Stanley Kubricks einziger Horrorfilm, „The Shining“, wurde im Mai 1980 in den USA erstaufgeführt, im Oktober des gleichen Jahres startete der Film auch in den Kinos in Deutschland und Großbritannien. Kubricks Adaption des gleichnamigen kommerziell sehr erfolgreichen Horror-Romans von Stephen King aus dem Jahr 1977 avancierte im Laufe der Jahre international zum Kultfilm. Diese Entwicklung war jedoch zunächst nicht anzunehmen, denn Kritiker bezeichneten „The Shining“ als misslungen, da der Film zu weit von der literarischen Vorlage entfernt und zudem nicht „gruselig“ sei. Da Kubricks Verfilmung vom konventionellen Horrorfilm abweicht, ist womöglich das Unheimliche - falls vorhanden - in diesem Film anders zu verorten. In dieser Arbeit wird die europäische Fassung des Films in der englischen Originalversion daraufhin untersucht, wie „das Unheimliche“ für diesen Film definiert werden könne und wo und mit welchen Analysemethoden es zu finden sei.
In der Filmwissenschaft wird traditionell davon ausgegangen, dass die Methode der psychoanalytischen Auslegung für Horrorfilme besonders geeignet sei, weil diese Filme „Angstlust“ erzeugen, „Abenteuer der inneren Art“ darstellen, und „das Fremde als Konstrukt der eigenen Psyche“ auftrete. Dies ist auch das Thema von Freuds Essay „Das Unheimliche“ von 1919, das zu einer Standardgrundlage für die Analyse von Horrorfilmen wurde. Auch Kubricks „The Shining“ wurde meist auf diese Weise analysiert, da der Regisseur nachweislich mit seiner Ko-Drehbuchautorin, der Literaturdozentin und Gothic Novel-Expertin, Diane Johnson, Freuds Essay „Das Unheimliche“ studiert habe. Noël Carroll dagegen merkt an, dass diese Methode nicht ausnahmslos für alle Horrorfilme geeignet sei und die Anwendung verschiedener Analysemethoden nebeneinander sinnvoller sein könne. Letztere Vorgehensweise wird in dieser Arbeit übernommen, da der Regisseur zahlreiche genre-atypische Elemente oder Motive eingesetzt hat, wie die fehlende Aufklärung der Ereignisse, die Darstellung der Krise der Wahrnehmung der Figuren und den Verlust menschlicher Kontrolle über den Raum. Dabei [gewinnt] „das Labyrinth [..] Oberhand über die Architektur [des Handlungsortes und der Handlung]“. Das im Film dominante Labyrinth-Motiv eignet sich beispielsweise für eine philosophisch-hermeneutische Interpretation: mit Friedrich Nietzsche könnte dieser Film auf allen Ebenen übergreifend zusammengefasst werden als Blick in das „Labyrinthische“ des Menschen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Labyrinthe: Analysen der Konstellation Ort/Raum - Figuren - Metaphysis/Zeit
- 2.1 Handlung und literarische Vorlage
- 2.2 Analyse des Ortes: Das Overlook Hotel - „Mise-en-espace“
- 2.2.1 Locus Horribilis vs. „Trautes Heim“
- 2.2.2 Ankunft in der Heterotopie des Horrors
- 2.2.3 Innen wie außen: Desorientierung im Labyrinth des Raums
- 2.3 Analyse der Figuren: Das Unheimliche (in) der Familie Torrance
- 2.3.1 Beziehung zwischen Jack und Wendy
- 2.3.2 Beziehung zwischen Jack und Danny
- 2.3.3 Beziehung zwischen Danny und Hallorann
- 2.3.4 Die Figuren im „Labyrinth des Inneren“
- 2.4 Analyse der Metaphysik - „Mise-en-temps“
- 2.4.1 Elemente der Metaphysik und ihre unheimlichen Effekte: Visionen, Dopplungen, Spiegelungen
- 2.4.2 Das Immaterielle verhält sich materiell
- 2.4.3 „All times are one“: Im Labyrinth der Zeit
- 3. Schlussteil: Zusammenfassung, Kommentierung, Ausblick
- 4. Literaturverzeichnis
- 5. Anhang
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Stanley Kubricks „The Shining“ auf die Verortung des Unheimlichen. Im Gegensatz zu gängigen psychoanalytischen Interpretationen, die sich auf die psychische Belastung der Familie Torrance konzentrieren, wird hier die These vertreten, dass das Unheimliche im „Labyrinth des Geistes“ der Figuren liegt. Die Analyse betrachtet die Konstellation von Ort/Raum, Figuren und Metaphysik/Zeit, um diese These zu überprüfen.
- Das Labyrinth-Motiv als zentrale Metapher für Raum, Zeit und Geist
- Die Rolle des Overlook Hotels als heterotopischer Raum
- Psychoanalytische und philosophisch-hermeneutische Analysemethoden
- Vergleich zwischen Film und literarischer Vorlage
- Die Darstellung des Unheimlichen jenseits des konventionellen Horrorfilms
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Forschungsfrage nach der Verortung des Unheimlichen in Kubricks „The Shining“ vor. Sie diskutiert unterschiedliche Interpretationsansätze, insbesondere die psychoanalytische Methode und den Ansatz von Noël Carroll, der die Anwendung verschiedener Analysemethoden befürwortet. Die Arbeit argumentiert für einen ontologisch-metaphysischen Zugang, der das Unheimliche nicht nur in den psychischen Zuständen der Figuren, sondern auch im Raum und der Zeit verortet. Die zentrale These der Arbeit ist, dass das Verlorensein der Figuren in einem ontologischen Labyrinth den Kern des Unheimlichen bildet.
2. Die Labyrinthe: Analysen der Konstellation Ort/Raum - Figuren - Metaphysis/Zeit: Dieses Kapitel bildet den Kern der Arbeit und analysiert systematisch die Konstellation von Ort/Raum, Figuren und Metaphysik/Zeit. Es beginnt mit einer Gegenüberstellung von Film und Romanvorlage, um die Unterschiede herauszuarbeiten. Anschließend werden der Raum (das Overlook Hotel als Heterotopie), die Figuren (ihre Beziehungen und psychischen Zustände) und die Zeit (die metaphysischen Elemente wie Visionen und Spiegelungen) untersucht. Die Analyse verbindet psychoanalytische und philosophisch-hermeneutische Methoden (Foucault, Nietzsche) um die These vom „Labyrinth des Geistes“ zu stützen.
Schlüsselwörter
The Shining, Stanley Kubrick, Unheimliches, Labyrinth, Heterotopie, Metaphysik, Zeit, Raum, Psychoanalyse, Philosophie, Hermeneutik, Film, Romanvorlage, Figuren Analyse, Mise-en-scène, Mise-en-temps.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse von Stanley Kubricks "The Shining"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese akademische Arbeit analysiert Stanley Kubricks Film "The Shining" und konzentriert sich auf die Verortung des Unheimlichen. Im Gegensatz zu rein psychoanalytischen Ansätzen wird das Unheimliche nicht nur in der Psyche der Figuren verortet, sondern auch im Raum, der Zeit und ihrer Interaktion.
Welche These wird in der Arbeit vertreten?
Die zentrale These ist, dass das Verlorensein der Figuren in einem ontologischen Labyrinth den Kern des Unheimlichen in "The Shining" bildet. Das Labyrinth dient als Metapher für Raum, Zeit und den "Geist" der Figuren.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Hauptkapitel mit Analyse der Konstellation Ort/Raum - Figuren - Metaphysik/Zeit, einen Schlussteil mit Zusammenfassung und Ausblick, ein Literaturverzeichnis und einen Anhang.
Wie wird das Overlook Hotel in der Analyse betrachtet?
Das Overlook Hotel wird als heterotopischer Raum analysiert, der zum Schauplatz des Unheimlichen wird und zur Desorientierung der Figuren beiträgt. Seine Rolle als "Locus Horribilis" im Gegensatz zu einem "Trautes Heim" wird untersucht.
Welche Analysemethoden werden verwendet?
Die Arbeit kombiniert psychoanalytische und philosophisch-hermeneutische Methoden (u.a. Foucault, Nietzsche). Sie vergleicht den Film mit der literarischen Vorlage und untersucht die Beziehungen zwischen den Figuren und deren psychische Zustände.
Welche Aspekte der Metaphysik werden untersucht?
Die Analyse der Metaphysik konzentriert sich auf Elemente wie Visionen, Dopplungen und Spiegelungen und deren Wirkung im Kontext des Unheimlichen. Der Begriff der "Mise-en-temps" wird verwendet, um die zeitlichen Aspekte der Erzählung und die Darstellung der Zeit im Film zu untersuchen.
Welche Schlüsselbegriffe sind zentral für die Analyse?
Schlüsselbegriffe sind: The Shining, Stanley Kubrick, Unheimliches, Labyrinth, Heterotopie, Metaphysik, Zeit, Raum, Psychoanalyse, Philosophie, Hermeneutik, Film, Romanvorlage, Figuren Analyse, Mise-en-scène, Mise-en-temps.
Welche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt?
Die zentrale Forschungsfrage ist: Wo genau verortet sich das Unheimliche in Kubricks "The Shining"? Die Arbeit widerlegt die Konzentration auf rein psychologische Aspekte und erweitert den Blick auf räumliche, zeitliche und metaphysische Dimensionen.
Wie werden die Figuren analysiert?
Die Figuren werden im Kontext ihrer Beziehungen zueinander analysiert (Jack und Wendy, Jack und Danny, Danny und Hallorann). Ihr „Verlorensein im Labyrinth des Inneren“ wird als zentraler Aspekt des Unheimlichen betrachtet.
Was ist das Fazit der Arbeit?
Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass das Unheimliche in "The Shining" nicht allein auf die psychischen Zustände der Figuren beschränkt ist, sondern in der komplexen Interaktion von Raum, Zeit und den metaphysischen Elementen des Films liegt, die durch das Labyrinth-Motiv symbolisiert werden.
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- Tatjana Nicholson (Author), 2018, Verloren im Labyrinth. Die Verortung des Unheimlichen in Stanley Kubricks "The Shining", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1245823