Ruanda, ein Land in Ostafrika gerade mal so groß wie das Bundesland Hessen, scheint bis in die frühen 1990er eine nur marginalisierte Rolle in der Welt gespielt zu haben. Am 6. April 1994 fällt der Startschuss für den effizientesten Völkermord, so sagt man, seit dem Zweiten Weltkrieg. 500.000 bis 1.000.000 Menschen werden in nur 100 Tagen getötet – die Internationale Gemeinschaft versagt. Eine anschließende Aufarbeitung ist auf verschiedenen Ebenen angesiedelt: in Politik, Medien, Wissenschaft etc. Doch noch immer, und auf all diesen Ebenen, stößt man nach wie vor, zumindest in der westlichen Gesellschaft, auf den Mythos zweier primordialer Ethnien, deren Feindschaft sich bis zum Völkermord aufgebaut hatte. Teilweise drängt sich dem Verfasser dieser Arbeit der Eindruck auf, dass sich die Wissensproduktion rund um den ethnischen Konflikt in Ruanda an Hesses ‛Feuilletonistischer Epoche’ anlehnt. Dort „bilden [die Feuilletons] die Hauptnahrung der bildungsbedürftigen Leser, berichten oder vielmehr ‛plaudern’ über tausenderlei Gegenstände des Wissens […] und die Beibringung, Sichtung und Formulierung all dieser Mitteilungen trug durchaus den Stempel der rasch und verantwortungslos hergestellten Massenware“ (Hesse 2007: 17-19). [...] Exemplarisch soll in dieser Arbeit der Aufsatz Mahmood Mamdanis ‛Making Sense of Political Violence in Postcolonial Africa’ hinterfragt werden (vgl. Mamdani 2002). Mamdani versucht darin den Völkermord zu durchdringen und verständlich zu machen, was ihm auch augenscheinlich gelingt. Bei näherer Betrachtung muss man allerdings feststellen, dass seine Schematisierung nicht die ganze Komplexität des Genozids erfasst. Damit leistet er einer zu einfachen Perzeption im oben genannten Sinn Vorschub. Deshalb ist das zentrale Anliegen der Arbeit die Erhellung dieses langjährigen ethnischen Konflikts, um damit Mamdanis Vereinfachung zu relativieren. Es soll ein möglichst breites Ursachenspektrum für den resultierenden Völkermord transparent gemacht und die Annahme eines reinen Hutu-Tutsi-Antagonismus’ entkräftet werden. Dazu bezieht sich der Verfasser im Wesentlichen auf zwei Ebenen: 1.) die Geschichtsebene, oder genauer Kolonialzeit, Erste und Zweite Republik sowie die Zeit der Konfliktverschärfung bis zur Eskalation in den 1990ern, und 2.) die Akteursebenen innerhalb und außerhalb Ruandas.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Das Konzept Mamdanis zur Erklärung des Genozids in Ruanda
- 3. Der Ethnische Konflikt in Ruanda
- 3.1 Kolonialzeit
- 3.1.1 1885 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
- 3.1.2 Ende des Zweiten Weltkrieges bis Mitte der 1950er
- 3.1.3 Zweite Hälfte der 1950er bis 1959
- 3.1.4 Ende 1959 bis 1962
- 3.2 Das unabhängige Ruanda bis 1994
- 3.2.1 Die Erste Republik Ruanda
- 3.2.2 Die Zweite Republik Ruanda
- 3.2.3 Ruanda, Ende der 1980er bis 1994
- 3.1 Kolonialzeit
- 4. Das Konzept Mamdanis - ein Abgleich
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Ursachen des ruandischen Genozids von 1994 und hinterfragt die vereinfachte Darstellung des Konflikts als rein ethnischen Hutu-Tutsi-Antagonismus, insbesondere im Hinblick auf Mahmood Mamdanis Ansatz. Ziel ist es, ein umfassenderes Verständnis des Konflikts zu entwickeln, indem ein breiteres Spektrum an Ursachen beleuchtet wird.
- Analyse von Mamdanis Ansatz zur Erklärung des Genozids
- Die historische Entwicklung des ethnischen Konflikts in Ruanda während der Kolonialzeit und in den unabhängigen Republiken
- Die Rolle verschiedener Akteure innerhalb und außerhalb Ruandas
- Kritik an der Vereinfachung des Konflikts als rein ethnischen Konflikt
- Die Darstellung der Komplexität des Konflikts und die Vermeidung publizistischer Verkürzungen
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 2 präsentiert Mamdanis Ansatz, der den Genozid als Ergebnis historischer Prozesse und politischer Gewalt versteht. Kapitel 3 zeichnet die historische Entwicklung des Konflikts in Ruanda nach, beginnend mit der Kolonialzeit bis hin zur Eskalation in den 1990er Jahren, wobei verschiedene Akteure und ihre Handlungen berücksichtigt werden.
Schlüsselwörter
Ruanda, Genozid, Hutu, Tutsi, Ethnischer Konflikt, Kolonialismus, Mamdani, Politische Gewalt, Postkolonialismus, Staatsbildung, Akteursebenen, geschichtliche Entwicklung, publizistische Verkürzung.
- Quote paper
- Jens Engel (Author), 2009, Ruanda: Publizistische Verkürzung der Ursachen des Genozids?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124225