In dieser Arbeit wurde eine qualitative Analyse auf der Grundlage der Rational-Choice-Theorie durchgeführt, um zu untersuchen, welche Faktoren dazu führen, dass Individuen die Nutzung der recht neuartigen Robo-Advisor-Technologie vollständig einstellen.
Im folgenden Kapitel soll zunächst allerdings die theoretische Grundlage für diese Arbeit dargelegt werden. Hierfür wird der Begriff Robo Advsior zunächst definiert und es werden allgemeinen Informationen sowie die Funktionsweise und der aktuelle wissenschaftliche Stand der Robo Advisor-Technologie dargelegt. Darauf werden die Grundlagen der Rational Choice-Theorie erörtert und dessen Verwendung und Bedeutung einerseits für die Informationssystemwissenschaft und andererseits für die Anwendung in dieser Studie beschrieben. Am Ende dieses Kapitels wird auf den Lebenszyklus eines
Informationssystems eingegangen.
Es erfolgt die Einordnung der Robo Advisor-Technologie innerhalb der unterschiedlichen Informationssysteme und ein Überblick über die aktuelle Forschung im Bereich der Diskontinuität von utilitaristischen und hedonistischen Informationssystemen. Im dritten Kapitel wird der methodische Ansatz, der in dieser Arbeit angewendet wurde, näher beleuchtet. Zu diesem Zweck wird zunächst das Forschungsdesign schriftlich und bildlich präsentiert. Anschließend wird der Prozess der Datenerhebung und Datenauswertung detailliert beschrieben. Im vierten Kapitel werden die empirischen Ergebnisse aus den Interviews mit Hilfe einer Mischform aus deduktiven und induktiven Vorgehensweisen in ein Kategoriensystem eingeordnet. Außerdem werden die Erkenntnisse aus den Interviews vorgestellt und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede aufgezeigt. Im fünften Kapitel werden die erzielten Ergebnisse diskutiert und Implikationen für die bestehenden Theorie und Praxis abgeleitet. Darüber hinaus werden die Grenzen der Arbeit erläutert und Ansatzpunkte für weiterführende Forschungen aufgezeigt. Im abschließenden sechsten Kapitel erfolgt eine Zusammenfassung der gefundenen Erkenntnisse dieser Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Robo Advisor
2.1.1 Robo Advisor: Definition und Allgemeines
2.1.2 Funktionsweise eines Robo Advisor
2.1.3 Aktueller wissenschaftlicher Stand im Bereich der Robo Advisor- Technologie
2.2 Rational Choice-Ansatz zur Theoriebildung
2.2.1 Grundlagen der Rational Choice-Theory
2.2.2 Anwendung der Rational Choice-Theorie im Bereich der Informationssysteme
2.2.3 Rational Choice-Theorie im Zusammenhang mit dieser Untersuchung
2.3 Forschung über die Diskontinuität von Informationssystemen
2.3.1 Lebenszyklus eines Informationssystems
2.3.2 Einordnung von Informationssystemen
2.3.3 Aktueller Forschungsstand zu utilitaristischen Informationssystemen
2.3.4 Aktueller Forschungsstand zu hedonistischen Informationssystemen
3. Methodische Vorgehensweise
3.1 Untersuchungsdesign
3.2 Datenerhebung
3.2.1 Samplingstrategie
3.2.2 Akquirierung und Feldzugang
3.2.3 Konstruktion des Interviewleitfadens
3.2.4 Durchführung der Interviews
3.3 Datenauswertung
3.3.1 Transkription des Datenmaterials
3.3.2 Kodierungsstrategie
3.3.2.1 Kodierungs- und Auswertungsstrategie
3.3.2.2 Deduktive und induktive Kategorienbildung
3.3.3 Auswertung des Datenmaterials
4. Ergebnisse
4.1 Wahrgenommener Nutzen
4.2 Wahrgenommene Kosten
5. Diskussion und Implikation
5.1 Interpretation der Ergebnisse
5.2 Theoretische Implikation
5.3 Praktische Implikation
5.4 Limitationen und zukünftige Forschung
6. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Robo Advisor Prozess (in Anlehnung an Nueesch et al. (2014, S. 19); Jung et al. (2018a, S. 85))
Abbildung 2: Duales Entscheidungsmodell basierend auf der Rational Choice-Theorie (in Anlehnung an Bian et al. (2020, S. 7))
Abbildung 3: User Transformationsmodell (in Anlehnung an Maier et al. (2015b, S. 278))
Abbildung 4: Das explorative Untersuchungsdesign dieser Arbeit (eigene Darstellung)
Abbildung 5: Generelles Ablaufschema qualitativer Inhaltsanalysen (Kuckartz 2018, S. 45)
Abbildung 6: Evaluierungsstrategie der Kategoriensysteme (eigene Darstellung)
Abbildung 7: Forschungsmodell (eigene Darstellung)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Demographische Daten der Interviewteilnehmer (n:40, eigene Darstellung)
Tabelle 2: Deduktive Kodes
Tabelle 3: Deduktive und Induktive Kodes und Ankerbeispiele (eigene Darstellung)
Tabelle 4: Deduktive und Induktive Kodes: Überblick über die Anzahl kodierter Textstelle und der Interviews (eigene Darstellung)
Abkürzungsverzeichnis
ETFs Exchange Traded Funds
B2B Advisor Business-to-business Advisor
D2C Advsior Direct-to-consumer Advisor
vgl. vergleiche
bzw. beziehungsweise
1. Einleitung
Die Nutzung der Robo Advisor-Technologie hat in den letzten fünf Jahren deutlich zugenommen (Statista 2021). Robo Advisor gehören damit zu einer der bedeutendsten und am schnellsten wachsenden Innovationen innerhalb der Finanztechnologie (ResearchDive 2022). Erfolgreiche Robo Advisor-Anbieter wie Betterment, Vanguard Digital Advisor und Wealthfront (Tepper und Curry Benjamin 2022) präsentieren sich als digitale Alternativen zu traditionellen Vermögensverwaltungsdienstleistern (Gomber et al. 2018; D’Hondt et al. 2020) und tragen dazu bei, den Prozess des Vermögensaufbaus besonders unter Millenials zu popularisieren (Brenner und Meyll 2020). So meldete beispielsweise eines der weltweit größten in den USA ansässigen Robo Advisor-Unternehmen, Betterment, allein im ersten Quartal 2021 einen neuen Rekordzuwachs an verwaltetem Vermögen von zehn Milliarden US-Dollar, der mit einer neuen Nutzerbasis von 56000 Usern einherging (Tattersall 2021). Dies entsprach einem Nutzerwachstum von 116 Prozent innerhalb eines Jahres (Tattersall 2021). Dieser Trend ist auch in Deutschland zu beobachten. So gab der Robo Advisor-Anbieter quirion bekannt, dass sich seine Nutzerzahlen zwischen den Jahren 2018 und 2019 mehr als verdoppelt haben (quirion AG 2019).
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, erweitern auch immer mehr traditionelle Vermögensverwaltungsfirmen und Banken ihre Vermögensverwaltungsdienste um Robo Advisor, um ihren Kunden ein besseres Wertangebot zu unterbreiten und ihre Wahrnehmung des Wertes zu verbessern (Son 2022). Aufgrund der Vorteile des zeit- und ortsunabhängigen Zugriffs auf das vom Robo Advisor verwaltete Portfolio, der niedrigen monetären Eintrittsbarrieren sowie der geringen monetären Kosten (Belanche et al. 2019), ist es den Anbietern der Robo Advisor-Technologie, wie bereits erwähnt, offenbar gelungen, ihre Nutzerbasis in kürzester Zeit deutlich zu vergrößern.
Trotz dieser neuen digitalen und vermeintlich vorteilhafteren Form der Vermögensverwaltung bleibt die Kundenloyalität einer der zentralsten Faktoren für Robo Advisor-Anbieter, um Kunden in diesem sehr sensiblen Anlagebereich langfristig zu binden (Salo 2017). Diese scheint bei den Nutzern von Fintech-Anwendungen jedoch nicht besonders ausgeprägt zu sein, da durchschnittlich 46 Prozent der User die Nutzung von Fintech Applikationen nach bereits einem Monat wieder einstellen (CleverTap 2020). Auch darüber hinaus scheint es eine große Anzahl ehemaliger Kunden zu geben, die mit dem Leistungsangebot ihres Robo Advisor unzufrieden oder enttäuscht waren und die Robo Advisor-Technologie auch nach einem längeren Zeitraum der aktiven Nutzung wieder eingestellt haben (consumeraffairs 2021; Trustpilot 2022).
Die Konsequenzen, die Robo Advisor-Unternehmen durch den Verlust von Kunden tragen, sowie die Auswirkungen auf ihr Geschäft, können gefährlich hoch sein und vielfältig ausfallen, denn ein verlorener Kunde bedeutet Umsatzeinbußen, fehlendes Feedback und damit keine Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, Demobilisierung der eigenen Mitarbeiter, insbesondere im Bereich Marketing, Verlust von Marktanteilen, Reputationsverlust usw. (Ivor und Jones 2013). Darüber hinaus besagen Studien, dass die Gewinnung eines neuen Kunden fünf bis 25 mal teurer ist, als einen bestehenden Kunden zu halten (Gallo und Amy 2014). Daher sollten sich die Unternehmen in erster Linie auf das Wohlergehen ihrer bestehenden Nutzer konzentrieren und alles daran setzen deren Entscheidung entgegenzuwirken, die Nutzung der Robo Advisor-Technologie einzustellen. Um dieses Verständnis zu erlangen, sind neben wissenschaftlichen Erkentnissen zur kontinuierlichen Nutzung eines Informationssystems auch wissenschaftliche Ergründungen hinsichtlich des Beendigunsverhaltens der Kunden unabdingbar (Huang et al. 2020).
In der Informationswissenschaft wird die Entscheidung einer Person, eine Technologie nicht mehr zu nutzen, als Diskontinuitätsverhalten bezeichnet (Recker 2016). Dieses Verhalten hängt unmittelbar mit der Entscheidung eines Nutzers zusammen, eine Technologie nach der anfänglichen Adaption, nicht mehr weiter verwenden zu wollen (Soliman und Rinta-Kahila 2020; Recker 2016). Die wissenschaftliche Sichtweise der Diskontinuität unterscheidet sich von der wissenschaftlichen Betrachtung im Hinblick auf die Adaption oder Fortführung von Informationssystemen (Maier et al. 2015b).
Im Vergleich zu den beiden Verhaltensweisen der Adaption und der Kontinuität wird dem Diskontinuitätsverhalten in der Informationswissenschaft recht wenig Aufmerksamkeit gewidmet (Recker 2016). Eine mögliche Erklärung könnte die wissenschaftliche Annahme sein, dass alle neuen Innovationen den bestehenden Alternativen überlegen sind und von allen Mitgliedern des sozialen Systems übernommen werden sollten (Rogers 2003).
Die Literatur über Diskontinuität scheint auch in der Informationswissenschaft im Bezug auf die Robo Advisor weitgehend vernachlässigt zu werden,da sich bisherige Studien, welche sich mit der Robo Advisor-Technologie befassen, maßgeblich auf die Adaption und Akzeptanz der Verbraucher beziehen (Torno et al. 2021). Die Studie von Belanche et al. (2019) weist jedoch auf die zukünftige Bedeutung der Diskontinuitätsforschung im Hinblick auf die Robo Advisor-Technologie hin.
Diesbezüglich muss jedoch erneut unterschieden werden, da die Diskontinuität eines Informationssystems auf unterschiedliche Weise auftreten kann. So nennen Soliman und Rinta-Kahila (2020) in ihrer Studie fünf verschiedene Diskontinuitätsformen eines Informationssystems: “rejection, regressive discontinuance, quitting, temporary discontinuance, and replacement” (Soliman und Rinta-Kahila 2020, S. 5). Während sich die erste Form auf die Ablehnung eines Akteurs vor der Adaption einer Technologie bezieht, betreffen die dritte und vierte Form, die Unterbrechung der Nutzung eines Systems und seine Ersetzung bzw. die Absicht, dieses zu wechseln. So beinhalten nur die beiden verbleibenden Formen der Diskontinuität eine vollständige Beendigung nach vorheriger Nutzung, die in dieser Arbeit erörtert werden soll. Die regressive Diskontinuität beschreibt die sofortige Beendigung der Nutzung eines Informationssystem nach anfänglicher kurzer Nutzung (Soliman und Rinta-Kahila 2020). In dieser Studie geht es jedoch um die Diskontinuität der Nutzer, nachdem sie das System kontinuierlich genutzt haben. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt demnach auf der verbleibenden Form, dem so genannten Quitting.
Wird nur diese Form der Diskontinuität betrachtet, erschien es sinnvoll, die Entscheidung der Nutzer als eine rationale Wahl (Scott 2010), zwischen der Fortsetzung und der vollständigen Beendigung der Nutzung einer Robo Advisor-Technologie zu betrachten.
Um diese rationale Entscheidung zu treffen, müssen die Nutzer die Kosten und den Nutzen abwägen, die sie persönlich mit der Nutzung der Technologie verbinden. Wenn die Kosten den Nutzen überwiegen, wird der User die Robo Advisor-Technologie weiter nutzen. Ist dies jedoch nicht der Fall, stellt der Nutzer die Nutzung der Robo Advisor-Technologie vollständig ein. Diese Abwägung ergibt sich aus der in dieser Arbeit angewendeten Rational Choice-Theorie.
Da es in dieser Arbeit um die Beendigung der Nutzung der Robo Advisor-Technologie geht, lautet die Forschungsfrage: Welche Kostenfaktoren tragen dazu bei, dass Nutzer zur Entscheidung gelangen, die Nutzung der Robo Advisor-Technologie vollständig zu beenden ?
Um diese Forschungsfrage bestmöglich zu beantworten, solten qualitative Interviews erste Einblicke in einen vermutlich noch relativ unerforschten Themenbereich geben und hierbei im Sinne der Rational Choice-Theorie sowohl Kosten- als auch Nutzenfaktoren analysiert werden. Als Ergebnis konnten die Hauptfaktoren: monetäre Rendite, Selbsteffizienz und monetäre Gebühren analysiert werden. Es wurden jedoch noch sechs weitere Faktoren ermittelt, welche im Ergebnisteil dieser Arbeit detailliert dargelgt werden.
Im folgenden Kapitel soll zunächst allerdings die theoretische Grundlage für diese Arbeit dargelegt werden. Hierfür wird der Begriff Robo Advsior zunächst definiert und es werden allgemeine Informationen sowie die Funktionsweise und der aktuelle wissenschaftliche Stand der Robo Advisor-Technologie dargelegt. Darauf werden die Grundlagen der Rational Choice-Theorie erörtert und dessen Verwendung und Bedeutung einerseits für die Informationssystemwissenschaft und andererseits für die Anwendung in dieser Studie beschrieben. Am Ende dieses Kapitels wird auf den Lebenszyklus eines Informationssystems eingegangen. Es erfolgt die Einordnung der Robo Advisor-Technologie innerhalb der unterschiedlichen Informationssysteme und ein Überblick über die aktuelle Forschung im Bereich der Diskontinuität von utilitaristischen und hedonistischen Informationssystemen.
Im dritten Kapitel wird der methodische Ansatz, der in dieser Arbeit angewendet wurde, näher beleuchtet. Zu diesem Zweck wird zunächst das Forschungsdesign schriftlich und bildlich präsentiert. Anschließend wird der Prozess der Datenerhebung und Datenauswertung detailliert beschrieben.
Im vierten Kapitel werden die empirischen Ergebnisse aus den Interviews mit Hilfe einer Mischform aus deduktiven und induktiven Vorgehensweisen in ein Kategoriensystem eingeordnet. Außerdem werden die Erkenntnisse aus den Interviews vorgestellt und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede aufgezeigt.
Im fünften Kapitel werden die erzielten Ergebnisse diskutiert und Implikationen für die bestehende Theorie und Praxis abgeleitet. Darüber hinaus werden die Grenzen der Arbeit erläutert und Ansatzpunkte für weiterführende Forschungen aufgezeigt.
Im abschließenden sechsten Kapitel erfolgt eine Zusammenfassung der gefundenen Erkenntnisse dieser Arbeit.
2. Theoretische Grundlagen
In diesem Kapitel wird zunächst allgemein auf das Konzept und die Funktionsweise eines Robo Advisor eingegangen. Darauf folgt eine Erläuterung des aktuellen wissenschaftlichen Stands im Bereich der Robo Advisor-Technologie im Hinblick auf das Diskontinuitätsverhalten der User. Anschließend wird die Rational Choice-Theorie und ihre Anwendung auf diese Arbeit ausführlich geschildert. Abschließend erfolgt eine Erläuterung des Lebenszyklus-Modells von Informationssystemen, die Einordnung der Robo Advisor-Technologie im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen hedonistischen und utilitaristischen Informationssystemen sowie ein Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Forschung zu diesen beiden Formen von Informationssystemen im Hinblick auf Diskontinuität auf individueller Ebene.
2.1 Robo Advisor
Im Folgenden soll die Robo Advisor-Technologie näher erläutert werden. Zunächst wird der Begriff Robo Advisor definiert und grundlegende Informationen zu dieser Technologie vorgestellt. Danach werden die einzelnen Schritte der Funktionsweise ausführlich erörtert. Abschließend wird ein Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft zu dieser Technologie gegeben.
2.1.1 Robo Advisor: Definition und Allgemeines
Der Ausdruck Robo Advisor setzt sich aus zwei unterschiedlichen Begriffen zusammen: Robo und Advisor. Robo steht für Robotics, was automatisierte Prozesse umfasst, und Advisor beschreibt den Vermögensberatungsservice (Deloitte GmbH 2016). Konkret handelt es sich bei der Robo Advisor-Technologie um Online-Plattformen, die mathematische Algorithmen zur automatischen Erstellung und Verwaltung von Kundenportfolios nutzen (Sironi 2016). Durch die automatische Erfassung und Verarbeitung von Informationen und Daten werden individuelle Anlagevorschläge auf Grundlage vordefinierter Parameter gemacht, die dem Anlageziel, dem finanziellen Hintergrund und der Risikobereitschaft des Kunden entsprechen (Gomber et al. 2018). Dieser Vorgang erfolgt mit nur geringer oder gar keiner menschlichen Interaktion (Hildebrand und Bergner 2021). Für die Strukturierung und Performancemessung der Portfolios von Privatanlegern nutzen Robo Advisor wissenschaftliche finanzmathematische Theorien, die den Ansatz der Risikoreduktion durch Diversifikation der Anlagesumme verfolgen (Beketov et al. 2018).
Um kostengünstige Lösungen anzubieten, beschränken sich die Investitionen von Robo Advisor meist auf nur wenige Anlageklassen (Jung et al. 2018a). In der Regel sind dies Aktien oder Exchange Traded Funds ( kurz ETFs) (Gomber et al. 2018; Fulk et al. 2018). Für andere Investitionsoptionen wie Immobilen oder Einsparungen, die durch individuelle Steuersituationen erzielt werden können, sind Robo Advisor in der Regel nicht ausgelegt (Gomber et al. 2018). Robo Advisor verlangen in den meisten Fällen eine Mindesteinlage von 1000 bis 10000 US-Dollar, es gibt aber auch vereinzelt Anbieter, die Konten ohne Mindestsaldo anbieten (Fein 2015).
Die monetären Gebühren, die den Anlegern in Rechnung gestellt werden, umfassen eine jährliche Beratungsgebühr für die Dienstleistungen des Robo Advisor sowie die Kostenquoten der im Portfolio enthaltenen ETFs (Fein 2015). Die Beratungsgebühren und Kostenquoten werden meist als Prozentsatz des verwalteten Vermögens berechnet (E.H. Park et al. 2012). Die Beratungsgebühr pro Jahr liegt in der Regel zwischen 0,25 und 0,50 Prozent des Kontostands des Kunden am Jahresende. Vereinzelt legen Robo Advisor-Unternehmen aber auch Kostenstrukturen fest, die eine monatliche Gebühr beinhalten. (Gravier 2021).
Robo Advisor lassen sich in drei unterschiedliche Arten unterteilen: business-to-business Advisor (B2B Advisor), direct-to-consumer Advisor (D2C Advsior) und hybride Advisor. Während B2B Advisor darauf spezialisiert sind, Banken sowie Vermögensberatungen oder -verwaltung darin zu unterstützen, eigene digitale Plattformen für die Anlange von Vermögen zu entwickeln, richten sich hybride und D2C Advisor direkt an den Endkunden. Der Unterschied zwischen den beiden Formen ist, dass hybride Advisor eine Mischung aus der traditionellen und der reinen, digital gesteuerten Finanzberatung darstellen und D2C Advisor ausschließlich digital agieren. Die menschliche Komponente lässt der D2C Advisor demnach außer Acht (Shanmuganathan 2020; Beketov et al. 2018). Der weltweit größte Robo Advisor Vanguard Digital Advisor vom gleichnamigen US-amerikanischen Finanzdienstleistungsunternehmen Vanguard mit einem verwalteten Gesamtvermögen von rund 206,6 Millionen US-Dollar und einer Kundenzahl von knapp 1,1 Millionen Usern bietet seinen Kunden beide Optionen an. Der größte ausschließlich digitale Vermögensverwalter ist Betterment mit einem verwalteten Anlagevermögen von knapp 26,8 Millionen Euro und einem Kundenstamm von rund 615.000 Usern (Friedberg und Schmidt 2021).
2.1.2 Funktionsweise eines Robo Advisor
Die Leistung eines Robo Advisor besteht darin, durch automatisierte Vorgänge und auf der Grundlage technologischer Innovationen und Kapitalmarktanalysen eine risikoadäquate Anlageempfehlung zu generieren (Bahlinger 2020). Der Ansatz des Robo Advisor lässt sich in der Regel in fünf Phasen unterteilen: das Anlegerinterview, die strategische Vermögensallokation, die taktische Vermögensallokation, das Fulfillment und die langfristige Verwaltung des Portfolios (Bahlinger 2020; Khentov 2014; Sironi 2016). Eine bildliche Darstellung des Prozesses ist in Abbildung 1 zu sehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : Robo Advisor Prozess (in Anlehnung an Nueesch et al. (2014, S. 19) ; Jung et al. (2018a, S. 85) )
Robo Advisor sind gesetzlich dazu verpflichtet, einen Fragebogen zu verwenden, um Rendite- und Risikopräferenzen sowie die individuelle Anlagestrategie ihrer Kunden einzustufen (D’Hondt et al. 2020). Die Fragen beinhalten sowohl persönliche und finanzielle Aspekte des Kunden, als auch fachspezifische Fragen wie beispielsweise die bisherige Investmenterfahrung bezüglich unterschiedlicher Anlageklassen oder den gewünschten Anlagehorizont (Jung et al. 2018a). Ziel des Fragebogens ist es, die Risikobereitschaft und Risikotragfähigkeit der Kunden zu erfassen (Fein 2015).
Auf Basis dessen erstellt der Algorithmus des Robo Advisor eine Anlageempfehlung, die im Wesentlichen die Verteilung des Anlage- bzw. Sparbetrags auf verschiedene Anlageklassen darstellt (Bahlinger 2020). Für die sogenannte strategische Asset-Allokation nutzen die meisten Robo Advisor die Erkenntnisse der modernen Portfoliotheory als Standard (Gerhana et al. 2021). Diese stellt eine praktische Methode zur Auswahl von Anlagen dar, die eine maximale Gesamtrendite bei einem angemessenen Risikoniveau erwarten lassen (Markowitz 1996). Aufgrund mathematischer Unzulänglichkeiten der modernen Portfoliotheorie , die vor allem mit der hohen Anfälligkeit der Formel für Schätzfehler zusammenhängen, ergänzen viele Robo Advisor ihren Ansatz oder nutzen weitere Kapitalmarkttheorien, um optimale Portfolios für ihre Kunden zu erstellen (Beketov et al. 2018; Scalable Capital 2018; Zenti 2016). Einige Beispiele für diese Methoden sind das Black-Littermann-Modell, das Capital-Asset-Pricing-Modell, Monte-Carlo-Simulationen und Mischungen aus qualitativen und quantitativen Methoden (Zenti 2016). Das Black-Litterman-Modell ist das am häufigsten verwendete ergänzende Modell, das darauf abzielt, eine breit diversifizierte und kapitalmarktgewichtete Vermögensallokation im Rahmen der Risikotoleranz und Markteinschätzung des Anlegers zu erreichen (Betterment 2019; Wealthfront Advisers 2021; Zenti 2016).
Um dieses Ziel bestmöglich zu realisieren, besteht der konkrete Anlagevorschlag, die sogenannte taktische Asset-Allokation (Bahlinger 2020), die den Kunden angeboten wird, in der Regel aus kostengünstigen Indexfonds in Form von ETFs (Facundo et al. 2019). ETFs sind diversifizierte Portfolios mit dem Ziel, einen Marktindex bestmöglich zu duplizieren (DeMarzo und Berk 2014). Sie unterscheiden sich von Indexfonds dahingehend, dass sie direkt an der Börse gehandelt werden und entsprechen der sogenannten passiven Investitionsphilosophie (Sushko Vladyslav 2018). Der Grundgedanke dieser Philosophie geht von effizienten Kapitalmärkten aus, in denen relevante Marktinformationen bei der Preisbildung berücksichtigt werden (Aber et al. 2009). Daraus folgt die Annahme, dass Überrenditen nicht durch die Auswahl einzelner Aktien erzielt werden können (Cochrane und Moskowitz Tobias J. 2021; Burton 2017). Der Vorteil dieser Anlagemöglichkeit besteht darin, dass der Anleger durch den Erwerb einiger weniger börsengehandelter ETFs ein diversifiziertes, liquides und langfristig vielversprechendes Marktportfolio aufbauen kann, wobei die Handelskosten niedrig gehalten werden. (Facundo et al. 2019).
Nachdem der Kunde sich entschieden hat, das Angebot anzunehmen, erfolgt das sogenannte Fulfillment oder im deutschen Sprachgebrauch die Auftragsabwicklung. (Bahlinger 2020). Hierbei handelt es sich um den automatisierten Prozess, bei dem der Robo Advisor die ETFs, die er für den Kunden als optimal erachtet, auf dessen Depotkonto überträgt und den Kauf automatisch für ihn tätigt (Sironi 2016).
Als letzte langfristig angewendete Funktionen von Robo Advisor sind ein permanentes Rebalancing und Tax-Loss-Harvesting zu nennen (Kaya 2017).
Rebalancing ist eine Schlüsselkomponente des passiven Managements und bezieht sich auf den Prozess des periodischen Kaufs oder Verkaufs von Vermögenswerten, die in einem Portfolio im Vergleich zur strategischen Allokation über- oder unterrepräsentiert sind (Mondello 2017). Dementsprechend ermöglicht die Neugewichtung den Anlegern, zu ihrem ursprünglichen Risikoniveau zurückzukehren (Jung et al. 2018b). Dadurch wird die Widerstandsfähigkeit gegenüber Marktabschwüngen erhöht, und es ermöglicht den Anlegern, ihre langfristigen Anlageziele besser zu erreichen (Zilbering et al. 2015). Die in der Praxis angewendeten Rebalancing-Strategien sind die Kalenderstrategie, die Percentage-of-Portfolio-Strategie sowie das Cash-Flow-Rebalancing (Mondello 2017). Da die Kalenderstrategie und die Percentage-of-Portfolio-Strategie mit höheren Kosten verbunden sind (Mondello 2017), setzen große Robo Advisor Provider wie Betterment auf das Cash-Flow-Rebalancing (Betterment 2018). Beim Cashflow Rebalancing wird die Portfolioeinzahlung verwendet, um die jeweiligen Umschichtungen im Portfolio vorzunehmen (Zilbering et al. 2015). Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass bereits erwirtschaftete Kursgewinne nicht verkauft und somit auch nicht versteuert werden müssen (Zilbering et al. 2015). Es fallen daher lediglich Transaktionskosten an (Zilbering et al. 2015).
Beim Tax-Loss-Harvesting, welches aus steuerlichen Gründen oftmals von Robo Advisor-Unternehmen mit Sitz in den USA eingesetzt wird (Professionell Fonds 2016), geht es um den automatischen Verkauf von Wertpapieren in einem Portfolio (Kaya 2017). Dadurch können Verluste generiert werden, die direkt mit Kapitalgewinnen oder steuerpflichtigem Einkommen verrechnet werden können (Kaya 2017). Gemäß den Internal Revenue Service -Richtlinien hilft die Nutzung von Steuerverlusten den Anlegern, die geringstmöglichen Steuern auf nicht steuerlich geschützte Vermögenswerte zu zahlen (Frankenfield 2021).
2.1.3 Aktueller wissenschaftlicher Stand im Bereich der Robo Advisor- Technologie
Robo Advisor sind ein relativ neues Phänomen im Fintech-Segment (Vincent et al. 2015). In einer Clusteranalyse, die die Kerndienstleistungen innerhalb der Fintech Landschaft untersucht, wurden Robo Advisor im Bereich der Anlage- und Vermögensverwaltung kategorisiert (Gozman et al. 2018). Gomber et al. (2018) ordneten in ihrer Studie, die einen Überblick über den Stand der Forschung im digitalen Finanzwesen in Bezug auf neuartige und innovative Geschäftsfunktionen gibt, die Funktion eines Robo Advisor der digitalen Finanzberatung zu .
Die von Jung et al. (2018a) publizierte Studie gibt einen Überblick darüber, wie sich Robo Advisor im Zusammenhang mit der Digitalisierungsentwicklung im Finanzbereich etablieren konnten. Die Studie informiert auch über den bis dato geltenden wissenschaftlichen Stand im Bereich der Robo Advisor-Technologie und kam zu dem Schluss, dass in diesem Bereich bisher nur wenig geforscht wurde. Daher sahen die Wissenschaftler große Forschungsmöglichkeiten in Bezug auf die Robo Advisor-Technologie innerhalb der Informationssystem-Community. Jung et al. (2018a) schlugen vor, die künftige Forschung im Bereich der Robo Advisor-Technologie in drei Bereiche zu unterteilen: Service and user interface design, Customer Behavior sowie-, Risk measurement and modelling (Jung et al. 2018a).
Torno et al. (2021) kamen zu einer ähnlichen, aber detaillierteren Klassifizierung. Anders als die Empfehlungen von Jung et al. (2018a) basierte die Einteilung von Torno et al. (2021) auf einer systematischen Literaturanalyse über 42 von Experten begutachtete Artikel, die sich mit dem Themenbereich der Robo Advisor-Technologie befassten. Torno et al. (2021) argumentierte, dass sich die Forschung zu Robo Advisor aktuell in drei Bereiche unterteilen lässt : Robo Advisor User, Robo Advisor Service und Robo Advisor Competition. In Bezug auf die angesprochenen Teilbereiche der Robo Advisor User und Robo Advisor Customer Behavior, lässt sich aus beiden Studien unabhängig voneinander ableiten, dass der Schwerpunkt der Forschung in diesem Segment auf den Eigenschaften von Robo Advisor-Nutzern liegen sollte und wie deren Verhalten erklärt oder vorhergesagt werden kann (Jung et al. 2018a; Torno et al. 2021). Neben der Untersuchung der demografischen Merkmale von Robo Advisor-Nutzern befasst sich die aktuelle Forschung in diesem Bereich hauptsächlich mit der Kundenakzeptanz, der Annahme und dem Vertrauen in Robo Advisor (Torno et al. 2021).
In Bezug auf die Forschungsfrage, warum User die Nutzung von Robo Advisor-Dienstleitungen einstellen, können Studien, die sich mit der Annahme und Akzeptanz von Informationssystemen, zu denen auch Robo Advisor zählen, auseinandersetzen, zum Verständnis der Nutzungsabsicht in den frühen Phasen des Adaptionsprozesses beitragen (siehe Kapitel 2.3). Dies hilft, ein Grundverständnis darüber zu erlangen, welche Intentionen Personen dazu veranlassen, ein Informationssystem zu nutzen (Maier et al. 2015b; Belanche et al. 2019; Bhattacherjee 2001). In dieser Arbeit geht es jedoch nicht um die anfänglichen Phasen des Lebenszyklus eines Informationssystems, sondern um den letzten Schritt dieses Prozesses, nämlich die Endphase und schließlich Einstellung der Nutzung und die Gründe, die hierbei eine Rolle spielen. Unter Umständen, können aber aus den Annahme- und Akzeptanzgründen, die in diesem Bereich der Robo Advisor Forschung ermittelt wurden, individuelle Gründe für eine Einstellung in Bezug auf die Technologie abgeleitet werden. Forscher im Bereich der Informationssysteme haben gezeigt, dass Personen, die erst vor kurzem ein System adaptiert haben, in einer an die Adaption anschließenden Bestätigungsphase die zuvor getroffene Akzeptanzentscheidung bzw. die Akzeptanzgründe neu bewerten (Bhattacherjee 2001). Stellen die Nutzer während dieses Prozesses fest, dass die ursprünglichen Akzeptanzgründe nicht bestätigt werden konnten, stellen sie die Nutzung wieder ein (Bhattacherjee 2001). Akzeptanzgründe geben daher insofern einen Hinweis auf mögliche Einstellungsgründe, als dass ihr Nicht- Vorliegen einen solchen darstellt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen jedoch, dass Beendigungsgründe eines Informationssystems auch unabhängig von Akzeptanzgründen existieren (Bian et al. 2020; Cenfetelli und Schwarz 2011). Daher ist die Ableitung von Diskontinuitätsfaktoren aus den Akzeptanzgründen nicht ausreichend und wird den tatsächlich existierenden Diskontinuitätsfaktoren nicht gerecht.
Konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich explizit mit der Frage auseinandersetzen, welche Faktoren Individuen dazu verleiten, die Nutzung der Robo Advisor-Technologie einzustellen, konnten trotz einer intensiver Literaturrecherche auf verschiedenen wissenschaftlichen Plattformen wie beispielsweise SpringerLink, Web of Science, AIS eLibrary und EconBiz nicht ermittelt werden. Der Grund dafür könnte die Tatsache sein, dass sich die Forschung zur Robo Advisor-Technologie noch in einem relativ frühen Stadium befindet und im Vergleich zu anderen Technologien bisher recht dünn ist (Gomber et al. 2018; Jung et al. 2018a).
Da, wie beschrieben, keine Literatur gefunden wurde, die direkt auf Beendigungsgründe der Nutzung von Robo Advisor zielt und Akzeptanzgründe trotz ihrer Unzulänglichkeit für die Fragestellung relevant sein könnten, erfolgt nun ein Überblick über den Forschungstand in diesem Bereich.
Eine der ersten Studien, die sich mit der Adaption und Akzeptanz von Robo Advisor befasste, ist die Erhebung von Belanche et al. (2019). Zur Durchführung der Analyse wurde eine Webumfrage mit 765 Teilnehmern aus den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Portugal durchgeführt. Die Hauptergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass die Einstellung der Verbraucher gegenüber Robo Advisor in Verbindung mit den Massenmedien (zum Beispiel Einfluss von innovationsbezogenen Nachrichten und Berichten) und subjektiven zwischenmenschlichen Normen (zum Beispiel Einfluss von Gleichaltrigen und Vorgesetzten) die wichtigsten Faktoren für die Akzeptanz darstellen. Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass Nutzer mit einem höheren Grad an Vertrautheit mit Robotern stärker von der wahrgenommenen Nützlichkeit und ihrer Einstellung zu disruptiven Innovationen geprägt sind als Nutzer mit einem geringeren Grad an Vertrautheit mit neuartiger künstlicher Intelligenz (Belanche et al. 2019).
Dass eine hohe wahrgenommene Nützlichkeit und eine hohe wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit einen starken positiven Effekt auf die Absicht der Menschen haben können, einen Robo Advisor zu nutzen, zeigt auch die Studie von Seiler und Fanenbruck (2021). Die Forscher zeigten auch, dass die wahrgenommene Privatsphäre ein wichtiger Faktor ist, der die User zur Nutzung eines Robo Advisor veranlasst (Seiler und Fanenbruck 2021).
Ein weiterer grundlegender Faktor bezüglich der Akzeptanz der Robo Advisor-Technologie ist Vertrauen (Torno et al. 2021). Die Studie von Cheng et al. (2019) widmete sich der Untersuchung vertrauensbeeinflussender Faktoren von Individuen gegenüber Robo Advisor. In der 2019 veröffentlichten Publikation identifizierten die Wissenschaftler sieben wichtige Faktoren, die das Vertrauen in Robo Advisor beeinflussen. Sechs Faktoren wurden qualitativ durch eine Befragung von 230 Investoren ermittelt und ein Faktor wurde quantitativ bestimmt. Die drei qualitativ identifizierten Faktoren, Reputation, Informationsqualität und Servicequalität, beinflussten das Vertrauen der Individuen in den Robo Advisor-Anbieter positiv. Währenddessen korrelierten die beiden qualitativen Faktoren staatliche Regulierung und Einstellung zu Künstlicher Intelligenz sowie der quantitative Faktor Aufsichtskontrolle generell positiv mit dem Vertrauen der Individuen in die Robo Advisor-Technologie. Keinen Einfluss auf das Vertrauen hinsichtlich der Robo Advisor-Technologie hatte die qualitativ bestimmte Dienstleistungsverpflichtung (Cheng et al. 2019).
Eine weitere Studie, die sich mit Vertrauensmechanismen befasste, ist die Studie von Mesbah et al. (2019). Die Forscher untersuchten den Mechanismus, der das größte Vertrauen in Robo Advisor-Systeme schafft. Um diese Frage zu beantworten, wurden 226 Teilnehmer befragt. Der Mechanismus, der für die Nutzer am stärksten mit Vertrauen zusammenhing, war das risikolose Testen des Robo Advisor. Der Mechanismus, der sich am wenigsten auf das Vertrauen der Nutzer auswirkte, bezog sich auf das visuelle Erscheinungsbild des Robo Advisor (Mesbah et al. 2019).
Im Hinblick auf das Vertrauen der Nutzer in Informationssysteme spielt die Transparenz in Verbindung mit der Informationsqualität eine wichtige Rolle (Rühr et al. 2021). Die Studie von Rühr et al. (2021) befasste sich mit dieser Problematik in Bezug auf Robo Advisor. In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler, wie sich unterschiedliche Niveaus von Transparenz und Qualität der Informationsbasis eines Informationssystems auf das Vertrauen der Nutzer in Robo Advisor auswirken. Um diesbezügliche Forschungsergebnisse zu erhalten, teilten die Forscher die 235 Studienteilnehmer in vier Gruppen ein. Jeder Gruppe wurde ein Robo Advisor vorgestellt, bei dem das Transparenzniveau und die Qualität des Robo Advisor-Prozesses manipuliert wurden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine größere Informationstransparenz und eine höhere Qualität der Informationsbasis zu einem größeren Vertrauen der Nutzer in Robo Advisor beitragen können und demnach die Nutzungswahrscheinlichkeit erhöht werden kann (Rühr et al. 2021).
Litterscheidt und Streich (2020) gelangten zu einer ähnlichen Erkenntnis. Sie untersuchten, inwieweit Personen bereit sind, finanzielle Entscheidungen an einen Robo Advisor zu delegieren. Den Studienergebnissen zufolge waren Personen, die detaillierte Informationen über den Algorithmus des Robo Advisor erhielten, deutlich eher bereit, finanzielle Entscheidungen an den Robo Advisor zu übertragen. Darüber hinaus ergab die Studie, dass die Vermittlung von Finanzwissen an potenzielle Kunden deren Risikoaversion bei Anlageentscheidungen verringern kann, was ihre Bereitschaft, einen Robo Advisor zu nutzen, steigern würde (Litterscheidt und Streich 2020).
Ein weiterer Faktor, der starken Einfluss auf das Vertrauen von Nutzern in Robo Advisor haben kann, ist ihr Grad der Humanisierung (Hodge et al. 2021; Morana et al. 2020; Hildebrand und Bergner 2021). Nach Morana et al. (2020) ist ein höherer Grad an Vermenschlichung mit einer stärkeren Wahrnehmung von sozialer Präsenz und Vertrauen verbunden. In Form eines Laborexperiments teilten Morana et al. (2020) die 183 Teilnehmer in drei Gruppen auf. Jede Gruppe hatte Zugang zu einem Robo Advisor-Chatbot mit einem unterschiedlichen Grad an Humanisierung. Daraufhin wurden die Studienteilnehmer gebeten, entweder ein vom Robo Advisor-Chatbot empfohlenes Anlageangebot oder eines von drei fiktiven Anlageangeboten zu wählen. Die Ergebnisse zeigten: Je höher der Grad der Vermenschlichung des Robo Advisor-Chatbots war, desto mehr vertrauten sie der Anlageempfehlung des Robo Advisor (Morana et al. 2020).
Auch Hodge et al. (2021) kamen in ihrer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler unter anderem, ob eine Gruppe von Masterstudenten eher bereit war, Anlagevorschläge eines Robo Advisor zu akzeptieren, der keinen Namen trug oder eines Robo Advisor, der mit einem Namen betitelt war. Auch hier zeigten die Ergebnisse, dass die Probanden eher bereit waren, die Anlagevorschläge des benannten Robo Advisor anzunehmen, als die des unbenannten (Hodge et al. 2021).
Dialogorientierte Robo Advisor fördern durch ihren menschenähnlichen Kommunikationsstil das Vertrauen der Nutzer in ihre Technologie. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie von Hildebrand und Bergner (2021). Erwähnenswert ist dabei auch, dass Personen, die einen dialogorientierten Robo Advisor nutzten, eher bereit waren, dem Robo Advisor höhere Vermögenswerte zuzuweisen (Hildebrand und Bergner 2021).
Weitere untersuchte Aspekte, die sich auf die Akzeptanz der Robo Advisor-Technologie auswirken, sind die wahrgenommene Benutzerkontrolle sowie der wahrgenommene Automatisierungsgrad, welchen Individuen mit der Nutzung eines Robo Advisor verbinden (Dietvorst et al. 2015; Rühr et al. 2019). Konkret untersuchten Rühr et al. (2019) inwieweit die Performance-Erwartung, das wahrgenommene Risiko und die wahrgenommene Aufgabenkomplexität die Absicht des Nutzers beeinflussen, diesen zu verwenden. Um dies zu ergründen, analysierten Rühr et al. (2019), wie sich verschiedene wahrgenommene Automatisierungsgrade in Kombination mit verschiedenen Stufen der Benutzerkontrolle auf diese drei Attribute auswirkten. Die Ergebnisse suggerieren drei verschiedene Effekte. Der erste Effekt bestand darin, dass ein erhöhtes Maß an wahrgenommener Automatisierung die Performance-Erwartung der Nutzer erhöhte, was sich signifikant positiv auf ihre Absicht auswirkte, einen Robo Advisor zu nutzen. Zweitens zeigte die Studie, dass ein erhöhtes empfundenes Risiko, welches durch einen erhöhten Automatisierungsgrad und ein hohes Maß an Benutzerkontrolle entstand, einen signifikant negativen Einfluss auf die Absicht einer Person hatte, einen Robo Advisor zu akquirieren. Der dritte untersuchte Effekt zeigte, dass ein erhöhtes Maß an Benutzerkontrolle einen positiven Effekt auf die wahrgenommene Aufgabenkomplexität hatte, was wiederum die Absicht, einen Robo Advisor zu nutzen, positiv beeinflusste (Rühr et al. 2019).
Eine weitere aufschlussreiche Studie, die sich mit der Absicht von Einzelpersonen befasste, einen Robo Advisor zu nutzen, ist die Studie von Hohenberger et al. (2019). Im Rahmen einer quantitativen Mediationsanalyse konnten die Wissenschaftler in ihrer Studie zeigen, dass Personen, die sich als sehr erfahren in Finanzangelegenheiten einschätzten, mehr Freude und weniger Angst bei dem Gedanken hatten, einen Robo Advisor zu nutzen, als Personen mit weniger Erfahrung. Dementsprechend zeigt die Studie, dass Menschen, die nach ihrer Einschätzung über ein gutes Finanzwissen verfügen, eher einen Robo Advisor nutzen (Hohenberger et al. 2019).
Die vorgestellten Studien und die darin genannten Faktoren sind, wie bereits erwähnt, für die vorliegende Studie nützlich, da sie trotz ihres Fokus auf die Akzeptanz und Adaption der Individuen in Bezug auf die Robo Advisor-Technologie erste Hinweise auf mögliche Faktoren geben könnten, die im Rahmen der Analyse mit Augenmerk auf die Rational Choice-Theorie auch zur Einstellung der Nutzung der Robo Advisor-Technologie herangezogen werden könnten. Auf die angesprochene Rational Choice-Theorie soll nun im folgenden Kapitel eingegangen werden.
2.2 Rational Choice-Ansatz zur Theoriebildung
Bei der Entscheidung des Einzelnen bezüglich der möglichen Einstellung der Nutzung eines Informationssystems gibt es zwei Möglichkeiten: die Technologie weiter zu nutzen oder sie aufzugeben (Recker 2016). Eine bedeutende Entscheidungstheorie, die hier herangezogen werden kann, ist die Rational Choice-Theorie oder auch im Deutschen die Theorie der rationalen Wahl (Brock et al. 2009). Sie wird in einer Vielzahl von Bereichen eingesetzt und bietet einen konzeptionellen Rahmen, um zu erklären, wie und welche Entscheidungen in den einzelnen Situationen getroffen werden (Akers 1990). Die Rational Choice-Theorie geht davon aus, dass Menschen die wahrscheinlichen Kosten und Vorteile von Handlungen analysieren, bevor sie ihre Entscheidungen treffen (Scott 2010).
2.2.1 Grundlagen der Rational Choice-Theory
Die Rational Choice-Theorie geht auf das Menschenbild der schottischen Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts zurück. Diese ging von einer Einheitlichkeit der menschlichen Natur aus, die ein zielgerichtetes Handeln des Individuums im Sinne seines eigenen Interesses oder seines eigenen Nutzens vorsieht (Garrett und Harris 2015). Die Rational Choice-Theorie folgt diesem Konzept der menschlichen Natur. Sie setzt voraus, dass Menschen rational, also vernunftmäßig, zugunsten ihrer eigenen Absichten oder Zwecke handeln, um ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche oder Ziele zu befriedigen (McCarthy 2002).
Die Subjective Expected Utility Theorie oder im deutschsprachigen Raum auch als Theorie des subjektiv erwarteten Nutzens bekannt, bildet den handlungstheoretischen Kern der Rational Choice-Theorie (Brock et al. 2009). Sie befasst sich mit der Frage, wie eine Person oder auch eine Institution aus einer Reihe von verfügbaren Optionen diejenige auswählt, die es für die Situation, in der sie sich befindet, als die richtige ansieht (Fischhoff et al. 1983). Der damit verbundene Prozess lässt sich hierbei in drei Schritte unterteilen. Zuerst bewertet und interpretiert der Akteur die Situation, in der er sich befindet auf der Grundlage früherer ähnlicher Situationen und handelt entweder routinemäßig oder trifft eine andere Entscheidung auf der Grundlage seiner Vorerfahrungen und der ihm zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten (Brock et al. 2009). In diesem Fall muss der Akteur im zweiten Schritt abwägen, welches Kosten-Nutzen-Verhältnis die einzelnen Handlungsalternativen mit sich bringen bzw. welche Konsequenzen mit den einzelnen Wahloptionen verbunden sind (Brock et al. 2009). Jede damit verbundene Konsequenz hat einen positiven oder negativen Nutzenwert (Brock et al. 2009). Im Falle eines positiven Nutzenwerts betrachtet der Akteur diesen als Nutzen, im Falle eines negativen Nutzenwerts wird er als Kosten bezeichnet (Brock et al. 2009). Da diese Abwägung jedoch nur theoretisch erfolgen kann, muss der Akteur die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten gewichten und abwägen, inwieweit es möglich ist, dass die zu befürchtenden Kosten bzw. Nutzen auch wirklich eintreten (Brock et al. 2009). Zuletzt erfolgt die Wahl der Handlungsalternative (Karni 2005). Aufgrund der theoretisch im Vorhinein stattfindenden Berechnung des subjektiv erwarteten Gesamtnutzens soll der Akteur nun die Handlungsoption auswählen, welche den höchsten Nutzenwert besitzt (Karni 2005). Dieses Prinzip ist auch bekannt als sogenannte Maximierungsregel (Karni 2005). Die Maximierungsregel steht im Einklang mit dem neoklassischen Ansatz und bietet eine theoretische Erklärung für das Verständnis der Entscheidungsprozesse auf kollektiver und individueller Ebene (Bian et al. 2020).
Zusammenfassend besagt die Rational Choice-Theorie also, dass Menschen individuell das Kosten-Nutzen-Verhältnis jeder Handlungsalternative nach ihren Präferenzen in einer zur Verfügung stehenden Reihe von Entscheidungsoptionen abwägen.
2.2.2 Anwendung der Rational Choice-Theorie im Bereich der Informationssysteme
Im Bereich der Informationssysteme bietet die Rational Choice-Theorie eine theoretische Grundlage für das Verständnis zielgerichteter Entscheidungsfindung und wurde daher in diesem Tätigkeitsfeld häufig angewandt. Ein oftmals genutzter Anwendungsbereich der Rational Choice-Theorie ist die Informationssicherheitsforschung. Willison (2006) wendete die Rational Choice-Theorie in diesem Themengebiet an, um illegale Entscheidung von Mitarbeitern bezüglich der Informationssicherheit zu erklären, indem die Absichten krimmineller Mitarbeiter mit ihrer eigenen Moral und ihren negativen Emotionen abgewogen wurden.
Untersuchungen von Li et al. (2010) zeigten, dass die Absicht der Mitarbeiter, die Internetnutzungsrichtlinien einzuhalten, stärker von der Wahrscheinlichkeit beeinflusst wird, dass ein Verstoß entdeckt wird, als von der Schwere der erwarteten Sanktionen. Die Ergebnisse von Bulgurcu et al. (2010) zeigten, dass die Gesamteinschätzung der Folgen des Missbrauchs durch die Mitarbeiter auf ihrer Einschätzung des Nutzens und der Kosten der Einhaltung der Vorschriften beruht, was ihre Einstellung zur Einhaltung der Informationssicherheitspolitik des Unternehmens erklärt.
Die Rational Choice-Theorie wird jedoch auch in anderen Bereichen der Informationswissenschaften eingesetzt. Beispielsweise analysierten Komiak und Benbasat (2006) die Elemente des emotionalen und des kognitiven Vertrauens, die mit webbasierten Empfehlungssystemen verbunden sind, und ihre Auswirkungen auf den tatsächlichen Entscheidungsprozess unter dem Gesichtspunkt rationaler Entscheidungen, die positive und negative Emotionen ausgleichen. Kutsch und Hall (2009) zeigten die Kostenfaktoren auf, die Unternehmen aufgrund der rationalen Entscheidung zu tragen haben, kein Risikomanagement in der Informationstechnologie anzuwenden. Laut Bockstedt und Goh (2014) könnte das Kosten-Nutzen-Verhältnis die Kaufentscheidungen der Verbraucher in Bezug auf digitale Güter beeinflussen.
Chen et al. (2019b) nutzte die Rational Choice-Theorie, um rationale Entscheidungsfaktoren aus einer negativen Perspektive zu identifizieren und ihren Einfluss auf die Reaktanz der Verbraucher auf personalisierte Online-Werbung zu untersuchen. Bian et al. (2020) beschreibte anhand der Rational Choice-Theorie, wie die Kosten und Nutzen der etablierten IT und die des neuen Cloud Computing die duale Entscheidung eines Unternehmens zwischen der Einstellung eines bestehenden IT-Systems und der Akzeptanz des Wechsels zur Cloud Computing-Technologie beeinflussen können. Recker (2016) verwendete die Rational Choice-Theorie, um das individuelle Nutzerverhalten im Hinblick auf die Kosten und den Nutzen der Nutzung eines Informationssystems zu untersuchen.
2.2.3 Rational Choice-Theorie im Zusammenhang mit dieser Untersuchung
Auch für das Erklären der Entscheidung für die Einstellung der Nutzung eines Robo Advisor kann die Rational Choice-Theorie herangezogen werden. Sie ist insofern geeignet, als dass die Nutzer mit zwei Entscheidungsalternativen konfrontiert werden, nämlich die Nutzung einzustellen oder sie nicht einzustellen. Dabei stehen die subjektiv wahrgenommenen Kosten, (wie zum Beispiel die Anforderung, eine bestimmte Art und Weise der Ausführung einer Aufgabe einzuhalten, die durch das verwendete System vorgegeben ist und die der Benutzer vielleicht lieber vermeiden möchte) und der subjektiv wahrgenommenen Nutzen (zum Beispiel der hohe Nutzen eines bestehenden Systems, der den Wunsch weckt, es weiterhin zu nutzen) einander gegenüber. Zwischen diesen Alternativen muss entschieden werden (Recker 2016). Aus dieser Betrachtungsweise heraus lassen sich Diskontinuität und Kontinuität als ein zwei-faktorielles Konstrukt auffassen (Recker 2016). Die folgende
Abbildung 2 soll diesen Gedankengang nochmals verbildlichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 : Duales Entscheidungsmodell basierend auf der Rational Choice-Theorie (in Anlehnung an Bian et al. (2020, S. 7) )
Doppelfaktorielle-Konstrukte unterscheiden sich von einfaktoriellen-Konstrukten dadurch, dass jedes Konstrukt unterschiedliche, aber nicht notwendigerweise gegensätzliche Antezedenzien und Konsequenzen haben kann (Cenfetelli 2004). Dieses Modell findet in der wissenschaftlichen Gemeinschaft breite Unterstützung (Cenfetelli 2004). Das Konzept von Herzberg et al. (1996) ist eines der am häufigsten zitierten doppelfaktoriellen Konzepte (Cenfetelli 2004). Herzberg et al. (1996) zeigten, dass Arbeitszufriedenheit und Unzufriedenheit keine Gegensätze sind, sondern getrennte Konstrukte.
Auch bei den Konstrukten Vertrauen und Misstrauen, sei es gegenüber einer Peron oder einer Organisationen, zeigten Anderson und Sullivan (1993), dass sie zwar eng miteinander verbunden sind, aber auch jedes für sich einzigartige Eigenschaften besitzt, die sich durch mehr als nur gegensätzliche Valenz unterscheiden, was sie zu trennbaren Konstrukten macht.
Im Bereich der Informationswissenschaften konnten Cenfetelli und Schwarz (2011) in einer empirischen Studie nachweisen, dass die Ablehnung von Technologien auf Hemmnisse wie Aufdringlichkeit und Informationsüberlastung zurückzuführen ist, während die Akzeptanz von Technologien unter anderem auf die wahrgenommene Angemessenheit und Benutzerfreundlichkeit zurückgeht. Bian et al. (2020) konnten in diesem Kontext nachweisen, dass die Absichten, ein Informationssystem zu beenden, andere sind als jene, die Organisationen dazu treiben, eine neue Technologie zu akzeptieren. Auch auf individueller Ebene stellte Recker (2016) fest, dass die Gründe, die die Nutzer dazu veranlassen, ein Informationssystem weiter zu nutzen, nicht dieselben sind, wie die, die sie dazu veranlassen, die Nutzung des Informationssystems einzustellen.
Übertragen auf diese Arbeit würden diese Studien, insbesondere die Untersuchung von Recker (2016), implizieren, dass auch die Beendigung der Nutzung oder die Weiternutzung des Robo Advisor unterschiedliche Konstrukte darstellen und mit unabhängigen Gründen in Zusammenhang stehen könnten. Nach der Logik, dass die fortgesetzte Nutzung und die Beendigung der Nutzung eines Informationssystems ein Zwei-Faktoren-Modell bildet, muss die Entscheidung einer Person, die Nutzung eines Informationssystems für einen bestimmten Zeitraum einzustellen es zu wechseln oder zu ersetzen, klar von diesem Entscheidungsrahmen getrennt werden (Recker 2016). Denn bei der Wahl zwischen zwei konkurrierenden Technologien zur Deckung des Bedarfs müssen die Nutzer ähnliche relative Vorteile eines neuen Systems gegen die Kosten abwägen, die mit einem Wechsel auf der Grundlage bestehender Verpflichtungen und Gewohnheiten verbunden sind (Recker 2016). Der Akteur müsste sich hierbei die Frage stellen, ob er das vorhandene System weiter nutzt oder es durch ein anderes ersetzt (Recker 2016). Gibt es jedoch keine neue Technologie, die dem Nutzer einen wesentlichen Vorteil verschafft, bleibt es bei der Frage, ob der Nutzer das System weiter nutzt oder nicht (Recker 2016). Dies ist bei der Robo Advisor-Technologie insoweit der Fall, als dass es zwar Unterschiede zwischen den Anbietern in Bezug auf die Konditionen (Tepper und Curry Benjamin 2022) und die verwendeten Risikomanagementmodelle gibt, die wesentlichen Funktionsweisen der einzelnen Robo Advisor allerdings an sich dieselben sind (Zenti 2016; Beketov et al. 2018).
Im Sinne der Rational Choice-Theorie ist also die Abwägung von Kosten und Nutzen von zwei Handlungsalternativen, nämlich die Nutzung des Robo Advisor fortzusetzen oder einzustellen, relevant. Durch die nun getroffene Eingrenzung der Beendigungsvorhaben, die also den Wechsel, das Ersetzen und die zeitliche Einstellung der Robo Advisor-Technologie ausschließt, erfolgt nun eine Betrachtung des aktuellen wissenschaftlichen Standes hinsichtlich der Einstellung von Informationssystemen, die das sogenannte Quitting beschreiben (Lu und Gallupe 2016; Vaghefi und Qahri-Saremi 2017).
2.3 Forschung über die Diskontinuität von Informationssystemen
In dem folgenden Abschnitt wird der Lebenszyklus eines Informationssystems ausführlicher erörtert. Hier sollen noch einmal die verschiedenen Nutzungsphasen eines Informationssystems beschrieben werden und insbesondere auf das in dieser Arbeit thematisierte Diskontinuitätsverhalten eingegangen werden. Anschließend erfolgt eine Einordnung der Robo Advisor-Technologie innerhalb der Informationssystemtechnologie. Um mögliche Diskontinuitätsfaktoren zu identifizieren, schließt dieses Kapitel mit einem Überblick über Diskontinuitätsfaktoren von utilitaristischen und hedonistischen Informationssystemen, die in der bisherigen Literatur identifiziert wurden.
2.3.1 Lebenszyklus eines Informationssystems
Der Lebenszyklusprozess eines Informationssystems umfasst drei verschiedene Phasen mit fließenden Übergängen: die Adaption, die kontinuierliche Nutzung und die letztlich endende Determination eines Informationssystems (Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 : User Transformationsmodell (in Anlehnung an Maier et al. (2015b, S. 278) )
Die erste Phase beschreibt die Implementierung eines Informationssystems (Maier et al. 2015a). Dazu gehören Aktivitäten wie die Installation und-, Konfiguration eines Informationssystems und dessen Schulung (Soliman und Rinta-Kahila 2020). Wenn ein Informationssystem die Erwartungen der Benutzer erfüllt oder übertrifft und sie mit der Systemeinführung zufrieden sind, treten die Benutzer in der Regel in den nächsten Zustand ein, der kontinuierlichen Nutzung (Bhattacherjee 2001). Die kontinuierliche Nutzung beschreibt ein Nutzerverhalten, das unregelmäßig, routinemäßig, gewohnheitsmäßig und in manchen Fällen sogar exzessiv sein kann (Soliman und Rinta-Kahila 2020). Nach der kontinuierlichen Nutzung eines Informationssystems tritt die letzte Phase des Informationslebenszyklus ein, also die Beendigung der Nutzung eines Informationssystems durch einen Akteur, z. B. aus Gründen der Unzufriedenheit oder Enttäuschung über die Nutzung eines Informationssystems (Maier et al. 2015b; Bhattacherjee 2001).
Die Beendigung eines Informationssystems kann, wie bereits in Kapitel 2.2.3 beschrieben, auf die endgültige Einstellung, den Wechsel oder die Ablösung der Technologie zurückgeführt werden. Aufgrund der Einschränkung durch die Annahme der Rational Choice-Theorie spielt für diese Arbeit nur der Vorgang der vollständigen Beendigung eines Informationssystems eine Rolle. Daher werden im folgenden Forschungsüberblick maßgebliche Studien vorgestellt, die sich mit dieser Beendigungsform eines Informationssystems befasst haben.
In der englischsprachigen Literatur wird dieses Verhalten als "Quitting" bezeichnet (Lu und Gallupe 2016; Vaghefi und Qahri-Saremi 2017) und ist laut Soliman und Rinta-Kahila (2020) die wohl am häufigsten untersuchte Form der Diskontinuität in der Informationssystemforschung.
2.3.2 Einordnung von Informationssystemen
Im darauffolgenden Kapitel wird ein Überblick über die Literatur zur Diskontinuität gegeben, die sich hauptsächlich auf die vollständige Beendigung eines Informationssystems nach kontinuierlicher Nutzung bezieht.
Zunächst ist jedoch zu beachten, dass bei der Nutzung von Informationssystemen im Anwendungskontext zwischen der Nutzung eines Informationssystems am Arbeitsplatz und der Nutzung eines Informationssystems in der Freizeit unterschieden werden muss (van der Heijden 2004). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen zwei Arten von Informationssystemen zu unterscheiden, dem utilitaristischen und dem hedonistischen (Hirschman und Holbrook 1982).
Utilitaristische Informationssysteme können sowohl am Arbeitsplatz (zum Beispiel Beschaffungssysteme) als auch im privaten Bereich (zum Beispiel Google Maps, mobiles Banking) eingesetzt werden und sind darauf ausgelegt, einen instrumentellen Wert für den Nutzer zu schaffen (zum Beispiel Steigerung der Aufgabenleistung) (Davis 1989; Karahanna et al. 1999; van der Heijden 2004). Hedonistische Informationssysteme (zum Beispiel Informationssysteme, die das Vergnügen der Menschen befriedigen) werden ausschließlich im privaten Bereich und nur in seltenen Fällen am Arbeitsplatz (zum Beispiel in Form von Gamification-Komponenten zur Steigerung der Arbeitsmotivation und Produktivität) eingesetzt (Soliman und Rinta-Kahila 2020). Ihr Ziel ist es, dem Nutzer einen sich selbst erfüllenden Wert zu verschaffen (Hamari und Koivisto 2015; van der Heijden 2004). Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Formen von Informationssystemen besteht darin, dass hedonistische Informationssysteme von intrinsischen Motivationsfaktoren (zum Beispiel Freude am Spielen) und utilitaristische von extrinsischen Motivationsfaktoren (zum Beispiel wahrgenommener Nutzen) angetrieben werden (Wakefield und Whitten 2006; Davis 1989).
Des Weiteren erfolgt in der Literatur auch eine Differenzierung zwischen einem unternehmerischen und einem individuellen Entscheidungsträger (Maier et al. 2015a). Hierbei liegen verschiedene Beweggründe für die Beendigung eines Informationssystems vor. Während eine Unternehmensentscheidung in der Regel auf der Grundlage kollektiver Erwägungen getroffen wird, trifft eine Einzelperson ihre Entscheidung auf der Grundlage individueller Überlegungen (Williams et al. 2009; Maier et al. 2015a).
Aufgrund der genannten Unterschiede zwischen den Informationssystemen kann davon ausgegangen werden, dass Robo Advisor eher dem Spektrum der utilitaristischen Informationssysteme zuzuordnen sind. Außerdem liegt der Fokus dieser Arbeit auf der Identifizierung von Diskontinuitätsfaktoren, die auf der individuellen Ebene bei der Nutzung eines Informationssystems auftreten.
Diese Einordnung dient jedoch in erster Linie dem Verständnis. In der Realität ist es durchaus möglich, dass die durch diese Kategorisierung auferlegten Grenzen miteinander verschwimmen (Soliman und Rinta-Kahila 2020). Gerow et al. (2013) zeigten beispielsweise, dass es übereinstimmende Merkmale von utilitaristischen und hedonistischen Informationssystemen gibt. Die vorgenommene Zuordnung der Robo Advisor erschien dennoch sinnvoll, um möglichst detailliert und zielgerichtet potenzielle Diskontinuitätsfaktoren anderer in der bisherigen Literatur beschriebener Informationssysteme zu identifizieren, die auch bei der Anwendung der Robo Advisor-Technologie zum Tragen kommen könnten.
Um jedoch möglichst alle Faktoren zu berücksichtigen, die mit der Diskontinuität eines Informationssystems zusammenhängen, wird nun eine umfassende Analyse möglicher Diskontinuitätsfaktoren auf der individuellen Ebene sowohl von utilitaristischen als auch von hedonistischen Informationssystemen vorgenommen. Da Robo Advisor, wie beschrieben, tendenziell utilitaristische Informationssysteme sind, folgt zunächst ein Überblick über Diskontinuitätsfaktoren, welche zur vollständigen Beendigung eines Informationssystems führen können, die in der bisherigen Forschung zu utilitaristischen Informationssystemen identifiziert wurden.
2.3.3 Aktueller Forschungsstand zu utilitaristischen Informationssystemen
Ziel dieses Teilabsatzes ist es, mögliche Faktoren zu identifizieren, die auch Gründe für die Einstellung zur Robo Advisor-Technologie sein könnten.
Ein zentraler Aspekt, der Nutzer dazu bringen kann, ein Informationssystem zu beenden, ist die Unzufriedenheit mit der Innovation (Bhattacherjee 2001; Nam et al. 2020; Tang et al. 2019) oder auch die Enttäuschung über ein Informationssystem (Parthasarathy und Bhattacherjee 1998; Rogers 2003; Graaf et al. 2017; Prendergast und Marr 1995). Bhattacherjee (2001) untersuchte auf der Grundlage der Theorie der Erwartungsbestätigung kognitive Überzeugungen und Affekte die die Intentionen der Nutzer beeinflussen, ein Informationssystem weiter zu nutzen. In seiner Studie fand er heraus, dass die Unzufriedenheit mit einem Informationssystem dazu führt, dass Nutzer, die das System bereits adaptiert haben, die Nutzung wieder einstellten (Bhattacherjee 2001).
Nam et al. (2020) wandten in ihrer Studie auch die Theorie der Erwartungsbestätigung an. Sie untersuchten, inwieweit das Vertrauen oder Misstrauen der Verbraucher gegenüber elektronischen Mundpropaganda-Webseiten ihr Nutzerverhalten beeinflusst. Zu diesem Zweck befragten sie 227 erfahrene Nutzer der Webseite Trip-Advisor. Ihr Ergebnis zeigte, dass die Unzufriedenheit der Nutzer mit dieser Form von Webseiten das Misstrauen der Nutzer positiv beeinflusste. Dies wiederum hatte einen positiven Effekt auf die Absicht der Nutzer, die Nutzung elektronischer Mundpropaganda-Websites einzustellen (Nam et al. 2020).
Tang et al. (2019) die als Ansatz eine Mischung aus verschiedenen Forschungsmethoden verwendeten, untersuchten die Gründe, warum Menschen aufhören, Fanseiten von Marken zu folgen. Tang et al. (2019) zeigten, dass die Unzufriedenheit mit der Informationsqualität , die Unzufriedenheit mit der Servicequalität, die Nichterfüllung der Erwartungen, die Verlagerung des Interesses und die mangelnde Übereinstimmung der Marke mit den Bedürfnissen der Person wesentlich dazu beigetragen hatten, dass die Personen aufhörten, den Websites zu folgen.
In ihrer Studie untersuchten Parthasarathy und Bhattacherjee (1998) das Abwanderungsverhalten von 229 ehemaligen Nutzern eines Online-Unternehmens. Auf Basis einer groß angelegten quantitativen Studie unter Berücksichtigung der Diffusionstheorie kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die Enttäuschung über das Informationssystem den wesentlichen Faktor für die Kündigungen darstellte. Als Indikatoren für Enttäuschung beziehungsweise Prädiktoren für die Einstellung der Nutzung wurden die wahrgenommene Nützlichkeit, die Einfachheit der Anwendung und die Kompatibilität identifiziert (Parthasarathy und Bhattacherjee 1998). In der Studie von Prendergast und Marr (1995), die sich auch auf die Diffusionstheorie stützten, erwies sich die Enttäuschung über ein Informationssystem zwar nicht als signifikanter Faktor, trug aber dennoch zur Einstellung der Nutzung der Selbstbedienungstechnologie im Bankensektor bei (Prendergast und Marr 1995).
Der Faktor Enttäuschung spielte auch in der Studie von Graaf et al. (2017) eine Rolle. Darin stellten Graaf et al. (2017) 70 Haushalten über einen Zeitraum von sechs Monaten jeweils einen autonomen Roboter zur Verfügung. In diesem Zeitraum wurden die Haushalte wiederholt bezüglich ihres Nutzerverhaltens befragt. Zweiunddreißig Haushalte, die den Roboter über einen Zeitraum von zwei bis sechs Monaten nutzten, wurden als sogenannte Abbrecher eingeordnet. Als wesentliche Beendigungspunkte nannte diese Gruppe neben dem Faktor Enttäuschung auch Gründe wie Beschränkungen und Probleme sowie wahrgenommene unzureichende Bedürfnisbefriedigung durch den Roboter (Graaf et al. 2017).
Die unzureichende Bedürfnisbefriedigung stellte auch eine wesentliche Rolle in der Studie von Hand et al. (2009) dar. Sie beschäftigten sich mit der Frage, aus welchen Gründen Individuen die Nutzung eines Online-Lebensmittelversandhandels einstellten. Als Hauptgrund nannten ehemalige regelmäßige Nutzer, dass der Online-Einkauf von Lebensmitteln und der Lieferprozess nicht ihre Bedürfnisse befriedigte. Weitere Gründe waren vor allem die anfallenden monetären Gebühren sowie individuelle Umweltfaktoren (zum Beispiel die Geburt eines Kindes) (Hand et al. 2009).
Dass sich wahrgenommene monetäre Gebühren positiv auf das Verhalten eines Individuums auswirken, ein Informationssystem nicht weiter zu nutzen, zeigt auch die Studie von Kim et al. (2009). Kim et al. (2009) führten eine Umfrage zu den Nutzungsabsichten von unter anderem 393 erfahrenen Nutzern von mobilen Datendiensten durch. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die wahrgenommenen monetären Gebühren die Absicht der Befragten, den mobilen Datenanbieter weiterhin zu nutzen, signifikant negativ beeinflussten (Kim et al. 2009), was in der Folge zur Beendigung der Nutzung des mobilen Datenanbieters beiträgt.
Wie sich Zugangs- und Nutzungsgebühren auf das Nutzungs- und Kündigungsverhalten von Personen auswirken, wird in der Studie von Danaher (2002) konkret dargestellt. In seiner Studie untersuchte Danaher (2002), wie eine ertragsmaximierende Strategie für Abonnementdienste, aus der Kombination von Zugangs- und Nutzungspreis, den Umsatz über einen bestimmten Zeitraum maximieren kann. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass die Beendigung der Nutzung von Diensten stärker mit erhöhten Zugangsgebühren als mit dauerhaften Nutzungsgebühren zusammenhängt. Andererseits zeigen die Resultate aber auch, dass eine Erhöhung der Nutzungsgebühren zu einer geringeren Nutzung der Dienste führen kann, was sich wiederum positiv auf die Absicht der Nutzer auswirken kann, die Nutzung der Abonnementdienste einzustellen (Danaher 2002).
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- Quote paper
- Kemo Konate (Author), 2022, Robo Advisor. Eine qualitative Studie zur Erklärung, warum Individuen die Nutzung von Robo Advisor einstellen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1239116
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