In den vierziger Jahren und auf dem Weg zum Realismus hat die Novelle zum Ziel gehabt die Wirklichkeit, so wie sie ist, darzustellen. Ein wesentlicher Repräsentant ist hierbei unter anderem „Der Tod des Ivan Iljitsch“(1886). In dieser realistischen Erzählung gelang es Tolstoi, das Sterben eines erfolgreichen, fünfundvierzigjährigen Anwalts zu erfassen. Die Wirklichkeit selbst gewann an einer noch nie da gewesenen großen Bedeutung. Mit der Lebensgeschichte von Iwan Iljitsch zeigt Tolstoi, dass Leben und Tod voneinander untrennbar sind.
Im Folgenden wird Tolstois eigene Einstellung zum Tod betrachtet und anhand der Erzählung „Der Tod des Ivan Iljitsch“ untersucht, wie Tolstoi als Schriftsteller Sterben und Tod in sein Werk einordnet und das Thema Tod literarisch umsetzt. Dabei werden folgende Aspekte untersucht: Welche Einstellung der Sterbende gegenüber dem Tod hat und wie man dem eigenen Sterben oder dem Sterben andere entgegensieht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Tolstoi und der Tod
2.1 Tolstois Einstellung gegenüber dem Tod
2.2 Der Tod und seine literarische Verarbeitung in Tolstois Werken
2.3 Der Tod in „Das Sterben des Iwan Iljitsch“
3. Tod
3.1 Iwan Iljitsch und seine Krankheit
3.2 Medizinische Beschäftigungen mit dem Thema Tod
4. Gesellschaft und Lüge
4.1 Die Lüge
4.2 Erfahrungen mit Ärzten
4.3 Die Familie
5. Schluss
Sterben und Tod in L.N. Tolstois „Der Tod des Ivan Iljitsch“
1. Einleitung
Die russische Novelle läßt sich nicht auf einen Nenner bringen. Ihr Wesen ist Farbigkeit und Vielfalt. Das gilt für Form, Stil und Inhalt. Nur das Heitere und Ausgelassene findet sich selten. Die Tendenz zum Dramatischen und der Verzicht auf jede Harmonisierung der Welt und des Lebens entspringen dem Gesetz der Gattung. Nicht zufällig ist der Tod ein immer wiederkehrendes Thema.[1]
In den vierziger Jahren und auf dem Weg zum Realismus hat die Novelle zum Ziel gehabt die Wirklichkeit, so wie sie ist, darzustellen. Ein wesentlicher Repräsentant ist hierbei unter anderem „Der Tod des Ivan Iljitsch“ (1886).[2] In dieser realistischen Erzählung gelang es Tolstoi, das Sterben eines erfolgreichen, fünfundvierzigjährigen Anwalts zu erfassen. Die Wirklichkeit selbst gewann an einer noch nie da gewesenen großen Bedeutung. Mit der Lebensgeschichte von Iwan Iljitsch zeigt Tolstoi, dass Leben und Tod voneinander untrennbar sind.
Im Folgenden wird Tolstois eigene Einstellung zum Tod betrachtet und anhand der Erzählung „Der Tod des Ivan Iljitsch“ untersucht, wie Tolstoi als Schriftsteller Sterben und Tod in sein Werk einordnet und das Thema Tod literarisch umsetzt. Dabei werden folgende Aspekte untersucht: Welche Einstellung der Sterbende gegenüber dem Tod hat und wie man dem eigenen Sterben oder dem Sterben andere entgegensieht.
2. Tolstoi und der Tod
2.1 Tolstois Einstellung gegenüber dem Tod
Tolstois literarische Todesdarstellungen spiegeln sein jahrzehntelanges Problem, den Tod in sein Leben einzuordnen, wieder. Als die Mehrzahl seiner Werke entstand, lehnte er verstandesmäßig den Tod als Übergang in das seelische Leben ab. Viele seiner Romane und Briefe zeigen, dass er große Schwierigkeiten hatte, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen und den Tod in sein Leben einzuordnen. Über viele Jahre hinweg hatte Tolstoi große Todesangst,
diese hat er literarisch durch die zahlreichen Sterbeszenen in seinen Werken verarbeitet. Er
spürte, dass die Disakzeptanz des Todes und das Zweifeln an einem Leben nach dem Tod nicht richtig seien und schilderte aus der Sicht mancher seiner Figuren und in anderen Formen, mit denen er sich als Autor nicht identifizieren musste, das Sterben als Übergang in ein anderes Sein. Erst in den siebziger Jahren hat Tolstoi eine Vorstellung darüber entwickelt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Im Tagebuch dokumentiert Tolstoi seinen Wandel gegenüber dem Tod und schon 1902 finden sich positive und gelassene Äußerungen bezüglich des Todes.[3] Tolstoi schrieb, dass die Angst vor dem Tod nicht wirklich die Angst vor dem Tod sei, sondern die Angst davor ein falsches Leben geführt zu haben. Sogar schon das Nachdenken über den Tod würde dazu führen zu verstehen, dass man das Leben nicht richtig lebt:
…the fear of death is not in reality a fear of death but of false life….Men are horrified at the thought of death not because they fear their life may end with it, but because physical death clearly shows them the necessity of the true life which they do not possess. And this is why men who do not understand life so dislike to think of death. For them to think of death is the same as to admit that they do not live as their reasonable consciousness demands that they should.[4]
Mark Aldanov hat sich 1923 in „Rätsel Tolstoj“ mit den Todesdarstellungen in Tolstois Werken auseinandergesetzt. Ersichtlich wurde, dass für Tolstoi nicht die Todesursache wichtig ist, sondern vielmehr „die seelische Haltung des Sterbenden und seiner Umwelt zu Sterben und Tod.“[5]
Früh empörte Tolstoi die Unaufrichtigkeit vieler Menschen gegenüber Sterbenden, das innere Verdrängen und Leugnen ihres nahenden Todes. Wohl mehr als alle anderen russischen Schriftsteller ging er in literarischen Darstellungen dagegen an. In den letzten Jahrzehnten seines Lebens machte er eine Reifung durch, die in ihm jeden Zweifel löschte, dass der Tod keine endgültige Grenze sei und dass das körperliche Leben nur eine Phase inmitten des eigentlichen geistigen Seins des Menschen bedeutet.[6]
Tolstois Veränderung bezüglich des Todes und der Einstellung zum Tod wird besonders deutlich in der literarischen Gestaltung in „Der Tod des Ivan Iljitsch“. Nicht nur der Sterbeprozess und die eigene Veränderung der Einstellung zum Leben und Tod, sondern auch die Unaufrichtigkeit der Mitmenschen gegenüber dem Sterbenden stehen in dieser Erzählung im Vordergrund.
[...]
[1] Zelinsky 1982: Band
[2] Tolstoi 1985
[3] Vgl. Kasack 2005:119
[4] Pachmuss 1961: 75
[5] Kasack 2002:108
[6] Kasack 2002: 133
- Quote paper
- Julia Juschin (Author), 2009, Sterben und Tod in L.N. Tolstois "Der Tod des Iwan Iljitsch", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125759
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