In Folge eines zunehmend arbeitnehmergetriebenen Arbeitsmarktes, einem fortschreitenden Mangel an Fachkräften sowie einem sich wandelnden Karriereverständnis und damit einhergehenden neuen Karriere- und Beschäftigungskonzepten werden Unternehmen damit konfrontiert sich gegenüber atypischen Beschäftigungsformen zu öffnen. In Anbetracht dieser Notwendigkeit gibt die vorliegende Arbeit Einblicke in das Phänomen der Doppelerwerbstätigkeit und beleuchtet dabei die organisationale Perspektive. Das wesentliche Ziel besteht darin, ein besseres Verständnis dahingehend zu erlangen, wie das simultane Nachgehen zweier Erwerbstätigkeiten von Organisationen empfunden wird und worin diese Einstellungen begründet liegen. Welche Chancen und Vorteile werden gesehen? Welche Risiken und Nachteile? Basierend auf diesen Überlegungen kann das Forschungsziel dieser Arbeit in der Beantwortung der nachfolgenden explorativen Forschungsfrage zusammenfassend dargestellt werden: Wie sind Organisationen gegenüber Doppelerwerbstätigkeit eingestellt und worin liegen diese Einstellungen begründet? Als Grundlage hierfür dienen acht problemzentrierte Interviews, die stellvertretend mit Gründern und Geschäftsführern, Teamleitern sowie Personalverantwortlichen geführt wurden.
Da der Fokus dieser Forschung auf den subjektiven Einstellungen und deren Begründungen liegt, wird die Notwendigkeit gesehen einige Aspekte der sozialpsychologischen Einstellungsforschung als weitere theoretische Grundlage heranzuziehen, um die zuvor definierte Forschungsfrage vollumfänglich beantworten und die Ergebnisse dieser Untersuchung in einen weiteren Erklärungskontext setzen können. Dabei konnte die Forscherin die Theorien des überlegten Handelns und des geplanten Verhaltens von Fishbein und Ajzen (1991; 1975) ausfindig machen. Die Heranziehung dieser beiden Theorien ermöglicht eine noch umfassendere Betrachtung des zu untersuchenden Phänomens und macht die Forschungsergebnisse erklär- und nachvollziehbar.
Die vorliegende Forschungsarbeit nimmt einen Perspektivenwechsel vor und beleuchtet die bislang vernachlässigte Sichtweise der Organisationen hinsichtlich Doppelerwerbstätigkeit. Damit leistet sie nicht nur einen Beitrag zum theoretischen Diskurs, sondern regt gleichzeitig zu weiteren Forschungen an. Zudem stellen die Ergebnisse eine geeignete Grundlage für praxisorientierte Handlungsempfehlungen dar.
Inhaltsverzeichnis
I. Abkürzungsverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
III. Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
1.2 Vorgehensweise und Aufbau
2. Theorie und Forschungsstand
2.1 Doppelerwerbstätigkeit: Ein Überblick
2.1.1 Begriffliche und inhaltliche Abgrenzung
2.1.2 Doppelerwerbstätigkeit in Deutschland: Zahlen, Entwicklungen und Ländervergleiche
2.1.3 Der Weg in die Doppelerwerbstätigkeit: Motive und Auswirkungen
2.2 Von der Idee neuer Karrieren
2.2.1 Karriereverständnis im Wandel
2.2.2 New Career Konzepte im Überblick
2.3 Sozialpsychologische Einstellungsforschung: Die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten
2.3.1 Inhalt, Struktur und Funktionen von Einstellungen
2.3.2 Theorie des überlegten Handelns und geplanten Verhaltens
2.4 Stand der Forschung, Forschungsfragen und Ziele dieser Arbeit
2.5 Anwendung und Praxisrelevanz
3. Methodisches Vorgehen
3.1 Forschungsfeld und Sampling
3.2 Feldzugang
3.3 Methode der Datenerhebung und -aufbereitung
3.4 Methode der Datenauswertung
4. Darstellung, Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
4.1 Erfahrung mit Doppelerwerbstätigkeit im Arbeitskontext: Eine Einordnung der Befragten
4.2 Die Organisation als Hauptarbeitgeber
4.2.1 Die Kritiker - Doppelerwerbstätigkeit als notwendiges Übel
4.2.2 Die Befürworter – Gewinnbringende Synergien durch Doppelerwerbstätigkeit
4.3 Die Organisation als Nebenarbeitgeber: Die (scheinbar) Indifferenten – Von versteckten Erwartungen und dem eigenen Profitstreben
5. Limitationen und Anregungen für weitere Forschungen
6. Fazit
IV. Quellenverzeichnis
V. Anhang
Abstract
In Folge eines zunehmend arbeitnehmergetriebenen Arbeitsmarktes, einem fortschreitenden Mangel an Fachkräften sowie einem sich wandelnden Karriereverständnis und damit einhergehenden neuen Karriere- und Beschäftigungskonzepten, werden Unternehmen damit konfrontiert sich gegenüber atypischen Beschäftigungsformen zu öffnen. In Anbetracht dieser Notwendigkeit gibt die vorliegende Arbeit Einblicke in das Phänomen der Doppelerwerbstätigkeit und beleuchtet dabei die organisationale Perspektive. Das wesentliche Ziel besteht darin, ein besseres Verständnis dahingehend zu erlangen, wie das simultane Nachgehen zweier Erwerbstätigkeiten von Organisationen empfunden wird und worin diese Einstellungen begründet liegen. Als Grundlage hierfür dienen acht problemzentrierte Interviews, die stellvertretend mit Gründern1 und Geschäftsführern, Teamleitern sowie Personalverantwortlichen geführt wurden. Die Befunde zeigen, dass die jeweiligen Einstellungen von verschiedenen Faktoren abhängig sind, wie insbesondere der Perspektive (Haupt- oder Nebenarbeitgeber), dem Aspekt, unter welchem das Phänomen betrachtet wird, Entwicklungen der Außenwelt sowie den Motiven, die Erwerbstätige zum Nachgehen einer zweiten Tätigkeit bewegen. Darüber hinaus nehmen die Erfahrungen, die bislang hinsichtlich der Beschäftigung sowie des Managements von Doppelerwerbstätigen gesammelt wurden, Einfluss auf die Einstellungen. Grundsätzlich können sowohl positive (Chancen und Vorteilen) als auch negative Auswirkungen (Risiken und Nachteile) von Doppelbeschäftigungen auf Unternehmungen identifiziert werden. Entsprechend zeigen sich die Organisationsvertreter als eher aufgeschlossen oder kritisch. Die übergeordnete Einstellung besteht jedoch in einer tendenziell abgeneigten Grundhaltung, die Einfachbeschäftigung gegenüber Doppelerwerbstätigkeit vorzieht. Der zu Beginn erweckte Anschein, dass Unternehmen in der Rolle des Nebenarbeitgebers nahezu indifferent eingestellt sind, kann im weiteren Interviewverlauf widerlegt werden. Es zeigen sich vergleichsweise hohe Erwartungen gegenüber Doppelerwerbstätigen, wobei gleichzeitig versucht wird von den Vorzügen zu profitieren. Mit diesen neu gewonnenen Erkenntnissen dient die vorliegende Arbeit als Ausgangspunkt und Anregung für weitere Untersuchungen in dem Forschungsfeld doppelgleisiger Beschäftigungsformen.
Due to an increased employee-driven labour market, a progressive shortage of skilled workers, as well as a changing understanding of careers and the accompanying new career concepts and forms of employment, companies are confronted with opening up to atypical forms of employment. In view of this necessity, this study provides insights into the phenomenon of dual employment from the perspective of organisations. The aim is to gain a better understanding of how the simultaneous employment of two different jobs is perceived by organisations and what the reasons are for these attitudes. Therefore, eight problem-centred interviews were conducted with founders and managing directors, team leaders and HR managers. The findings show that attitudes depend on a variety of factors, such as the perspective (main or secondary employer), the aspect from which the phenomenon is viewed, and the motives that drive workers to pursue a second job. Additionally, the experience gained during the employment as well as the management of dual employees has an impact on these attitudes. Both positive (opportunities and advantages) and negative effects (risks and disadvantages) of dual employment on companies can be identified. Accordingly, the organisational representatives show themselves to be rather open-minded or critical. The overarching attitude, however, is one of aversion, preferring single over dual employment. The initial impression that companies are nearly indifferent in their role as second employer can be refuted in the further course of the interviews. Comparatively high expectations towards dual employees are revealed, while at the same time trying to profit from the advantages. With these recent insights, this research serves as a starting point and stimulus for further studies in the field of dual employment forms.
I. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
II. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Depletion-versus-Enrichment Framework zur Mehrfachbeschäftigung
Abbildung 2: Das Drei-Komponenten-Modell
Abbildung 3: Die Theorie des geplanten Verhaltens
Abbildung 4: Negative Auswirkungen von Doppelerwerbstätigkeit auf den Hauptarbeitgeber
Abbildung 5: Auswirkungen von Doppelerwerbstätigkeit auf den Hauptarbeitgeber
III. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Formen von Mehrfachbeschäftigung 7
Tabelle 2: Motivationskategorien von Mehrfachbeschäftigung 14
1. Einleitung
„Wenn ich mir diese größeren Bewegungen angucke, die jetzt auf dem Arbeitsmarkt passieren […], wo man etwas machen möchte, worin man einen Sinn und Zweck sieht und nicht einfach nur irgendeinen Job […]. Da finde ich, wird es schon wahrscheinlicher, dass man nicht nur eine Tätigkeit macht, weil sie einen vielleicht einfach nicht ausfüllt, sondern dass man noch andere Interessenspunkte hat, die man auch verfolgen möchte […]. Da glaube ich einfach, dass wir irgendwann gar keine Wahl mehr haben werden, weil wir sonst einfach zu wenig Leute finden, die gut zu uns passen und wir damit unsere Chancen erweitern, […] auch weiterhin gute Leute zu finden […]. Wir versuchen da schon unsere Fühler auszustrecken und das gilt genauso für Leute, die noch etwas anderes nebenbei machen.“ (B04)
Das vorangehende Zitat stammt aus einem der Interviews, die im Rahmen der vorliegenden Forschung geführt wurden. Es gibt einen Einblick in das subjektive Empfinden von B042 gegenüber dem Phänomen der Doppelerwerbstätigkeit3. B04 erfüllt die in Kapitel 3.1 definierten Kriterien des Samplings und stellt damit exemplarisch den Untersuchungsgegenstand dieser Forschung dar.
Beginnend mit der Hinführung zum Thema schildert das einleitende Kapitel die Ausgangslage dieser Arbeit und dient der Heranführung des Lesers an die Thematik. Anschließend folgt die detaillierte Beschreibung der Vorgehensweise und des Aufbaus dieser Untersuchung.
1.1 Hinführung zum Thema
Mit der Individualisierung, Pluralisierung und Flexibilisierung von Arbeits- und Lebensformen geht zugleich ein Wandel der Berufsverläufe, Beschäftigungsformen sowie Karrierevorstellungen einher (Beck 1999, S.66ff.). Während das Ausüben einer Tätigkeit in einer einzigen Organisation lange Zeit als das normative Beschäftigungsmodell galt (Campion et al. 2020, S.166), konnte in den letzten Jahren eine kontinuierliche Zunahme von alternativen, atypischen Beschäftigungsformen beobachtet werden. Dazu zählen unter anderem „multiple“, „plurale“ oder „hybride“ Erwerbsformen wie die Doppel- und Mehrfachbeschäftigung (Conen 2020, S.5; Keller & Seifert 2013, S.458). Als doppel- bzw. mehrfachbeschäftigt gelten all diejenigen Personen, die mindestens zwei Tätigkeiten simultan nachgehen (Allen 1998, S.190). Aktuelle Arbeitsmarktstatistiken belegen, dass die Zahl der Doppelerwerbstätigen in Deutschland zwischen 2003 und 2019 von 2,5% auf 5,4% gestiegen ist (Statistisches Bundesamt [Destatis] 2021b). Entsprechend gilt dieses Phänomen als ein wichtiges und wachsendes Merkmal von Arbeitsmärkten in fortgeschrittenen Volkswirtschaften (Conen 2020, S.5). Forscher prognostizieren auch weiterhin einen Aufwärtstrend, der sowohl auf der zunehmenden Fragmentierung von Arbeitsverhältnissen (Rubery et al. 2016, S.235ff.), den Entwicklungen der Wirtschaft in Richtung kurzfristiger Arbeitsmodelle sowie auf der Digitalisierung und dem Wachstum branchenübergreifender Online-Vertragsplattformen beruht (Barley et al. 2017, S.111; Kuhn & Maleki 2017, S.183; Piasna et al. 2021, S.182). Zudem führt der fortschreitende Mangel an qualifizierten Fachkräften sowie der wachsende Bedarf an organisatorischer Flexibilität dazu, dass sich Unternehmen gegenüber atypischen Arbeitsverhältnissen öffnen (Simard et al. 2000, S.1). Da diese oftmals Merkmale brüchiger, unsteten Erwerbskarrieren aufweisen (Schulze Buschoff 2016, S.16), kann Doppelerwerbstätigkeit als eine atypische Form der Beschäftigung verstanden werden, die zur Konsolidierung neuer Karrierekonzepte beiträgt. Diese äußern sich insbesondere in einer Machtverlagerung hinsichtlich der Gestaltung und dem Verlauf von individuellen Karrierewegen, wobei Aspekte wie Kontrolle und Autonomie eine neue Bedeutung erhalten, indem sich diese von der Organisation hin zum Individuum verschieben. Zudem gewinnen subjektive gegenüber objektiven Karriereerfolgsfaktoren an Bedeutung (Simard et al. 2000, S.1). Diese voranschreitenden Veränderungen führen dazu, dass das parallele Ausüben mehrerer Erwerbstätigkeiten insbesondere für die moderne, selbstbestimmte und proaktive Arbeitskraft erleichtert wird (Sullivan & Baruch 2009, S.1559) und als „New Normal“ der heutigen Arbeitswelt gilt (Waldorf 2016).
Angesichts der eindeutigen Entwicklung von simultanen Beschäftigungsverläufen und ihrer Relevanz für das Verständnis einer modernen Arbeitswelt erscheint es problematisch, dass bisherige Theorien überwiegend von einem einzigen Arbeits- und Organisationsmodell ausgehen. Diese besitzen oftmals nicht die notwendige Erklärungskraft, um das komplexe Phänomen der Doppelerwerbstätigkeit zu verstehen (Caza et al. 2018, S.704).
In Anbetracht der zunehmenden Größe und Vielfalt dieser Erwerbstätigengruppe, des Mangels an Theorie und der lückenhaften und teils widersprüchlichen Forschungsergebnisse stellt dieses Phänomen einen relevanten Untersuchungsgegenstand dar, den es im Rahmen zukünftiger Forschungen verstärkt zu berücksichtigen gilt (Campion et al. 2020, S.166).
1.2 Vorgehensweise und Aufbau
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Anschließend an die Einleitung (Kapitel 1) beschäftigt sich das zweite Kapitel mit den theoretischen Grundlagen und dem Forschungsstand und lässt sich dabei in fünf Abschnitte unterteilen. Kapitel 2.1 verschafft einen Überblick über das Phänomen der Doppelerwerbstätigkeit. Dabei wird zunächst eine begriffliche und inhaltliche Abgrenzung vorgenommen und anschließend auf Zahlen und Entwicklungen anhand bestehender Arbeitsmarktstatistiken eingegangen. Unter Berücksichtigung des Depletion-versus-Enrichment Frameworks von Campion et al. (2020) erfolgt eine Darstellung der Motive für das Nachgehen von Doppelerwerbstätigkeiten sowie ihrer Auswirkungen auf individueller Ebene. Im zweiten Abschnitt, Kapitel 2.2, wird die Idee neuer Karrieren diskutiert. Nachdem der Wandel des Karriereverständnisses dargelegt wurde, wird ein Überblick über einige wesentliche new career Konzepte gegeben. Im dritten Abschnitt, Kapitel 2.3, werden Erkenntnisse aus der sozialpsychologischen Einstellungsforschung herangezogen, um die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten zu erklären. Dabei wird sowohl auf die inhaltlichen, strukturellen und funktionalen Charakteristiken von Einstellungen Bezug genommen als auch die Theory of Reasoned Action (TRA) und Theory of Planned Behavior (TPB) von Fishbein, Ajzen und Madden (1977; 1986) beleuchtet. Anschließend folgt in Kapitel 2.4 die Darlegung des aktuellen Forschungsstandes. Das Forschungsinteresse ergibt sich dabei aus der identifizierten Forschungslücke und der daraus abgeleiteten Forschungsfrage, deren Beantwortung wiederum dem Ziel der vorliegenden Arbeit entspricht. Das zweite Kapitel endet mit dem fünften Abschnitt, Kapitel 2.5, und nimmt dabei Bezug auf die Anwendung des Phänomens der Doppelerwerbstätigkeit und dessen Relevanz für die Praxis.
Das dritte Kapitel skizziert das methodische Vorgehen. Nachdem in Kapitel 3.1 das Forschungsfeld und Sampling definiert wurden, wird in Kapitel 3.2 die Vorgehensweise des Feldzugangs erläutert. Anschließend folgt in Kapitel 3.3 eine ausführliche Beschreibung der Methodik der Datenerhebung und -aufbereitung. Dabei wird zunächst auf das halbstandardisierte problemzentrierte Interview als herangezogene qualitative Forschungsmethode Bezug genommen und anschließend das SPSS-Verfahren nach Helfferich (2009) als Methode zur Entwicklung des Leitfadens erläutert. Im abschließenden Kapitel 3.4 wird auf die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) eingegangen, die zur strukturierten Auswertung der Daten herangezogen wird.
Kapitel 4 widmet sich der Darstellung, Interpretation und Diskussion der empirischen Ergebnisse und gliedert sich in drei Abschnitte. In Kapitel 4.1 erfolgt zunächst eine Einordnung der Befragten anhand ihrer bisherigen Erfahrungen mit Doppelerwerbstätigen im Arbeitskontext. Der zweite Abschnitt (Kapitel 4.2) spiegelt die Perspektive der Organisation als Hauptarbeitgeber wider. Aufgrund der vielfältigen und kontrastierenden Einstellungen sowie deren Begründungen wird eine Differenzierung nach einer eher kritischen, ablehnenden sowie einer aufgeschlossenen, befürwortenden Haltung vorgenommen. Im letzten Abschnitt (Kapitel 4.3) werden die Einstellungen sowie deren Begründungen aus der Perspektive der Organisation als Nebenarbeitgeber dargelegt. Parallel dazu erfolgt eine Einbettung der empirischen Ergebnisse in den theoretischen Forschungskontext. Die Befunde werden hinsichtlich Arbeitsmarktstatistiken sowie bestehenden Forschungen zur Doppelerwerbstätigkeit, des Wandels des Karriereverständnisses und der new career Idee sowie der Erkenntnisse aus der sozialpsychologischen Einstellungsforschung diskutiert.
Das fünfte Kapitel widmet sich der kritischen Würdigung der vorliegenden Arbeit. Dabei wird auf ihre Limitationen eingegangen sowie mögliche Anregungen für weitere Forschungen gegeben.
Die Arbeit schließt mit einem Fazit im sechsten Kapitel ab, in dem nochmals die zentralen Forschungsergebnisse zusammengefasst und mögliche Implikationen für die Forschung und Praxis abgeleitet werden.
2. Theorie und Forschungsstand
Das zweite Kapitel dient der Darstellung und Diskussion der für diese Arbeit relevanten theoretischen Grundlagen sowie des derzeitigen Forschungsstandes. Dabei wird in Kapitel 2.1 zunächst ein Überblick über das Phänomen der Doppelerwerbstätigkeit gegeben. Anschließend wird in Kapitel 2.2 der Wandel des Karriereverständnisses als Folge einer sich transformierenden Arbeitswelt erläutert und damit einhergehende new career Konzepte vorgestellt. Kapitel 2.3 widmet sich dem Versuch die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten zu erklären und greift dabei auf Erkenntnisse aus der sozialpsychologischen Einstellungsforschung zurück. Anschließend wird das Ziel der Forschung, basierend auf dem aktuellen Forschungsstand, der identifizierten Forschungslücke und der daraus resultierenden Forschungsfrage, definiert und in Kapitel 2.4 präsentiert. Abschließend nimmt Kapitel 2.5 Bezug auf die Anwendung des Phänomens der Doppelerwerbstätigkeit und seine Relevanz für die Praxis.
2.1 Doppelerwerbstätigkeit: Ein Überblick
Mit Blick auf die vergangenen Jahre lässt sich ein zunehmender Trend von Erwerbstätigen erkennen, die, simultan zu ihrer Hauptbeschäftigung, einer oder mehreren weiteren Erwerbstätigkeiten nachgehen. Dies zeigen auch die aktuellen Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Von 2003 bis 2019 hat sich die sogenannte „Zweitjobquote“ in Deutschland von 2,5% auf 5,4% mehr als verdoppelt (Destatis 2021b).
Nach einer begrifflichen sowie inhaltlichen Abgrenzung (2.1.1) folgen Einblicke in die Arbeitsmarktstatistiken (2.1.2). Unter Verwendung des Modells von Campion et al. (2020) wird auf die bisherigen Forschungserkenntnisse zum Phänomen der Mehrfachbeschäftigung eingegangen sowie die Motive für einen Weg in die Doppelerwerbstätigkeit und deren Auswirkungen auf individueller Ebene dargestellt (2.1.3).
2.1.1 Begriffliche und inhaltliche Abgrenzung
Das Ausüben einer Tätigkeit in einer einzigen Organisation galt lange Zeit als normatives Beschäftigungsmodell (Campion et al. 2020, S.166), das sich zudem durch eine unbefristete Beschäftigung in Vollzeit4, der in Form eines abhängigen Angestelltenverhältnisses nachgegangen wird und eine soziale Absicherung für den Erwerbstätigen darstellt, kennzeichnet (Hoffmann & Walwei 2000b, S.1; IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung o. J.). Jedoch prognostizierten Arbeitsmarktforscher wie Hoffmann und Walwei (2000a) bereits zur Jahrhundertwende eine „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ (Hoffmann & Walwei 2000a, S.1). Die Art und Weise der Arbeit hat sich in den vergangenen Jahren, unter anderem infolge technologischer Entwicklungen und der Globalisierung, zunehmend gewandelt und in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu flexibleren und fragmentierten Arbeitsmärkten geführt (Conen 2020, S.3). Mit diesen Arbeitsmarktveränderungen gehen auch eine Hybridisierung der Arbeit sowie ein Wandel der Beschäftigungsverhältnisse einher. Diese Entwicklung hin zu normabweichenden, atypischen Beschäftigungen gilt derzeit als weltweit wachsendes Phänomen (Kottwitz et al. 2017, S.2) und ist gleichzeitig mit einem Rückgang des Normalarbeitsverhältnisses verbunden (Rubery 2015, S.634). Statistiken zufolge gingen im Jahr 2020 6,98 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren einer atypischen Beschäftigung nach. Dies entspricht knapp einem Fünftel (19,09%) aller Erwerbstätigen in Deutschland. Als atypisch beschäftigt gelten hierbei befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte sowie Zeitarbeitnehmer (Destatis 2021c). Im Rahmen weiterer Literaturrecherche wird deutlich, dass sich Wissenschaftler hinsichtlich einer einheitlichen Definition atypischer Beschäftigung bislang uneinig sind und dementsprechend unterschiedliche Kriterien heranziehen, um diese von einer Normalbeschäftigung zu unterscheiden (Simard et al. 2000, S.2). So gelten neben befristeten Beschäftigungen, Leih- und Teilzeitarbeit oftmals auch sämtliche Varianten der geringfügigen Beschäftigung, Tele- und Heimarbeit sowie Selbstständigkeit als atypische Beschäftigung (Hoffmann & Walwei 1998, S.410; Schulze Buschoff 2016, S.5). Darüber hinaus wird das Phänomen der Mehrfachbeschäftigung als eine weitere Facette atypischer Beschäftigung verstanden (Heineck 2009, S.107; Simard et al. 2000, S.1).
Das Phänomen, mehr als einer Tätigkeit zeitgleich nachzugehen, wird in der englischsprachigen Literatur durch eine Vielzahl an Begrifflichkeiten, wie beispielsweise „Moonlightning“, „Multiple Job Holding“, „Slash Careers“, „Hybrid Working“ sowie „Parallel Careers“, zum Ausdruck gebracht (vgl. Alboher 2012; Azevedo 2014; Campion et al. 2020). In der deutschsprachigen Literatur ist hingegen von „Zweitbeschäftigung“, „Mehrfachbeschäftigung“, „Nebentätigkeit“ oder „Zweitjob“ die Rede (vgl. Hirschenauer & Wießner 2006; Klinger & Weber 2017; Müller 2014).
Um ein für diese Arbeit einheitliches Verständnis des Begriffes „Doppelerwerbstätigkeit“ zu schaffen, wird dieser nachfolgend definiert und abgegrenzt. In dem Bestreben, die Vielfalt doppelgleisiger Erwerbstätigkeiten zu berücksichtigen, orientiert sich die Forscherin an der Definition von Campion et al. (2020), die dieses Phänomen als „the act of working more than one job simultaneously, including working for employers and self-employment, wherein all tasks, or sets of tasks, are performed in exchange for, or expectation of, compensation” (Campion et al. 2020, S.170) definieren. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Erwerbstätigen, die zwei Beschäftigungen simultan ausüben. Das Nachgehen von mehr als zwei Beschäftigungen gleichzeitig wird aufgrund seiner geringen Verbreitung (Graf et al. 2019, S.3) nicht explizit berücksichtigt. Ergänzend zu der vorangegangenen Definition schließt die Forscherin jegliche Form von Schwarzarbeit, die ebenfalls unter den Begriff des „Moonlightnings” fällt (Dickey et al. 2009, S.2; Oxford Living Dictionary 2019), aus.
Des Weiteren bedarf es einer Differenzierung zwischen Erwerbs- und Nichterwerbstätigkeiten, denn im Rahmen dieser Forschung sollen ausschließlich Doppelbeschäftigungen berücksichtigt werden, bei denen aus jeder Beschäftigung ein Erwerb (Doppelerwerb) generiert wird.
Helberger und Schwarze (1986) geben einen Überblick über die verschiedenen Formen von Mehrfachbeschäftigung, indem sie die jeweils überwiegende soziale Stellung eines Individuums in Verbindung mit einer erwerbsgenerierenden oder nicht-erwerbsgenerierenden Nebentätigkeit setzen. Die daraus resultierenden vier Gruppen werden in der nachfolgenden Tabelle 1 dargestellt:
Tabelle 1 : Formen von Mehrfachbeschäftigung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Helberger & Schwarze 1986, S.275
Gruppe 1 umfasst Personen, die in ihrer überwiegend sozialen Stellung erwerbstätig sind und zudem einer (oder mehreren) Nebenerwerbstätigkeit nachgehen. Gruppe 2 beinhaltet Nichterwerbstätige in ihrer überwiegend sozialen Stellung mit einer erwerbsgenerierenden Nebentätigkeit. Gruppe 3 schließt all diejenigen Personen ein, die zwar in ihrer überwiegend sozialen Stellung erwerbstätig sind, aber darüber hinaus keiner Nebenerwerbstätigkeit nachgehen. Personen, die weder in ihrer Haupt- noch in ihrer Nebentätigkeit Erwerb erzielen und damit nicht erwerbstätig sind, bilden Gruppe 4 (Helberger & Schwarze 1986, S.275). Entsprechend der vorangegangenen Definition und Kategorisierung werden im weiteren Verlauf lediglich Personen berücksichtigt, die in Gruppe 1 verortet sind. Eine Ausnahme bilden dabei Personengruppen, die sich in einer Berufsausbildung befinden und parallel einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Diese werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt. Alle weiteren Formen von Mehrfachbeschäftigung (Gruppe 2 bis 4) werden von der Untersuchung ausgeschlossen, da sie mindestens eine Nichterwerbstätigkeit beinhalten.
In welchen Kombinationen Doppelerwerbstätigkeit auftreten kann, verdeutlichen Hirschenauer und Wießner (2006). Auf Basis der Daten der Bundesagentur für Arbeit konnten drei Kombinationsmöglichkeiten identifiziert werden. Im Gegensatz zu Helberger und Schwarze (1986) erfolgt die Kategorienbildung anhand einer Zuordnung zu sozialversicherungspflichtigen und geringfügigen Beschäftigungen (Hirschenauer & Wießner 2006, S.1):
Variante 1: Kombination aus mehreren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen (SVB)
Variante 2: Kombination aus mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (GEB)
Variante 3: Kombination aus sozialversicherungspflichtigen und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (SVB + GEB)
Aus aktuellen Beschäftigungsstatistiken geht hervor, dass Variante 1 in Deutschland am wenigsten vertreten ist. Lediglich 4% aller Doppelerwerbstätigen gehen einer Kombination aus mehreren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nach. Obwohl diese Variante, aufgrund der ausbleibenden Einkommensgrenze, eine bestmögliche finanzielle Absicherung erlaubt, bringt diese auch einige Nachteile mit sich. Zum einen fallen bei beiden Tätigkeiten die üblichen Steuer- und Sozialabgaben an. Zum anderen ist davon auszugehen, dass beide Beschäftigungen mit einer relativ hohen Stundenanzahl verbunden sind, wodurch eine flexible Verteilung dieser, insbesondere unter dem Aspekt der gesetzlichen Tageshöchstzeit, erschwert wird. Einer Kombination aus mehreren geringfügigen Beschäftigungen gehen 7,4% aller Doppelerwerbstätigen nach (Klinger & Weber 2017, S.7). Dabei bezeichnet der Begriff der „geringfügigen Beschäftigung“ (auch: Minijob) Beschäftigungsverhältnisse mit einem monatlichen Einkommen von bis zu 450 Euro. Eine Besonderheit besteht darin, dass weder Steuer- noch Sozialabgaben anfallen (Schmidt & Voss 2014, S.38). Darüber hinaus ist die zeitliche Vereinbarkeit und flexible Gestaltung von zwei geringfügigen Beschäftigungen besonders positiv zu bewerten. Dem gegenüber steht jedoch der Nachteil einer beschränkenden Einkommensgrenze von 450 Euro je Beschäftigung. Dadurch wird die Möglichkeit der sozialen Absicherung, insbesondere unter dem Aspekt des Erhalts von Rentenzahlungen und der damit verbundenen Vermeidung potenzieller Altersarmut, deutlich eingeschränkt (Klinger & Weber 2017, S.6). Die Kombination einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung, durch die ein Grundeinkommen sowie eine soziale Absicherung sichergestellt werden kann, und einer geringfügigen Beschäftigung, die wiederum einen flexiblen Zusatzverdienst frei von Abgaben ermöglicht, stellt für Doppelerwerbstätige den größten Anreiz dar. Dies spiegelt sich auch in den statistischen Erhebungen wider. So entscheiden sich 88,6% der Doppelerwerbstätigen für diese Variante 3 (ebd., S.7). Daraus resultiert, dass Doppelerwerbstätigkeit üblicherweise aus einer Haupt- und einer Nebentätigkeit besteht. Nur in seltenen Fällen handelt es sich, in Anbetracht des Stundenumfangs oder der Verdiensthöhe, um zwei gleichwertige Erwerbstätigkeiten. Ergänzend zu den drei vorgestellten Varianten besteht sowohl in der Haupt- als auch in der Nebenbeschäftigung die Möglichkeit, einer abhängigen Beschäftigung wie etwa als Angestellter oder Beamter oder einer unabhängigen Beschäftigung in Form einer Selbstständigkeit oder Freiberuflichkeit, nachzugehen (Graf et al. 2019, S.3). Vor allem im Rahmen der Nebenerwerbstätigkeit entscheiden sich mehr als die Hälfte aller Mehrfachbeschäftigten dafür einer Selbstständigkeit nachzugehen (Brenke 2009, S.605).
2.1.2 Doppelerwerbstätigkeit in Deutschland: Zahlen, Entwicklungen und Ländervergleiche
Seit Beginn der 2000er Jahre steigt die Zahl an Erwerbstätigen in Deutschland, die mehr als einer Beschäftigung simultan nachgehen, kontinuierlich an und ist im europäischen Vergleich auffallend hoch (Graf et al. 2019, S.1). So hat sich der absolute wie auch relative Anteil an Mehrfachbeschäftigten seit dem Jahr 2003 mehr als verdoppelt (Klinger & Weber 2020, S.3238). Eine aktuelle Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) aus dem Jahr 2021 gibt Auskunft über die sogenannte „Zweitjobquote“. Diese definiert den prozentualen Anteil derjenigen Personen, die neben einer hauptberuflichen Tätigkeit mindestens einer weiteren Beschäftigung nachgehen und berücksichtigt dabei sämtliche Personen im Alter von mindestens 15 Jahren. Während im Jahr 2003 lediglich 2,5% aller Erwerbstätigen neben ihrer Hauptbeschäftigung einer oder mehreren weiteren Tätigkeiten nachgingen, ist dieser Wert inzwischen um 2,9 Prozentpunkte gestiegen und lag im Jahr 2019 bei 5,4%. Dies entspricht etwa 2,3 Millionen Deutschen, die derzeit als mehrfacherwerbstätig gelten (Destatis 2021b). Diese Entwicklungen spiegeln sich auch in weiteren statistischen Auswertungen wider. Den Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge, die neben Angestellten auch Selbstständige und Beamte berücksichtigen, lag die Anzahl an Mehrfacherwerbstätigen im Jahr 2017 bereits bei circa 3,07 Millionen. Im Vergleichsjahr 2003 gingen rund 1,25 Millionen Erwerbstätige mindestens einem zweiten Arbeitsverhältnis nach (Klinger & Weber 2017, S.2). Im Vergleich zu anderen Beschäftigungsstatistiken fällt auf, dass der in der Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) ausgewiesene Anteil an Mehrfacherwerbstätigen deutlich geringer ausfällt. Dies ist auf methodische und konzeptionelle Unterschiede der Statistiken zurückzuführen. Wohingegen die Arbeitskräfteerhebung auf Auskünften der Beschäftigten basiert, greifen andere Statistiken auf die gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen zur Sozialversicherung zurück (Graf et al. 2019, S.2; Destatis 2021b). Trotz unterschiedlicher Datenbasen verdeutlichen beide Statistiken einen stetigen Anstieg von Erwerbstätigen, die mehr als einer Beschäftigung nachgehen.
Mehrfachbeschäftigung lässt sich insbesondere bei Personen mittleren Alters beobachten. Während der Anteil der 35 bis 44-Jährigen 6,3% beträgt, liegt dieser bei 25 bis 34-Jährigen sowie 45 bis 54-Jährigen bei 5,9%. Bei jungen Menschen, die das Alter von 25 Jahren noch nicht überschritten haben, liegt der Anteil bei 3,9%. Der prozentual geringste Anteil (2,7%) kommt älteren Personen mit einem Alter von über 65 Jahren zu. Hinsichtlich des Geschlechts können nur geringfügige Unterschiede festgestellt werden. Während 4,9% der männlichen Erwerbstätigen einer Mehrfacherwerbstätigkeit nachgehen, liegt dieser Wert bei den erwerbstätigen Frauen bei 6%. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Mehrfachbeschäftigung verstärkt bei Personen zu beobachten ist, die hauptberuflich einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Dieser Anteil ist bei Frauen deutlich höher als bei Männern (Destatis 2021b).
Aus einer Online-Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) aus dem Jahr 2017, an der 545 Mehrfacherwerbstätige teilgenommen haben, geht hervor, dass die Mehrheit der Befragten (93%) zwei Beschäftigungen nachgeht. Lediglich 7% üben drei oder mehr Tätigkeiten zeitgleich aus. In der Hauptbeschäftigung sind 82% der Doppelerwerbstätigen als Arbeitnehmer oder Beamte tätig. 15% gehen nach eigenen Angaben einer Selbstständigkeit nach (Graf et al. 2019, S.3f.). Alle anderen Kategorien, wie beispielsweise die Erwerbstätigkeit in Elternzeit, wurden hingegen nur vereinzelt genannt (ebd., S.16). Die Verteilung des beruflichen Status in der Nebenbeschäftigung unterscheidet sich von dem in der Hauptbeschäftigung deutlich. Während hier etwa 51% als Arbeitnehmer oder Beamte beschäftigt sind, liegt der Anteil der in der Nebentätigkeit Selbstständigen oder Freiberuflichen bei 45% (ebd., S.3f.). Durchschnittlich verbringen Doppelerwerbstätige 7,9 Stunden pro Woche mit der Ausübung ihrer Nebentätigkeit. Während Selbstständige mit eigenen Beschäftigten eine vergleichsweise hohe wöchentliche Arbeitszeit von 12,2 Stunden aufweisen, verbringen Soloselbstständige mit 8,4 Wochenstunden und Arbeitnehmer mit 7,4 Wochenstunden deutlich weniger Zeit in ihrer Nebenbeschäftigung (Destatis 2021b). Des Öfteren stimmt der berufliche Status in der Hauptbeschäftigung mit dem in der Nebenbeschäftigung überein. 56% der hauptberuflichen Beamten oder Arbeitnehmer gehen auch nebenberuflich einem Angestellten- oder Beamtenverhältnis nach. Bei den hauptberuflichen Selbstständigen und Freiberuflern zeigt sich dieses Phänomen noch deutlicher. In 72% der Fälle gehen diese ebenfalls einer selbstständigen oder freiberuflichen Nebentätigkeit nach (Graf et al. 2019, S.3f.).
Obwohl der Anteil der Mehrfachbeschäftigten in der Europäischen Union seit der Jahrhundertwende weitestgehend stabil geblieben ist, verbergen sich dahinter eine Reihe unterschiedlicher Entwicklungen. Einige Länder, wie beispielsweise Österreich, Dänemark und verschiedene osteuropäische Länder, verzeichnen einen stetigen Rückgang des Anteils an Mehrfachbeschäftigten, während in einigen wenigen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, Luxemburg und Finnland, ein deutlicher Anstieg zu erkennen ist (Eurostat Statistics Explained 2018). In einem Ländervergleich aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union findet sich Deutschland mit 5,4% im oberen Viertel, auf dem sechsten Platz, wieder. Betrachtet wurde dabei der prozentuale Anteil aller 15- bis 64-jährigen Erwerbstätigen im Jahr 2019, die mindestens zwei Beschäftigungen nachgingen. Der durchschnittliche Wert aller Mitgliedsstaaten lag 2019 bei 4,1%. Mit 8,9% gilt Schweden als das Land mit den meisten Mehrfacherwerbstätigen. Danach folgen Dänemark und die Niederlande mit 8,1%, Finnland mit 6,6% sowie Estland mit 6,4% (Destatis 2021a).
2.1.3 Der Weg in die Doppelerwerbstätigkeit: Motive und Auswirkungen
Die Gründe, warum sich Individuen für einen Weg in die Doppelerwerbstätigkeit entscheiden, sind vielseitig und reichen von einer finanziellen Notwendigkeit bis hin zum Wunsch nach Selbsterfüllung (Graf et al. 2019, S.9). Ebenso unterschiedlich gestalten sich auch die Auswirkungen von Doppelbeschäftigungen.
Während einige Studien darauf hindeuten, dass das simultane Nachgehen von zwei oder mehr Jobs erschöpfend wirkt und negative Folgen für die Betroffenen selbst als auch die Organisation mit sich bringt (vgl. Boyd et al. 2016; Grant 1977), bewerten andere Forscher Doppelerwerbstätigkeit als bereichernd. So kann diese zu einer besseren Arbeitsleistung, einer höheren Arbeitszufriedenheit und einem verstärktem Gefühl von Authentizität führen sowie energetisierend, das Wohlbefinden steigernd und sinnstiftend sein (vgl. Baba & Jamal 1992; Caza et al. 2018; Livanos & Zangelidis 2008; Sieber 1974).
Campion et al. (2020) überprüfen in ihrem Artikel „Multiple Job Holding: An Integrative Systematic Review and Future Research Agenda” systematisch den derzeitigen Forschungsstand zum Thema Mehrfachbeschäftigung und sprechen sich sowohl für depletion (Erschöpfung) als auch e nrichment (Bereicherung) als mögliche Folgen von Mehrfachbeschäftigung aus. Welche dieser letztendlich zum Tragen kommt sei wiederum von den Gründen, aus denen einer Doppelerwerbstätigkeit nachgegangen wird, abhängig (Campion et al. 2020, S.166).
Abbildung 1 : Depletion-versus-Enrichment Framework zur Mehrfachbeschäftigung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Entnommen aus Campion et al. 2020, S.171
Abbildung 1 veranschaulicht ein Modell zur Mehrfachbeschäftigung, das basierend auf der von Campion et al. (2020) durchgeführten Recherche erstellt wurde. Im Folgenden wird auf die in der Literatur diskutierten motivational predictors (Push- und Pull-Faktoren) sowie mögliche outcomes (Auswirkungen) eingegangen (Campion et al. 2020, S.165).
Im Rahmen ihrer Untersuchung konnten Campion et al. (2020) diverse Beweggründe für das Ausüben einer Doppelerwerbstätigkeit identifizieren. Diese lassen sich zu den in Tabelle 2 dargestellten drei Kategorien zusammenfassen: financial (Finanzen), career development (Karriereentwicklung) und psychological fulfillment (psychologische Erfüllung) (Campion et al. 2020, S.172).
Tabelle 2 : Motivationskategorien von Mehrfachbeschäftigung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Campion et al. 2020, S.172
Der finanzielle Aspekt gilt als das häufigste Motiv einer Doppelerwerbstätigkeit nachzugehen. In einem ersten Versuch eine Theorie zu entwickeln, die dieses Phänomen begründet, überprüften Shisko und Rostker (1976) die Annahme, dass die Bereitschaft, einen zusätzlichen Job auszuüben, mit der zunehmenden Zahl an Arbeitsstunden in der Haupttätigkeit sinkt (Campion et al. 2020, S.172). Demzufolge wird einer Mehrfachbeschäftigung häufig dann nachgegangen, wenn es Erwerbstätigen aufgrund unflexibler und begrenzter Arbeitszeiten in ihrem Hauptjob nicht möglich ist die gewünschten Arbeitsstunden zu leisten. Der Wunsch, die Stundenanzahl zu erhöhen, entsteht, wenn laufende Kosten nicht gedeckt werden können oder zusätzliches Geld verdient werden soll (Shishko & Rostker 1976, S.298ff.). Diese Annahme wurde als hours-constraint Hypothese bekannt (vgl. Dickey et al. 2009; Hirsch et al. 2016; Shishko & Rostker 1976). Darüber hinaus ergaben weitere Studien, dass Beschäftigte, die in ihrer Haupttätigkeit in Teilzeit arbeiten, mit größerer Wahrscheinlichkeit mehrere Jobs ausüben (Heineck 2009, S.112). Mit der hours-constraint Hypothese geht auch die earnings-constraint Hypothese einher. Forscher fanden heraus, dass Arbeitnehmer insbesondere dann einer weiteren Erwerbstätigkeit nachgehen, wenn sie in ihrer Hauptbeschäftigung trotz des Leistens zusätzlicher Arbeitsstunden keinen zusätzlichen Erwerb erwirtschaften können (Hirsch et al. 2016, S.2). Weitere finanzielle Motive liegen in der Bewältigung unbeständiger Einkommensschwankungen in der Haupttätigkeit (Guariglia & Kim 2004, S.289) sowie in der Risikoaversion, um sich vor einer vermeintlichen Arbeitsplatzunsicherheit zu schützen (Hlouskova et al. 2017, S.670). Darüber hinaus entscheiden sich Individuen einer Doppelerwerbstätigkeit nachzugehen, um Geld für zukünftige Anschaffungen sparen oder sich etwas Besonderes leisten zu können (Abdukadir 1992, S.1307). Obwohl das finanzielle Motiv lange Zeit als vorherrschend galt, existieren mittlerweile Untersuchungen, die belegen, dass darüber hinaus nicht-finanzielle Motive existieren (vgl. Conway & Kimmel 1998; Heineck 2009; Panos et al. 2014; Preston & Wright 2020).
Die zweite Kategorie bezieht sich auf das Motiv der Karriereentwicklung. In Zusammenhang mit nicht-finanziellen, immateriellen Beweggründen (Hirsch et al. 2016, S.2) erwähnen Wissenschaftler vor allem das Modell der heterogeneous jobs motive (heterogenen Beschäftigungen) bzw. der portfolio motives (Jobportfolios) (vgl. Jamal et al. 1998; Panos et al. 2014; Renna & Oaxaca 2006). Karriereentwicklung als Motivation mehr als einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, beinhaltet außerdem das Verlangen nach Aufgabendiversität (Fraser & Gold 2001, S.686) sowie der Erschließung neuer Karrierewege (Campion et al. 2020, S.173). Des Weiteren konnte herausgefunden werden, dass das Ausüben einer weiteren Tätigkeit dazu führen kann, dass Erwerbstätige Fähigkeiten, die mit ihrer Hauptbeschäftigung in Verbindung stehen, entwickeln, aufrechterhalten oder verbessern können und ihnen dadurch der Übergang zu einer alternativen beruflichen Karriere erleichtert werden kann (Arora 2013, S.329ff.; Russo et al. 2018, S.26). In Studien, die Finanz- und Karrieremotivationen vergleichen, waren Letztere aussagekräftiger für die Wahrscheinlichkeit mehreren Erwerbstätigkeiten nachzugehen (Dickey et al. 2009, S.18f.; Wu et al. 2009, S.17).
Die dritte und letzte Kategorie bildet die psychologische Erfüllung. Sie basiert auf jahrelanger Forschung und der Vorstellung, dass Menschen daran interessiert sind, ihre persönlichen Bedürfnisse durch Arbeit zu erfüllen (vgl. Hackman & Oldham 1976; Wrzesniewski et al. 2013). Stellen Erwerbstätige fest, dass ihre beruflichen Ambitionen und Leidenschaften nicht durch eine einzige Beschäftigung erfüllt werden können, nehmen sie eine weitere Tätigkeit auf, um diese Erfüllung zu erreichen (Caza et al. 2018, S.735). Weitere Gründe, die dem Aspekt der psychologischen Erfüllung zugeordnet werden können, sind die Freude an der Arbeit (Averett 2001, S.1404) oder auch das Sammeln neuer Erfahrungen (Osborne & Warren 2006, S.381).
Während Campion et al. (2020) die vorangehenden drei Kategorien unterscheiden, wird in der Literatur oftmals zwischen lediglich zwei Hauptmotiven differenziert: Das finanzielle Motiv, das der Kategorie „Finanzen“ entspricht, und das immaterielle Motiv, das weitestgehend die Kategorien „Karriereentwicklung“ und „psychologische Erfüllung“ umfasst (Preston & Wright 2020, S.304).
Im Hinblick auf mögliche Auswirkungen von Mehrfachbeschäftigung konnten Campion et al. (2020) vier Kategorien identifizieren, die sowohl einen bereichernden als auch erschöpfenden Charakter annehmen können: money (Finanzen), career (Karriere), performance (Performance) und personal (Privatleben) (Campion et al. 2020, S.174).
Eine positive Folge von Mehrfachbeschäftigung lässt sich im Bereich Finanzen finden. Es ist anzunehmen, dass eine zweite oder dritte Erwerbstätigkeit eine finanzielle Bereicherung mit sich bringt. Ebenso liefern einige Forschungen dahingehend Bestätigung (vgl. Graf et al. 2019; Gruen et al. 2002). Eine Studie von Schulz et al. (2018) ergab, dass die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Zweitjob die Wahrscheinlichkeit eines höheren Verdienstes im Vergleich zu Personen, die zwei Beschäftigungen in einem Angestelltenverhältnis nachgehen, erhöht (Schulz et al. 2018, S.12).
Das Nachgehen mehrerer Tätigkeiten wirkt sich grundsätzlich bereichernd auf die berufliche Karriere aus. Die Möglichkeit vielseitige Fähigkeiten zu erlernen, abwechslungsreichen Aufgaben nachzugehen und unterschiedliche Arbeitsplätze kennenzulernen, wird als besonders positiv bewertet (Campion et al. 2020, S.174f.). Zudem nehmen die Arbeitsleistung und Arbeitszufriedenheit zu (Livanos & Zangelidis 2008, S.3). Darüber hinaus gelten Autonomie und persönliche Kontrolle über die eigene Karriere als positiv zu bewertende Resultate von Doppelerwerbstätigkeit. Ein weiterer wesentlicher Vorteil von Mehrfachbeschäftigung besteht in dem Erwerb neuer Fertigkeiten, die einen Aufstieg im Hauptjob oder einen Übergang in eine neue berufliche Laufbahn unterstützen können (Campion et al. 2020, S.174f.). Während Personen, die im Haupt- und Nebenjob im gleichen Berufsfeld tätig sind, nicht dazu neigen ihre Karriere zu wechseln (Panos et al. 2014, S.223), nutzen Andere die Zweitbeschäftigung als Sprungbrett zu einer neuen beruflichen Laufbahn, wie beispielsweise einer Selbstständigkeit (Thorgren et al. 2016, S.14).
Im Gegensatz zu Untersuchungen der finanziellen und karrierebezogenen Folgen, sind die Auswirkungen von Mehrfachbeschäftigung hinsichtlich der Performance umstritten (Campion et al. 2020, S.175). Während einige Studien die Erschöpfungsperspektive unterstützen (vgl. Ologunde et al. 2013; Walsh 1986; Winters 2010), konnten andere Forschungen keinerlei Unterschiede zwischen Einfach- und Mehrfachbeschäftigten hinsichtlich ihrer Arbeitsleistung feststellen (vgl. Bennett et al. 1994; Jamal et al. 1998), was demnach weder auf eine Bereicherung noch eine Erschöpfung schließen lässt. Letztendlich ließen sich jedoch auch positive Ergebnisse in Bezug auf die Arbeitsleistung feststellen. So konnten Bennet et al. (1994) nachweisen, dass Doppelerwerbstätige eine größere Arbeitsmoral haben als Einfachbeschäftigte (Bennett et al. 1994, S.467), weniger Fehlzeiten aufweisen (Livanos & Zangelidis 2008, S.12) und sich häufiger freiwillig engagieren (Jamal & Crawford 1981, S.538).
Um Aussagen über die Auswirkungen von Mehrfachbeschäftigung auf das Privatleben treffen zu können, werden im Rahmen bisheriger Untersuchungen überwiegend die Arbeitseinstellung, das Erleben der Work-Life Balance und die psychologische sowie körperliche Gesundheit herangezogen. Jedoch können auch hier keine einheitlichen Aussagen über die Folgen von Doppelerwerbstätigkeiten getroffen werden. Während sich bei der Arbeitseinstellung positive und negative Auswirkungen gleichermaßen erkennen lassen, wirkt sich das Ausüben einer Doppelerwerbstätigkeit auf das Erleben der Work-Life Balance eher negativ und erschöpfend aus. Dies gilt ebenso für die psychologische und körperliche Gesundheit. Wenngleich dahingehende Forschungen begrenzt sind, liefern diese einen starken Beweis dafür, dass sich Mehrfachbeschäftigung negativ auf die körperliche Gesundheit auswirkt (Campion et al. 2020, S.175ff.). Begründet liegt dieser unter anderem in dem Entzug von Schlaf und einem damit verbundenen höheren Risiko eines Arbeitsunfalls (Marucci-Wellman et al. 2016, S.630).
Zusammenfassend wird deutlich, dass durch Mehrfachbeschäftigung sowohl finanzielle als auch karrierebezogene Ressourcen generiert werden können, was wiederum für einen bereichernden Charakter von Doppelerwerbstätigkeit spricht. Jedoch belegen Untersuchungen, dass die Bewältigung mehrerer Arbeitsaufgaben die psychische und Gesundheit einer Person beeinträchtigen kann. Gleichzeitig lassen sich auch Bereicherungseffekte in Bereichen erkennen, in denen Forscher üblicherweise eine Erschöpfung feststellen (z. B. Auswirkungen auf das Privatleben) und Erschöpfungseffekte in Bereichen, mit denen Wissenschaftler normalerweise eine Bereicherung verbinden (z. B. karrierebezogene Auswirkungen) (Campion et al. 2020, S.177).
Obwohl es Forschungslücken erschweren, einen direkten Zusammenhang zwischen den Motiven und Auswirkungen von Mehrfachbeschäftigung festzustellen (siehe vertikal durchgezogene Linie in Abbildung 1) (Campion et al. 2020, S.174), so lassen bisherige Untersuchungen doch vermuten, dass Push-Motive (z. B. ökonomische Notwendigkeit) häufiger zur Erschöpfung führen, während Pull-Motive (z. B. psychologische Erfüllung) eher eine Bereicherung mit sich bringen (ebd., S.166f.).
Bei einigen immateriellen, pull-basierten Motivationen, die in den Kategorien „Karriereentwicklung“ und „psychologische Erfüllung“ verortet sind, lassen sich Überschneidungen zu neuen Beschäftigungsformen und insbesondere neuen Karrierekonzepten finden. Diese gilt es im nachfolgenden Kapitel 2.2 genauer zu beleuchten.
2.2 Von der Idee neuer Karrieren
Die Pluralisierung, Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeits- und Lebensformen wirken sich zunehmend auf die Entwicklung individueller Karriereverläufe und -vorstellungen aus (Beck 1999, S.66ff.). Damit geht auch die Idee der new careers (neue Karrieren) einher, die Karriere entgegen ihrem traditionellen Verständnis interpretiert und neu definiert (vgl. Arthur 2014; Sullivan 1999; Sullivan & Baruch 2009). Entsprechend widmet sich dieses Kapitel zunächst dem Wandel des Karriereverständnisses und geht anschließend auf einige zentrale Konzepte neuer Karrieren ein.
2.2.1 Karriereverständnis im Wandel
Das traditionelle Karriereverständnis wurde lange Zeit mit dem Hinaufklettern der Karriereleiter, also mit einem ausschließlich vertikalen, hierarchischen Berufsaufstieg, assoziiert. Im Tausch gegen Arbeitsleistung und Loyalität bieten Organisationen Arbeitnehmern einen sicheren Arbeitsplatz (Arthur & Rousseau 1996, S.4; Barney G. Glaser 1968, S.1). Darüber hinaus ist die traditionelle Auffassung damit verbunden, dass Mitarbeiter aufgrund ihrer im Unternehmen erlernten, spezifischen Fähigkeiten an dieses gebunden und damit gezwungen sind, ihre gesamte berufliche Laufbahn in diesem einen Unternehmen zu durchlaufen. Dies verdeutlicht die ausgeprägte Machtstellung der Organisation, die wesentlichen Einfluss auf die Karriere des Mitarbeiters nimmt und diese sowohl vorgibt als auch aktiv steuert (Eby et al. 2003, S.689; Sullivan & Baruch 2009, S.1542).
Mit Beginn der 1990er Jahre veränderten unter anderem die Globalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung sowie technologische Fortschritte zunehmend die Struktur des Arbeitsmarktes. Dies führte wiederum zu einem weit verbreiteten organisatorischen Wandel, der von der Notwendigkeit getrieben wurde auf den internationalen Wettbewerb sowie die wirtschaftlichen und Marktveränderungen zu reagieren (Doherty 1996, S.471). Im Zuge der globalen Wirtschaftskrise kam es einige Zeit später zu einem folgenschweren Stellenabbau (Krugmann 2009), der das Organisations- und Arbeitsleben wesentlich prägte (Datta et al. 2010, S.282). Das Loyalitätsempfinden der Arbeitnehmer wurde durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes stark beeinflusst. Zuvor galt Loyalität als die zentrale Kraft, die die Beziehungen zwischen Beschäftigten und ihren Arbeitgebern beeinflusste. Diese Beziehung, die auf Arbeitsplatzsicherheit und Engagement beruhte, wurde durch einen unsicheren Arbeitsplatz und einen Rückgang der Loyalität ersetzt (Greenhalgh & Rosenblatt 2010, S.12; Klehe et al. 2011, S.217). Viele Erwerbstätige teilten die Ansicht, dass Unternehmen die Bedingungen ihres impliziten psychologischen Vertrages verletzten (Greenhalgh & Rosenblatt 2010, S.8). Dieses Gefühl trug grundlegend dazu bei, dass sich das Verständnis von einer einzigen Karriere in einem einzigen Unternehmen hin zu einer Beschäftigung bei mehreren Organisationen im Verlauf des Lebens wandelte und sich zudem der Fokus vom Unternehmen auf die Karriere des Einzelnen verlagerte (Klehe et al. 2011, S.217f.; Michaelis et al. 2001, S.3). Damit verschob sich auch die Macht von den Organisationen hin zu den Beschäftigten, wodurch die Einstellung talentierter Fachkräfte teurer wurde und Unternehmen sich zunehmend bemühen mussten, um qualifizierte Talente für sich zu gewinnen (Michaelis et al. 2001, S.7). Auch der sich zur gleichen Zeit vollziehende Übergang vom Industrie- zum Informationszeitalter hatte wesentlichen Einfluss auf die Erwerbstätigen und ihre Karriereverläufe, denn von nun an konnten diese unbegrenzt auf Informationen bezüglich vakanter Arbeitsplätze zugreifen. Dadurch verschob sich neben der Macht auch die Loyalität der Beschäftigten von der Organisation hin zu ihrer individuellen Karriere (Wajcman & Martin 2001, S.559). Darüber hinaus wurde Unternehmen unterstellt, dass sie sich aufgrund der zunehmenden Ausrichtung auf externe Flexibilität teilweise von der Verantwortung für das Karrieremanagement ihrer Mitarbeiter freisprachen (Hall 1996, S.14). Die verstärkte organisatorische Flexibilität und die damit verbundene Konsolidierung atypischer Beschäftigungen tragen demnach dazu bei, die Weiterentwicklung des traditionellen Karriereparadigmas zu beschleunigen (Simard et al. 2000, S.3). Im Verlauf der Zeit veranlassten diese tiefgreifenden Veränderungen Erwerbstätige dazu, ihre Karriereverläufe in Richtung eines protean (proteanischen) oder boundaryless (grenzenlosen) Ansatzes zu verlagern (Briscoe & Finkelstein 2009, S.242f.).
Jedoch änderten sich nicht nur die Karriereverläufe, sondern auch die Kriterien, die lange Zeit zur Bewertung des beruflichen Erfolges herangezogen wurden. Aus der traditionellen Perspektive wird dieser im Wesentlichen anhand der zurückgelegten Strecke zwischen dem Ausgangspunkt des Einzelnen (beispielsweise der sozialen Herkunft oder dem ersten Arbeitsplatz) und dem Zielpunkt gemessen. Dabei werden Beförderungen sowie die Entwicklung des Einkommens oder des sozialen Status herangezogen (Heslin 2003, S.264; Sullivan 1999, S.457). Die Ansicht, dass sich die Erfolgskriterien des traditionellen Karriereparadigmas nur schwer auf neue Karrierekonzepte übertragen lassen, findet verstärkt Zustimmung (Simard et al. 2000, S.4). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn davon ausgegangen wird, dass die neuen Karrieren als Pfade definiert werden, die aus einer Abfolge von Identitätswechseln und kontinuierlichen Lernprozessen bestehen, aus zahlreichen Bewegungen, in denen kaum ein hierarchischer Fortschritt erkennbar ist (Arthur & Rousseau 1996, S.296; Hall 1996, S.8). Während die traditionellen Erfolgskriterien in Verbindung mit den new career Konzepten an Bedeutung verlieren, rückt der subjektive Karriereerfolg, der anhand psychologischer Faktoren bestimmt wird, in den Vordergrund (Eby et al. 2003, S.701f.; Shen et al. 2015, S.1755; Verbruggen 2012, S.289).
Durch die vielfältigen Untersuchungen im Bereich der Karriereforschung wird die Bedeutung dieser Thematik sowie die Relevanz, sich auch zukünftig mit den Veränderungen der Karrieren auseinanderzusetzen, deutlich. Diese neuen Karrieren, die sich unter anderem durch neue Charakteristiken, Verläufe und Erfolgskriterien kennzeichnen, gewinnen unter dem Begriff der new career Idee an Bekanntheit (vgl. Arthur 2014; Sullivan 1999; Sullivan & Baruch 2009). Die in dieser Idee verorteten Karrierekonzepte stellen damit einen Kontrast zu dem herkömmlichen Karriereverständnis dar. Es wird angenommen, dass Karrieren nicht länger von der Organisation vorgegeben werden, sondern Individuen selbstständig und eigenverantwortlich über die Gestaltung ihrer persönlichen Karriere entscheiden. Dabei werden sie durch ihre Bedürfnisse nach Arbeitszufriedenheit und psychologischem Erfolg geleitet (Briscoe & Finkelstein 2009, S.243; Heslin 2005, S.377; Sullivan & Baruch 2009, S.1543). Ausgangspunkt der Idee neuer Karrieren stellt eine von dem traditionellen Verständnis abweichende Definition dar, die Karriere als „an individual’s work-related and other relevant experiences, both inside and outside of organizations, that form a unique pattern over the individual’s life span” (Sullivan & Baruch 2009, S.1543) interpretiert. Diese Definition erkennt sowohl physische Bewegungen wie beispielsweise zwischen Ebenen, Arbeitsplätzen, Arbeitgebern, Berufsfeldern und Branchen, als auch die individuellen Interpretationen des Einzelnen an, einschließlich seiner persönlichen Wahrnehmung von Karriereereignissen (z. B. Arbeitsplatzverlust als Scheitern oder als Chance für einen Neuanfang), Karrierealternativen (z. B. eingeschränkte oder unbegrenzte Möglichkeiten) und Karriereergebnissen (z. B. Definition von Karriereerfolg) (Sullivan & Baruch 2009, S.1543). Mit dem neuen Verständnis von Karriere geht eine notwendige Unterscheidung zwischen Beruf und Karriere einher. Während der Beruf die Tätigkeit beschreibt, der ein Individuum im Arbeitskontext nachgeht, beinhaltet diese Auffassung von Karriere die Relevanz des zeitlichen Faktors. Demnach verfolgt jedes Individuum, das einem Beruf nachgeht, eine Karriere. Eine Karriere ist jedoch nicht zwingend mit dem Nachgehen einer arbeitsbezogenen Tätigkeit verbunden (Arthur & Rousseau 1996, S.3ff.). Zusammenfassend wird Karriere verstanden als die Summe aller arbeitsbezogenen sowie weiteren relevanten Erfahrungen eines Individuums im Verlauf seines Lebens, sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Organisation (Sullivan & Baruch 2009, S.1543). Dieses neue Karriereverständnis, als Aneinanderreihung beruflicher Erfahrungen, bildet die Basis vielzähliger Untersuchungen in dem Bereich der Karriereforschung. Dabei veranschaulichen insbesondere Längsschnittstudien, die sich mit der Entwicklung von Karrieren oder dem Einfluss auf Karrieren im Zeitverlauf auseinandersetzen, diese neue Auffassung (vgl. Dobrow Riza & Heller 2015; Körner et al. 2015).
Im nachfolgenden Kapitel 2.2.2 wird ein Überblick über die in dem neuen Karriereverständnis verankerten new career Konzepte gegeben.
2.2.2 New Career Konzepte im Überblick
In jüngster Zeit wurde eine Reihe neuer Karrierekonzepte und -modelle vorgestellt, um die zunehmende Vielfalt an Karrieremustern zu erklären, die in der heutigen dynamischen Arbeitswelt zu beobachten sind (Sullivan & Baruch 2009, S.1554). Dieses Kapitel soll einen Überblick über die in der Karriereforschung bekanntesten new career Konzepten geben. Dazu zählen insbesondere die boundaryless career, die protean career und das kaleidoscope career model (KCM) sowie die portfolio career, post-corporate career und die hybrid career.
Die boundaryless career (grenzenlose Karriere) wird von Arthur (1994), DeFillippi und Arthur (1994), Arthur und Rousseau (1996) sowie Sullivan und Arthur (2006) als „independence from, rather than dependence on, traditional organizational career arrangements“ (Arthur & Rousseau 1996, S.6) beschrieben, die gleichzeitig „opportunities that go beyond any single employer“ (DeFillippi & Arthur 1994, S.116) aufzeigt. Wenngleich die durchbrochenen Grenzen sowohl physischer als auch psychologischer Natur sein können, meint diese Idee weniger das physikalische Überschreiten von Grenzen als vielmehr die vielfältigen Karrieremöglichkeiten (Arthur 2014, S.628). Arthur und Rousseau (1996) beschreiben sechs Szenarien, mit denen traditionelle Grenzüberschreitungen assoziiert werden können: Die von der Organisation vorgegebenen herkömmlichen Karrieregrenzen werden durchbrochen, wenn die Arbeitskraft gleichzeitig bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist (1); wenn Erwerbstätige ihre Anerkennung und ihren Marktwert von außerhalb des eigenen Arbeitgebers beziehen, wie es zum Beispiel auf Akademiker zutreffen kann (2); wenn externe Netzwerke oder externe Informationen für den eigenen Erfolg entscheidend sind, wie es beispielsweise bei Immobilienmaklern der Fall ist (3); wenn herkömmliche Hierarchien und Aufstiegswege überschritten werden (4); wenn bestehende Karrierechancen aus persönlichen oder familiären Gründen abgelehnt werden (5); oder wenn der Karriereakteur seine Karriere als grenzenlose Zukunft wahrnimmt, die unabhängig von strukturellen Beschränkungen ist (6) (Arthur & Rousseau 1996, S.6; Sullivan & Baruch 2009, S.1551). Aufgrund der steigenden Komplexität der Karriereverläufe und der Vielfalt an Definitionen veranschaulichen Sullivan und Arthur (2006) das Konzept der grenzenlosen Karriere anhand einer Vier-Felder-Matrix (Sullivan & Arthur 2006, S.22). Hierbei werden die zwei Ausrichtungen physical mobility (physische Mobilität) und psychological mobility (psychische Mobilität) herangezogen, die jeweils „niedrig“ oder „hoch“ ausgeprägt sein können. Daraus resultieren vier Felder der boundaryless career, anhand derer sich individuelle Karrierekonzepte einordnen lassen. Die zuvor beschriebenen Szenarien (1) und (4) stellen das Durchbrechen traditioneller Grenzen beispielsweise in Form eines Job-, Arbeitgeber-, Berufs- oder Länderwechsels, dar und ergeben die Dimension physical mobility. Die Szenarien (2), (3), (5) und (6) spiegeln sich in der Dimension psychological mobility wider, die als „the capacity to move as seen through the mind of the career actor” (ebd., S.21) verstanden wird. Das erste Feld stellt Karrieren dar, die sowohl eine geringe physische als auch psychische Mobilität aufweisen. Hier finden sich Karriereakteure wieder, die ein hohes Maß an unternehmensspezifischem Expertenwissen aufweisen und deren Bedürfnis nach einem Arbeitsplatzwechsel entsprechend gering ausfällt. Als Gründe hierfür können die hohe Arbeitssicherheit und die als Vorteil empfundene einmalige Herausforderung aufgrund der sehr spezifischen Aufgaben genannt werden (ebd., S.23). Das zweite Feld beinhaltet Karrieren, die eine hohe physische Mobilität und gleichzeitig geringe psychische Mobilität aufweisen. Hierunter fallen Karrieren, die eine hohe physische Mobilität in Form von Reisebereitschaft erfordern, die Aufgaben bleiben jedoch in ihren Inhalten unverändert. Das dritte Feld repräsentiert Karrieren, die auf einer geringen physischen, jedoch einer hohen psychische Mobilität basieren. Akteure, deren Karrieren in diesem Feld anzusiedeln sind, gelten infolge ihrer langjährigen Erfahrung und ihrem umfangreichen Wissen als leicht vermittelbar. Sie streben danach sich persönlich weiterzuentwickeln, auch außerhalb der eigenen Organisation. Aufgrund der geringen physischen Mobilität ist damit jedoch nicht zwangsläufig ein Arbeitgeberwechsel verbunden (ebd., S.23f.). In Feld vier sind Karrieren mit einer sowohl hohen physischen als auch psychischen Mobilität verortet. Diesen Karriereakteuren wird ein sogenanntes boundaryless mindset nachgesagt, welches sich in dem Wunsch, für verschiedene Arbeitgeber tätig zu sein und der Freude am Aufbau und der Pflege externer Beziehungen, äußert (Briscoe et al. 2006, S.31). Während objektive Erfolgsfaktoren zunehmend an Relevanz verlieren, wird die Bedeutung subjektiver Karriereerfolgskriterien durch Individuen mit einem boundaryless mindset besonders hervorgehoben (Arthur et al. 2005, S.182). Obwohl das Konzept der boundaryless career als das prominenteste Konzept neuer Karrieren gilt (vgl. Guest & Rodrigues 2014; Kuen et al. 2013) und die Entwicklungen im Bereich der Karriereforschung wesentlich beeinflusst hat, wird es kritisch hinterfragt (vgl. Pringle & Mallon 2003; Rodrigues & Guest 2010). So fordern Wissenschaftler weitere Klärungen und Konzeptualisierungen dieses Konstrukts und hinterfragen dessen Messbarkeit (Briscoe et al. 2006, S.44; Sullivan 1999, S.465). Darüber hinaus kritisieren Inkson et al. (2012) die fehlende Präzision der boundaryless career Definition und fordern weitere Auseinandersetzungen mit möglichen Karrieregrenzen. Sie beklagen, dass aktuelle Forschungen zwar das boundaryless career Konzept heranziehen, um neue Karrieren zu erklären, dabei jedoch herkömmliche Karriereelemente unberücksichtigt bleiben und institutionelle Effekte nicht ausreichend gewürdigt werden. Inkson et al. (2012) warnen davor, die Idee der boundaryless career zu bestärken indem noch immer existierende, traditionelle Karrieregrenzen gänzlich von Untersuchungen ausgeschlossen werden. Vielmehr erfordere es eine weitreichende Überprüfung eben dieser Grenzen, um die Karriereforschung weiter voranzutreiben (Inkson et al. 2012, S.335).
Auch die von Hall (1976) ins Leben gerufene protean career stellt einen Kontrast zum herkömmlichen Karriereverständnis dar. Mit ihr wird eine Karriere assoziiert, „in which the person, not the organization, is in charge, the core values are freedom and growth, and the main success criteria are subjective (psychological success)“ (Hall 2004, S.4). Die Idee der protean career basiert auf der Metapher des griechischen Gottes Proteus, der seine Gestalt nach Belieben verändern kann. Ebenso ist der proteanische Karriereakteur in der Lage, seine Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten neu zu gestalten und zu präsentieren, um den Anforderungen eines sich wandelnden Arbeitsplatzes und seinem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung gerecht zu werden. Nicht der Organisation, sondern dem Individuum kommt die Kontrolle über seine Karriere und deren Entwicklung zu (Hall 1996, S.8; Sullivan & Baruch 2009, S.1545). Im Verlauf der Zeit wirken sich sowohl wechselnde Identitäten als auch kontinuierliche Prozesse des Lernens auf diese Karrieren aus. Das oberste Ziel besteht dabei in dem Erzielen eines psychologischen Erfolgs wie „the feeling of pride and personal accomplishment that comes from achieving one´s most important goal in life, be they achievement, family happiness, inner peace, or something else” (Hall 1996, S.8). Briscoe und Hall (2006) konkretisieren das Konzept der protean career indem sie zwei Dimensionen definieren, anhand derer sich die protean career Orientierung eines Individuums messen lässt: Values-driven (werteorientiert) meint das Ausmaß, zu dem Individuen die eigenen inneren Werte als Orientierung und Maßstab für den Erfolg der eigenen Karriere heranziehen und wie sehr sich diese Werte ihrem Verhalten im Arbeitskontext widerspiegeln. Hierbei handelt es sich meist um Wertevorstellungen, die eher intrinsischer Natur (subjektive Erfolgsfaktoren) und damit gegensätzlich zu objektiven Erfolgsfaktoren wie Beförderung und Gehalt sind. Self-directed (selbstbestimmt) definiert das Ausmaß, zu dem eine Person ihre Karriere selbstbestimmt und unabhängig von einer Organisation gestaltet (Briscoe et al. 2006, S.31; Briscoe & Hall 2006, S.8). Gubler et al. (2014) kritisieren die Messbarkeit und Operationalisierung des protean career Konzeptes und führen diese Schwächen auf die unklare Konzeption des Modells zurück (Gubler et al. 2014, S.29). Daraufhin nehmen sie eine Weiterentwicklung des Konzeptes von Briscoe und Hall (2006) vor, indem die beiden Dimensionen values-driven und self-directed jeweils in zwei Aspekte unterteilt und um die Dimensionen identity (Identität) bzw. adaptability (Anpassungsfähigkeit) ergänzt werden. Demzufolge wird die Dimension values-driven von nun an durch die Elemente identity und being values-driven dargestellt. Die Dimension self-directed setzt sich wiederum zusammen aus adaptability und being self-directed (Gubler et al. 2014, S.32ff.).
Werden die boundaryless career und die protean career einander gegenübergestellt, lassen sich sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede erkennen. Zudem setzten sich einige Forschungen mit der Kombination dieser beiden new career Konzepte auseinander (vgl. Briscoe et al. 2006; Briscoe & Finkelstein 2009; Rojewski et al. 2017). Bei beiden Konzepten wird der Erfolg intern gemessen und eher psychologisch (subjektiv) als objektiv bewertet (Briscoe et al. 2006, S.30; Verbruggen 2012, S.289f.). Erfolg ist eine Frage der Werteorientierung. So werden weniger gesellschaftlich auferlegte als vielmehr individuell bedeutsame Ziele verfolgt, die die Motivation für Karriereentscheidungen liefern und Maßstäbe für die Messung des psychologischen Karriereerfolgs schaffen (Briscoe et al. 2006, S.44f.). All diese Aspekte stellen eine bedeutende Abweichung von der traditionellen Karriere dar, die sich typischerweise innerhalb der Grenzen eines Beschäftigungsverhältnisses entwickelt und durch hierarchischen Aufstieg gekennzeichnet ist (Arthur 1994, S.301; Sullivan & Baruch 2009, S.1563). Ausgehend von ihren jeweiligen Dimensionen untersuchten Briscoe und Hall (2006) mögliche Verbindungen dieser beiden Karrieren und wirken damit der kritisierten fehlenden Präzision der Konzepte entgegen. Basierend auf den Dimensionen physical und psychological mobility der boundaryless career sowie values-driven und self-directed der protean career ergeben sich 16 Kombinationsmöglichkeiten, die jeweils einem Karrieretypen entsprechen. Davon werden lediglich acht als wahrscheinlicher Typ bewertet, die jeweils eine Mischform aus boundaryless und protean career darstellen (Briscoe & Hall 2006, S.9). Diese wurden im weiteren Verlauf hinsichtlich der Herausforderungen für den Karriereakteur selbst sowie für die betroffene Organisation untersucht (ebd., S.4ff.). Besondere Beachtung kommt dabei dem Karriereprofil des protean career architect zu, durch diesen alle möglichen Potenziale beider Karrierekonzepte zum Tragen kommen. Karriereakteure, die diesem Typ zuzuordnen sind, weisen in allen vier Dimensionen hohe Ausprägungen auf. Sie verfügen in gleichem Maße über ein hohes boundaryless mindset sowie über eine hohe protean career orientation. Diese Personen sind frei von psychischen oder physischen Grenzen und übernehmen die Verantwortung für und Kontrolle über die Gestaltung ihrer persönlichen Karriere. Dabei lassen sie sich von ihren subjektiven Wertevorstellungen und ihrem Empfinden von Sinn und Erfolg leiten (ebd., S.9). Ausgehend von den von Briscoe und Hall (2006) entwickelten Karriereprofilen werden weitere Forschungen vorgenommen. So untersuchten beispielsweise Segers et al. (2008), inwiefern die Dimensionen der boundaryless und protean career mit dem Faktor Motivation zusammenhängen (Segers et al. 2008, S.212). Das Ergebnis bilden vier Kategorien, die sich im Hinblick auf motivationale und demografische Aspekte wesentlich voneinander unterscheiden (Segers et al. 2008, S.225). Dabei lassen sich 30 Prozent der befragten Probanden der Kategorie des protean career architects zuordnen, dessen Motivation durch ein hohes Maß an arbeitsbezogenen Aktivitäten, die Möglichkeit Verantwortung zu übernehmen sowie durch Wertschätzung und Anerkennung positiv beeinflusst wird (ebd., S.221ff.). Einige Jahre später analysierten Rastgar et al. (2014) die Auswirkungen der Persönlichkeit auf die protean und boundaryless Karriereeinstellungen (Rastgar et al. 2014, S.1). Ihre Ergebnisse zeigen, dass protean oder boundaryless careers überwiegend von Personen verfolgt werden, die über Charaktereigenschaften wie Erfahrungsoffenheit und Extraversion verfügen. Individuen, die hingegen ein hohes Maß an Kompatibilität aufweisen, streben diese new career Orientierungen seltener an (ebd., S.4).
Das kaleidoscope career model (KCM) findet seinen Ursprung in der stark debattierten "Opt-out“-Revolution, die die Abwanderung hochqualifizierter Frauen, darunter vor allem berufstätige Mütter, beschreibt, die sich bewusst gegen den Aufstieg in die Führungsetage eines Unternehmens entscheiden. Zudem haben die Schwierigkeiten, die sich aus der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ergeben, einige Frauen dazu veranlasst, sich freiwillig aus dem Berufsleben zurückzuziehen und die Organisation zu verlassen (Mainiero & Sullivan 2005, S.106). Mainiero und Sullivan (2005, 2006) analysieren dieses Phänomen und liefern ein Modell, das weder eine Erweiterung der boundaryless noch der protean career Idee darstellt, sondern stattdessen eine unabhängige, alternative Perspektive bietet, um neuartige Karriereverläufe zu ergründen (Sullivan & Baruch 2009, S.1554). Im Rahmen einer Onlinebefragung untersuchen die beiden Forscher die Karriereverläufe von 100 hochqualifizierten Frauen und deren Beweggründe für den Wechsel ihrer beruflichen Laufbahn. Um geschlechterspezifische Unterschiede erkennen zu können, werden anschließend größere Datenmengen (N=1647) von Männern und Frauen generiert und hinsichtlich derselben Aspekte untersucht (Mainiero & Sullivan 2005, S.108). Auf Basis ihrer Ergebnisse entwerfen sie das Modell der kaleidoscope career (ebd., S.105). Wie ein Kaleidoskop, das wechselnde Muster erzeugt, wenn die Glassplitter in neue Anordnungen fallen, beschreibt das KCM wie Individuen das Muster ihrer persönlichen Karriere verändern, indem sie die verschiedenen Aspekte ihres Lebens drehen, um ihre Beziehungen und Rollen neu zu gestalten. Diese Veränderungen können als Reaktion auf innere Veränderungen (bspw. zunehmende Reife) oder Umweltveränderungen (bspw. eine Entlassung) auftreten. Individuen nehmen Bewertungen der ihnen zur Verfügung stehenden Optionen vor, um die beste Passung zwischen Arbeitsanforderungen, Zwängen und Möglichkeiten sowie Beziehungen, persönlichen Werten und Interessen zu finden. Jede getroffene Entscheidung wirkt sich direkt auf das individuelle kaleidoskopartige Karrieremuster aus (Sullivan & Baruch 2009, S.1557). Die Entscheidungsfindung erfolgt dabei anhand der folgenden drei Karriereparameter: (a) authenticity (Authentizität), bei der das Individuum Entscheidungen trifft, die es ihm ermöglichen sich selbst treu zu bleiben; (b) balance (Ausgewogenheit), wobei der Betroffene ein Gleichgewicht zwischen beruflichen und außerberuflichen Anforderungen anstrebt (z. B. zwischen Familie, Freunden, älteren Verwandten und persönlichen Interessen) und (c) challenge (Herausforderung), definiert als das Bedürfnis des Einzelnen nach stimulierender und motivierender Arbeit (z. B. Verantwortung oder Autonomie) sowie beruflichem Vorankommen (Mainiero & Sullivan 2005, S.113f.; Sullivan et al. 2007, S.5f.; Sullivan & Baruch 2009, S.1557). Diese drei Parameter sind über die gesamte Lebensspanne simultan aktiv, wobei die Fähigkeit eines jeweiligen Parameters, eine berufliche Entscheidung oder einen Übergang zu gestalten, davon abhängt, was im Leben der betreffenden Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt vor sich geht. Während eine Person nach der bestmöglichen Lösung sucht, die sowohl ihrem Charakter als auch ihrem Lebenskontext entspricht, verschieben sich die Parameter des Kaleidoskops, wobei jeweils ein Parameter in den Vordergrund rückt und sich intensiviert, da diesem zu diesem Zeitpunkt die höchste Priorität zukommt (Sullivan & Baruch 2009, S.1557). So ist beispielsweise davon auszugehen, dass karrierebezogene Aspekte an Bedeutung gewinnen, wenn finanzielle Nöte auftreten (Sullivan et al. 2007, S.6). Gleichzeitig nehmen die beiden anderen Parameter an Intensität ab und treten in den Hintergrund, sind dabei jedoch weiterhin präsent und aktiv, da es alle Aspekte erfordert, um das derzeitige Karriere- oder Lebensmuster eines Individuums zu gestalten (Sullivan & Baruch 2009, S.1557). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das KCM die Bedeutung potenzieller geschlechtsspezifischer Unterschiede in den Karriereverläufen hervorhebt und anderen new career Konzepten nahelegt ebenfalls zu berücksichtigen, inwiefern Männer und Frauen Karrieren unterschiedlich gestalten. Wie die Konzepte der protean und boundaryless career unterstreicht auch das KCM die Bedeutung von Beziehungen für Karriereentscheidungen und die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die individuellen Karriereverläufe (ebd., S.1558). Sowie Wissenschaftler die potenziellen Verbindungen zwischen protean und boundaryless careers untersucht haben (vgl. Briscoe et al. 2006; Segers et al. 2008), so könnten künftige Forschungen solche Verbindungen ebenfalls zwischen den protean und boundaryless career Konzepten und Aspekten des KCMs finden. Um dieses Modell zu testen, sind jedoch weitaus mehr Untersuchungen notwendig (Sullivan & Baruch 2009, S.1558).
Die portfolio career geht auf den britischen Managementforscher Charles Handy (1994, 1995) zurück, durch den die Bezeichnung des portfolio workers an Bekanntheit gewann (Handy 1994, S.175f., 1995, S.146f.). Handy selbst definiert Erwerbstätige, die eine Portfoliokarriere verfolgen, als Individuen, die ihre Vollbeschäftigung aufgeben, um Unabhängigkeit zu erlangen, die nicht länger von Jobs sondern von Kunden sprechen und infolgedessen Honorare anstelle von Gehältern beziehen (Handy 1994, S.175). Portfolioarbeit stellt eine Form der Selbstständigkeit dar, bei der Individuen ihre Fähigkeiten und ihr Wissen verschiedenen Personen und Organisationen flexibel zur Verfügung stellen und sich dadurch selbstständig ein Portfolio an Tätigkeiten erschaffen (Fenwick 2006, S.66f.). Darüber hinaus kennzeichnet sich Portfolioarbeit durch effiziente und produktive Wechsel von einem Beschäftigungsverhältnis zum nächsten. Dabei nutzen Portfolioarbeiter sowohl formelle als auch informelle Wege, um sich kontinuierlich weiterzubilden und ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu optimieren. Dies erfordert wiederum agile Strukturen seitens der Organisationen, die sie beschäftigen (Lee 1996, S.545). Insofern Portfolioarbeit einer flexiblen Form der Selbstständigkeit entspricht und dabei sowohl die Kundenwünsche als auch die Bedürfnisse des Portfolioarbeiters nach Kontrolle und Vielfalt an Beschäftigungsmöglichkeiten erfüllt, kommt sie der Idealvorstellung der portfolio career nach (Platman 2003, S.282). Zudem wird eine Portfoliolaufbahn als flexible Alternative zur herkömmlichen Karriere verstanden, die vor allem bei Berufserfahrenen vorkommt. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen und Fähigkeiten sind diese in der Lage diese Art der Arbeitsbeziehung zu managen und in Form von Beratungsarbeit, Freiberuflichkeit oder anderen Formen des Outsourcings für sich zu nutzen (ebd.). Dass Portfoliokarrieren ebenso Schattenseiten mit sich bringen, verdeutlichen die Untersuchungsergebnisse von Fenwick (2006). Ziel dieser Studie war es, die Erfahrungen verschiedener Portfolioarbeiter zu untersuchen und dabei zu verstehen, wie sich die damit verbundenen befreienden und/oder belastenden Potenziale auf das tatsächliche Arbeitsleben auswirken. Im Rahmen von Tiefeninterviews wurden 31 Probanden, die als Portfolioarbeiter im Bereich der Krankenpflege und Erwachsenenbildung tätig waren, zu den folgenden beiden Konfliktbereichen befragt: Zum einen die Beziehung zum Kunden. Zum anderen die Gestaltung der Arbeit, die sich auf Verhandlungsaktivitäten und Entscheidungsprozessen bezieht. In beiden Bereichen berichteten die Probanden, dass sie gleichzeitig Freiheit und Unterdrückung erleben und sowohl das Gefühl von Zufriedenheit als auch von Angst und Stress verspüren. Dies kann zum Teil mit den widersprüchlichen Bedürfnissen nach Stabilität und Kontingenz zusammenhängen (Fenwick 2006, S.66f.). Da Portfolioarbeit in ihrem Ursprung eine reine Form der Selbständigkeit darstellt, im Rahmen dieser Arbeit jedoch Doppelerwerbstätigkeiten betrachtet werden, die mindestens eine SVB beinhalten, wird dieses new career Konzept im weiteren Verlauf der Arbeit vernachlässigt.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern ist im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen.
2 Zur Wahrung ihrer Anonymität und um keine Rückschlüsse auf das Geschlecht möglich zu machen, werden die Namen der in den Interviews Befragten durch die Kennzeichnung „B“ sowie ergänzend durch eine der Ziffern 01 bis 08 ersetzt.
3 In der Wissenschaft wird der Begriff „Doppelerwerbstätigkeit“ auch herangezogen, um Paare, die beide jeweils ein Einkommen erzielen, zu beschreiben. Innerhalb dieser Arbeit bezieht sich Doppelerwerbstätigkeit jedoch ausschließlich auf ein einzelnes Individuum, welches aus zwei (oder mehr) unterschiedlichen Tätigkeiten Erwerb generiert. In Kapitel 2.1.1.erfolgt eine detaillierte Eingrenzung und Definition dieses Begriffes für diese Arbeit.
4 Eine Vollzeitbeschäftigung umfasst dabei eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 36 Stunden (Hoffmann & Walwei 1998, S.413)
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