Die Arbeit zeigt die stabile Erosion der einst so gepriesen leistungsstarken und doch egalitären deutschen Wirtschaftsordnung anhand der Entwicklung des Flächentarifvertrags als Kern und Garant dieser Wirtschaftsordnung. Beginnend mit der Beschreibung der Funktionsweise des Rheinischen Kapitalismus und der ihm zugrunde liegenden ökonomischen Theorie, werden unterschiedliche Interpretationen über dessen Zustand aufgezeigt und jeweils auf ihren empirischen Gehalt hin überprüft.
Festgestellt wird, dass der Rheinische Kapitalismus als spezifischer Nachkriegskompromiss in die Jahre gekommen ist und den neuen spezifischen Anforderungen einer globalisierten Welt nur noch teilweise adäquat Rechnung tragen kann. Allerdings erweisen sich einige spezifische Elemente, wie der Flächentarifvertrag als Kern und Garant dieser spezifischen Wirtschaftsordnung, zumindest bei Großbetrieben als vorteilhaft und anpassungsfähig. Allerdings ist deren Anzahl gering. Hält der Prozess der „Tertiarisierung der Nationalökonomie“ an, wovon auszugehen ist, wird dieser die „Entnormierung des Normalarbeitsverhältnisses“ und somit die stabile Erosion der spezifischen deutschen Wirtschaftsordnung zur Folge haben.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Der Rheinische Kapitalismus
2 Die ökonomische Theorie des Flächentarifvertrages
3 Der Flächentarifvertrag in Deutschland
3.1 Bestandsaufnahme: Stabilität oder Erosion?
3.2 Stabilität und Erosion des Flächentarifvertrages?
Resümee
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
Die Sprache ist im Allgemeinen ein guter Indikator um gesellschaftliche Verhältnisse und/oder deren Wandel aufzuzeigen, da sie soziale Realitäten aufnimmt und diesen durch Wort(neu)schöpfungen Ausdruck verleiht.1 Schaut man sich die jeweiligen „prämierten“ (Un)wörter an, dann erkennt man, dass der soziale Wandel hauptsächlich von ökonomischen Einflüssen in den letzten Jahren bestimmt wurde. So wurde Flexibilisierung 1996 „ […] als Bezeichnung für eine betriebswirtschaftliche Strategie, die den Wert aktiver individueller „Flexibilität“ leugnet“2 prämiert. Ebenso kamen Begriffe wie Outsourcing, also ein Term der „die Auslagerung/Vernichtung von Arbeitsplätzen einen seriösen Anstrich zu geben versucht“ oder überkapazitäre Mitarbeiter, ein Begriff, welcher die „Reduzierung von zu entlassenden Arbeitnehmern auf rein betriebswirtschaftliche Größen“ ansieht, zu ihren fragwürdigen Meriten. Auf den 1. Platz kam 2005 der Begriff Entlassungsproduktivität. „Dieses Wort meint eine gleich bleibende, wenn nicht gar gesteigerte Arbeits- und Produktionsleistung, nachdem zuvor zahlreiche für „überflüssig“ gehaltene Mitarbeiter entlassen wurden. Es verschleiert damit die meist übermäßige Mehrbelastung derjenigen, die ihren Arbeitsplatz noch behalten konnten, was oft auch mit dem ebenfalls beschönigenden Wort von der „Arbeitsverdichtung“ umschrieben wird. Aber auch die volkswirtschaftlich schädlichen Folgen der personellen Einsparung, die Finanzierung der Arbeitslosigkeit, werden mit diesem Terminus schamhaft verschwiegen.“
Geht man nun davon aus, dass die Sprache ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Veränderung ist, scheint es um Deutschland sehr schlecht bestellt zu sein. Wo ist denn die einst so gepriesen leistungsstarke und doch egalitäre deutsche Wirtschaftsordnung? Wurde sie etwa „wegflexibilisiert“, Opfer der Outsourcingpolicy oder aufgrund ihres Alters überkapazitär?
Ich behaupte, dass die deutsche Wirtschaftsordnung sich in einem sukzessiven Strukturwandel befindet und somit strukturbildende Elemente zwangsläufig erodieren müssen. Allerdings verläuft dieser Wandel nicht in allen Bereichen der Wirtschaft gleichmäßig. Somit mischen sich stabilisierende Elemente mit Erosionstendenzen ineinander und ergeben dabei eine relativ undurchsichtige Gemengelage. Beginnend mit dem Rheinischen Kapitalismus wird im Folgenden an Hand der „typisch deutschen Praxis“3 des Flächentarifvertrags, als Kern und Garant dieser Wirtschaftsordnung, dessen ökonomische Theorie dargelegt, unterschiedliche Interpretationen über dessen Zustand aufgezeigt und diese auf ihren empirischen Gehalt hin überprüft. Abschließend wird im Resümee der Bogen zu der eingangs gestellten These gespannt und eine Prognose gewagt.
1 Der Rheinische Kapitalismus
Der Rheinische Kapitalismus wurde noch vor nicht allzu langer Zeit als die wesentlich leistungsfähigere Wirtschaftsordnung im Vergleich zur amerikanischen, in der nur „wild gewordene golden boys und […] atemlose Spekulanten“4 ihr individuelles Interesse der Gewinnmaximierung verfolgen, in den höchsten Tönen gepriesen.5 Grund dafür war ein gut verwalteter „Nachkriegskompromiss“6 von „einer Reihe einzigartiger sozioökonomischen
Abbildung 1: Gewerkschaften und Tarifverträge
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Streeck, Wolfgang (1999): Deutscher Kapitalismus: Gibt es ihn? Kann er überleben? In: Ders. (Hg.): Korporatismus in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und Europäischer Union. Fm/ New York: Campus, 21.
Institutionen […] [welche] wiederum […] Ausdruck eines komplexen historischen Kompromisses [war].“7 Dieser Kompromiss, welcher kurz nach dem 2. Weltkrieg ausgehandelt worden war, bekam durch die Schwäche aller Akteure paradoxerweise seine eigentliche Stärke. Dadurch konnten die vorherrschenden Brüche, vor allem der zwischen Arbeit und Kapital, für beide Seiten befriedigend kombiniert werden. Dieses zeigt sich vor allem an den eingerichteten Institutionen bzw. deren Regulierung.8 „Märkte [waren] politisch eingerichtet und gesellschaftlich reguliert [und] Unternehmen [waren] gesellschaftliche Institutionen (soziale Verantwortung der Unternehmer […], welche weitreichenden sozialen Regulierungen durch Gesetze und Tarifverträgen [unterlagen].9 Das „charakteristischste Merkmale“ [der deutschen Wirtschaftsordnung war allerdings die] weit verbreitete organisierte Zusammenarbeit unter Wettbewerbern sowie Verhandlungen zwischen organisierten Gruppen mit Hilfe von Verbänden, [welche] die wohl dichteste organisierte Zivilgesellschaft [hervorbrachte].“10 Dies ist deshalb so wichtig, da erst dieses hohe Maß an verbandlicher Regulierung ökonomische Gleichheit hervorzubringen im Stande war. Wesentliches Instrument dieser verbandliche Regulierung war der Flächentarifvertrag. Dieser erlaubte die rechtliche Allgemeinverbindlichkeit, da nahezu flächendeckend angewendet (vgl. Abbildung 1), von Verträgen und die kontinuierlichen Lenkung und Regulierung der Arbeitsmärkte. „Mehr als alles andere ist es das System von zentralen und miteinander verknüpfter Tarifverträgen, das für die geringe Lohnspreizung in Deutschland zwischen Individuen, Branchen und Unternehmen verschiedener Größen verantwortlich ist.“11 Daraus erst ergibt sich die für Deutschland charakteristische niedrige Streikquote12, der soziale Frieden13 und ebenso resultiert daraus die Möglichkeit der inkrementellen Innovationsfähigkeit, welche wiederum in der für Deutschland charakteristischen diversifizierten Qualitätsproduktion mündet.14 Der Tarifvertrag an sich war somit „Dynamisierungsfaktor sozialstaatlicher Entwicklung [und] Garant materiellen und sozialen Fortschritts.“15 Geht man wie aufgezeigt von einem Kompromiss als strukturbilden16 für die deutsche Wirtschaftsordnung aus, stellt man fest, dass das Eine das Andere bedingt bzw. ergänzt. Deshalb ist umso wichtiger und erkenntnisreich zu untersuchen wie Wandlungstendenzen auf die deutsche Wirtschaftsordnung wirken und inwieweit der Flächentarifvertrag in der Lage ist sich den geänderten Bedingungen17 anzupassen bzw. dieser Erosionstendenzen aufweist.18
2 Die ökonomische Theorie des Flächentarifvertrages
Der Flächentarifvertrag ist als wesentlicher Bestandteil des Rheinischen Kapitalismus ebenso ein Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital wie der rheinische Kapitalismus an sich auch.
Abbildung 2: Verhandlungsebene für Tarifverträge in ausgewählten Ländern der EU und den USA und deren jeweiligen Erfolgs- und Aktivitätsindizes.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Bertelsmann Stiftung (2005): Internationales Standort Ranking 2004; Maschmann, Franz (2005): Tarifverträge in Europa- Eine rechtsvergleichende Skizze, In: Hromadka, Wolfgang; Hinnerk, Wolff (Hg.): Flächentarifvertrag - Zukunfts- oder Auslaufmodell?, Festschrift für Rolf- Achim Eich, Heidelberg: Dr. Kurt Haefner-Verlag, 77-99.
Dieser Kompromiss ist mit vielen „formellen Normen, kulturelle Traditionen und informellen Praktiken“19 ausgestattet, so dass exponierte Autoren von einer „typisch deutschen Praxis“ sprechen. Allerdings scheint dies gerade das Problem zu sein. Kann eine national verankerte Wirtschaftsordnung in Zeiten der Globalisierung, d.h. zunehmende internationale Arbeitsteilung, überhaupt noch spezifisch nationale Elemente aufrechterhalten ohne Gefahr zulaufen den internationalen Wettbewerbsdruck zum Opfer zu fallen? Wie die Abbildung 2 zeigt, gibt es keinen Königsweg. Jedoch fällt auf, dass die jeweiligen „typischen“ Vertreter, also entweder Staaten, welche die betriebliche Ebene als dominante Ebene institutionalisiert haben und diejenigen Staaten, die überbranchenweit Tarife aushandeln, im Durchschnitt bei beiden Indizes besser abschneiden, als die Staaten mit brachenweiten Verhandlungssystemen. Es scheint demnach, als ob es Mechanismen geben muss, welche die jeweiligen „Exponenten“ besser für sich nutzen können.
Für diese Beobachtung stehen zwei theoretische Konzepte. Einerseits gibt es die so genannte „Corporatism Thesis“20 und andererseits die „Hump-shape-Hypothesis“ von Calmfors und Driffill.21 Wie die Abbildung 3 zeigt, ist nach der Korporatismus- Kurve, der Reallohn stetig
Abbildung 3: Zentralisierungsgrad der Lohnfindung des Reallohns
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Ochel, Wolfgang (2005): Decentralizing Wage Bargaining in Germany - A Way to increase employment?, In: Labour 19/1, 104.
[...]
1 Vgl. Positive Subordination, demnach erzeugt und benötigt die kapitalistische Produktionsweise das normative und das politische System, in: Offe, Claus (1973): „Krise des Krisenmanagement“: Elemente einer politischen Krisentheorie, in: Jänicke (Hg): Herrschaft und Krise. Beiträge zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 202.
2 Alle nachfolgenden Definitionen der Unwörter sind abrufbar unter http://www.unwortdesjahres.org.
3 Streeck, Wolfgang; Rehder, Britta (2003): Der Flächentarifvertrag: Krise, Stabilität und Wandel, MPIfG Working Paper 03/06, Köln: Max- Planck Institut für Gesellschaftsforschung, 3.
4 Albert, Michel (1992): Kapitalismus kontra Kapitalismus, Fm/New York: Campus, 110.
5 Vgl. Ebd., S. 103- 127, 138-146, 185-203.
6 Streeck, Wolfgang (1999): Deutscher Kapitalismus: Gibt es ihn? Kann er überleben? In: Ders. (Hg.): Korporatismus in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und Europäischer Union. Fm/ New York: Campus, 16.
7 Ebd., 15.
8 Einschlägige Beispiele sind hier Art. 9 Abs. 3 GG, das Betriebsverfassungsgesetz von 1952, das Investitionshilfe- Urteil von 1954, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung von 1957 und das Mitbestimmungsgesetz von 1976 bzw. seine jeweiligen Novellierungen, Vgl. Sontheimer, Kurt; Beck Wilhelm (2003): Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, Bonn: BpB, 119ff.
9 Ebd., 18.
10 Ebd., 20.
11 Ebd., 22
12 Besonderst bemerkenswert ist das positive Hervorheben der niedrigen Streikquote, wobei dann für eine Flexibilisierung der Tarifverträge Partei ergriffen wird. Vgl. Bertelsmann Stiftung: Internationales Standort Ranking 2004, 7ff.
13 Vgl. Beyer, Jürgen (2003): Einleitung: Unkoordinierte Modellpflege am koordinierten deutschen Modell, In: Ders. (Hg.): Vom Zukunfts- zum Auslaufmodell? Die deutsche Wirtschaftsordnung im Wandel, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 7.
14 Ebd.
15Hinke, Robert (2005): Der Flächentarifvertrag- Erinnerungsarbeit zu dessen Sinn und Zweck, 6.
16 Schmier, Klaus (2003): Vielfalt im Umbruch. Auflösungserscheinungen, Anpassungsprozesse und neue Interessenvertretungsmodelle in den Arbeitsbeziehungen, In: Beyer, Jürgen (Hg.): Vom Zukunfts- zum Auslaufmodell? Die deutsche Wirtschaftsordnung im Wandel, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 38.
17 Hier werden vor allem die Wiedervereinigung und die Globalisierung angeführt. Vgl. u.a Schmier, Klaus (2003): Vielfalt im Umbruch. Auflösungserscheinungen, Anpassungsprozesse und neue Interessenvertretungsmodelle in den Arbeitsbeziehungen, In: Beyer, Jürgen (Hg.): Vom Zukunfts- zum Auslaufmodell? Die deutsche Wirtschaftsordnung im Wandel, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 36-60.
18 Um diesen Vorgang zu beschreiben werden vielerlei Bilder in Anspruch genommen. So zum Beispiel das „facelift“, welches einen marginalen Wandel suggeriert, die (un-) koordinierte Modellpflege, welches eine Mittelposition einnimmt und der Modelwechsel, welcher wiederum die Erosion des bestehenden Modells suggeriert. Vgl. Beyer, Jürgen (2003): Einleitung: Unkoordinierte Modellpflege am koordinierten deutschen Modell, In: Ders. (Hg.): Vom Zukunfts- zum Auslaufmodell? Die deutsche Wirtschaftsordnung im Wandel, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 9.
19 Streeck, Wolfgang; Rehder, Britta (2003): Der Flächentarifvertrag: Krise, Stabilität und Wandel, MPIfG Working Paper 03/06, Köln: Max- Planck Institut für Gesellschaftsforschung, 2.
20 Vgl. Ochel, Wolfgang (2005): Decentralizing Wage Bargaining in Germany- A Way to increase Employment?, In: Labour 19/1, 103.
21 Die so genannte “Hump-shape” Kurve bezieht sich im Wesentlichen auf die Lohnfindung. Vgl. u.a. Ochel, Wolfgang (2005): Decentralizing Wage Bargaining in Germany- A Way to increase Employment?, In: Labour 19/1, 103ff. , kann allerdings auch als Instrument zur Erklärung niedriger oder hoher Arbeitslosigkeit dienen. Vgl. Meyer, W. (1998): Arbeitslosigkeit, Löhnhöhe und Tarifverhandlungssysteme. 1. Problemstellung.
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