Im Folgenden soll die Interpretation von vier Texteinheiten zum Verständnis der Funktion des Liebestranks innerhalb der Gottfriedschen Liebeskonzeption beitragen. Zunächst wird die Vorgeschichte Riwalins und Blanscheflurs in den Blick genommen und anschließend steht die Liebe zwischen Tristan und Isolde ausführlich im Mittelpunkt. Danach soll kurz auf die Liebe Markes zu Isolde und auf die Beziehung zwischen Tristan und Isolde Weißhand eingegangen werden. Auf einen Vergleich mit weiteren Tristan-Fassungen wird dabei zugunsten einer detaillierten Analyse von Gottfrieds Werk verzichtet.
3 Tristan und Isolde
4 Marke und Isolde
5 Tristan und Isolde Weißhand
6 Fazit
Primärliteratur
Sekundärliteratur
1 Einleitung
Gottfrieds von Straßburg Tristan unterscheidet sich von allen anderen höfischen Romanen durch die überragende Bedeutung der Liebe. Abgesehen von der Handlung selbst betonen auch die ungewöhnlichen theoretischen Exkurse und Reflexionen Gottfrieds diese Herausgehobenheit der Liebe über alle anderen Themen der zeitgenössischen Literatur. Die Deutung dieser Liebe erweist sich allerdings als besonders problematisch und rätselhaft. Ein Indiz hierfür kann im widerspruchsvollen und ambivalenten Eindruck des Tristan gesehen werden, den dieser bei seinen Lesern bzw. Hörern hinterlässt; diese Zwiespältigkeit kann für zahlreiche Schichten des Werkes festgestellt werden, gilt aber im Besonderen für das beherrschende Thema ‚Liebe’.
Bei der Beantwortung der Frage nach Gottfrieds von Straßburg Liebesauffassung muss daher diese Ambivalenz bedacht werden. Haug fasst sie in dem Titel „Sexueller Sündenfall oder erotische Utopie“ in einem Aufsatz treffend zusammen, womit die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit der Interpretation einer das Werk übergreifenden stimmigen Gesamtkonzeption des Liebesverständnisses Gottfrieds verdeutlicht wird. Gottfried preist einerseits die Liebe zwischen Mann und Frau als die Erfüllung des menschlichen Daseins und lässt andererseits die Liebenden aufgrund ihrer Liebe an der Welt scheitern.
Dieser Widerspruch lässt sich der Differenz von Handlungs- und Reflexions- bzw. Exkursebene des Tristanromans zuordnen: Die Handlung führt ein ehebrecherisches Liebespaar vor, das seine Liebe vor der Gesellschaft verstecken muss, während auf der zweiten Ebene eine Liebesidee von hohem und idealem Anspruch entwickelt wird. Eine Antwort auf die Frage nach ‚der’ Gottfriedschen Liebesauffassung ist daher nicht möglich, sondern es muss zwischen diesen beiden Werkebenen unterschieden werden. Mit Blick auf die Funktion des Liebestranks innerhalb ‚einer’ Liebesauffassung des Dichters erscheint es sinnvoll, nur die Handlungsebene zu betrachten, auf der der Liebestrank eine zentrale Rolle spielt.
Im Folgenden soll die Interpretation von vier Texteinheiten zum Verständnis der Funktion des Liebestranks innerhalb der Gottfriedschen Liebeskonzeption beitragen. Zunächst wird die Vorgeschichte Riwalins und Blanscheflurs in den Blick genommen und anschließend steht die Liebe zwischen Tristan und Isolde ausführlich im Mittelpunkt. Danach soll kurz auf die Liebe Markes zu Isolde und auf die Beziehung zwischen Tristan und Isolde Weißhand eingegangen werden. Auf einen Vergleich mit weiteren Tristan-Fassungen wird dabei zugunsten einer detaillierten Analyse von Gottfrieds Werk verzichtet.
2 Riwalin und Blanscheflur
Der Eintritt in die Handlung erfolgt in einer dem höfischen Roman geläufigen Eltern-vorgeschichte. Diese Exposition ist Ausdruck genealogischen Denkens: Die Haupthelden führen das aus, was in ihrer Art, ihrer ererbten ‚Natur’ angelegt ist. So haben die Eltern Riwalin und Blanscheflur Tristan sein Minneschicksal vorgelebt und zahlreiche Spiegelungen von Vorgeschichte und Haupthandlung beschreiben dabei das Verhältnis von Verheißung und Erfüllung, von Vorbereitung und Vollendung, wie es das Mittelalter in der Denkform der Typologie von Altem und Neuem Testament entwickelt hat.
Objektiv werden in der Vorgeschichte die treibenden Prinzipien aufgedeckt, welche die Lebensschicksale gleichermaßen bestimmen. Bereits die erste Vorstellung von Tristans Vater Riwalin macht ein Handlungsgesetz von größter Tragweite sichtbar. Gottfried beginnt mit einer Charakterskizze, die den jungen Landsherren mit allen äußeren und inneren Vorzügen ausstattet, aber er nennt auch seinen „übermuot“ und weist in diesem Zusammenhang auf die mittelalterliche Technik der Bärenjagd hin. Besonders Letzteres verdeutlicht das Gesetz des Handelns als ein antagonistisches Auseinandertreten von innerem Antrieb und äußerer Einwirkung. Dieses Prinzip durchzieht als „âventiure“ das gesamte Werk.
An Markes Hof in Cornwall begegnet Riwalin nach seiner Bestleistung im Turnier „von âventiuren“ („zufällig“) Blanscheflur in der Ideallandschaft des Maifestes. Diese Begegnung und das kurze Gespräch lösen eine Seelenmechanik aus, wie sie für die Beschreibung von Minneentstehung typisch ist: Riwalin reflektiert das Erlebte und Gottfried verwendet hierbei das Bild der Leimrute, die zum Vogelfang benötigt wird.
Auch Blanscheflur beklagt ihren leidvollen und schmerzlichen Zustand („leide und âlso swâre“) nach der Begegnung mit Riwalin in einem langen Monolog und versucht, den Ursprung ihrer Zuneigung zu Riwalin zu ergründen. Sie kommt zu dem eigentümlichen Ergebnis, dass es die bewundernden Reden der übrigen Damen auf der Tribüne waren, die ihre Liebe entzündet haben. So bewirkt in erster Linie das Lob der Damen den schicksalhaften Minneanstoß und erst dann ist es Blanscheflurs Individualität, nämlich ihr „muot“, der sie zur Liebe führt. So wächst sowohl bei Riwalin als auch bei Blanscheflur die Liebe durch ihren Reflexionsprozess und Blanscheflur lehnt die Beteiligung eines „zoubers“ ausdrücklich ab. Andererseits wird die absolute Macht der Minne im Bild der Leimrute und der Bärenfalle angedeutet. Ebenso wie der Bärenhammer stellt die Leimrute eine Falle dar, bei der sich ein Tier gegen eine heimtückische Vorrichtung wehrt, die so angelegt ist, dass es sich dadurch selbst fängt. Diese Beobachtung überträgt der Erzähler auf alle Liebenden und zeigt dadurch das Unbehagliche an der Liebe. Wichtig ist, dass beide Fallen den Zielpunkt der Bewegung vorzeichnen, da sie zum Tod führen; auf die Liebe übertragen bedeutet dies, dass auch sie zum Tod führt. Eine solche Deutung nennt Gottfried nicht explizit, aber sie weist auf den Liebestrank voraus, von dem diese Eigenschaft ausdrücklich behauptet wird: „ez was diu wernde swaere, diu endelôse herzenôt, von der si beide lâgen tôt.“
Als Riwalin von seinem Kampf für Marke schwer verwundet zurückkehrt, leidet Blanscheflur Liebesqualen und gelangt schließlich als Bettlerin verkleidet in der Rolle der Ärztin – Verkörperung der Minne – zu Riwalin und empfängt damit gleichsam den Tod, weil sie bei der Geburt des Kindes, das sie in dieser Nacht empfängt, sterben wird. Riwalin wird zwar wieder gesund, aber fällt kurz darauf im Kampf gegen Morgan, nachdem er mit seiner Geliebten heimlich nach Parmenien abgereist ist.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Vorgeschichte von Tristans Eltern eine Präfiguration der Haupthandlung darstellt und damit das große Thema des Romans vorwegnimmt. Zugleich werden drei Bereiche der Minne aufgezeigt, die die Riwalin-Blanscheflur-Liebe jetzt bestimmen und die die Tristan-Isolde-Handlung bestimmen werden: Der Konflikt zwischen Freude und Leid der Liebe, die Problematik von „minne“ und „êre“ und die Differenz zwischen Schicksalhaftigkeit bzw. Macht der Liebe und Selbstbestimmung des Menschen. Zum Ersteren kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Liebe erzählerisch als eine Macht entfaltet wird, die sich sogleich destruktiv auf das Leben der Protagonisten auswirkt. Die Schilderung der Liebe dokumentiert viele leidvolle Erfahrungen im Gegensatz zu kurzen Momenten des Glücks, die zum Teil von der Furcht der Entdeckung überschattet sind (Blanscheflurs heimlicher Besuch beim todkranken Riwalin, die Schwangerschaft Blanscheflurs und ihre heimliche Mitreise nach Parmenien).
- Quote paper
- Angela Lintzen (Author), 2008, Funktion des Tranks innerhalb der Liebesauffassung Gottfrieds in "Tristan und Isolde", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1246607
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