Die Spätmoderne mit ihren Charakteristika der gesellschaftlichen Fragmentierung und Individualisierung und den daraus resultierenden Widersprüchen bedeutet für das einzelne Subjekt eine besondere Leistung zur eigenen Identitätsarbeit. Mit all den Einflüssen und Möglichkeiten der spätmodernen Welt eine in sich feste und doch dynamische Identität zu konstruieren, birgt grundsätzlich das Risiko der Überforderung des Individuum und kann zu Verunsicherungen bis hin zu Identitätskrisen führen. Insbesondere ist davon der Mann in seiner Geschlechtsidentität und Rolle betroffen. Die Erosion der patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen und den damit verbundenen Wandel von geschlechtstypischen Rollenbildern stellen den Mann vor die Herausforderung sich neu zu schaffen. Dabei hat die Pädagogik nicht nur die Aufgabe, ihn bei der Identitätsfindung unter den veränderten Rahmenbedingungen zu begleiten, sondern auch zu unterstützen und zu fördern.
Schlagworter: Spätmoderne/Postmoderne - Identität - Männerforschung - Geschlecht/Rolle - Geschlechterpädagogik
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Einleitung
1. Spätmoderne
1.1 Individualisierung
1.2 Identität und Spätmoderne
1.2.1 Eriksons Identitätskonzeption in der Spätmoderne
1.2.2 Identität und Umbruchserfahrungen
2. Der Mann in der spätmodernen Gesellschaft
2.1 Mann und Männlichkeit
2.2 Konstruktion und Sozialisation des Mannes
2.3 Differenzierung zum Mann
2.4 Das Leiden des Mannes
3. Die Annäherung der Geschlechter
3.1 Ähnlichkeit und Androgynität
3.2 Geschlechtsbezogene Pädagogik
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
Die Spätmoderne mit ihren Charakteristika der gesellschaftlichen Fragmentierung und Individualisierung und den daraus resultierenden Widersprüchen bedeutet für das einzelne Subjekt eine besondere Leistung zur eigenen Identitätsarbeit. Mit all den Einflüssen und Möglichkeiten der spätmodernen Welt eine in sich feste und doch dynamische Identität zu konstruieren, birgt grundsätzlich das Risiko der Überforderung des Individuum und kann zu Verunsicherungen bis hin zu Identitätskrisen führen. Insbesondere ist davon der Mann in seiner Geschlechtsidentität und Rolle betroffen. Die Erosion der patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen und den damit verbundenen Wandel von geschlechtstypischen Rollenbildern stellen den Mann vor die Herausforderung sich neu zu schaffen. Dabei hat die Pädagogik nicht nur die Aufgabe, ihn bei der Identitätsfindung unter den veränderten Rahmenbedingungen zu begleiten, sondern auch zu unterstützen und zu fördern.
Schlagworter: Spätmoderne/Postmoderne - Identität - Männerforschung - Geschlecht/Rolle - Geschlechterpädagogik
Einleitung
„Der Mann wird nicht zum Mann geboren – er wird zum Mann gemacht“ – dieses prominente Zitat ist der Leitgedanke der Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir. Nur spricht sie anstelle des Mannes von der Frau. Warum aber nicht auch von einer nicht naturgegebenen Männlichkeit, sondern von einer Konstruktion des Mannes im Spannungsfeld der gesellschaftlichen Umstände ausgehen? Mit dieser Perspektive wird man zwangsläufig für die Stellung des Mannes in der Gesellschaft sensibilisiert und seine Zerrissenheit zwischen den traditionellen geschlechtstypischen Rollenerwartungen und der spätmodernen individualisierten Gesellschaft erlangen eine neue Tragweite.
Da das Individuum in seiner Identitätsentwicklung untrennbar mit der Gesellschaft verbunden ist, soll im ersten Teil eine Bestandsaufnahme unserer heutigen Gesellschaft vorgenommen werden. Was bedeutet der Begriff der Spätmoderne? Was sind ihre gesellschaftlichen Phänomene und wie ist deren Auswirkung auf das einzelne Subjekt? Wie nimmt die fragmentierte Gesellschaft in all ihren Widersprüchen Einfluss auf die Identität und Selbstverortung des Individuums in der Welt? So bewirkt das Phänomen der Individualisierung eine Freisetzung des Individuums, was eine Vielzahl an Möglichkeiten mit sich bringt, aber auch das Risiko von Verunsicherung bis hin zu Identitätskrisen birgt.
Im Besonderen wird dann im zweiten Kapitel auf den Mann und seine Identitätsbildung in der Umbruchsgesellschaft eingegangen. Durch den Wandel an Werten und die Erosion der patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen sind traditionelle Geschlechterbilder und Rollenkonzepte aufgebrochen. Es werden die Klischees der Männlichkeit umrissen und die Konstruktion von Identität in der Gesellschaft dargelegt. Die Frage stellt sich, wie die Differenzierung zum Mann in der Widersprüchlichkeit der Spätmoderne gelingt und vor allem wie traditionelle Rollenerwartungen im Spannungsfeld mit den Ansprüchen einer vom Feminismus emanzipierten Gesellschaft den Mann in seiner Männlichkeit verunsichern und an seinem „Mann sein“ leiden lassen.
Schließlich soll der dritte Teil einen Ausblick und Lösungsansatz bieten. Wie kann es gelingen, dass eine Selbstverständlichkeit der Geschlechter in all ihrer Differenz und Gleichheit erreicht wird? Was für ein gesellschaftliches aber auch persönliches Umdenken ist erforderlich, damit sich der Mann mit seiner Geschlechtsidentität versöhnt. Speziell wird das Modell einer geschlechtbezogenen Pädagogik skizziert, das eine Annäherung der Geschlechter in ihrer Diversität möglich machen soll.
1. Spätmoderne
In dieser Arbeit soll die Spätmoderne als Begriff für die Zeitdiagnostik der heutigen westlichen Gesellschaft verwendet werden. In Anlehnung an Heiner Keupp und sein Gebrauch des Begriffs der Spätmoderne grenzt sich diese von der Postmoderne ab. Der Grundsatz der Postmoderne „alles ist möglich“ und, vor allem bezogen auf die Identitätsbildung, das beliebige avantgardistische „Patchwork der Identitäten“, weicht bei Keupp der Auffassung, dass die Identitätsbildung in der Spätmoderne nicht ein postmoderner Zufall sei. Vielmehr folge sie einer nachvollziehbaren inneren Logik und bedürfe bestimmter psychischer, sozialer und materieller Ressourcen (2006, S. 7 ff.). Sie bedeute „eine aktive Leistung der Subjekte, die zwar risikoreich ist, aber auch die Chance zu einer selbstbestimmten Konstruktion enthält“ (2006, S. 7). Im folgenden Kapitel sollen die Momente der Spätmoderne genauer skizziert werden und ihre Bedeutung für die Identitätskonstruktion des Subjekts herausgearbeitet werden.
1.1 Individualisierung
Die „epochale Umbruchsituation“, wie Ulrich Beck die gesellschaftlichen Veränderungen der spätmodernen Zeit in seinem Werk „Risikogesellschaft“ (1986; nach Keupp 1989, S. 19) bezeichnet, sind durch vielschichtige Merkmale charakterisiert: Individualisierung und Dezentralisierung der privaten Lebenswelt, gleichzeitig eine Zentralisierung auf staatlicher Ebene bis hin zur EG-Ebene, Vergesellschaftung des Individuums, Notwendigkeit einer hohen Flexibilität des Einzelnen, um nur einige zu nennen (Keupp 1989, S. 20 ff.). Diese Prozesse wurden und werden durch verschiedenste doch ineinander verwobene Faktoren hervorgerufen, beginnend mit der Industriegesellschaft. Sie setzte das Individuum aus seinen ständischen Abhängigkeiten, sozialen Bindungen, Verwandtschaftsbeziehungen, Traditionen und den Weltanschauungen der sozialen Klassen und Schichten frei, was ein verändertes privates Handeln und Experimentieren mit verschiedenen Lebensformen zur Folge hatte (Keupp 1989, S. 20). Das klare Zentrum der Kernfamilie und die eindeutige Identifikation mit der jeweiligen Klasse oder Schicht gingen sukzessive verloren und ermöglichten dem Individuum ganz neue Handlungsspielräume.
Im Hinblick auf das Thema der vorliegenden Arbeit soll ein bestimmter Moment dieses Wandels schon an dieser Stelle gesondert betont werden, auch wenn er im zweiten Kapitel ausführlich behandelt werden wird: der Umbruch der Geschlechterrollen. Im Zuge der Industrialisierung lösten sich traditionelle bürgerlich-patriarchalische Geschlechterentwürfe und damit verbundene Rollenkonzepte auf. Durch die häufige Abwesenheit des arbeitenden oder wegen seiner Arbeitslosigkeit an Selbstzweifeln leidenden Vaters übernahm die Frau und Mutter einst dem Mann zugeschriebene Aufgaben und Rollen. Der Wertewandel, nicht zuletzt vom Feminismus erkämpft, erreichte somit ein Aufbrechen des Geschlechterkonflikts und brachte unter anderem eine Vielzahl an möglichen Modellen für die Identität des Mannes, Vaterschaft und Familie mit sich (Keupp 1989, S. 24 ff.).
Um ein rundes Bild des Individualisierungsprozesses der Nachkriegszeit bis hin zur Spätmoderne zu zeichnen, seien die weiteren Ursachen nach Keupp ebenfalls erwähnt: der 2. Weltkrieg, das Wirtschaftswunder mit der Folge des Massenkonsums, der Sozialstaat, die Verrechtlichung, die Medien, welche Subkulturen und Konsummoden unterstützen, die Bildungsexpansion, die Mobilität, die Auflösung traditioneller Wohnverhältnisse, die Verlängerung von Lebenszeit und die Verkürzung der Arbeitszeit (1989, S. 21).
Diese Momente, vor allem am Beispiel der kapitalistischen Industriegesellschaft und ihrer Begleiterin (Massen)-Arbeitslosigkeit betrachtet, verlangen vom Subjekt ein hohes Maß an Flexibilität. Gesellschaftliche Veränderungen wirken durch die Dezentralisierung nun direkt auf den Einzelnen ein, da der Puffer Familie, Klasse oder Schicht kaum noch zum Tragen kommen kann. Es entwickelt sich eine Bewusstseinsform, die das Individuum auf sich selbst stellt und ihm somit suggeriert, dass die persönliche Arbeitslosigkeit selbstverschuldet ist. Ein geteiltes Bewusstsein oder auch ein Klassenbewusstsein zur gemeinsamen Benachteiligung der eigenen Klasse gibt es nur noch bruchstückhaft. Der einzelne Mensch ist ein vergesellschaftlichtes Wesen und bekommt die Widersprüche der fragmentierten und globalisierten Welt ungebremst zu spüren. Man kann auch von einem Freisetzungsprozess des Subjekts sprechen, durch den es direkt und zwangsläufig an den gesellschaftlichen Widersprüchen und Konflikten teilnehmen muss, was sich schließlich in individuellen Konflikten, Leiden und Belastungen manifestiert (Keupp 1989, S. 21f.).
Gleichzeitig bietet dieser Individualisierung- oder Freisetzungsprozess dem Individuum aber auch ein Maximum an Möglichkeiten, sein Selbst und seine Lebenswelt individuell zu kreieren. Das Individuum wird zum Gestalter und Sinngeber seines Lebens, zu seinem eigenen „Planungsbüro“ (Keupp 1989, S. 23). Dies wiederum bedeutet gleichzeitig aber auch einen Druck auf den Einzelnen. Das Erfordernis, als Subjekt und Verantwortlicher seines eigenen Lebens zu agieren, ihm Sinn und Rechtfertigung zu geben und sich ständig zu präsentieren, bedarf einer Menge an persönlichen Ressourcen (Keupp 1989, S. 23).
1.2 Identität und Spätmoderne
„Wer bin ich?“ ist also die zentrale Frage, die sich das Subjekt in einer Welt von Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung stellt. Die Herausforderung besteht darin, eine harmonische Passung der Identität im Spiegel der gesellschaftlichen Widersprüche zu schaffen. Da es keine sozial vorgegebene Biographie mehr gibt, hat das Individuum die Aufgabe, seine Identität individuell zu kreieren. Keupp verwendet dafür die treffenden Begriffe „Bastelbiographie“ oder „Patchworkarbeit“ (1989, S. 23).
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- Hanna Obert (Author), 2008, Der Mann im Aufbruch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125467
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