwohl nur aus fachlicher Sicht erhoben wird. Die Studie „Umbau statt Ausbau“ als Totalerhebung mit einer sehr hohen Fallzahl versteht sich als Ergänzung und Erweiterung der beiden großen repräsentativen Studien „Leistungen und Grenzen von Heimerziehung“ (BAUR et al. 2002) und „Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe“ (SCHMIDT et al. 2002). Die „WJE“ ist ebenfalls eine Totalerhebung, darüber hinaus ist sie interessant aufgrund der nachgewiesenen Erfolge in der Elternarbeit. Die Dokumentation von Hilfeverläufen durch EVAS stellt mit einer Stichprobengröße von n=10.300 die größte Evaluationserhebung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe dar und ist somit relevant aufgrund ihrer Repräsentativität. Die in Deutschland im Moment am meisten diskutierten Studien zu Wirkungen in der Jugendhilfe sind die „Jugendhilfe-Effekte-Studie“ (SCHMIDT et al. 2002) mit einem prospektiven Forschungsansatz sowie die Forschung zu „Leistungen und Grenzen von Heimerziehung (JULE-Studie)“ (BAUR et al. 2002). Beide nutzen unterschiedliche Forschungszugänge und erschließen in ihren Ergebnissen vielfältige Zusammenhänge der Hilfen zur Erziehung. Die JULE-Studie wird hier in der Fassung der 2. Auflage von 2002 verwendet.

Die „Kinderdorf-Effekte-Studie“ (KLEIN et al.2003) nutzt den Forschungszugang der Jugendhilfe-Effekte-Studie, um in vergleichbarer sowie ergänzender Weise Wirkungen stationärer Erziehungshilfe im Bereich der Kinderdörfer zu erfassen.

Die Untersuchung von HANSEN über „Die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in Erziehungsheimen“ (HANSEN 1994) gewichtet stark die Selbstwahrnehmung der Kinder und Jugendlichen in schriftlichen Befragungen. Die verhältnismäßig große Stichprobe von n=489 wird hier noch in Beziehung gesetzt zu einer befragten Vergleichsgruppe von 384 Kindern und Jugendlichen.

Einige ausgewählte Forschungen aus Kanada, Australien und den USA (KUFELDT et al. 2000, BARBER; DELFABBRO 2004, HARTNETT; BRUHN 2006, OSBORN; DELFABBRO 2006) werden hier vorgestellt, um bestimmte Blickwinkel und Aspekte zu vertiefen, zu differenzieren und zu ergänzen. Der Begriff der stationären Erziehungshilfe wurde für die englischsprachige Forschung etwas weiter gefasst, da die meisten dieser Studien sich mit Kindern und Jugendlichen in Erziehungsstellen und Pflegefamilien befassen.

Hervorzuheben ist hier die kanadische Studie „Looking after Children“ (KUFELDT et al. 2000), die mit dem in England entwickelten gleichnamigen Qualitätsentwicklungsverfahren arbeitet. Die „Looking after Children“-Initiative bietet ein Instrumentarium, das unter Beteiligung der betroffenen jungen Menschen genutzt wird für eine sorgfältige und umfassende, am Einzelfall orientierten Hilfeplanung.

Die drei Forschungsarbeiten von LAMBERS (1996), GEHRES (1997) und NORMANN (2003) sind qualitative Studien, die die Perspektiven der jungen Menschen in den Vordergrund der Betrachtung stellen. An vielen Stellen werden hier Aspekte vertieft, die in den quantitativen Studien aufscheinen. Auch liefern die Perspektiven im Rückblick der jungen Menschen ergänzende Informationen zu Wirkungen der erfahrenen Hilfe auf den weiteren Lebensweg der Betroffenen.

Aufgenommen in diese Auswahl wurden auch die Quality4Children-Standards (IFCO; FICE; SOS-Kinderdorf 2007), die keine Wirkungsforschung im Sinne der übrigen Studien darstellen, jedoch als Qualitätsinstrument der Jugendhilfe entwickelt wurden, indem die Wirkfaktoren im Unterbringungsprozess durch die Beteiligten der Hilfe benannt und herausgearbeitet wurden.

Im Folgenden werden für jede Studie das Erkenntnisinteresse und der Forschungsansatz kurz dargestellt, die Ergebnisse, soweit sie die stationäre Erziehungshilfe betreffen, zusammengefasst, anschließend wird versucht, die Kriterien, die auf erfolgreiche Erziehungshilfen verweisen, aus den Studien herauszulesen. In einer Übersicht sind die relevanten Daten und Kriterien aus allen untersuchten Studien noch einmal tabellarisch zusammengefasst und als Anhang dieser Arbeit beigefügt.

3.1 Baur et al. 2002:

Leistungen und Grenzen von Heimerziehung

„Die Grundannahme, die Schwierigkeiten von Kindern und ihren Familien als Ausdruck von individuellen Lösungsversuchen, von Anstrengung und Auseinandersetzung, mit den gegebenen Anforderungen und Lebensumständen sich arrangieren zu können, zu sehen, bildet den Bezugspunkt einzelner Erhebungsbereiche“ (FINKL; HAMBERGER 2002: 11).

Die Untersuchung zu „Jugendhilfeleistungen“ (Forschungsprojekt „JULE“) hat das Ziel, einen Überblick zu geben über Leistungen und Erfolge der drei stationären und teilstationären Erziehungshilfen „Tagesgruppe“, „Heim“ und „Betreutes Jugendwohnen“. Durch unterschiedliche Forschungszugänge wurde versucht, Fragen der Lebenssituation der betroffenen jungen Menschen und der Qualität pädagogischen Handelns zu beleuchten und aufeinander zu beziehen. Dazu wurden alle 284 Akten der im Jahr 1994 aus der Erziehungshilfe entlassenen Jugendlichen aus sechs verschiedenen ausgewählten Jugendämtern analysiert. 197 junge Menschen waren davon stationär untergebracht.

Die Analyse wurde nach vier Schwerpunkten durchgeführt: Situation der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien zu Hilfebeginn, Prozess der Hilfegewährung und –entscheidung, Hilfeverlauf und Betreuungsgestaltung sowie die Situation der jungen Menschen am Ende der Hilfe.

Zusätzlich zur standardisierten Erfassung erfolgte eine Dokumentation der Einzelfallverläufe in ihren individuellen Besonderheiten und Zusammenhängen. Anhand der Kategorien „Schul- und Ausbildungssituation“, „Legalverhalten“, „soziale Beziehungen“, „Alltagsbewältigung“, „Persönlichkeitsentwicklung“, „familiärer Hintergrund“ und „zentrale Problemkonstellationen“ wurde so die „positive Gesamtentwicklung des jungen Menschen“ bilanziert, ebenso anhand ausgewählter professioneller Standards „das fachlich qualifizierte Handeln im Jugendamt bzw. in der Jugendhilfeeinrichtung“ (FINKEL; HAMBERGER 1998: 27 u. 29).

Als weiterer Baustein der Studie dienten 45 leitfadengestützte Interviews mit jungen Menschen, davon 11 mit Beteiligung der Eltern(teile), aus den Abgangsjahrgängen 1993/94 der beteiligten Jugendämter. Gleichzeitig wurde für diese Befragten ebenfalls eine Aktenanalyse durchgeführt. 27 der InterviewteilnehmerInnen waren in einer stationären Unterbringungsform betreut worden.

3.1.1 Ergebnisse der Studie

Das Aufnahmealter liegt bei den Fällen von Heimunterbringung deutlich höher als bei den anderen Untersuchungsgruppen. 44,7% aller betroffenen jungen Menschen werden erst im Alter zwischen 15 und 18 Jahren aufgenommen, das durchschnittliche Aufnahmealter beträgt 14 Jahre. Die Geschlechterverteilung ist fast gleichmäßig, bei einem etwas höheren Anteil an Jungen.

Die Kinder kommen meist aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen mit belasteten Beziehungen innerhalb der Familie. Unter den Einweisungsbegründungen finden sich häufig Belastungen durch Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen, Vernachlässigung sowie Sucht oder psychische Auffälligkeiten der Eltern. 38% der stationären Hilfen geht eine ambulante erzieherische Hilfe voraus. In 39,6% der Fälle wird die Unterbringung von den Jugendlichen selbst angefragt.

Am Entscheidungsprozess zur stationären Erziehungshilfe sind 80 % der betroffenen Kinder und Jugendlichen beteiligt, jedoch werden nur in 21,3% der Fälle Alternativen zur gewählten Hilfeform oder Alternativen zur gewählten Einrichtung besprochen.

Eltern werden nicht ausreichend an der Entscheidung zur Hilfe beteiligt, in 20,8% der Fälle gibt es im Vorfeld der Hilfe keinerlei Kontakte mit den Eltern.

Als übergeordnete Ziele werden zu Beginn der Hilfe in 13,2% der Fälle eine Rückkehr in die Familie und in 35,5% der Fälle eine Verselbständigung der Jugendlichen genannt, für 17,3% der jungen Menschen ist die Zielprognose zu Beginn noch unklar. 11,7% der Hilfen werden als längerfristig eingestuft, 4,6% als kurzfristige Krisenintervention.

Zusätzliche Hilfen für die Familie werden in 17,8% der stationären Erziehungshilfen angeboten. Elternarbeit – in Form von Gesprächen, Besuchen, Therapien oder Hausbesuchen – ist in etwa der Hälfte der untersuchten Akten nicht dokumentiert, bei den dokumentierten Fällen findet in 30% der Fälle keinerlei Elternarbeit statt. Deutlich sichtbar ist jedoch, dass sich Elternarbeit positiv auf die Entwicklungsverläufe der Kinder auswirkt.

Die erhobene durchschnittliche Verweildauer in Heimunterbringung beträgt 3,4 Jahre bei einer breiten Streuung. Das Gelingen der Hilfe wird maßgeblich beeinflusst durch die Verknüpfung tatsächlicher Hilfemöglichkeiten mit der Dauer der Hilfe. Hilfen, die länger als ein Jahr dauern, zeigen bei geeigneter pädagogisch-therapeutischer Unterstützung eher positive Entwicklungsverläufe, der Erfolg der Hilfe steigt dabei mit der Aufenthaltsdauer.

Für die Standards fachlichen Handelns im Jugendamt zeigt sich in 80 bis 90% der Fälle eine positive Bewertung für „begründete Bedarfsfeststellung“, „Vermittlung eines adäquaten Hilfeangebots“, „gezielte Auftragsformulierung an die Einrichtung“ und „Kooperation mit allen Beteiligten im Prozess der Hilfeklärung“ (FINKEL; HAMBERGER 1998: 42-43). Verbesserungsbedarf besteht jedoch für den fachlichen Umgang des Jugendamts mit Hilfeprozess und mit Hilfebeendigung, hier wird das professionelle Handeln nur in 53 bis 63% der Fälle als ausreichend eingestuft. Nicht ausreichende fachliche Standards hinsichtlich der Beendigung von Hilfen werden ebenso für die Einrichtungen festgestellt. Bei Einhaltung der fachlichen Standards verlaufen 90% der stationären Erziehungshilfen positiv.

Als Gesamtergebnis der Studie werden 53% der untersuchten Entwicklungsverläufe positiv bewertet sowie 17% in Ansätzen positiv, für 12% der Fälle lässt sich keine Veränderung feststellen, und für etwa 18% der betroffenen jungen Menschen wird eine negative Entwicklung festgestellt.

3.1.2 Kriterien für gelingende Hilfen

Die JULE-Studie bilanziert zum einen Elternarbeit als entscheidenden Beitrag zum Hilfeerfolg. Gleichzeitig wird jedoch festgestellt, dass qualifizierte Elternarbeit aufgrund der komplexen Problemlagen der Familien häufig eine Überforderung der strukturellen und personellen Bedingungen einer Einrichtung bedeutet. So stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Zusammenwirken unterschiedlicher Anbieter kind- und familienbezogener Unterstützungsmöglichkeiten, um Bedarfe der Gesamtsituation frühzeitig zu erkennen und entsprechende Hilfen anzubieten (vgl.

HAMBERGER 1998a: 50-54)

Damit Maßnahmen der stationären Erziehungshilfe positiv wirken können, ist eine gewisse Dauer der Unterbringung Voraussetzung. Abstand zu den belastenden Vorerfahrungen zu gewinnen, Perspektiven für die Hilfe zu entwickeln und eine Vertrauensbasis zwischen Kind und BetreuerIn zu schaffen, dies sind Prozesse, die eine gewisse Zeit benötigen (vgl. HAMBERGER 2002a: 64-65 u. 90). Gleichzeitig steigt der pädagogisch-therapeutische Nutzen mit Dauer der Intervention.

Ein weiterer Faktor, der den Hilfeverlauf positiv beeinflusst, ist das fachliche Handeln von Jugendamt und Einrichtung. Entwicklungsverläufe der jungen Menschen werden

positiv unterstützt durch eingehaltene fachliche Standards - ausgewiesen durch das KJHG - bzgl. Hilfeentscheidung, -planung und -prozess sowie Kooperation aller Beteiligten. Von Seiten des Jugendamts ist hier ein besonderes Augenmerk auf Hilfeprozess und -beendigung zu richten. Während die fachlichen Standards zu Beginn der Hilfe bezüglich Klärung des Hilfebedarfs, Planung und Entscheidung als verantwortliche Aufgaben des Jugendamts positiv eingehalten werden, wird die Begleitung des Prozesses weitgehend an die Einrichtungen delegiert. Hier wäre ein stärkeres Präsentsein des Jugendamts insgesamt wünschenswert zur Unterstützung des Einzelfalls. Sorgfältige Planung, Entscheidung und Begleitung sowohl des Jugendamtes als auch der Jugendhilfeeinrichtung sind auch für die Beendigung einer Hilfe notwendig, um hier den Kindern und Jugendlichen einen hilfreichen Übergang in die neue Lebenssituation zu ermöglichen und um die Voraussetzung zu schaffen für die längerfristige Stabilität des erreichten Hilfeerfolgs.

3.2 Schmidt et al. 2002:

Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe

Übergreifendes Ziel der „Jugendhilfe-Effekte-Studie“ (JES-Studie) war es, die Leistungen und Wirkungen verschiedener Angebotsformen der Jugendhilfe zu untersuchen und zu vergleichen mit dem Blick auf Optimierung der Hilfezuweisungen. Hierzu wurden die Effekte der fünf Angebotsformen Erziehungsberatung, Erziehungsbeistand, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehung in Tagesgruppe und Heimerziehung beurteilt. Die vorliegende Darstellung beschränkt sich auf die Untersuchungen zu Heimerziehung.

Die Stichprobe der Studie erfasst 233 Kinder zwischen 4,5 und 13 Jahren, davon 49 Fälle in stationärer Unterbringung. Beteiligt waren 77 Jugendhilfeeinrichtungen in verschiedenen Bundesländern. Die Erhebung erfolgte möglichst zeitnah, d. h. prospektiv, an 4 Erhebungszeitpunkten: zu Beginn der Hilfe, während des Hilfeverlaufs, bei Hilfebeendigung sowie ein Jahr nach Hilfeende. In Leitfadeninterviews wurden MitarbeiterInnen des Jugendamts und BetreuerInnen befragt, weiterhin wurden die Perspektiven der Kinder und Eltern miteinbezogen durch Fragebögen (CBCL, KINDL, EZE s.u.).

Das Ausgangsinterview diente dazu, Informationen zu Problemlage und Vorgeschichte und zur Hilfeplanung zu gewinnen. Ergänzt wurde die Befragung durch die Child- Behaviour-Checklist (CBCL) für Eltern, um Verhaltensauffälligkeiten des Kindes aus Sicht der Eltern zu dokumentieren sowie durch den Münchner Fragebogen KINDL für Kinder zur Messung der kindlichen Lebensqualität. Durch Verlaufs- und Abschlusserhebungen wurden Veränderungen im Hilfeverlauf bei Kind, Eltern und sozialem Umfeld überprüft. Zusätzlich zu Interview und den Fragebögen CBCL und KINDL wurden hier noch der Fragebogen zur Messung der elterlichen Zufriedenheit mit der Erziehungshilfe (EZE) und der Youth Self Report (YSR) eingesetzt.

3.2.1 Ergebnisse der Studie

Insgesamt stellt die Studie für alle kindbezogenen Werte in der stationären Erziehungshilfe positive Veränderungen fest. So können sowohl eine Reduzierung der Gesamtauffälligkeiten als auch Kompetenzsteigerungen im Hilfeverlauf nachgewiesen werden sowie eine Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus, d. h. der Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben.

Hinsichtlich psychosozialer Belastungen im Umfeld lassen sich hingegen kaum positive Veränderungen feststellen. Dieser Befund steht im Verhältnis zu den Indikationen und Vorbedingungen der Heimaufnahme. Die betroffenen Kinder kommen mit schwierigsten Problemlagen und höchsten Symptombelastungen in die Unterbringung, gemessen an einem relativ niedrigen Ausgangsniveau können so Verbesserungen eher festgestellt werden. Ihre Familien sind gekennzeichnet durch ein hohes Maß an abweichendem Verhalten bei eher geringen Veränderungsaussichten. Die Elternarbeit der Einrichtungen führt hier nicht zu ausreichender Bewältigung familiärer Problemlagen.

Die durchschnittliche Verweildauer in stationärer Unterbringung beträgt 29 Monate, die Erfolgsaussichten für kindbezogene Ziele steigen mit der Dauer des Hilfeprozesses.

3.2.2 Kriterien für gelingende Hilfen

Stationäre Erziehungshilfe konzentriert sich in stärkerem Maße als die übrigen Hilfen zur Erziehung auf den Bedarf des Kindes. Wenn Wirkung daran gemessen wird, wie

sich Auffälligkeiten und Störungsbilder verändern, wie Entwicklungsverzögerungen aufgeholt und Kompetenzen erworben werden, so lässt sich insgesamt ein positives Bild der Heimerziehung feststellen. Kriterien, die die Aussichten für einen Hilfeerfolg erhöhen, sind ein differenziertes Leistungsspektrum der Einrichtung mit dem Schwerpunkt auf einer ressourcen- und kompetenzorientierten Hilfeplanung, eine gute Kooperation mit dem Kind sowie eine lange Verweildauer.

Eine gute Kooperation mit dem Kind benötigt als Grundlage die Bereitschaft zur Mitarbeit im Hilfeprozess. Diese stellt sich in der Regel nicht automatisch mit Hilfebeginn ein, es müssen die Voraussetzungen zur Mitarbeit aktiv durch Jugendamt und Einrichtung geschaffen werden. Eine Haltung, die ernst nimmt, die informiert und Wahlmöglichkeiten zulässt, das heißt eine Haltung, die den jungen Menschen in seiner subjektiv erlebten Lebenssituation miteinbezieht, ist hier förderlich (vgl. GINTZEL 2003).

Dies gilt ebenfalls in hohem Maße für die Kooperation mit den Eltern. Geeignete Elternarbeit schafft hier die Grundlage zum einen für die Kooperation im Hilfeprozess, zum anderen für die Klärung und Unterstützung in der familiären Belastungssituation. Im Blick auf die Nachhaltigkeit der positiven kindbezogenen Effekte scheint es von entscheidender Bedeutung zu sein, die vergangenen und aktuellen familiären Belastungen, die doch ein wesentlicher Teil der Biografie des Kindes sind, gezielter mit einzubeziehen (vgl. HAMBERGER 2002a: 75ff.).

3.3 Klein et al. 2003:

Die Kinderdorf-Effekte-Studie

Die Kinderdorf-Effekte-Studie als Ergänzung der Jugendhilfe-Effekte-Studie (SCHMIDT et al. 2002) untersucht Wirkungen familiennaher Erziehungsformen in Kinder- und Jugenddörfern. Die untersuchte Stichprobe umfasst alle 103 Neuaufnahmen aus 8 verschiedenen Kinderdörfern zwischen Juli 1997 und Dezember 1998. Für die Studie wurden die Erhebungsinstrumente der Jugendhilfe-Effekte-Studie (SCHMIDT et al. 2002) angepasst an kinderdorfspezifische Fragestellungen.

Längsschnittlich und prospektiv angelegt erhebt die Studie Perspektiven der jungen Menschen, der Fachkräfte in Einrichtung und Jugendamt sowie der Eltern zu mindestens 4 Erhebungszeitpunkten. Zur Ausgangslage wurden anhand von Leitfadeninterviews soziodemografische Merkmale, die aktuelle Lebenssituation, kindbezogene Probleme, psychosoziales Entwicklungsniveau des Kindes, die psychosozialen Belastungen im Umfeld sowie die besonderen Ereignisse (life-events) in der Biografie des jungen Menschen erfragt (KLEIN et al. 2003: 12) und zusätzlich mit den Fragebögen CBCL, KINDL, EZE erhoben. Fragen zum Hilfeplanungsprozess zielten auf weiterführende Informationen zu Hilfebedarf, Planung von Fördermaßnahmen sowie zu Zielsetzungen und Prognosen. Die jährlichen Verlaufserhebungen wurden ebenfalls anhand von Leitfadeninterviews und den Fragebögen CBCL und KINDL durchgeführt. Die Fragen beziehen sich auf die Veränderungen der psychosozialen Problemlage, der Ressourcen, Belastungen und Defizite des Kindes und der Belastungen seines Umfeldes. Die Erhebungen am Ende der Hilfe und ein Jahr nach Hilfeende schließen daran an, mit Blick auf die Stabilität der erreichten Ergebnisse. Hier wurden ebenfalls die Bögen CBCL und KINDL eingesetzt, bei Hilfeende zusätzlich der Fragebogen zur Elternzufriedenheit EZE.

Ressourcen des Kindes in den Bereichen „Funktion in der Familie“, „Erbrachte Leistungen“, „Beziehungen zu Gleichaltrigen“, „Interessen und Freizeitbeschäftigungen“ und „Autonomie“ wurden zu allen Erhebungszeitpunkten durch die „Mannheimer Beurteilungsskala des Funktionsniveaus (MBF)“ dokumentiert (KLEIN et al. 2003: 17-18).

3.3.1 Ergebnisse der Studie

Um Effekte in der Kinderdorfarbeit festzustellen, wurden Veränderungen der psychosozialen Belastungssituation des Kindes, seiner Gesamtauffälligkeiten und des Aufbaus von Ressourcen sowie die Zielerreichung gemessen und hierzu Merkmale der Prozess- und Strukturqualität in Beziehung gesetzt.

Für 80% der betroffenen jungen Menschen liegt eine diagnostizierte psychische Störung vor. An der Spitze liegen die emotionalen Störungen, häufig in Verbindung mit einer Störung des Sozialverhaltens. Ein ähnlich hoher Prozentsatz findet sich bei den Verhaltensauffälligkeiten. Hier lassen sich am häufigsten eine fehlende Distanz, Aggressionen oder Ängste und Phobien feststellen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Erziehung zu Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit
Untertitel
Was macht stationäre Jugendhilfe erfolgreich?
Hochschule
Hochschule Ravensburg-Weingarten
Note
1,1
Autor
Jahr
2008
Seiten
77
Katalognummer
V125774
ISBN (eBook)
9783640311743
ISBN (Buch)
9783640310531
Dateigröße
953 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erziehung, Eigenverantwortlichkeit, Gemeinschaftsfähigkeit
Arbeit zitieren
Sabine Hutter (Autor:in), 2008, Erziehung zu Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125774

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