Zentrale Frage dieses Aufsatzes ist es, die Gründe zu erforschen, warum die weißrussische Identität während der Sowjetzeit umgedeutet worden ist. Die Gründe dafür sind vor allem in den Kriegsereignissen von 1939 bis 1944 zu suchen. Die Erfahrung in jener Zeit hat zu einem Identitätszuwachs in der weißrussischen Sowjetrepublik bzw. der heutigen Republik Weißrussland geführt. Die folgenden Ausführungen zur sowjetischen bzw. der deutschen Besatzung, die unvorstellbare Zerstörung der Infrastruktur des Landes, die Zwangsmigrationen sowie die letztendliche Befreiung im Jahre 1944 durch die Rote Armee haben die Gesellschaft insgesamt nachhaltiger als jedes andere Ereignis verändert. Für die Historiographie Weißrusslands stellt die Aufarbeitung des Krieges daher eine Neubestimmung ihres Geschichtsverständnisses dar. Es wurde eine neue Geschichte der WSSR fertiggestellt, die eine anti-polnische und anti-deutsche, gleichzeitig aber pro-russische Beziehungsgeschichte beinhaltete und somit, insbesondere durch den Großen Vaterländischen Krieg, zur Dominanz der Sowjetgeschichte geführt hat. Daher bezeichnen die Weißrussen das Jahr 1944 als „Stunde Null“. Ausgehend vom Einmarsch der Roten Armee in Weißrussland wird ab diesem Zeitpunkt die Geschichte des Landes neu definiert. Die versuchsweise Bildung eines Staates in der Vorkriegszeit sollte vergessen werden. Von nun an sollte sich die Gesellschaft nur noch auf die Gegenwart im Rahmen der SU konzentrieren (LINDNER 1999: 302). Merkwürdig ist jedoch, wie leicht und fließend sich die Gesellschaft von dieser neuen Wirklichkeit hat überzeugen lassen. Bis heute identifizieren sich die Weißrussen mit der sowjetischen Vergangenheit. Beispiele dafür sind unter anderem die mit Hilfe von Referenden durchgesetzte Änderung der Staatsfahne, die Einführung neuer Nationalsymbole bzw. Nationalfeste sowie der besondere Status der russischen Sprache innerhalb Weißrusslands.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Weißrussland 1918-1939
- Die sowjetische Okkupation 1939-41
- Die deutsche Besatzung 1941-44
- Die Befreiung durch die Rote Armee und die Nachkriegszeit
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Umdeutung der weißrussischen Identität während der Sowjetzeit, insbesondere im Kontext der Kriegsereignisse von 1939 bis 1944. Die Analyse fokussiert auf die Auswirkungen der Besatzungszeit auf die weißrussische Gesellschaft und ihr Geschichtsverständnis.
- Die geopolitische Lage Weißrusslands und die daraus resultierenden Herrschaftswechsel.
- Die sowjetische Okkupation und ihre Auswirkungen auf die weißrussische Bevölkerung.
- Die Rolle der Zwangsmigrationen in der Formierung der weißrussischen Identität.
- Die Instrumentalisierung ethnischer und sozialer Spannungen durch die Sowjetunion.
- Die Neubestimmung des Geschichtsverständnisses in Weißrussland nach 1944.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung stellt die zentrale Forschungsfrage nach den Gründen der Umdeutung der weißrussischen Identität während der Sowjetzeit dar und skizziert die Bedeutung der Kriegsereignisse von 1939-1944 für die Entwicklung der weißrussischen Identität. Die Arbeit hebt die Bedeutung der Zwangsmigrationen und der "Stunde Null" 1944 hervor.
Weißrussland 1918-1939: Dieses Kapitel beleuchtet die wechselvolle Geschichte Weißrusslands im Kontext seiner geopolitischen Lage, den Herrschaftswechseln und den Versuchen der Staatsbildung. Es werden die Politik der Sowjetisierung und die Polonisierung der Bevölkerung im Zwischenkriegszeit behandelt.
Die sowjetische Okkupation 1939-41: Hier wird die sowjetische Besetzung Weißrusslands und die Etablierung des sowjetischen Systems beschrieben. Der Fokus liegt auf dem sowjetischen Terror, insbesondere gegen die polnische Bevölkerung, und den Maßnahmen zur Festigung der sowjetischen Herrschaft.
Schlüsselwörter
Weißrussland, Identität, Sowjetisierung, Zwangsmigrationen, Zweiter Weltkrieg, Okkupation, Nationalitätenpolitik, kollektives Gedächtnis, Geschichtsverständnis, Repressionen.
- Arbeit zitieren
- Elzbieta Szumanska (Autor:in), 2009, Zwangsmigrationen in Weißrussland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124672