Kann man tatsächlich von einem Ursprung der Deutschen im neunten Jahrhundert sprechen, oder ist diese Auffassung ein Relikt der deutsch-nationalen Geschichtsschreibung, das sich nach wie vor in den Köpfen vieler Menschen erhalten hat? Haben die ostfränkischen Stämme am Ende des Frühmittelalters ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das weit über ein Stammesbewusstsein hinausging, oder betrachteten sich Allemannen, Baiern, Sachsen und Franken als eigenständige Völker in einem lockeren Bund? Laut Peter Moraw kann man ein deutsches Nationalbewusstsein erst am Ende des Mittelalters als einigermaßen konsolidiert ansehen3, wobei die Problematik selbst für das Spätmittelalter recht schwierig zu erörtern ist. Wesentlich mehr Probleme haben die Experten seit jeher bei der Beurteilung eines deutschen Volksbewusstseins zwischen dem neunten und elften Jahrhundert. Mit Sicherheit kann also nicht der Anspruch erhoben werden, im Rahmen einer Proseminar-Arbeit Lösungen für die vorangegangenen Fragestellungen zu finden. Vielmehr soll der aktuelle Stand der Forschungskontroverse über ein deutsches Nationalbewusstsein an der Schwelle zum Hochmittelalter erörtert und die Problematik, welche dieses Thema so umstritten macht, ausführlich dargelegt werden. Carlrichard Brühl veröffentlichte 1990 erstmals seinen Buch-Ziegel „Die Geburt zweier Völker – Deutsche und Franzosen im 9. – 11. Jahrhundert“4. Brühl gilt als einer der besten Kenner auf diesem Gebiet und stellte die herkömmliche Lehre über ein deutsches Nationalgefühl in diesem Zeitraum komplett auf den Kopf. Es erscheint deshalb sinnvoll, Brühls Ansichten an dieser Stelle schlüssig darzulegen und ihm gegebenenfalls andere Meinungen aus der Fachwelt gegenüberzustellen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Grundsätzliches
- Karl der Große und der Vertrag von Verdun 843
- Die Königserhebung Arnulfs von Kärnten im Jahr 887
- Die Königserhebung Heinrichs 919 und das Zeitalter der Ottonen
- Das 11. Jahrhundert – Beginn einer neuen Ära?
- Stellungnahme
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den aktuellen Forschungsstand zur Entstehung des deutschen Nationalbewusstseins zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert. Sie beleuchtet die Kontroversen um die Interpretation historischer Quellen und die Herausforderungen bei der Anwendung moderner Begriffe auf frühmittelalterliche Ereignisse.
- Die Problematik der Definition von „Nationalbewusstsein“ im Frühmittelalter
- Analyse der Rolle bedeutender Herrscher wie Karl der Große, Arnulf von Kärnten und Heinrich I.
- Bewertung verschiedener Theorien zur Entstehung eines deutschen Volksbewusstseins
- Die Bedeutung der Quellenlage und die Herausforderungen der historischen Interpretation
- Kontroverse um die Einordnung von Epochenjahren wie 843 und 919
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung diskutiert die problematische Verwendung des Begriffs „Nationalbewusstsein“ im Kontext des Frühmittelalters und die ideologischen Verzerrungen der Geschichte Ludwigs des Deutschen. Der Hauptteil beleuchtet die Debatte um den Ursprung des deutschen Nationalbewusstseins. Kapitel 2.1 analysiert den Begriff "Nationalbewusstsein" selbst kritisch. Kapitel 2.2 widerlegt die These eines deutschen Nationalbewusstseins bereits unter Karl dem Großen und Ludwig dem Deutschen. Kapitel 2.3 untersucht die Königserhebung Arnulfs von Kärnten 887 und die gegensätzlichen Interpretationen von Schlesinger und Brühl. Kapitel 2.4 analysiert die Königserhebung Heinrichs I. 919 und das Zeitalter der Ottonen, erneut unter Berücksichtigung der gegensätzlichen Standpunkte. Kapitel 2.5 skizziert Brühls Sicht auf das 11. Jahrhundert als Beginn einer neuen Ära. Kapitel 2.6 bietet eine kritische Stellungnahme zu Brühls Werk und dessen pragmatischen Ansatz, unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer breiteren Perspektive, die auch Mentalitäts- und Sprachgeschichte berücksichtigt.
Schlüsselwörter
Deutsches Nationalbewusstsein, Frühmittelalter, Ostfrankenreich, Karl der Große, Arnulf von Kärnten, Heinrich I., Ottonen, Carlrichard Brühl, Walter Schlesinger, Volksbewusstsein, Stammesbewusstsein, Forschungskontroverse, Quellenkritik, Regnum Teutonicorum.
- Quote paper
- Florian Schomanek (Author), 2004, Über die Anfänge des deutschen Nationalbewusstseins im 9. - 11. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124427