Theologie ist unverständlich, Dogmatik im Besonderen.
„Diese Gefahr [der Unverständlichkeit] besteht vor allem dann, wenn man über etwas schreibt, was jedermann aus seinem eigenen Erleben kennt.“
Was der Psychologe und Kommunikationsanalytiker Schulz von Thun sich hier über seine Zunft eingesteht, gilt in entsprechender Weise für die Arbeit des Theologen zum Thema Gebet. Was er schreibt, wird beim Gläubigen als verkomplizierte Binsenweisheit, beim empirischen Wissenschaftler als leeres Geschwätz ankommen. Es erscheint als hoffnungsloses Unterfangen, dieser Unverständlichkeit und Unvereinbarkeit entgegenwirken zu wollen, da bereits an der Vokabel „Gott“ dogmatische Definitionsversuche scheitern.
„Im Falle einer echt empfundenen Unverständlichkeit des Wortes ‚Gott‘ muß (sic!) an ein vertrautes Sprachgeschehen verwiesen werden, an dem bestimmtes überliefertes Reden von Gott den Resonanzboden findet, der es zum Klingen bringt und verstehbar werden lässt.“
Das Sprachgeschehen, von dem aus Ebeling seine Dogmatik denkt, ist das Gebet. Hier artikuliert sich Glaube auf einer kommunikativen Ebene. Für das Gelingen der Kommunikation ist ein Faktor elementar: Verständlichkeit. Das bedeutet, dass es sich lohnt, Gebete auf ihr Gottesbild hin zu untersuchen, die in ihrem vielgestaltigen Überlieferungsgeschehen Jahrtausende ebendeshalb überdauert haben, weil in ihnen die Kommunikation als geglückt betrachtet wird.
Diese Arbeit fragt jedoch nicht nach dem Warum des Glückens jenes Sprachgeschehens zwischen Mensch und Gott, sondern will der Frage nachgehen, inwiefern Gebete all-gemein (Kap. 2) und der biblischen Überlieferung im Speziellen (Kap. 3 und 4) tatsächlich helfen können, Erkenntnisse über das Sein Gottes aus der Perspektive des (vermittelten) Beters zu gewinnen und so verständlich über Gott zu sprechen. Insofern will die vorliegende Arbeit keinem Anspruch auf synchrone wie diachrone Vollständigkeit genügen. Sie legt sich auf den Bereich jüdisch-christlicher Überlieferung fest und verzichtet bewusst auf die Arbeitsschritte der Literar-, Überlieferungs- sowie der Redaktionskritik. Der Text der fünf zu untersuchenden Gebete wird so hingenommen, wie er heute überliefert ist. Ältere Überlieferungsformen sind an dieser Stelle nicht von Relevanz. Die Auswahl der Texte erscheint nicht nur willkürlich.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Wie ist Gott? – Von der Schwierigkeit, eine Frage zu beantworten
2.1 Gotteserkenntnis und Erkenntnistheorie
2.1.1 Der hermeneutische Zirkel menschlicher Erkenntnis
2.1.2 Der Begriff der Gotteserkenntnis
2.1.2.1 Gotteserkenntnis als contradictio in adiecto
2.1.2.2 Gotteserkenntnis in theologischer Perspektive
2.2 Gebet als erkannter Ort erkennender Gotteserkenntnis
2.2.1 Allgemeines
2.2.2 Subjektives
2.2.2.1 Vorverständnis: Gott beim Gebet
2.2.2.2 Vorverständnis: Mensch beim Gebet
2.2.2.3 Fazit zum Vorverständnis
2.3 Gebet als hermeneutischer Schlüssel zur Gotteserkenntnis
2.4 Gebetsexegese als Mittel zum Zweck
Ein Exkurs: Kommunikationsanalyse
3 Das Gebet im Alten Testament
3.1 Exodus – Das Mirjamlied (Ex 15,20f.)
3.1.1 Exegetische Grundbetrachtungen
3.1.2 Zur psychologischen Kommunikationsstruktur
3.1.3 Gott, der Parteiische .
3.2 Vorexilisch – Das Gebet Hiskias (2Kön 19,14-19 par.)
3.2.1 Exegetische Grundbetrachtungen
3.2.2 Zur psychologischen Kommunikationsstruktur
3.2.3 Gott, der Einzige
3.3 Nachexilisch – Das Gebet Nehemias (Neh 1,4-11)
3.3.1 Exegetische Grundbetrachtungen .
3.3.2 Zur psychologischen Kommunikationsstruktur
3.3.3 Gott der gebundene Unverfügbare
4 Das Gebet im Neuen Testament
4.1 Menschgott – Das Gebet Jesu in Gethsemane (Mt 26,39-44 par.) :
4.1.1 Exegetische Grundbetrachtungen
4.1.2 Zur psychologischen Kommunikationsstruktur
4.1.3 Gott der Vater
4.2 Urgemeinde – Loswurf der Apostel (Apg 1,23-26 )
4.2.1 Exegetische Grundbetrachtungen
4.2.2 Zur psychologischen Kommunikationsstruktur
4.2.3 Gott der Weltenlenker
5 Alles ist eitel! – Vom Nutzen einer gebetsorientierten Rede von Gott – Ein Fazit
6 Literatur- und Quellenverzeichnis
„Mit allem Nachdruck muß (sic!) gesagt werden,
daß (sic!) Gebet
das Herz der Theologie ist.“
B. Häring, Gebet in einer weltlichen Welt.
1 Einleitung
Theologie ist unverständlich, Dogmatik im Besonderen.
„Diese Gefahr [der Unverständlichkeit] besteht vor allem dann, wenn man über etwas schreibt, was jedermann aus seinem eigenen Erleben kennt.“[1]
Was der Psychologe und Kommunikationsanalytiker Schulz von Thun sich hier über seine Zunft eingesteht, gilt in entsprechender Weise für die Arbeit des Theologen zum Thema Gebet. Was er schreibt, wird beim Gläubigen als verkomplizierte Binsenweisheit, beim empirischen Wissenschaftler als leeres Geschwätz ankommen. Es erscheint als hoffnungsloses Unterfangen, dieser Unverständlichkeit und Unvereinbarkeit entgegenwirken zu wollen, da bereits an der Vokabel „Gott“ dogmatische Definitionsversuche scheitern.[2]
„Im Falle einer echt empfundenen Unverständlichkeit des Wortes ‚Gott‘ muß (sic!) an ein vertrautes Sprachgeschehen verwiesen werden, an dem bestimmtes überliefertes Reden von Gott den Resonanzboden findet, der es zum Klingen bringt und verstehbar werden lässt.“[3]
Das Sprachgeschehen, von dem aus Ebeling seine Dogmatik denkt, ist das Gebet. Hier artikuliert sich Glaube auf einer kommunikativen Ebene. Für das Gelingen der Kommunikation ist ein Faktor elementar: Verständlichkeit. Das bedeutet, dass es sich lohnt, Gebete auf ihr Gottesbild hin zu untersuchen, die in ihrem vielgestaltigen Überlieferungsgeschehen Jahrtausende ebendeshalb überdauert haben, weil in ihnen die Kommunikation als geglückt betrachtet wird.
Diese Arbeit fragt jedoch nicht nach dem Warum des Glückens jenes Sprachgeschehens zwischen Mensch und Gott, sondern will der Frage nachgehen, inwiefern Gebete allgemein (Kap. 2) und der biblischen Überlieferung im Speziellen (Kap. 3 und 4) tatsächlich helfen können, Erkenntnisse über das Sein Gottes aus der Perspektive des (vermittelten) Beters zu gewinnen und so verständlich über Gott zu sprechen. Insofern will die vorliegende Arbeit keinem Anspruch auf synchrone wie diachrone Vollständigkeit genügen. Sie legt sich auf den Bereich jüdisch-christlicher Überlieferung fest und verzichtet bewusst auf die Arbeitsschritte der Literar-, Überlieferungs- sowie der Redaktionskritik. Der Text der fünf zu untersuchenden Gebete wird so hingenommen, wie er heute überliefert ist. Ältere Überlieferungsformen sind an dieser Stelle nicht von Relevanz. Die Auswahl der Texte erscheint nicht nur willkürlich. Sie erfolgt zwar nach Heiler s Kriterien der Kürze, Einfachheit der Sprache[4] sowie der Direktheit zum Adressaten[5], allerdings könnte im Rahmen dieser Arbeit auch jedes andere narrativ eingebundene Gebet der biblischen Überlieferung untersucht werden.
In Anlehnung an Bultmann s Überzeugung, „daß (sic!) sich in jedem Bibeltext die Grundstrukturen menschlichen Daseins spiegeln“[6], wird davon ausgegangen, dass auch heute noch biblische Texte auf das ihnen zu Grunde liegende Grundverständnis allen Daseins existential zu befragen sind. Die Existentiale Interpretation bemüht sich dabei, unter der Voraussetzung „einer Autor und Interpreten gemeinsam erschlossenen Wirklichkeit“[7] die vielgestaltigen Oberflächen der zu untersuchenden Texte zu durchbrechen und an ihre Tiefenstruktur zu gelangen, die Auskunft zu „der darin festgehaltenen Auslegung menschlicher Existenz“[8] geben kann. Aus diesem Grund wird im Rahmen der exegetischen Arbeit von Beter bzw. Beterin als Substitut für Redaktoren bzw. Autoren zu reden sein, da mehr von Interesse ist, wie der Text mit dem Leser kommuniziert, als wer ihn tatsächlich einmal unter welchen Umständen verfasst hat.
Als exegetische Untersuchungsmethode dient eine Synthese von literarischer und psychologischer Kommunikationsanalyse (Exkurs: Kommunikationsanalyse) und trägt damit sowohl der Tatsache der narrativen Eingebundenheit der Gebete als auch dem von menschlicher Seite einzig möglichem Verständnis des Gebets als Kommunikationsgeschehen Rechnung. Zuvor soll und muss jedoch der Frage nachgegangen werden, warum Erkenntnisse über Gott so wichtig für den Menschen sind und worin die Schwierigkeiten des Gotteserkenntnisbegriffes bestehen.
2 Wie ist Gott? – Von der Schwierigkeit, eine Frage zu beantworten
Wie ist Gott? Die Frage trifft den Kern aller Theologie; die Gotteslehre ist qeo-logi,a im eigentlichen Sinne. Sich die Mengen philosophischer wie theologischer Literatur zu dieser Frage vor Augen zu führen, hilft dabei, sich klar zu machen, welchen Stellenwert diese Frage und auch alles von ihr weiterführende bzw. vorauszusetzende Fragen für den Menschen seit alters her hat. Hier wird nicht nur gefragt, wie Gott ist, sondern notwendigerweise auch wie herausgefunden werden kann, wie es um Gottes Sein bestellt ist und welche Attribute ihm zuzuordnen sind. Dafür muss jedoch geklärt werden, wie sich Gotteserkenntnis vollzieht. Und schließlich: Wie – wenn überhaupt – sind Aussagen über Gott zu kommunizieren? Offenbar kann der Mensch als sprachlich verfasstes Wesen nicht anders: „Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“ (Lk 6,45). Es liegt ein unbestreitbares Grundbedürfnis alles Menschlichen vor, herauszufinden, wie es um Gott bzw. das Göttliche bestellt ist. Der Frage, was intentional hinter dieser existenziellen Unausweichlichkeit steht, kann und soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden, da auf sie noch schwerer eine Antwort zu finden sein wird, als auf die Frage nach Gott. Es ist jedoch im Schulterschluss mit Spinoza nicht auszuschließen, dass gerade in der Not(-wendigkeit) und Möglichkeit, diese Frage zu stellen, sich alles spezifisch Menschliche manifestiert.[9] Doch wie können Aussagen über das getroffen werden, das sich Transzendenz auf seine transzendenten Fahnen schreibt?
Es ist nur zu deutlich, dass erdrückende Argumente gegen das Bemühen, Aussagen über Gott zu treffen, sprechen. Die Transzendenz Gottes, der Widerspruch dessen, was über Gott gesagt wird, gegenüber der in der Welt erfahrenen Wirklichkeit sowie das Missverhältnis zwischen Reden über Gott und Tun derjenigen, die sich als autorisierte Redner über Gott der Welt zumuten.[10] Ebeling erkennt:
„Die Weltwirklichkeit erscheint als ein unerschöpfliches Reservoir an Argumenten gegen das Reden von Gott.“[11]
Und dennoch – das Sinnieren, Diskutieren und Schreiben, über die Erfahr- und Erkennbarkeit Gottes lässt nicht ab. Müssten wir – ob der offensichtlichen Unsagbarkeit Gottes – nicht in wittgenstein´sches Schweigen verfallen? Wenn es so ist, dass das Fragen nach Gott den Menschen erst zum Menschen macht, wäre wohl ein zwanghaftes Schweigen über Gott Sünde gegen ihn, den Schöpfer. Welchen Sinn ergibt es, sich nicht nur dieser facettenreichen Fülle an Aussagen über Gott nicht nur auszusetzen, sondern ihnen etwas Eigenes hinzuzufügen? Es ist ein Trugschluss, man könne angesichts kaum weg zu diskutierender individualisierter Erfahrbarkeit Gottes, „die Gotteslehre an einem sturmfreien Ort als ein in sich widerspruchsfreies System konstruieren“.[12] Ebeling s Anspruch, das „Phänomen der Widersprüchlichkeit“[13] nicht als Totschlagargument gegen, sondern als Motivationsmoment für jedes neue Reden über Gott aufzufassen, soll hier maßgeblich und ausschlaggebend dafür sein, über das Instrument der Gebetsanalyse nach Gott zu fragen.
2.1 Gotteserkenntnis und Erkenntnistheorie
Der Mensch kann nicht anders, als über Gott zu reden. Und doch hätte Sisyphos über die Aufgabe, etwas über Gott zu sagen, wohl nicht weniger geflucht als über seinen Stein. Nichtsdestotrotz mutet sich der Mensch dieses Thema immer aufs Neue zu. Das mannigfaltige Überlieferungsgeschehen zum menschlichen Fragen nach Gott lässt daran keinen Zweifel. Doch wie kann herausgefunden werden, wie Gott ist? Der Erwartung, dass auf diese Frage eine Antwort möglich ist, liegen zwei Annahmen zu Grunde: zum einen die der grundsätzlicher Erkenntnisfähigkeit des Menschen, zum anderen die, dass Gott ist. Erst im Weiteren kann gefragt werden, inwiefern Gott überhaupt Gegen-stand dieser menschlichen Erkenntnis sein kann.
2.1.1 Der hermeneutische Zirkel menschlicher Erkenntnis
Der Mensch kann sehen, hören, riechen, schmecken, tasten. Sind seine fünf Sinne darum seine einzigen Mittel und Möglichkeiten, um zu Erkenntnissen zu gelangen? Die empirische Wissenschaft bejaht diese Frage. Jeffner hält in seinen Ausführungen zur Dogmatik als Wissenschaft dennoch daran fest, dass das menschliche Dasein eine Erkenntnisfähigkeit verlangt, welche durch die der reinen Empirie nicht erfasst wird.[14] Die Erkenntnistheorie ist der wissenschaftliche Zweig, der sich dem Verstehen des Prozesses, der sich Erkennen nennt, verschrieben hat.[15] Ihre Geschichte zeigt sich seit Beginn der Neuzeit als Widerstreit unterschiedlicher ontologischer Auffassungen. Wer das Wesen eines Erkenntnisobjekts als maßgeblich ansieht, wird das Fragen nach den zu Grunde liegenden (Natur-)Gesetzen als oberflächlich beurteilen, der empirische Forscher die Wesenssuche als unwissenschaftlich. Dabei prägt gerade die Ontologie, welche die Erkenntnisarbeit begründet, die Art der Erkenntnis. Je nachdem, wie die Welt und das Sein gedacht werden, gestaltet sich auch das, was weiterhin erkannt wird und auch wie sich dieses Erkennen vollzieht. Somit ist die Ontologie nicht nur Gegenstand, sondern auch maßgebliches hermeneutisches Interpretationsinstrument. Hier findet sich ein hermeneutischer Zirkelschluss, der auch und gerade vor dem Begriff der Gotteserkenntnis nicht Halt macht.
2.1.2 Der Begriff der Gotteserkenntnis
Das philosophische Bemühen, das, was dem Glaubenden bereits durch seinen Glauben evident erscheint, für den Verstand nachvollziehbar zu machen, findet sich auskristallisiert in den Gottesbeweisen, welche in jüdischer Tradition im eigentliche Sinne des Beweisbegriffes erst in rabbinischer Zeit erforderlich werden, als sich ein Bewusstseinswechsel vom persönlich erfahrbaren Gott Israels zum Gott der ganzen Welt vollzieht. Die damaligen Beweise dienen jedoch nicht dem Zweck, Zweifel an der grundsätzlichen Existenz Gottes zu entkräften, sondern den Gottesglauben vernunftgemäß zu untermauern. Dabei steht demnach weder die grundsätzliche Existenz Gottes in Frage, noch soll Gott auf einen bloßen Vernunftbegriff reduziert werden. Auch die Gottesbeweise des Mittelalters zielen gerade nicht darauf ab, Glaube und rationale Beweise gegeneinander auszuspielen. Thomas von Aquin zieht in seinen Argumenten nie explizit selbst einen zwingend auf Gott hindeutenden Schluss. Diesen überlässt er getrost dem Einzelnen, dessen Glaube es ist, welcher den ersten Beweger als Gott erkennt, ihn in dieser Weise benennt und sich selbst so in Relation zu diesem positioniert.[16] Anselm von Canterbury bemüht sich hingegen, die logische Notwendigkeit der Existenz Gottes aus ihrer Möglichkeit abzuleiten, was ihm nachträglich die Kritik einbringt, nicht allein von dem Begriff, den wir uns von etwas machen, auf dessen tatsächliche Existenz zu schließen. Sander unterstützt Anselm s Argumentationslinie, indem er den kritisierten „Sprung vom Vorgestellten in die Realität“ als Ort begreift, an dem an der Erkenntnis dessen, „über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“, nichts vorbeigeht.[17] Obwohl Anselm gerade diesen Punkt überwinden und eine vernunftgemäße Darstellung dessen erhalten will, was Gott ist, vollzieht sich Gotteserkenntnis auch hier auf dem Terrain des Glaubens. Ungeachtet dieser Schwächen des ontologischen Gottesbeweises, besticht der Ansatz, dass niemand, zu Gotteserkenntnis kommen kann, d.h. von Gott reden kann, der nicht zuvor „in eine bedrängende sprachliche Gegenüberstellung hineingeführt“[18] worden ist, gerade im Hinblick auf die Fragerichtung dieser Arbeit seine Berechtigung.
2.1.2.1 Gotteserkenntnis als contradictio in adiecto
Die Auffassung der Begriff der Gotteserkenntnis gleiche einem schwarzen Schimmel, liegt in der Beschränkung des Begriffes auf einen Wahrheitsbegriff der empirischen Wissenschaften begründet. Hier nämlich hat nur der etwas erkannt, welcher mit den entsprechenden Methoden einen zuvor aufgestellten Satz verifiziert bzw. falsifiziert hat. Da Gott sich dieser Möglichkeit des Nachweises jedoch entzieht, können auch keine als sinnvoll zu betrachtenden wissenschaftlichen Sätze über ihn gefasst werden.
„Alle sogenannten (sic!) metaphysischen Aussagen ... haben die Eigenschaft der Nichtfalsifizierbarkeit und scheiden daher als mögliche wissenschaftliche Sätze von vornherein aus.“[19]
Wird Erkenntnis in diesem engen Sinne verstanden, ist der Begriff der Gotteserkenntnis tatsächlich als unmögliche Verbindung zu betrachten und insofern unsinnig. Die einzige Erkenntnis, die über Gott mit Mitteln der Naturwissenschaft gewonnen werden kann, ist ebenjene und sich selbst treu bleibend kommt die empirische Wissenschaft zu dem Schluss, dass das, was weder bestätigt noch widerlegt werden kann, nicht existiert. Hier findet sich der Geburtsort des verhältnismäßig jungen Phänomens des Atheismus.[20] Dass gerade der biblische Erkenntnisbegriff sich dieser Auffassung adversativ entgegenstellt, soll im Folgenden erörtert werden.
2.1.2.2 Gotteserkenntnis in theologischer Perspektive
Das Motiv des (Nicht-)Erkennens Gottes spielt in biblischer Tradition eine große Rolle. Dabei ist entscheidend, dass „von einer Unerkennbarkeit Gottes ... nicht die Rede“[21] ist. Wohl aber finden sich Belegstellen für seine Unausforsch- wie Unbegreiflichkeit (vgl. Hi 36,26; Ps 139,6; 147,5; Jes 40,28; 55,8; Röm 11,33). Der ungleiche Halbbruder des Atheismus ist die biblisch bezeugte Gottlosigkeit. Im Unterschied zum Atheisten, resultiert die Haltung des Gottlosen nicht aus der Erkenntnis der Nicht-Existenz Gottes, sondern ist Ausdruck des Nicht-Anerkennens des Gott-Seins Gottes. Der Gottlose hat Gott sehrwohl erkannt, doch er leugnet den als solchen Erkannten.[22] Dass er damit auch sich selbst verleugnet, wird klar, wenn nach dem Subjekt der Gotteserkenntnis gefragt wird. Auch das deutsche Kompositum lässt nicht klar zwischen genitivus subiectivus und obiectivus unterscheiden. So kann Gott sowohl Erkennender wie Erkannter sein. Zwar beschreibt Spinoza den Menschen als singulären Modus, d.h. als einzigartige Daseinsweise, welche dazu in der Lage ist, aus sich selbst heraus im Prozess der Erkenntnis Gottes einen Bezug zu Gott herzustellen, indem dieser als Ursache allen Seins erkannt wird. Gerade diese Beziehung stiftende Erkenntnisfähigkeit mache das spezifisch Menschliche aus und bedinge somit die speziell auf den Menschen ausgerichtete Liebe Gottes.[23] Dennoch will Spinoza nicht in der Hinsicht missverstanden werden, dass Gott des erkennenden Menschen bedürfe. Der Mensch jedoch gehöre als singulärer Modus in seiner Abhängigkeit von Gott sehrwohl zum Begriff Gottes, insofern er zum Ausgangspunkt wird, von dem aus Gott als „Ursache überhaupt“ gedacht werden könne. An dieser Stelle wird der theologische Begriff der Gotteserkenntnis existenziell. Wer Gott als Urgrund allen Seins begreift, erkennt sich selbst in seiner Gesamtheit als von Gott erkannt. Der schroffe Gegensatz zwischen biblischer und neuzeitlich-empirischer Auffassung der Gotteserkenntnis besteht nunmehr darin, dass die biblische Gotteserkenntnis, welche immer dieses Von-Gott-Erkannt-Sein mitmeint, niemals den Menschen nur partiell erfassen könnte.[24] Dies aber ist bei der „Einschränkung des Erkenntnisbegriffs auf empirisch-wissenschaftliche Wahrheitsfindung“[25] auf die Subjekt-Objekt-Relation der Fall. Der Glaube aber, welcher sich im Gebet artikuliert, „vollzieht und entfaltet sich als ein Erkenntnisgeschehen, in dem Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis zu einem einzigen Vorgang werden“[26], indem sie einander bedingen und bewirken. Die Frage, wie man in diesen Erkenntnis-Zirkel einsteigen kann, stellt sich für Ebeling nicht, „weil sich der Mensch als solcher immer schon darin befindet“.[27] Inwiefern genau Gebet als dieser Ort von Erkennen und Erkannt-Sein fungiert, soll nachfolgend gezeigt werden.
2.2 Gebet als erkannter Ort erkennender Gotteserkenntnis
„Was wäre das für ein Gott, der bei jeder Kleinigkeit angerufen werden will – und dann noch bereit ist, sie für uns zu erledigen? ... Glaubst du, ob ein Huhn oder eine Ziege stirbt, interessiert einen Gott?“[28]
Im Anschluss an Anselm von Canterbury ist das Gebet anzunehmen als der Ort, an dem Gott von dem gefunden werden kann, der zuvor schon wusste, an wen er sich in Gestalt dieses „Sprachgeschehens mit Adresse und Möglichkeit zur Antwort“[29] wendet. Wer betet, glaubt bereits und hat für sich das Gebet als Zeit, Raum und Möglichkeit der Gotteserkenntnis erkannt. Diese wird dem Beter jedoch erst im Vollzug des Gebets angesichts der eigenen Sprachlosigkeit gegenüber der erkannten Unsagbarkeit Gottes präsent. Insofern ist Gotteserkenntnis die Erkenntnis der Unzulänglichkeit jedes möglichen Wortes über Gott. Nichts wird genau das treffen, was über Gott gesagt werden müsste, um ihm gerecht zu werden. D.h. indem dem Beter klar wird, dass ihm nicht nur die Worte, sondern auch die Gedanken fehlen, um sich adäquat über Gott auszudrücken, hat er bereits Entscheidendes erkannt. Da Gebet eben ist, was es ist und wie es ist, führt es zu ebendieser Erkenntnis und ist sie gleichermaßen selbst.
2.2.1 Allgemeines
Gebet ist Bekenntnis zu einem Gott, der sich der sprachlichen Verfasstheit des Menschen anpasst, und doch zeugt diese Anpassung nicht von Schwäche oder anders ausgedrückt von Beliebigkeit des Gottes auf Grund von Relativität. Ein Gott, der sich anbeten lässt, lässt dies nicht einfach über sich ergehen; er gebietet dem Menschen zu beten. Dennoch, so scheint es, betet der Mensch nicht, weil es ihm geboten ist, sondern ein inneres Bedürfnis. So formuliert Painadath im Anschluss an Tillich:
„Das Gebet ist das Verlangen des menschlichen Geistes nach seinem unendlichen Ursprung.“[30]
Gebet ist Sprache und da der Mensch sprechen kann, kann er auch beten. So vielseitig er sich seiner Sprache zu bedienen vermag, so vielgestaltig zeigt sich auch sein Gebet. Vom Jubel bis zur Wehklage, vom (Ge-)Schrei bis zum lautlosen Verstummen – zwischen diesen Polen erstreckt sich das Phänomen Gebet.[31]
Diese Arbeit fragt nun nach Gottesbildern und welche Auskunft Einzelgebete des biblischen Zeugnisses phänomenologisch über die zu Grunde liegenden Vorstellungen über Gott geben. Zwei Annahmen lassen eine derartige Herangehensweise erst sinnvoll erscheinen:
[...]
[1] F. Schulz von Thun, Miteinander reden. Bd. I. Reinbek 2008, S. 11.
[2] Vgl. G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens. Bd. I. Tübingen 1979, S. 182ff.
[3] Ebd., S. 184.
[4] Da die Verfasserin über keine Hebräisch-Kenntnisse verfügt, muss zulasten der methodischen Richtigkeit, die Beurteilung der Einfachheit der Sprache und die daraus folgende Textauswahl auf Basis des deutschen Sprachbefundes erfolgen.
[5] Vgl. R. Albertz, Altes Testament. In: TRE, Stichwort „Gebet“, S. 36; F. Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung. München ³1921, S.27, 32.
[6] M. Oeming, Biblische Hermeneutik. Eine Einführung. Darmstadt ²2007, S. 163.
[7] Ebd., S. 172.
[8] Ebd., S. 163.
[9] Vgl. W. Bartuschat, Spinozas Theorie des Menschen. Hamburg 1992, S. 360.
[10] Vgl. Ebeling, S. 164ff.
[11] Ebd., S. 164.
[12] Ebd., S. 169.
[13] Ebd., S. 173.
[14] Vgl. A. Jeffner, Dogmatik in den nordischen Ländern. In: TRE, Stichwort „Dogmatik“, S. 88.
[15] Vgl. F. Kaulbach, In: TRE, Stichwort „Erkenntnis/ Erkenntnistheorie“, S. 144.
[16] Vgl. H.-J. Sander, Einführung in die Gotteslehre. Darmstadt. 2006, S. 112.
[17] Vgl. ebd., S. 114.
[18] Ebd., S. 112f.
[19] Kaulbach, S. 154.
[20] Vgl. Ebeling, S. 178.
[21] Ebd., S. 180.
[22] Vgl. ebd., S. 177.
[23] Vgl. Bartuschat, S. 360.
[24] Vgl. Ebeling, S. 181.
[25] Ebd., S. 179.
[26] Ebd., S. 181.
[27] Ebd., S. 182.
[28] M. A. W. Ott, Sieben Winde, Erkrath 2006, S. 215.
[29] Sander, S. 112.
[30] S. Painadath, Gott als Subjekt des Betens. In: W. Schüßler/ A. J. Reimer (Hg.), Das Gebet als Grundakt des Glaubens. Philosophisch-theologische Überlegungen zum Gebetsverständnis Paul Tillichs. Münster 2004, S. 32.
[31] Vgl. G. Müller, Dogmatische Probleme gegenwärtiger Gebetstheologie. In: TRE, Stichwort „Gebet“, S. 84.
- Quote paper
- Janina Pfaffner (Author), 2009, Das Gebet eines Gerechten - Zur Aussage von Gebetstheorien über die zu Grunde liegenden Gottesbilder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124848
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