Die §§ 111a–111c AktG traten in Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie (ARUG II) zum 1.1.2020 in Kraft. Seitdem stellen sie das Herzstück der Regelungen des AktG zu Related Party Transactions, zu Deutsch: Geschäfte mit nahestehenden Personen, dar. Nicht abschließend geklärt blieb jedoch die Frage, ob bei Eröffnung des Anwendungsbereiches der neuen Normen der konzernrechtliche zeitlich gestreckte Nachteilsausgleich (§ 311 Abs. 2 S. 1 AktG) verdrängt wird. Der Klärung jener Frage widmet sich dieser Beitrag.
Unter A. wird in die beiden Regelungsbereiche eingeführt. Sodann wird der potenzielle Konflikt ergründet (B.). Zuletzt wird der aufgezeigte Konflikt unter Zuhilfenahme methodischer und rechtspolitischer Argumente aufgelöst (C.) und ein Fazit gebildet (D.).
Maximilian Schlereth*
Keine Verdrängung des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleichs im faktischen Konzern durch die §§ 111a–111c AktG
Abstract
Die §§ 111a–111c AktG traten in Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie (ARUG II) zum 1.1.2020 in Kraft. Seitdem stellen sie das Herzstück der Regelungen des AktG zu Related Party Transactions, zu Deutsch: Geschäfte mit nahestehenden Personen, dar. Nicht abschließend geklärt blieb jedoch die Frage, ob bei Eröffnung des Anwendungsbereiches der neuen Normen der konzernrechtliche zeitlich gestreckte Nachteilsausgleich (§ 311 Abs. 2 S. 1 AktG) verdrängt wird. Der Klärung jener Frage widmet sich dieser Beitrag.
A. Einführungen
Zuallererst muss ein kurzer Überblick über die potenziell kollidierenden Regelungen gegeben werden. Diese einführenden Worte sind gerade mit Blick auf die §§ 111a–111c AktG sinnvoll – sind diese doch aufgrund ihrer Komplexität häufig Ziel von (fundamentaler) Kritik geworden.1
I. Einführung in die §§ 111a–111c AktG
Die §§ 111a–111c AktG gelten für jede börsennotierte Gesellschaft. § 111a AktG stellt die zentrale Norm der Regelungen zu Related Party Transactions dar – es handelt sich vordergründig um eine reine Definitionsnorm. § 111b AktG normiert den Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates für solche Geschäfte mit nahestehenden Personen. § 111c AktG regelt eine korrespondierende Publikationspflicht.
Die Eigenschaften dieser Normen, die ihnen die unter A. angedeutete Kritik eingebracht haben, sind zentrale definitorische Verweisungen, die im Endeffekt die International Accounting Standards (IAS) und die International Financial Reporting Standards (IFRS) zur Anwendung bringen. Auf jene wäre insbesondere bei § 111a AktG einzugehen; hierauf wird an dieser Stelle verzichtet.2
Ansonsten kann man grundlegend mit Blick auf § 111a AktG zwischen einem sachlichen und einem persönlichen Anwendungsbereich differenzieren: Der sachliche Anwendungsbereich betrifft das Geschäft. Als solches wird jedes Rechtsgeschäft und jede Maßnahme verstanden, durch die ein Gegenstand oder anderer Vermögenswert unentgeltlich oder entgeltlich übertragen oder zur Nutzung überlassen wird (§ 111a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AktG). Ein Unterlassen stellt nach § 111 Abs. 1 S. 3 AktG kein Geschäft dar. Ähnlich weit ist auch der persönliche Anwendungsbereich, also die nahestehende Person, definiert. Hierfür verweist § 111a Abs. 1 S. 2 AktG auf die hier nicht weiter zu vertiefenden IAS und IFRS.
Besondere Bedeutung haben die Bereichsausnahme für Geschäfte, die im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Konditionen getätigt werden (§ 111 Abs. 2 S. 1 AktG) sowie die Ausnahme von downstream -Geschäften mit 100%igen Tochterunternehmen, Tochterunternehmen, an denen keine der Gesellschaft nahestehende Person beteiligt ist und Geschäften mit in der EU börsennotierten Tochterunternehmen (§ 111a Abs. 3 Nr. 1 AktG).
Diesen hier skizzierten Anwendungsbereich kann man als primären Anwendungsbereich bezeichnen: Das Vorliegen eines Geschäfts und einer nahestehenden Person sowie die Abwesenheit einer Bereichsausnahme entscheiden über das Vorliegen eines Geschäfts mit einer nahestehenden Person i. S. d. §§ 111a ff. AktG.
Daneben enthält § 111b Abs. 1 AktG eine weitere Voraussetzung, deren Vorliegen über die Anwendbarkeit der §§ 111b f. AktG entscheidet (sekundärer Anwendungsbereich): Wenn das Geschäft alleine oder in Kumulation mit anderen innerhalb eines Geschäftsjahres zwischen der börsennotierten Gesellschaft und derselben nahestehenden Person geschlossenen Geschäften 1,5 % der Summe des Anlage- und Umlaufvermögens (§ 266 Abs. 2 Buchst. A, B HGB) überschreitet, bedarf es (grundsätzlich) der Aufsichtsratszustimmung (§ 111b AktG) und die börsennotierte Gesellschaft muss das Geschäft gemäß § 111c AktG veröffentlichen.
II. Einführung in den zeitlich gestreckten Nachteilsausgleich
Die zweite Komponente dieser Einführung betrifft den sog. zeitlich gestreckten Nachteilsausgleich. Bei dem Nachteilsausgleich gemäß § 311 Abs. 2 AktG handelt es sich um einen Ausgleichmechanismus innerhalb faktischer Konzerne. Erleidet ein beherrschtes Unternehmen durch Einflussnahme eines herrschenden Unternehmens (vgl. § 16 f. AktG) einen bewertbaren3 Nachteil, so macht es sich gemäß § 317 Abs. 1 AktG schadenersatzpflichtig, wenn der Nachteil nicht ausgeglichen wird (vgl. §§ 311 Abs. 1, 317 Abs. 1 S. 1 AktG). Diese faktische Ermächtigung des herrschenden Unternehmens, dem beherrschten Unternehmen vorerst einen Nachteil zuzufügen, gründet somit in dem besonderen Charakter der Ausgleichspflicht als „Kompensationsleistung sui generis“4 bzw. „Suspensivelement des dominanten Schädigungsverbots“5.
In zeitlicher Dimension muss der Ausgleich gemäß §§ 311 Abs. 2 S. 1, 317 Abs. 1 S. 1 AktG bis spätestens zum Ende des Geschäftsjahres, in dem der Nachteil zugefügt wurde, ausgeglichen oder ein Rechtsanspruch auf künftigen Nachteilsausgleich eingeräumt werden.
Aufgrund dieser temporalen Flexibilisierung kann von einem zeitlich gestreckten Ausgleich (bis zum Bilanzstichtag) gesprochen werden.6
B. Potenzieller Konflikt
Nachdem nun in beide Regelungsbereiche eingeführt wurde, werden die potenziellen Konfliktpunkte ausgeleuchtet.
I. Aufeinandertreffen
Dass die Normierungen überhaupt aufeinandertreffen, zeigt sich an verschiedenen Stellen: Zum einen wird durch § 111a Abs. 3 Nr. 3 lit. a Var. 3 AktG eine Bereichsausnahme für Geschäfte innerhalb eines Vertragskonzerns geschaffen, nicht jedoch eine Ausnahme für jene innerhalb faktischer Konzerne.7 Zum anderen konstatiert § 311 Abs. 3 AktG, dass die §§ 111a–111c AktG unberührt bleiben, mithin die §§ 311, 111a ff. AktG nebeneinander anwendbar sind. Hierzu kommt, dass herrschendes und beherrschtes Unternehmen in der Regel gleichzeitig nahestehende Personen i. S. d. § 111a AktG darstellen. Hiervon kann man ausgehen, wenn man exemplarisch zwei Vermutungsregelungen betrachtet: Für die Vermutung, dass eine Beherrschung und damit ein faktischer Konzern vorliegt (§ 17 Abs. 2 AktG), kommt es gemäß § 16 Abs. 1 AktG regelmäßig auf eine Anteilsmehrheit > 50 % an. Eine ähnliche Vermutung greift betreffend das Vorliegen einer nahestehenden Person bereits bei 20 % (vgl. § 111a Abs. 1 S. 2 AktG i. V. m. IAS 24.9, 28.5).8 Soweit also auch der (weite) sachliche Anwendungsbereich des § 111a AktG eröffnet ist, ist das Vorliegen einer Related Party Transaction für Geschäfte innerhalb faktischer Konzerne eher die Regel als die Ausnahme. Anzumerken ist, dass die Bereichsausnahmen für bestimmte downstream -Geschäfte in § 111a Abs. 3 Nr. 1 AktG den Anwendungsbereich für Geschäfte aus Sicht des beherrschenden Unternehmens, das zugleich Muttergesellschaft i. S. d. IAS ist, stark einschränken.9
II. Kollision?
Da nun festgestellt wurde, dass die §§ 311, 111a ff. AktG durchaus in Berührung kommen, stellt sich die Frage, an welchen Stellen Kollisionsgefahr besteht.
Wenn man die Regelungen abstrakt betrachtet, stößt man recht schnell auf ein strukturelles Problem: Die §§ 111a ff. AktG betrachten ein Geschäft und seine Konditionen bevor es durchgeführt wird, also ex ante. §§ 311 Abs. 2, 317 Abs. 1 S. 1 AktG hingegen blicken nach tatsächlich erfolgtem Ausgleich – spätestens zum Ende des Geschäftsjahres – auf den Saldo des Geschäfts und des Ausgleichs, also ex post.
Konkretisiert bedeutet dies, dass wenn ein beherrschtes börsennotiertes Unternehmen ein für es nachteilhaftes Geschäft mit einem herrschenden Unternehmen, das zugleich nahestehende Person ist, abschließt und hierfür einen zeitlich gestreckten Nachteilsausgleich erhalten soll, das beherrschte Unternehmen das Geschäft vor der Kenntnis des konkreten Ausgleiches bewerten müsste. Es müsste also ex ante etwas bewerten, das sich tatsächlich erst ex post materialisiert.
Die Kenntnis, in welcher Form der spätere Nachteilsausgleich gewährt wird, ist an folgenden Stellen relevant: Zum einen muss für die Ermittlung der Marktüblichkeit, im Rahmen der Bereichsausnahme des § 111a Abs. 2 S. 1 AktG,10 das Geschäft als Ganzes betrachtet werden. Zum anderen und vor allem muss bei Eröffnung des sekundären Anwendungsbereiches eine Bewertung insoweit ausreichend vorgenommen werden, als dass dem Aufsichtsrat betreffend seiner Zustimmungsmöglichkeit (§ 111b Abs. 1 AktG) und den Aktionären bezüglich der Bewertung der Angemessenheit (§ 111c Abs. 2 S. 3 AktG) eine ausreichende Entscheidungsgrundlage geboten werden kann.11
Mit anderen Worten: Ist ein zeitlich gestreckter Nachteilsausgleich möglich, wenn der Aufsichtsrat des beherrschten Unternehmens ernsthaft über die Durchführung des Geschäfts entscheiden soll (§ 111b Abs. 1 AktG) und das Unternehmen einer Veröffentlichungspflicht gerecht werden muss, die alle wesentlichen Informationen enthält, die erforderlich sind, um zu bewerten, ob das Geschäft aus Sicht der Gesellschaft und der Aktionäre angemessen ist (vgl. § 111c Abs. 2 S. 3 AktG)?
III. Meinungsbild
Der dargestellte Konflikt wird bisweilen im Ergebnis unterschiedlich beurteilt.
Überwiegend wird die Auffassung vertreten, dass der zeitlich gestreckte Nachteilsausgleich kategorisch verdrängt würde.12 Teilweise wird jedoch die Ansicht vertreten, dass die §§ 111a ff. AktG und der gestreckte Nachteilsausgleich koexistieren könnten.13 Dies wird überwiegend unter die Voraussetzung gestellt, dass zum Zeitpunkt der Vornahme der Transaktion eine Kompensation dem Grunde nach vereinbart sein müsse.14
Insgesamt kritisch anzumerken ist, dass das bisherige Meinungsbild in vielen Fällen auf sehr kurzen Begründungen fußt, ohne sich auf eine ernsthafte Diskussion einzulassen. Zu einer solchen intensiveren Auseinandersetzung soll dieser Aufsatz im Folgenden beitragen.
C. Auflösung
Um die Konfliktpunkte aufzulösen, bedarf es einer tiefgehenden Analyse und Auslegung der §§ 311 Abs. 2, 111a ff. AktG. Deshalb werden die dargestellten Problemfelder im Folgenden methodisch und rechtspolitisch ergründet.
I. Wortlaut
Mit Blick auf den Wortlaut kann man aus den Vorschriften der §§ 111a ff. AktG entnehmen, dass eine Ex-ante-Bestimmbarkeit von Nöten ist.15 In diesem Umstand könnte man konsequenterweise bereits einen Ausschluss der Ex-post-Bestimmung des Nachteilsausgleiches bei zeitlicher Streckung sehen.16 Hierin bereits eine generelle Unvereinbarkeit zu erkennen, stellt jedoch einen Zirkelschluss dar: Wie die Entscheidungs- bzw. Publikationsgrundlage für die §§ 111b f. AktG konkret im Falle des gestreckten Nachteilsausgleiches ausgestaltet sein muss, bleibt im Wortlaut offen. Insofern könnte auch eine beschränkte Information über die Transaktionsbedingungen des Geschäfts – zum Beispiel ein dem Grunde nach vereinbarter Nachteilsausgleich – genügen.
Besonderes Augenmerk ist daneben auf § 311 Abs. 3 AktG zu richten. Dieser lässt den Umkehrschluss zu, dass eine Koexistenz der Normen ohne Modifikation der Vorgaben betreffend den Nachteilsausgleich gewollt ist:17 Bei der Ausgestaltung des Abs. 3 wurde auf jegliche ausdrückliche Einschränkungen des Nachteilsausgleiches verzichtet. Dies hat deswegen einen herausgehobenen Auslegungswert, da § 311 Abs. 3 AktG die einzige Norm ist, die die §§ 111a ff. AktG mit dem Nachteilsausgleich explizit in Verbindung bringt. Jedoch geht diese Schnittstellennorm, trotz der Prädestination, eine Modifikation anzuordnen, nicht über die Eigenschaft einer deklaratorischen Erklärung hinweg: „Die §§ 111a bis 111c bleiben unberührt.“
II. System
Systematisch sind die betreffenden Normen zwar in zwei verschiedenen Regelungsbereichen verortet, jedoch verknüpft § 311 Abs. 3 AktG diese, wie soeben dargestellt, ausdrücklich miteinander. Durch seine Verortung im 3. Buch des AktG wäre der den Nachteilsausgleich normierende § 311 AktG auch der richtige Ort gewesen, eine Sonderregel für verbundene Unternehmen im Rahmen der §§ 111a ff. AktG zu schaffen. Wie dargestellt, hat eine solche jedoch keinen Einzug in das AktG gefunden.
III. Genetik
Ein Blick auf den gesetzgeberischen Willen, insbesondere auf den Regierungsentwurf, bietet hilfreiche Anhaltspunkte zur Aufklärung der systematischen und grammatischen „Lücke“.
1. Konflikt übersehen?
Man könnte vor der Inaugenscheinnahme der Gesetzesmaterialien noch annehmen, dass der Gesetzgeber die Konfliktpunkte schlicht übersehen hat. Die Einfügung von § 311 Abs. 3 AktG allein mag schließlich noch nicht belegen, dass der Gesetzgeber auch die zeitliche Streckungsmöglichkeit des Nachteilsausgleiches trotz unmittelbarer systematischer Nähe, § 311 Abs. 2 AktG, genügend beachtet hat.
Der Regierungsentwurf lässt jedoch den Schluss zu, dass sich der Gesetzgeber sehr wohl mit Überschneidungen betreffend den faktischen Konzern auseinandergesetzt hat.18 Insofern steht die Hypothese, die zeitliche Streckung im Rahmen des Nachteilsausgleiches, der zentrales Element der Normen zu faktischen Konzernen ist, wäre schlicht übersehen worden, auf porösem Fundament.
Dass es sich bei der Weglassung einer Ausnahme von der zeitlichen Streckung des Nachteilsausgleiches im Rahmen der §§ 111a ff. AktG nicht um ein Versehen handelt, bekräftigt der Gesetzgeber indirekt auch selbst:
Nicht nur die „§§ 111a bis 111c bleiben unberührt“, wie es § 311 Abs. 3 AktG anordnet, sondern vice versa: „unberührt bleiben daher auch die bisherigen im Recht des faktischen Konzerns geltenden Grundsätze zur Vornahme nachteiliger Rechtsgeschäfte und zum Nachteilsausgleich.“19 Besondere Qualität erlangt diese Aussage dadurch, dass sie in der Begründung zu § 311 Abs. 3 AktG aufzufinden ist. Der Gesetzgeber weist also genau an dem Ort, an dem systematisch20 eine Ausnahme zu finden sein müsste und sich dem Wortlaut21 nach nur eine deklaratorische Aussage befindet, darauf hin, dass die bisherigen Grundsätze zum Nachteilsausgleich unberührt bleiben.
Wenn nun die §§ 111a ff. AktG und die Grundsätze des Nachteilsausgleiches unberührt bleiben sollen, widerspricht die Aushebelung des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleiches dem gesetzgeberischen Willen.
2. Gesamtschau
An dieser Stelle sind die Gesetzesmaterialien aber noch (lange) nicht ausgeschöpft. Wenn man einen Stritt zurücktritt und die Intention des Gesetzgebers bei der Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie – also dem Hintergrund der Regelungen zu Related Party Transactions – betrachtet, tut sich ein roter Faden auf:
Der Gesetzgeber wollte explizit eine behutsame 22 Kodifizierung schaffen, die die Eigenheiten des deutschen Rechts möglichst minimalinvasiv an die europäischen Vorgaben anpasst. So weist er ausdrücklich darauf hin, dass man „Einzelregelungen (z. B. das deutsche Konzern- recht) nicht aufgeben“23 möchte und „die Vorgaben der 2. ARRL nur behutsam und möglichst unbürokratisch umzusetzen sind, da eine Überregulierung und Doppelregelung derselben Sachverhalte zu vermeiden ist und gesamtwirtschaftlich schädlich wäre.“24
Diese Gesamtschau korrespondiert nicht nur mit der obigen Annahme, dass keine Verdrängung des Nachteilsausgleiches stattfinden sollte, sie sind auch in ihrer Zielrichtung kongruent: Die bisherigen Grundsätze zum Nachteilsausgleich sollen unberührt bleiben, um eine Überregulierung zu vermeiden und einer behutsamen Richtlinienumsetzung gerecht zu werden.
IV. Rechtspolitik
Ein weiterer Aspekt neben der methodischen Auslegung ist die rechtspolitische Perspektive.
Teilweise taucht in der Diskussion um die Verdrängung des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleiches das Argument auf, dass diese „kein Unglück“25 sei, da sich die Privilegierung der zeitlichen Streckung in der Praxis als nahezu bedeutungslos erwiesen hätte.26
Nur kommt es bei dieser Frage gerade nicht darauf an, wie stark die Popularität in praxi ist, sondern wie flexibel die Rechtsordnung in entsprechenden Sachverhalten sein kann. Zu dieser Flexibilität gehört auch die Möglichkeit einer zeitlichen Streckung des Nachteilsausgleiches. Wie wichtig es dem Gesetzgeber war, die Möglichkeiten des Konzernrechts unberührt zu lassen, wurde bereits erörtert.27 Warum sollten auch die bestehenden Grundsätze des Konzernrechts (vorsichtshalber) weichen müssen, nur weil ihre Möglichkeiten häufig nicht vollständig ausgereizt werden?
Hierzu kommt, dass ohnehin bestimmte Informationen trotz fehlender Bestimmung des Nachteilsausgleiches bereits zum Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts vorliegen: Es handelt sich um ein nachteilhaftes Geschäft, für dieses gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Das bedeutet, dass der Zeitpunkt der Leistung des Nachteilsausgleiches grundsätzlich spätestens das Ende des Geschäftsjahres sein muss (§ 311 Abs. 2 AktG). Diese Leistung muss eine vollständige Kompensation des zugefügten Nachteiles darstellen. Falls dies nicht der Fall ist oder tatsächlich keine Kompensation bis zum Ende des Geschäftsjahres stattfindet, machen sich die herrschende Gesellschaft und deren gesetzliche Vertreter schadenersatzpflichtig (§ 317 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 AktG). Erleiden Aktionäre hierdurch einen Schaden, steht auch ihnen ein Schadenersatzanspruch zu (§ 317 Abs. 1 S. 2 AktG). Daneben haften auch die Verwaltungsmitglieder der beherrschten Gesellschaft (§ 318 AktG).
Wie das Ausfallrisiko bzw. das Risiko der mangelhaften Kompensation zu bewerten ist, kann durch realistische Schätzungen (insbesondere) zur Entscheidungsgrundlage bei Zustimmung des Aufsichtsrates (§ 111b AktG) und zum Inhalt der Publikation (§ 111c AktG) gemacht werden.28 Vergleicht man beispielsweise diese Bewertungsgrundlage mit jener, die sich bei Dauerschuldverhältnissen bietet, wird klar, dass (realistische) Schätzungen den §§ 111a ff. AktG nicht fremd sein können.29
V. Zusammenfassung
Insgesamt kann festgestellt werden, dass es für die Verdrängung des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleiches durch die §§ 111a ff. AktG keine überzeugende methodische Grundlage gibt und auch entsprechende rechtspolitische Erwägungen nicht zu überzeugen vermögen.
D. Conclusio
Der zeitlich gestreckte Nachteilsausgleich (§ 311 Abs. 2 S. 1 AktG) wird nicht durch die Eröffnung des Anwendungsbereiches der §§ 111a–111c AktG verdrängt. Damit bleiben die bisherigen Grundsätze zum Nachteilsausgleich durch die Einführung der Regelungen zu Transaktionen mit nahestehenden Personen (Related Party Transactions) unberührt.
Eine dem Grunde nach, also noch abstrakt, vereinbarte Kompensation zum Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts bietet sich nichtsdestotrotz an. So können das Wie und das Wann der Ausgleichsleistung konkretisiert werden. Damit bekommt der Aufsichtsrat eine substantiiertere Entscheidungsgrundlage (§ 111b Abs. 1 AktG) und die Aktionäre erhalten weitere Informationen zur Bewertung der Angemessenheit des Geschäfts (§ 111c Abs. 2 S. 3 AktG).
[...]
* Der Verfasser studiert Rechtswissenschaft (LL.B./Staatsexamen) im sechsten Semester an der Universität Mannheim. Dort ist er für die Seniorprofessur für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung als studentische Hilfskraft tätig. Der Beitrag baut auf Erkenntnissen einer Bachelor- und zugl. Seminararbeit auf, die im Herbst-/Wintersemester 2021/2022 im Rahmen eines Seminars im Schwerpunkt Gesellschaftsrecht verfasst wurde.
1 Stöber, DStR 2020, 391 (396); Heldt, AG 2018, 905 (913); Selzner, ZIP 2015, 753 (761); Paschos/Goslar, AG 2018, 857 (866); Lutter, EuZW 2014, 687 (688).
2 Für eine schematische und grafische Darstellung siehe Schlereth, Transaktionen mit nahestehenden Personen („Related Party Transactions“) nach Umsetzung der geänderten Aktionärsrechte-Richtlinie, 2021, S. 1–13.
3 Bödeker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 311 Rn. 28; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 311 Rn. 43.
4 Leuering/Goertz, in: Hölters/Weber, Aktiengesetz, 4. Auflage 2022, § 311 Rn. 80; Habersack (Fn. 3), Rn. 61.
5 Grigoleit, Aktiengesetz, 2. Aufl. 2020, § 311 Rn. 50.
6 Vgl. nur BGH, NJW 2009, 850 (851); NJW 2011, 2719 (2724).
7 Vgl. auch BT-Drucks. 19/9739, S. 82.
8 Vgl. auch BT-Drucks. 19/9739, S. 80.
9 Siehe im Einzelnen unter A. I.
10 Siehe im Einzelnen unter A. I.
11 Vgl. dazu A. I.
12 Ziemons, in: Ziemons/Binnewies, HdB Aktiengesellschaft, 90. Lieferung 2021, Rn. 12.403; Bödecker (Fn. 3) Rn. 36a; Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 111a Rn. 12; Leuering/Goertz, in: Hölters/Weber, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2022, § 311 Rn. 8c; Tarde, NZG 2019, 488 (495); Ebd., ZGR 2017, 360 (382 f.); Krieger, in: Münchener HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 70 Rn. 92; Schneider, EuZW 2014, 641 (642); Müller, in: BeckOGK-AktG, Stand: 1.2.2022, § 311 Rn. 134; Ebd., ZIP 2019, 2434 (2435); Habersack, in: MüKo AktG, 5. Aufl. 2021, § 111a Rn. 30; Ebd., § 111b Rn. 22; Ebd. (Fn. 3) Rn. 107; Grigoleit, ZGR 2019, 412 (456 f.); Wiersch, NZG 2014, 1131 (1136); Verse, Interessenkonflikte im „Related Party“-Ausschuss, in: FS Hopt 2020, 1335 (1348).
13 Ihrig/Schäfer, in: Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020, § 31 Rn. 1249; Fett, in: Bürgers/Körber/Lieder, Aktiengesetz, 5. Aufl. 2021, § 311 Rn. 63; Rieder, ZfPW 2020, 129 (138); Seidel, AG 2018, 423 (427); Schlereth (Fn. 2), S. 23 f.; Vetter, ZHR 2015, 273 (312 f.); jedoch mittlerweile zurückhaltender Ebd., in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 111a Rn. 34; Ebd., § 111b Rn. 88; Ebd., § 311 Rn. 104; wohl auch Bürgers/Guntermann, Transaktionen im faktischen Konzernverbund im Lichte des ARUG II, in: FS Krieger 2020, 141 (150).
14 Vetter (Fn. 13); Seidel (Fn. 13); Ihrig/Schäfer (Fn. 13); Schlereth (Fn. 13).
15 Siehe hierzu auch A. I.
16 Ziemons (Fn. 12); Bödecker (Fn. 12); Koch (Fn. 12); Leuering/Goertz (Fn. 12); an verschiedenen Stellen Tarde (Fn. 12); Krieger (Fn. 12); Schneider (Fn. 12); an verschiedenen Stellen Müller (Fn. 12); an verschiedenen Stellen Habersack (Fn. 12); Grigoleit (Fn. 12); Wiersch (Fn. 12); Verse (Fn. 12).
17 Ähnlich Fett (Fn. 13).
18 BT-Drucks. 19/9739, S. 77, 115; hieran anknüpfend auch Ihrig/Schäfer (Fn. 13); Rieder (Fn. 13).
19 BT-Drucks. 19/9739, S. 115.
20 Vgl. C. II.
21 Siehe dazu C. I.
22 BT-Drucks. 19/9739, S. 2, 34, 35.
23 BT-Drucks. 19/9739, S. 35.
24 BT-Drucks. 19/9739, S. 35.
25 Tarde, NZG 2019 (Fn. 12).
26 Ebd.; Tarde, ZGR 2017 (Fn. 12).
27 Vgl. C. III.
28 Ähnl. Rieder (Fn. 13).
29 Siehe zur Komplexität der Bewertung von Dauerschuldverhältnissen nur Schlereth (Fn. 2), S. 24 f.; Vetter, AG 2019, 853 (857 ff.).
- Quote paper
- Maximilian Schlereth (Author), 2022, Keine Verdrängung des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleichs im faktischen Konzern durch die §§ 111a–111c AktG, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1243812
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