Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland wird von der Labour-Partei unter Premierminister Anthony „Tony“ Blair regiert. 1997 konnte sie die Konservativen verdrängen, 2001 und 2005 gewann sie erneut die Mehrheit im Unterhaus. Die Labour-Partei gilt als die sozialdemokratische Kraft im britischen Parteienspektrum. Sie wurde 1906 von Arbeitergewerkschaften und sozialistisch orientierten Parteien gegründet. Traditionell Zielen wie Verstaatlichung von Industrien und Umverteilung von Reich zu Arm anhänglich, haben Labour-Regierungen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Ausbau des britischen welfare state1 viel im Sinn einer sozial gerechten Gestaltung der Politik Großbritanniens geleistet. Heute gehört die Labour-Partei der sozialdemokratischen Partei Europas an und ist hier etwa in gesellschaftlichen Fragen engagiert.
Die Labour-Partei Tony Blairs hat jedoch nach einhelliger Meinung politischer Beobachter nicht mehr viel mit der klassischen Labour-Partei gemeinsam. New Labour steht für Privatisierungen und einen liberalen wirtschaftspolitischen Kurs. Tony Blair und seine Anhänger halten diese Wende für die einzige mögliche Antwort auf sich wandelnde wirtschaftliche und politische Bedingungen und für die Zukunftsperspektive der Sozialdemokratie. Kritiker dagegen sehen seine Vorgehensweise als Sozialabbau und Verrat an den sozialdemokratischen Idealen. Diese Seminararbeit möchte nun versuchen, die neue Labour-Partei sowohl im britischen Parteienspektrum als auch innerhalb der Sozialdemokratie zu verorten. Nach einem kurzen Überblick über den britischen Sozialstaat soll, als Beispiel, die Gesundheitspolitik von New Labour mit derjenigen von Old Labour und den Konservativen konfrontiert werden. Wer hat welche Maßnahmen ergriffen und welche Kontinuitäten sind festzustellen? Im Vergleich mit anderen sozialpolitischen Modellen weltweit soll schließlich versucht werden, die Frage danach zu beantworten, ob die Politik Tony Blairs noch mit dem Namen Sozialdemokratie zu bezeichnen ist, oder nicht.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Labour-Partei und Sozialdemokratie nach britischem Modell
2.1 Das britische Parteienspektrum
2.2 Die klassische Labour-Partei oder Old Labour
2.3 Labour und die Tories
2.4 Tony Blair und New Labour
3. Der britische welfare state – Ein Überblick
3.1 Geschichte
3.2 Arbeit und Armut
3.3 Gesundheitspolitik
3.4 Familien- und Rentenpolitik
4. Die Labour-Partei und der staatliche Gesundheitsdienst NHS
4.1 Sozialstaatlichkeit und Sozialpolitik nach Old Labour
4.2 Sozialpolitik nach den Tories: Kontinuität und Wandel
4.3 New Labour und der „Dritte Weg“
5. Die britische Sozialpolitik im internationalen Vergleich
5.1 Sozialdemokratische Sozialpolitik in Schweden
5.2 Konservative Sozialpolitik in Deutschland
6. Ergebnisse
6.1 Welche Sozialpolitik hat Labour klassisch betrieben?
6.2 Was hat New Labour verändert?
6.3 Hat Tony Blair Verrat an sozialdemokratischen Idealen geübt, oder hat er die Lösung für zukunftsfähige Sozialpolitik und Sozialdemokratie gefunden?
7. Literatur
1. Einleitung
Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland wird von der Labour-Partei unter Premierminister Anthony „Tony“ Blair regiert. 1997 konnte sie die Konservativen verdrängen, 2001 und 2005 gewann sie erneut die Mehrheit im Unterhaus. Die Labour-Partei gilt als die sozialdemokratische Kraft im britischen Parteienspektrum. Sie wurde 1906 von Arbeitergewerkschaften und sozialistisch orientierten Parteien gegründet. Traditionell Zielen wie Verstaatlichung von Industrien und Umverteilung von Reich zu Arm anhänglich, haben Labour-Regierungen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Ausbau des britischen welfare state [1] viel im Sinn einer sozial gerechten Gestaltung der Politik Großbritanniens geleistet. Heute gehört die Labour-Partei der sozialdemokratischen Partei Europas an und ist hier etwa in gesellschaftlichen Fragen engagiert.
Die Labour-Partei Tony Blairs hat jedoch nach einhelliger Meinung politischer Beobachter nicht mehr viel mit der klassischen Labour-Partei gemeinsam. New Labour steht für Privatisierungen und einen liberalen wirtschaftspolitischen Kurs. Tony Blair und seine Anhänger halten diese Wende für die einzige mögliche Antwort auf sich wandelnde wirtschaftliche und politische Bedingungen und für die Zukunftsperspektive der Sozialdemokratie. Kritiker dagegen sehen seine Vorgehensweise als Sozialabbau und Verrat an den sozialdemokratischen Idealen. Diese Seminararbeit möchte nun versuchen, die neue Labour-Partei sowohl im britischen Parteienspektrum als auch innerhalb der Sozialdemokratie zu verorten. Nach einem kurzen Überblick über den britischen Sozialstaat soll, als Beispiel, die Gesundheitspolitik von New Labour mit derjenigen von Old Labour und den Konservativen konfrontiert werden. Wer hat welche Maßnahmen ergriffen und welche Kontinuitäten sind festzustellen? Im Vergleich mit anderen sozialpolitischen Modellen weltweit soll schließlich versucht werden, die Frage danach zu beantworten, ob die Politik Tony Blairs noch mit dem Namen Sozialdemokratie zu bezeichnen ist, oder nicht[2].
2. Die Labour-Partei und Sozialdemokratie nach britischem Vorbild
2.1 Das britische Parteienspektrum
Das Parteienspektrum Großbritanniens hat sich seit dem frühen 18. Jahrhundert entwickelt. Zunächst bestand es aus Liberalen (Whigs) und Konservativen (Tories). Beide waren so etwas wie Wahlvereine von im Parlament ansässigen Gruppierungen Abgeordneter ähnlicher politischer Couleur. Im Parlament gründeten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts aus ihnen eine liberale und eine konservative Partei. Sie bestimmten die politische Landschaft Großbritanniens, die liberale Partei radikal-demokratisch und vergleichsweise progressiv, die Tories konservativ, wirtschaftsliberal und mit den Anliegen der Eliten verbunden, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Tories repräsentierten die Interessen der oberen Schichten, die Liberalen waren eher volksorientiert. Beide rüttelten nicht am bestehenden politischen und sozialen System. Ende des 19. Jahrhunderts kam mit den wachsenden negativen Auswüchsen des laissez-faire Kapitalismus und dem schwellenden Unmut von bestimmten sich politisch und sozial benachteiligt fühlenden Gruppen auch in Großbritannien sozialistisches Gedankengut auf. 1900 gründeten Gewerkschaften und sozialistische Gruppen die Arbeiterpartei Labour-Party[3].
Heute besteht das britische Parteienspektrum hauptsächlich aus zwei Parteien, zum einen den konservativen Tories, zum anderen der Labour-Partei. Die nach vielen Jahren in der Bedeutungslosigkeit erneut an nationalem Gewicht gewinnende dritte politische Kraft in Großbritannien ist die liberale Partei. Neben ihr spielen in Schottland, Wales und Nordirland nach der mit der Regierung Blair einsetzenden Devolutionspolitik2 regionale Parteien eine Rolle. Sie konzentrieren sich auf spezielle Belange ihres Teiles des Königreichs, spielen jedoch für die Zukunft des Vereinigten Königreichs eine nicht unbedeutende Rolle, da große Stücke auf die Devolutionspolitik gehalten werden.
2.2 Die klassische Labour-Partei oder Old Labour
Die britische Arbeiterpartei wurde 1900 Gewerkschaften und sozialistischen Gruppierungen gegründet. Verschiedene sozialistische Gruppierungen sahen die Interessen des arbeitenden Volkes durch die liberale Partei nicht mehr adäquat vertreten, da diese am „für die Arbeiter fatalen System des Kapitalismus“ nichts ändern wollte. Einige Gewerkschaften schlossen sich ihnen an, unter anderem, da sie sich eine bessere Repräsentation ihres politischen Einflusses wünschten. Damit ist die Labour-Partei die einzige nicht im Parlament gegründete politische Gruppe Großbritanniens. Diese Partei hatte zunächst mit zahlreichen Problemen zu kämpfen, beispielsweise der Frage nach einer eindeutigen sozialistischen Ausrichtung der Partei und ihres Programms. Dies geschah erst 19183. In den 1920er Jahren konnte Labour die erste Regierungsbeteiligung, später die erste Regierungsmehrheit gewinnen. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg trieb sie maßgeblich den Aufbau des britischen Sozialstaats voran.
2.3 Labour und die Tories
Die konservative Partei des Vereinigten Königreichs, Tories genannt, unterscheidet sich von Labour in mehreren Punkten. Sie ist klassisch an den Interessen der britischen Oberschicht und oberen Mittelschicht orientiert, und verfügte dort lange über einen relativ festen Wählerstamm. Sie ist liberal und marktwirtschaftlich orientiert. Sie steht staatlichen Unterstützungsprogrammen skeptisch bis mitunter ablehnend gegenüber. Die Tories bekennen sich zu ihrer Verantwortung für die gesamte Bevölkerung des Königreichs, halten aber bis heute an ihrem Glauben in die Richtigkeit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung fest. Die Regierung unter Margaret Thatcher hat Großbritannien tief geprägt. Die Tories haben sich in jüngster Zeit durch ihre kritische Haltung gegenüber der Europäischen Union hervorgetan, sie leiden jedoch seit einiger Zeit zunehmend an der Überalterung ihrer Mitglieder und der Unattraktivität ihrer Programme[4].
2.4 Tony Blair und New Labour
1997 konnte die Labour-Partei unter Anthony „Tony“ Blair in Großbritannien erneut die Regierungsmehrheit erringen. Seit Beginn der 1980er Jahre haben sich jedoch unter Blairs Vorgängern und unter ihm selbst einige deutliche Veränderungen innerhalb der Partei eingestellt. Eine neue Programmatik hielt Einzug in der britischen Arbeiterpartei.
Dieser Wechsel ist von verschiedenen Denkern um Anthony Giddens[5] unter dem Namen „Dritter Weg“ bekannt gemacht worden. Der „dritte Weg“ soll der Labour-Partei und der britischen Sozialdemokratie – dieser Begriff wird hier sehr bewusst gewählt, denn New Labour, die „neue“ Labour-Partei Blairs, baut auf dem während der 1980er Jahre innerparteilich vollzogenen Wandel vom Sozialismus zur Sozialdemokratie auf - den Weg von Gewerkschaftspolitik, sozialistischer Rhetorik, Korporatismus und Wohlfahrtspolitik hin zu einem zukunftsfähigen Umgang mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen weisen. Um dies zu erreichen, möchte man sich der Globalisierung und den Mechanismen des Marktes gegenüber nicht länger verschließen und möchte als richtig erachtete Errungenschaften der beiden vorhergehenden konservativen Regierungen erhalten und weiter ausbauen. Der Staat soll nicht länger Leistungen an seine Bürger einfach austeilen, er soll gezielte Unterstützung zuteil werden lassen, soll zu eigenständigem Verhalten anregen, soll nicht länger die Initiative der Bürger durch allgemeine Wohlfahrtsmechanismen unterdrücken. Er soll den Menschen bestmöglich ausbilden und zur Eigenverantwortlichkeit erziehen. So soll er sich durch demographischen Wandel und allgemeine Teuerung verursachte Kosten ersparen beziehungsweise diese strikt reduzieren. Speziell letzteres wird von der Regierung Blair mit unterschiedlicher Intensität verfolgt. Nach innen und außen wurde der „dritte Weg“ aber zumindest in den ersten Regierungsjahren als die Lösung schlechthin für eine zukunftsfähige Sozialdemokratie verkauft[6].
[...]
[1] vgl. Adelman, Paul: The Rise of the Labour Party 1880-1945. Seminar Studies in History, Longman London/ New York 19862, S. 19-30.
[2] unter Devolutionspolitik ist zu verstehen, dass schrittweise bestimmte Kompetenzen des Zentralstaats in London an die Hauptstädte von Schottland, Wales und Nordirland abgegeben werden.
[3] vgl. Adams, Ian: Ideology and politics in Britain today. Manchester University Press, Manchester 1998, S. 121.
[4] zu diesem Absatz vgl. Becker, Bernd: Mitgliederbeteiligung und innerparteiliche Demokratie in britischen Parteien – Modelle für die deutschen Parteien? Nomos Politik, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004, S. 59 ff.
[5] Anthony Giddens war vor „seinem Wechsel zur Sozialdemokratie nach Blair“ ein den wirtschaftsliberalen Maßnahmen der Regierung Thatcher anhängender Denker.
[6] vgl. Dixon, Keith: Ein würdiger Erbe. Anthony Blair und der Thatcherismus. UVK Universitätsverlag Konstanz GmbH, Konstanz 2000, S. 53 ff.
- Quote paper
- Magister M.A. Lars Hänsch (Author), 2007, Die Regierung Tony Blair, britische Sozialstaatlichkeit und der „Dritte Weg“ , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124103
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