Diese Arbeit beschäftigt sich anhand des Beispiels der türkischen Republik mit dem Einfluss, den das Militärs über direkte Interventionen oder Putschandrohungen auf politische Systeme nehmen kann.
Der erste Teil (Kapitel 2) stellt zusammenfassend Konzepte dar, die zum Einfluss von Militärs auf politische Systeme erarbeitet wurden. Dabei dient das Buch „Non-democratic regimes” von Paul Brooker als Basis. Brooker fasst die zentralen Aussagen der Politikwissenschaftler Samuel E. Finer, Amos Perlmutter, Eric A. Nordlinger und Samuel P. Huntington zusammen. Da ansonsten der Rahmen dieser Ausarbeitung gesprengt würde, beschränkt sie sich auf die Ausführungen zu Finer und Nordlinger: Finers Ansatz bezieht sich auf die Struktur von Militärregimes. Nordlinger ergänzt diesen Ansatz mit seiner Typologie von Rollen, die Militärregime innerhalb des Staates und der Gesellschaft übernehmen können. Das Kapitel fasst die für das Verständnis des türkischen Beispiels vorab zu nennenden Aussagen zusammen und orientiert sich dabei an den einzelnen Entwicklungsphasen militärischer Regimes.
Im dritten Kapitel wird diese Grundlage auf das praktische Beispiel der drei erfolgreichen Interventionen des türkischen Militärs von 1960, 1971 und 1980 angewandt, um im Anschluss (Kapitel 4) zu bewerten, welche Bedeutung das Militär in den letzten 50 Jahren für die Entwicklung der türkischen Republik hatte.
Angesichts des EU-Beitrittsprozesses der Türkei sowie der politischen Krise, die im Jahr 2007 im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl zu beobachten war, wird das letzte Kapitel abschließend erörtern, in welcher Position sich das Militär gegenwärtig befindet und welches Verhalten in Zukunft von ihm zu erwarten ist.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Theorie
2.1 Die Machtergreifung
2.2 Die Konsolidierung der Macht
2.2.1 Legitimität
2.2.2 Kontrolle
2.3 Typen militärischer Herrschaft
2.4 Die Abgabe der Macht
3. Das Beispiel der Türkei
3.1 Die traditionelle Rolle des Militärs in der Türkei
3.2 Der Putsch vom 27. Mai 1960
3.3 Die Intervention vom 12. März 1971
3.4 Der Putsch vom 12. September 1980
4. Fazit
5. Gegenwart und Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wie im Seminar „Transformation politischer Systeme“ gezeigt wurde, gibt es zahlreiche Gründe und Verlaufsmöglichkeiten für die Entwicklung politischer Systeme. Diese Arbeit beschäftigt sich anhand des Beispiels der türkischen Republik mit dem Einfluss, den das Militärs über direkte Interventionen oder Putschandrohungen nehmen kann.
Der erste Teil (Kapitel 2) stellt zusammenfassend Konzepte dar, die zum Einfluss von Militärs auf politische Systeme erarbeitet wurden. Dabei dient das Buch „Non-democratic regimes” von Paul Brooker[1] als Basis. Brooker fasst die zentralen Aussagen der Politikwissenschaftler Samuel E. Finer, Amos Perlmutter, Eric A. Nordlinger und Samuel P. Huntington zusammen. Da ansonsten der Rahmen dieser Ausarbeitung gesprengt würde, beschränkt sie sich auf die Ausführungen zu Finer und Nordlinger: Finers Ansatz bezieht sich auf die Struktur von Militärregimes. Nordlinger ergänzt diesen Ansatz mit seiner Typologie von Rollen, die Militärregime innerhalb des Staates und der Gesellschaft übernehmen können. Das Kapitel fasst die für das Verständnis des türkischen Beispiels vorab zu nennenden Aussagen zusammen und orientiert sich dabei an den einzelnen Entwicklungsphasen militärischer Regimes.
Im dritten Kapitel wird diese Grundlage auf das praktische Beispiel der drei erfolgreichen Interventionen des türkischen Militärs von 1960, 1971 und 1980 angewandt, um im Anschluss (Kapitel 4) zu bewerten, welche Bedeutung das Militär in den letzten 50 Jahren für die Entwicklung der türkischen Republik hatte.
Angesichts des EU-Beitrittsprozesses der Türkei sowie der politischen Krise, die im Jahr 2007 im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl zu beobachten war, wird das letzte Kapitel abschließend erörtern, in welcher Position sich das Militär gegenwärtig befindet und welches Verhalten in Zukunft von ihm zu erwarten ist.
2. Die Theorie
2.1 Die Machtergreifung
Wie können innenpolitische Situationen auf die Möglichkeit einer militärischen Intervention sowohl nachträglich als auch vorausschauend untersucht werden? Um diese Frage zu beantworten, lässt sich das „Kalkül der militärischen Intervention“ nach Finer anführen.[2] Finer definierte es als das Verhältnis zwischen der Bereitschaft des Militärs, zu intervenieren, das heißt seiner Motivation und dem konkreten Willen, und der Möglichkeit für eine Intervention: Kalkül = Bereitschaft (Motiv + Wille) / Möglichkeit.
Je nach Kombination der beiden Faktoren kommt es entweder zu einer Intervention oder nicht.
Ein drittes mögliches Ergebnis ist das Scheitern eines Putsches, wenn die Bereitschaft gegeben ist, nicht aber die Möglichkeit.[3]
Den Begriff der Intervention definiert Brooker in Anlehnung an Finer als „’the constrained substitution’ of the military’s policies and/or persons ‚for those of the recognized civilian authorities’“[4] – das heißt das Militär ersetzt die Politiken und/oder die Personen der zivilen Regierung.
Eric Nordliner vereinfachte diesen Ansatz, indem er die Motivation mit der Bereitschaft gleichsetzte und den Willen aus dem Kalkül strich: Kalkül = Motiv/ Möglichkeit.[5] Finer und Janowitz bezogen später als dritten ausschlaggebenden Faktor auch die dem Militär zur Verfügung stehenden Mittel, das heißt mögliche Methoden und Kapazitäten für eine Intervention, in das Konzept mit ein.
Abschließend ergibt sich ein Analyserahmen, der also aus drei Faktoren besteht, die wiederum je nach Sachlage eine Intervention fördern oder hemmen können. Konkrete Beispiele für die drei Faktoren sind der folgenden Tabelle zu entnehmen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Das Kalkül militärischer Intervention nach Finer und Nordlinger[6]
Es ist anzumerken, dass sich die unterschiedlichen Motivationsquellen in der Regel überlagern. Die Interventionen fördernden Motive leiten sich vom Selbstbild der Putschisten als Bürger, Soldaten, Mitglieder einer gesellschaftlichen Gruppe oder aber als Individuen ab.[7] Beispiele für individuelle und Gruppeninteressen sind eine materielle Besserstellung und soziale Aufstiegschancen durch Karrieren in nicht-militärischen Bereichen. Das Eigeninteresse des Militärs, zum Beispiel an einem größeren Militäretat oder größerer Autonomie, wird vom Militär selbst oftmals als nationales Interesse verstanden und/oder der Öffentlichkeit entsprechend vermittelt.
Auf Seiten der hemmenden Motive[8] ist vor allem die Angst vor dem Scheitern eines Coups zu nennen. Dahinter stehen letzten Endes Eigeninteressen des Individuums, zum Beispiel die Angst vor Bestrafung, und Gruppeninteressen des Militärs, wie die Angst vor Entmachtung. Mit der Politisierung des Militärs ist hingegen bei einer erfolgreichen Intervention zu rechnen: Mit Übernahme der Macht und der Konfrontation mit dem politischen Alltagsgeschäft ist die Entwicklung divergierender Interessen innerhalb des Militärs wahrscheinlich. In der Folge kann der Zusammenhalt im Militär schwinden und es zu internen Kämpfen bis hin zu Gegencoups kommen.
Die dem Militär zur Verfügung stehenden Mittel und angewandten Methoden[9] hängen davon ab, ob das gesamte Militär, einschließlich der Militärführung, interveniert, oder ob es sich nur um einen Teil des Militärs handelt, der eingreift. In letzterem Fall ist es oftmals so, dass rangniedrigere Militärs nicht nur gegen die zivile Regierung, sondern auch gegen die Militärführung aktiv werden. Voraussetzung dafür ist ein geschwächter interner Zusammenhang des Militärs, der vielfältige Ursachen haben kann, zum Beispiel ethnische, soziale oder ideologische Unterschiede.
Selbstverständlich geht von einem Putsch, hinter dem das gesamte Militär steht, eine größere Glaubwürdigkeit aus. Das gleiche gilt für die Alternative zur direkten Intervention: die Coupandrohung, auch „Black mail“[10] genannt.
Von zentraler Bedeutung für die Möglichkeiten einer militärischen Intervention ist die Legitimität – sowohl auf Seiten der herrschenden Regierung als auch auf Seiten des Militärs. Ist die Legitimität der Regierung geschwächt, ist eine Unterstützung der Öffentlichkeit für einen Coup wahrscheinlicher.[11]
2.2 Die Konsolidierung der Macht
Sobald das Militär im Besitz der politischen Macht ist, ist es notwendig, diese zumindest bis zur Durchsetzung seiner politischen Ziele zu sichern. In der Regel geschieht dies geschieht mit der (versuchten) Legitimierung des Militärregimes und mit dem Auf- und Ausbau eines Kontrollsystems gegenüber möglichen politischen Gegnern und der Zivilgesellschaft.
2.2.1 Legitimität
Wird ein Militärregime von der Bevölkerung als legitim angesehen, stellt dies einen effektiven Schutz gegen Countercoups dar. Zudem sichert (empfundene) Legitimität den zivilen Gehorsam auf wesentlich effektivere Weise als rein physischer Zwang. [12]
Die Bedeutung des zivilen Gehorsams ist nicht zu unterschätzen: Militärregimes benötigen ihn vor allem in wirtschaftlich fortgeschrittenen Gesellschaften, weil Zivilisten über technische Fähigkeiten verfügen, die zur Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts unabdingbar sind. Aber auch in einfachen politischen Kulturen ist freiwilliger Gehorsam dienlich, da das Regime dort oftmals zunächst nur im Zentrum etabliert werden kann und ziviler Gehorsam die Kontrolle des Peripherie erleichtert.
Wie wird Legitimation von Militärregimes aufgebaut? Zunächst wird das Militär darauf bestehen, dass seine Intervention im nationalen Interesse erfolgt sei, da ansonsten beispielsweise Bürgerkrieg, Sezession oder Anarchie gedroht hätten. Zweitens ist die „Performance Legitimacy“ zu nennen, die nach Lipset die Effektivität eines Regimes über einen längeren Zeitraum bezeichnet, zum Beispiel bei der Wiedereinführung von „Recht und Ordnung“ oder der Schaffung sozioökonomischer Gewinne für die Arbeiterschicht.[13] Drittens versprechen die meisten Militärregime meist eine Rückkehr zur Demokratie. Dieser Verpflichtung kommen sie, in wenigen Fällen, tatsächlich nach oder es findet eine „Pseudodemokratisierung“ mit der Durchführung manipulierter Wahlen statt. Selten wird auf die ideologische Legitimation von Militärregimes gesetzt.[14]
2.2.2 Kontrolle
Zu den Instrumentarien, die einem Militärregime zur Verfügung stehen, können in erster Linie die Verhängung des Kriegsrechts, die[15] Einrichtung einer Junta[16] sowie der Aufbau von Sicherheits- und Geheimdiensten gezählt werden. Das Regime kann auf die Ausübung direkter oder auch indirekter Gewalt zurückgreifen. Gerade Militärregimes verfügen über große Kapazitäten für direkte physische Gewaltanwendung. Als Beispiel indirekter Gewalt kann Patronage dienen, mit der Gegnern des Regimes jegliche Aufstiegsmöglichkeit verwehrt bleibt. Hinzu kommen die Überwachung der Bürger durch Regimeangehörige in allen Lebensbereichen sowie in manchen Fällen der Aufbau einer politischen Massenorganisation zur politischen Indoktrinierung.
2.3 Typen militärischer Herrschaft
Finer unterscheidet zwischen [17] fünf verschiedenen Strukturen von Militärherrschaft:[18]
a) Das direkte, offene Militärregime, in dem eine Junta oder Militärregierung vorhanden ist;
b) Die direkte, ‚quasi-zivile’ Militärherrschaft mit zivilen Institutionen und mindestens einer politischen Partei, die aber jeweils vom Militär abhängen;
c) Die duale Militärherrschaft: Der Anführer des Militärs stützt seine Herrschaft neben dem Militär auf eine zivile Säule, zum Beispiel eine Partei. Für ihn ergibt sich der Vorteil, wenn nötig diese beiden Elemente gegeneinander ausspielen zu können.
d) Die indirekte Militärherrschaft mit einer zivilen Regierung; das Militär übt allerdings umfassend und ständig Kontrolle aus. Dennoch geschieht dies eingeschränkter als bei Typ b).
e) Die indirekte Militärherrschaft mit begrenzter Kontrolle des Militärs über eine zivile Regierung.
Nordliner hingegen typologisierte nicht die Strukturen, sondern die Rolle, die Militärregimes in Staat und Gesellschaft übernehmen können.[19] Die drei Grundtypen variieren im Ehrgeiz der militärischen Ziele und im Umfang der Machtausübung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 Typologie von Militärherrschaften nach Finer
Der vierte Fall, wonach ein Militärregime ehrgeizige Ziele verfolgen, aber auf eine direkte Machtausübung verzichten könnte, wurde von Nordlinger nicht berücksichtigt - vermutlich, weil dies in der Realität als unwahrscheinlich einzuschätzen ist: Erfolgreiche und ehrgeizige Putschisten würden wohl kaum auf eine direkte Machtausübung verzichten.
[...]
[1] Brooker, Paul: Non-democratic regimes. Theory, government and politics. St. Martin’s Press, New York, 2000
[2] Finer, Samuel E.: The Man on Horseback: The Role of Military in Politics. London, 1962
[3] siehe Brooker 2000: 59f
[4] Brooker 2000: 62
[5] Eric A. Nordlinger: Soldiers in Politics: Military Coups and Governments. Englewood Cliffs, 1977
[6] nach Brooker 2000: 61
[7] siehe Brooker 2000: 63ff
[8] siehe Brooker 2000: 67
[9] siehe Brooker 2000: 68 - 71
[10] Brooker 2000: 68
[11] siehe Brooker 2000: 72f
[12] siehe Brooker 2000: 101 - 109
[13] Lipset, Seymour Martin: „Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy." American Political Science Review 53, 1959
[14] Als Ausnahme von dieser Regel kann der Putsch 1952 in Ägypten unter Gamal Abdel Nasser genannt werden.
[15] siehe Brooker 2000: 112 - 116
[16] Begriffserklärung siehe Anhang
[17] siehe Brooker 2000: 44 – 58
[18] siehe Brooker 2000: 44 - 46
[19] siehe Brooker 2000: 47
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