Ziel dieser Arbeit ist es, die geschichtlichen Hintergründe des Wicca auf seinem Weg nach Deutschland zu beleuchten. 1949 erschien ein vermeintlicher Fantasy-Roman mit dem Titel "High Magic’s Aid" in England. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, dass sich hinter dem Pseudonym ‚Scire‘ des Autors niemand geringeres als Gerald Brosseau Gardner verbarg und dass dieses Buch auch weitaus mehr war als ein Fantasy-Roman. Gardner, zum damaligen Zeitpunkt ein Beamter, versuchte über dieses Buch Informationen über lokale Traditionen des Hexentums zu verbreiten.
Die Tarnung als Roman hatte den simplen Zweck des Selbschutzes, denn „Hexerei“ galt zu dieser Zeit in England immer noch als eine Straftat. Nach der Aufhebung dieses Verbotes erschien 1954 ein weiteres Buch, "Witchcraft Today", dieses einmal unter Gardners richtigem Namen. Es sollte dieses Buch sein, dass den Grundstein dafür legte, die losen Traditionen des Hexentums aus Südengland in eine einheitliche Theologie zu formen, die später als Wicca bekannt wurde und heute nach der Auffassung vieler Forschender schon den Status einer Weltreligion erreicht hat.
In Amerika stieg die Anzahl initiierter Wiccas von 1990 bis 2014 um ganze 11.775%, in England gewann Wicca allein zwischen den Jahren 2001 und 2011 über 56.000 neue Anhänger. In Deutschland beläuft sich die Zahl initiierter Wiccas 2020 Schätzungen mehrerer Experten nach auf circa 170.000 bis 300.000. Trotz diesem massiven Zuwachs an Gläubigen in der ganzen Welt beschäftigt sich die meiste Fachliteratur nur mit praktischer Theologie oder dem Leben von einzelnen Personen wie Gerald Gardner. In dieser Publikation hingegen wird auf die britische Geschichte des Wicca nur kurz zum besseren Verständnis der Thematik eingehen.
Inhaltsverzeichnis
Abriss
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Der Ursprung
1.1 New-Forest-Coven
1.2 Bricket-Wood Coven
2 Umbruch und Abspaltung
2.1 Thelma Capel
2.2 Jack Bracelin
3 Sachsenwald
3.1 Traditionen
3.2 Der Weg in die moderne Welt
3.3 Hamburg
4 Fazit
4.1 Zusammenfassung der Publikation
4.2 Reflexion des Mehrwerts
4.3 Ausblick
Literaturverzeichnis
Monografien
Zeitschriftenartikel
Internetquellen
Anhang
Das alte Gesetz (dt.)
The Old Laws („Das alte Gesetz”)
Abriss
Es ist 1949 und ein vermeintlicher Fantasy-Roman mit dem Titel High Magic’s Aid erscheint in England. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, dass sich hinter dem Pseudonym ‚Scire‘ des Autors niemand geringeres als Gerald Brosseau Gardner verbarg und dass dieses Buch auch weitaus mehr war als ein Fantasy-Roman. Gardner, zum damaligen Zeitpunkt ein Beamter, versuchte über dieses Buch Informationen über lokale Traditionen des Hexentums zu verbreiten – die Tarnung als Roman hatte den simplen Zweck des Selbschutzes, denn „Hexerei“ galt zu dieser Zeit in England immer noch als eine Straftat. Nach der Aufhebung dieses Verbotes erschien 1954 ein weiteres Buch, Witchcraft Today, dieses einmal unter Gardners richtigem Namen.
Es sollte dieses Buch sein, dass den Grundstein dafür legte, die losen Traditionen des Hexentums aus Südengland in eine einheitliche Theologie zu formen, die später als Wicca bekannt wurde und heute nach der Auffassung vieler Forschender schon den Status einer Weltreligion erreicht hat. In Amerika stieg die Anzahl initiierter Wiccas von 1990 bis 2014 um ganze 11.775%1, in England gewann Wicca allein zwischen den Jahren 2001 und 2011 über 56.000 neue Anhänger.2 In Deutschland beläuft sich die Zahl initiierter Wiccas 2020 Schätzungen mehrerer Experten nach auf circa 170.000 bis 300.000.
Trotz diesem massiven Zuwachs an Gläubigen in der ganzen Welt beschäftigt sich die meiste Fachliteratur nur mit praktischer Theologie oder dem Leben von einzelnen Personen wie Gerald Gardner. In dieser Publikation hingegen wird auf die britische Geschichte des Wicca nur kurz zum besseren Verständnis der Thematik eingehen. Ziel dieser Arbeit ist es, die geschichtlichen Hintergründe des Wicca auf seinem Weg nach Deutschland zu beleuchten.
Stichworte: Theologie, Neopaganismus, Kultur- und Religionsgeschichte
„Im Gegensatz zu […] anderen Religionen ist Wicca nicht wissenschaftsfeindlich, sondern sieht sich im Einklang mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften, einschließlich der modernen Physik. Die Weltanschauung der Wicca-Religion akzeptiert völlig die kosmologischen Hypothesen zur Entstehung des Universums im Laufe von Jahrmilliarden und akzeptiert die Darwin’sche Evolutionstheorie als den Mechanismus für die Entstehung der Vielfalt des Lebens und dessen Wandel im Laufe von vielen Jahrmillionen der Erdgeschichte. Im Wicca-Glauben gibt es folglich keine Tendenzen zur Förderung eines kreationistischen Weltbildes.
Magie wird im Wicca nicht als übernatürliches Wunder verstanden, sondern als völlig natürliche Wechselwirkung von Geist und Materie in einer ganzheitlichen und dynamischen Welt, in der alles mit allem in nichtlokaler Weise über Raum und Zeit miteinander verbunden ist. [Wiccas glauben] nicht daran, dass mit Magie die Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden können.“
Dr. Günther Bechly3
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Symbol, welches vermutlich vom New-Forest-Coven als Logo genutzt wurde. (Unbekannt, CC0 via Wikimedia)
Abbildung 2: Altes Mühlhaus in Dorset, in der Nähe des New-Forest. Hier traf sich der Coven öfter und auch Gardners Initiation fand wahrscheinlich hier statt. (Kim Dent-Brown, CC0 via Wikimedia)
Abbildung 3: Doreen Valiente, circa 1970. (Unbekannter Fotograph, Zitat via Wikimedia)
Die Lizenzbestimmungen der in dieser Arbeit verwendeten Bilder sind im Internet über die nachfolgenden Links abrufbar.
CC0 https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/
Zitat https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__51.html
Abkürzungsverzeichnis
BTW Britisch Traditionelles Wicca
bzw. beziehungsweise
d.h. das heißt
et al. et alii
f. (und) folgend
ff. (und) fortfolgend
Hrsg. Herausgeber/in
i.d.R. in der Regel
o.g. Oben genannt(en)
S. Seite(n)
SWC Sachsenwald-Coven
1 Der Ursprung
Wo genau der allgemeine Paganismus („Heidentum“) Englands aufhört und wo das beginnt, was wir heute als Wicca kennen, ist umstritten. Gerald Gardner kam nachweislich erstmals in den 1930er Jahren mit einer okkulten Gruppe, dem Rosenkreuzerorden Crotana in Verbindung. Es ist heute bekannt, dass Gardner diese Gruppe und vor allem ihren Anführer, dem er vorwarf, ein unzureichendes Wissen über Theologie zu haben, stark kritisierte und sie gegen Ende der 30er Jahre wieder verließ, allerdings nicht allein.4
In der Gruppe lernte Gardner mehrere Personen kennen, unter anderem die Geschwister Ernest und Susie Mason, die mit ihm gemeinsam den Orden verließen. In einem Interview mit Jack Bracelin (siehe auch 2.2) sollte Gardner später über die Geschwister und seine Erfahrungen mit ihnen in der Gruppe sagen: „Sie schienen eher von Anderen eingeschüchtert zu sein und blieben eher bei sich selbst. Dennoch waren sie die interessantesten Personen. Im Gegensatz zu den anderen hinterfragten sie die Lehren des Leiters und besaßen großes Wissen. [...]“5 Die Geschwister waren es auch, die Gardner wenig später mit einer Frau bekanntmachten, die von Gardner später nur „Dafo“ genannt wurde.
Nach Forschungen mehrerer Historiker, unter anderem Professor Ronald Hutton und Philip Heselton, lässt sich heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass es sich bei der ominösen Dafo um eine Frau mit dem Namen Edith Woodford-Grimes gehandelt haben muss.6 Gardner war eng mit ihr befreundet und bekam 1939 über sie Kontakt zu einer Gruppe von Hexen,7 8 dem New-Forest-Coven.
Achtung
Das Wort „Hexe“ kann hier leicht missverstanden werden. In der gesamten Publikation wird Hexe stets als Bezeichnung für eine Person gebraucht, die dem Hexentum angehörig ist. Mit der stereotypen Darstellung von Zauberinnen in Märchen, welche erst wesentlich später entstand und der Hexenverfolgung (auch Burning Times) hat dieser Begriff nichts zu tun.
1.1 New-Forest-Coven
Abbildung 1: Symbol, welches vermutlich vom New-Forest-Coven als Logo genutzt wurde. (Unbekannt, CC0 via Wikimedia)
Der New-Forest-Coven war lange Zeit eine eher kleine Gruppe. Über seinen genauen Ursprung gibt es nicht viele Informationen, allerdings ist es vor allem aufgrund der vom Coven praktizierten Traditionen sehr wahrscheinlich, dass er von George Pickingill gegründet wurde, einem direkten Nachfahren des so genannten Cunning Folks, einer Gruppe von Englisch stämmigen Personen, die die naturreligiösen Praktiken ihrer Vorfahren bewahrt und weitergereicht haben.
Pickingill gründete nachweislich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere Coven im Süden von England und wurde dadurch auch als der „Neun Coven Vater“ bekannt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich beim New-Forest-Coven um eine dieser Gruppen gehandelt hat, für die Pickingill jeweils eine weibliche Person, im Falle des New-Forest vermutlich Dafo, als Hohepriesterin zur Leitung des Coven eingesetzt hatte.9 Die Traditionen des New-Forest-Coven, welche Gardner später auch weitestgehend übernehmen sollte, stammen ebenfalls von Pickingill ab. Die älteste bekannte Person, die auf diese Traditionen zurückgeführt werden kann, ist Julia „die Hexe“ von Brandon. Sie lebte im frühen 11. Jahrhundert und wurde dafür bekannt, dass sie Schutzrituale für Soldaten vollzogen haben soll.10 11
Gardner wurde im September 1939 von Dafo in den Coven initiiert (d.h. aufgenommen). Hierbei lernte er nach eigener Aussage auch das Wort Wicca kennen, denn es sei in dieser Gruppe üblich gewesen, dass sich die Mitglieder gegenseitig mit Wica (aus dem angelsächsischen übernommen) für einen Mann und Wice für eine Frau angesprochen hätten.12 Die Schreibweise Wicca wurde von Gardner selbst nie verwendet und entstand vermutlich erst später, um die Bezeichnung eines Menschen (Wica/ Wice) von der Bezeichnung der Religion (Wicca) abzugrenzen.
Abbildung 2: Altes Mühlhaus in Dorset, in der Nähe des New-Forest. Hier traf sich der Coven öfter und auch Gardners Initiation fand wahrscheinlich hier statt. (Kim Dent-Brown, CC0 via Wikimedia)
Besonders viel ist darüber hinaus heute leider nicht mehr über den New-Forest-Coven bekannt, auch deshalb, weil Gardner selbst nur wenig über ihn verraten hat und versuchte, die Identität der Mitglieder geheim zu halten. Was allerdings klar ist, ist dass er vor allem seine Erfahrungen mit diesem Coven genutzt hat, um 1949 sein erstes Buch, High Magic’s Aid, zu schreiben.13
Gardner zog Mitte der 1940er Jahre in die Nähe von London um, wodurch der New-Forest-Coven immer kleiner wurde, da Gardner dort zum damaligen Zeitpunkt schon eine entscheidende Schlüsselfigur war. Viele der ehemaligen Mitglieder des Coven folgten Gardner nach London und auch einige, die noch in dieser Gruppe initiiert wurden, wie beispielsweise Doreen Valiente, zogen Gardner nach oder trennten sich vollständig von der Gruppe. Der New-Forest-Coven hatte sich bis Anfang der 1950er Jahre vollständig aufgelöst.14
1.2 Bricket-Wood Coven
Gardner hatte bereits vor seinem Umzug Kontakte zu einem Nudistenclub gemacht und von diesem ein Stück Land abgekauft, welches in der Region des Bricket-Wood lag. Zu diesem Grundstück gehörte unter anderem eine Hütte, die später auch als „Hexenhütte von Bricket-Wood“ bekannt werden sollte.
Im Jahre 1946 entschloss sich Gardner hier einen neuen Coven zu gründen, welcher den Namen Bricket-Wood-Coven trug. Ursprünglich verwendete Gardner die Bezeichnung Hertfordshire Coven, jedoch setzte sich die Bezeichnung Bricket-Wood-Coven schnell durch und auch von Gardner selbst wurde der Coven nur noch so genannt.15
Die Initiatorin von Gardner, Dafo, war ihm ebenfalls nach London gefolgt und wurde von ihm für den neuen Coven auch als Hohepriesterin eingesetzt, während Gardner das Amt des männlichen Hohepriesters selbst übernahm.15 Lange blieb Dafo ihm allerdings nicht erhalten, denn nach sechs Jahren, gegen Jahresende 1952, verließ sie den Coven, da sie fand, Gardner würde zu viel über den Coven verraten und ihn so zu sehr in die Öffentlichkeit ziehen.16 Der Platz von Dafo wurde wenig später mit Valiente neu besetzt, welche vermutlich die letzte Person war, die noch durch den New-Forest-Coven initiiert wurde und die schon recht früh zu einer der engsten Vertrauen Gardners wurde.
Valiente war es auch, die gemeinsam mit Gardner am sogenannten Buch der Schatten des Coven arbeitete. Der Inhalt dieses Buches wurde spätestens seit Mitte der 1950er Jahre an jeden Initianten des Coven weitergegeben, so dass sich der Inhalt unter allen initiierten Wiccas verbreitete, was wiederum eine einheitliche Theologie schaffte und die Entstehung der heute verbreiteten Religion begünstigte.17 18
2 Umbruch und Abspaltung
Ende der 1950er Jahre hatte der Coven so viel öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen, dass auch Valiente von den Methoden Gardners abgeneigt war und dies öffentlich zur Sprache brachte. Sie bestand darauf, dass Gardner feste Regeln aufstellen sollte, was dieser daraufhin auch in Form eines zwölf Absätze langen Textes tat.
Abbildung 3: Doreen Valiente, circa 1970. (Unbekannter Fotograph, Zitat via Wikimedia: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/6/68/Doreen_Valiente_Witch.jpg)
Dieser Text (siehe Anhang 2), welcher heute unter „das alte Gesetz“ bekannt ist und von welchem viele Coven heute eine eigene Version haben (siehe Anhang 1), wurde der breiten Öffentlichkeit erstmals 1961 zugänglich gemacht, nachdem ein Teil des ursprünglichen Buchs der Schatten veröffentlich wurde. Dieser Text umfasste unter anderem Regeln, wie das Geheimhalten von Traditionen, das Verbot jemanden gegen Entgelt zu initiieren und das Gebot magische Namen (d.h. Ordensamen, bzw. Pseudonyme) zu nutzen.19
Trotz der Bemühungen Gardners waren Valiente und auch weitere Mitglied des Coven fortbleibend unzufrieden, u.a. weil das ursprüngliche alte Gesetz auch viele augenscheinlich sinnlose Teile enthielt und Bezug zur Hexenverfolgung nahm. Unter anderem gaben viele Mitglieder an, sie würden sich mit der damals noch fest vorgeschriebenen rituellen Nacktheit („sykclad practice“) unwohl fühlen, einige fanden die Initiationsriten zu streng und wieder andere gaben an, dass sie bei den gemeinsamen Ritualen im Coven keine Freude hatten.20 Diese und weitere Umstände führten schließlich dazu, dass 1957 auch Valiente den Coven verließ.21
2.1 Thelma Capel
Als Ersatz für Valiente übernahm 1958 schließlich Thelma Capel das Amt der Hohepriesterin des Bricket-Wood-Coven.22
Als Gardner sich auf einer längeren Schiffsreise zum damals von ihm und Cecil Williamson gegründeten Museum of Witchcraft and Magic, welches sich damals noch auf der Isle of Man befand, begab, hatte Capel als Hohepriesterin in der Abwesenheit Gardners die alleinige Entscheidungsmacht über den Coven und nutzte die Gelegenheit, um die von vielen lang ersehnten Reformen anzustreben: Das Tragen von Roben war fortan erlaubt, bei einer Initiation wurde auf das Fesseln des Initianten (mit Ausnahme vom Verbinden der Augen und der Hände23 ) verzichtet, bei Ritualen des Coven wurde fortan auch getanzt und gesungen und die Gruppe begann alle acht Feste des heute üblichen Jahreskreises, statt wie zuvor nur vier Feste zu zelebrieren.24
Obwohl Capel viele von Gardners ursprünglichen Regeln außer Kraft setzte, hatte der Coven unter ihrer Führung auch einige Probleme und wurde in dem damals noch sehr christlich geprägten Hertfordshire von der Presse als bösartig hingestellt und einige Mitglieder des Coven sogar regelrecht verfolgt, was schließlich dazu führte, dass Capel selbst mit den Medien in Kontakt trat, um Missverständnisse zu beseitigen und öffentliche Aufklärung zu leisten.25 Dies war bereits nach kurzer Zeit erfolgreich und brachte dem Coven erneut mehr Aufmerksamkeit, dieses Mal im positiven Sinne.
Capel wurde später auch noch zu einer wichtigen Schlüsselfigur in der Verbreitung des Wicca, da sie 1959 nach Kanada umzog und die Traditionen des Wicca dorthin mitbrachte. Trotz ihrer nur kurzen Amtszeit war Capel wohl eine der wichtigsten Hohepriesterinnen in der Geschichte des Wicca.
2.2 Jack Bracelin
Jack Leon Bracelin wurde 1956 in den Bricket-Wood-Coven initiiert und pflegte ein enges Verhältnis zu Gardner. Er wurde von ihm in den dritten Grad erhoben, was ihm ermöglichte Hohepriester zu werden und zeigte sich auch von sich aus sehr engagiert, beispielsweise bei der Pflege des Grundstücks, auf dem sich die Hexenhütte befand.26
Bracelins Ansichten und Perspektiven zu Wicca waren lockerer als die von Gardner, aber auch strenger als die von Valiente. Er sah Wicca schon vor seiner internationalen Verbreitung als eine neue Religion an, wollte die Traditionen aber dennoch weitestgehend geheim halten und auch über den Coven Stillschweigen bewahren. Er pflegte daher viele Kontakte, unter anderem auch zu dem Nudistenclub, dem die Hexenhütte ehemals gehörte und sorgte so immer für viele neue Suchende (d.h. Personen, die an einer Initiation interessiert sind) im Coven.
Aufgrund seiner Stellung im Coven und seiner Beziehung zu Gardner übernahm Bracelin auch das Amt des Hohepriesters, als Gardner 1964 auf einer Schiffsreise verstarb.
Bracelin war ebenfalls eine für die Verbreitung des Wicca sehr entscheidende Person, da er die ursprüngliche Regel, eine Person müsse mindestens ein Jahr und einen Tag lang Mitglied des Coven sein, um initiiert zu werden, oft etwas lockerer sah. Schätzungen zu folge initiierte Bracelin bereits vor Gardners Ableben mehrere Dutzende Personen, nachdem er selbst Hohepriester war, erneut vermutlich an die hundert oder mehr.27 Der Bricket-Wood-Coven besteht bis heute und ist damit nicht nur der älteste noch existierende Coven weltweit, sondern auch vermutlich der Coven, der in seiner gesamten Zeit die meisten Personen initiiert hat.
Unter den zwischen den Jahren 1964 und 1970 von Bracelin initiierten Personen war auch Rita (von noch lebenden Personen werden in dieser Publikation, sofern nicht bereits öffentlich bekannt, nur die magischen Namen und nicht die bürgerlichen Namen genannt), welche im Bricket-Wood-Coven einige Jahre verbrachte und dort ihren dritten Grad erhielt, bis sie schließlich Ende 1968 aufgrund von Heirat nach Schleswig-Holstein, genauer nach Aumühle, umzog und dort auch den wahrscheinlich ersten deutschen Coven gründete.
3 Sachsenwald
Rita wurde zwar in England geboren, war aber mit einem deutschen Mann verlobt und sprach auch schon vor ihrer Heirat und dem damit verbundenen Umzug nach Deutschland fließend deutsch. Sie interessierte sich schon vor ihrem Kontakt mit Bracelin und dem Bricket-Wood-Coven für den Paganismus und fand an Wicca schnell Gefallen.28
Zusammen mit ihrem Ehemann und ihrer alten Freundin Valerie (magischer Name), die sie schon aus England kannte, gründete sie 1969 einen Coven im nahegelegenen Sachsenwald, welcher der Gruppe auch den Namen „Sachsenwald-Coven“ einbrachte. Anfangs hatte der Coven nur diese drei Mitglieder, jedoch gewannt er – aufgrund der günstigen Lage in der Nähe von Hamburg – schon bald seine ersten neuen Mitglieder.
3.1 Traditionen
Der Sachsenwald-Coven verfolgte, aufgrund der Initiationslinie, die Traditionen des Gardnerischen-Wicca. Dennoch gab es einige Unterschiede zu Coven der gleichen Tradition, die in anderen Ländern zur selben Zeit existierten.
Männer und Frauen waren in diesem Coven absolut gleichgestellt und Hohepriesterin und Hohepriester leiteten die Gruppe gemeinsam, ohne dass einer der beiden mehr Entscheidungsmacht hätte. Das Ganze sei so ausdiskutiert worden und habe nicht daran gelegen, dass Rita und ihr Ehemann die Ämter der Hohepriesterin und des Hohepriesters inne hatten.29
Im Jahre 1970 wurde erstmals eine lesbische Frau in den Coven initiiert. Trotz der Tatsache, dass Homosexualität seit 1969 nicht mehr als Verbrechen galt, war es zu dieser Zeit dennoch nicht üblich, dass man als homosexuelle Person in einer Glaubensgemeinschaft akzeptiert wurde.30 Man sah hierbei keinerlei Probleme, vor allem auch, da Männer und Frauen wie bereits o.g. von Anfang an gleichgestellt waren und ihnen mit Ausnahme von Hohepriesterin und Hohepriester als Repräsentanten der großen Göttin und des gehörten Gottes, auch keine geschlechterspezifische Aufgaben zukamen, was eine gezielte Aufnahme von gleich vielen Männern wie Frauen begründet hätte.
Nicht nur im Sachsenwald-Coven, sondern auch international wurde mit Ende des 20. Jahrhunderts immer mehr Abstand von ehemals stark an heteronormativen Vorstellungen orientierten Ritualen genommen und allgemein mehr persönliche Freiheit ausgelebt.31 32
Die Grade wurden im Coven ebenfalls nicht so benannt, wie es ursprünglich im Bricket-Wood-Coven üblich war. Laut Gardner sollte man den ersten Grad nach einem Jahr und einem Tag erreichen und in diesem bereits ein Priester, bzw. eine Priesterin sein. Der Sachsenwald-Coven hingegen beschloss schon frühzeitig, dass eine Person im ersten Grad als Eingeweihter bezeichnet werden sollte, aber erst im zweiten Grad, welchen man nach einem Jahr und einem Tag erreichen konnte, als Priester, bzw. Priesterin zählte. Der Stand des Hohepriesters, bzw. der Hohepriesterin wurde erst mit dem dritten Grad erreicht, was heutzutage eher für Gruppen des Alexandrischen-Wicca (Initiationsline nach Alex Sanders) und Algard-Wicca (Vermischung von den Traditionen Gardners und Sanders) üblich ist. Obwohl diese Änderung ungewöhnlich scheint, lässt sie sich doch leicht begründen. Schon zu der Zeit, als Gardner noch Hohepriester des Bricket-Wood-Coven war, waren die Bezeichnungen der einzelnen Grade ein Streitthema; einige Mitglieder fanden es unlogisch, dass man schon direkt im ersten Grad als Priester, bzw. Priesterin angesprochen wurde, obwohl man durch die Initiation überhaupt erst Zugang zum gemeinsamen Buch der Schatten bekam, welches zum fortgeschrittenen Lernen der Traditionen des Wicca damals unerlässlich war.33 Aufgrund vorbezeichneter Umstände, nutzte der Coven ab 1974 auch nicht mehr die Bezeichnung Gardnerisches-Wicca, sondern verstand sich selbst als Coven des Algard-Wicca, da die Traditionen von Gardner mit einigen Ideen kombiniert wurden, die Alex Sanders, Doreen Valiente, Raymond Buckland und weitere in der Geschichte des Wicca bedeutsame Personen hatten.
[...]
1 Goldman, 2009; Pew Research Center, 2014.
2 Office for National Statistics, 2011.
3 Dr. Bechly, Günther: Wicca und Naturwissenschaft, in: Wikibooks, 2007.
4 Heselton, Philip: Wiccan Roots: Gerald Gardner and the Modern Witchcraft Revival, Capall Bann Publishing, 2000.
5 Bracelin, Jack: Gerald Gardner: Witch, Octagon Press, 1960. S. 165 ff.
6 Vgl. Heselton, 2000. S. 119 ff.
7 Vgl. Edea, Shina: Was ist eine Hexe, in Lilienhain, 2001.
8 Vgl. Hutton, Ronald: The Witch: A History of Fear, from Ancient Times to the Present, Yale University Press, 2017.
9 Heselton, Philip: In Search of the New Forest Coven, Fenix Flames, 2020.
10 Grimassi, Raven: Encyclopedia of Wicca & Witchcraft, Llewellyn, 2000. S. 327 f.
11 Vgl. Meiner-Spring, Wicca et al.: Sammlung des Hexenmuseums Schweiz auf Schloss Liebegg.
12 Hutton, Ronald: The Triumph of the Moon: A History of Modern Pagan Witchcraft, Oxford University Press, 2001.
13 Howard, Michael: Modern Wicca: A History from Gerald Gardner to the Present, Llewellyn, 2010.
14 Vgl. Heselton, 2020.
15 Vgl. Hutton, 2001.
16 Bricket-Wood-Coven: The History of the Bricket-Wood-Coven.
17 Vgl. Hutton, 2001.
18 Crowley, Vivinanne: Wicca: A Comprehensive Guide to the Old Religion in the Modern World, Element, 2011.
19 Gardner, Gerald et al.: The Gardnerian Book of Shadows, Forgotten Books, 2008.
20 Lamond, Frederic: Fünfzig Jahre Wicca: Ein kritischer persönlicher Rückblick, Alraunen-Verlag, 2007.
21 Vgl. Bricket-Wood-Coven, online.
22 Morgana: A Meeting With Dayonis, Wiccan Rede, 01.05.2017.
23 Buckland, Raymond: Buckland’s Complete Book of Witchcraft, Llewellyn, 1986.
24 Vgl. Lamond, 2007.
25 Bishop, Peter: ‘Now I Will Lose My Job’ Says Girl Who Revels in Nude Rites, The People, 11.01.1959.
26 Vgl. Lamond, 2007; Vgl. Bricket-Wood-Coven, online.
27 Vgl. Wallworth, William: Jack Bracelin – High Priest of the Bricket Wood Coven, Exile Publications, 2022.
28 Rita, pers. komm., 31. Oktober 2021.
29 Vgl. Rita, 2021.
30 Ford, Michael: The Path of Green Man: Gay Men, Wicca, and Living a Magical Life, Citadel Press, 2005.
31 Vgl. Buckland, 1986.
32 Mooney, Thron: Traditional Wicca: A Seeker’s Guide, Llewellyn, 2018.
33 Vgl. Lamond, 2007. S. 185 ff.
- Arbeit zitieren
- Lunas (Autor:in), 2022, Der Wicca auf seinem Weg nach Deutschland. Geschichte und Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1246635
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