Der einzige Weg zu sorgfältiger Forschungsarbeit geht über eine eindeutige Definition des Begriffs „Weistum“ und der damit verbundenen Charakteristika. Wie diese Definition auszusehen hat und welche unterschiedlichen Ansätze es gibt, soll unter anderem Bestandteil dieser Arbeit sein. Weitere Ziele werden sein, eine gewisse übergreifende Struktur der Weistümer darzulegen, die sprachlichen Besonderheiten herauszuarbeiten, einen kurzen Ausblick auf die geschichtliche Entwicklung der Weistümer zu liefern und den Aspekt der Geographie auf die Weistümer hin zu untersuchen. Ebenfalls soll kurz dargestellt werden, in welchen Kontroversen die Forschungsdiskussion zurzeit stattfindet. Abschließend sollen die Weistümer als Quellengattung an sich bewertet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Weistum – Arten von Weistümern
3. Elemente der Weistümer:
4. Inhalt der Weistümer
5. Die Sprache der Weistümer
6. Das „klassische Weistum“
7. Geographische Verteilung der Weistümer:
8. Anwendung der Weistümer:
9. Entstehung der Weistümer:
10. Verfall der Weistümer:
11. Forschungsdiskussion:
12. Probleme der Weistumsforschung
13. Fazit
14. Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Kaum eine Quellengattung gibt tiefere Einblicke in das bäuerliche Alltagsleben als Weistümer. Bernhard Mangei formuliert es folgendermaßen: „In dieser besonderen Gruppe der ländlichen Rechtsquellen kommt die ‚Vielfalt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Formen’ des bäuerlichen Gemeinschaftslebens zum Ausdruck.[1]
Bereits Jakob Grimm erkannte die außergewöhnliche Bedeutung dieser Quellen und stellte die erste bekannte Weistumssammlung zusammen. Ihr sind selbstverständlich viele weitere gefolgt, und auch heute noch ist die Weistumsforschung ein bedeutender Teil der mittelalterlichen Geschichtswissenschaft.
Jedoch ist auch dieser Forschungsbereich nicht gegen Diskussionen, Definitionsstreits und Kontroversen gefeit. Allein der Begriff „Weistum“ weist bedeutende Schwierigkeiten auf. Im Spätmittelalter war der Begriff zwar in Gebrauch, jedoch regional insbesondere auf das Mittelrheingebiet und den Moselraum konzentriert.[2] Andernorts bezeichnete man es als Ehaft, Ehafttaiding, Banntaiding, Offnung, Jahrding, Landrodel etc. Vollständige Sammlungen scheinen schon allein aufgrund der unterschiedlichen Begrifflichkeiten unmöglich zu sein. Der einzige Weg zu sorgfältiger Forschungsarbeit geht über eine eindeutige Definition des Begriffs „Weistum“ und der damit verbundenen Charakteristika. Wie diese Definition auszusehen hat und welche unterschiedlichen Ansätze es gibt, soll unter anderem Bestandteil dieser Arbeit sein. Weitere Ziele werden sein, eine gewisse übergreifende Struktur der Weistümer darzulegen, die sprachlichen Besonderheiten herauszuarbeiten, einen kurzen Ausblick auf die geschichtliche Entwicklung der Weistümer zu liefern und den Aspekt der Geographie auf die Weistümer hin zu untersuchen. Ebenfalls soll kurz dargestellt werden, in welchen Kontroversen die Forschungsdiskussion zur Zeit stattfindet. Abschließend sollen die Weistümer als Quellengattung an sich bewertet werden.
2. Weistum – Arten von Weistümern
Was genau ist nun also ein Weistum? Zuallererst kann man ein Weistum als schriftlich festgehaltene „Erfragung und Weisung von Rechten“[3] definieren. Diese Definition erscheint an sich jedoch zu trivial. So muss man z.B. zwischen Weistümern unterscheiden, die tatsächlich eine Rechtsregelung enthalten und solchen, so genannten „Bannweisungen“, die nur eine Beschreibung des Bezirks beinhalten.[4] Es sei dahingestellt, wie auch Irmtraut Eder schreibt, ob diese Bannweisungen nun nur fragmentarisch überlieferte Auszüge eines auch Rechtsregelungen enthaltenden Weistums sind, oder ob in manchen Orten gar nicht erst nach dem Recht sondern nur nach dem Bezirk gefragt wurde.[5] Eine dritte „Art“ von Weistümern sind die Sendweistümer der Kirchen. Sie sind „Niederschriften der kirchlichen Rügegerichte oder Regelungen innerhalb einer Pfarrei z.B. über Baulasten, die von den Sendschöffen gewiesen wurden.[6]
Ab dem 14. und 15. Jahrhundert etablierten sich auch immer mehr so genannte Gerichtsweistümer. Charakteristisch für sie war, dass ein Gerichtsherr „[...] das Recht des für alle Dorfbewohner zuständigen Dorfgerichts von den Dorfschöffen“ erfragte.[7]
Interessant ist hierbei, dass sich nicht einfach Herr und Bauern kommunikativ gegenüberstanden, sondern Herr und Gemeinde. Der Inhalt wurde somit von den Herrenrechten aus um die Rechte und Pflichten der Gemeinde erweitert. Um es noch einmal mit anderen Worten auszudrücken: In den Gerichtsweistümern treten zum ersten Mal die Dorfgemeinden rechtlich in Erscheinung.[8]
Im 15. und 16. Jahrhundert veränderte sich der Charakter der Weistümer. Mehr und mehr gewann das sog. Formularweistum die Oberhand. Anstelle des bekannten Frage-und-Antwort-Spiels wurden nun vorgefertigte Texte verlesen, die die Schöffen und Gerichtsgemeinden nur noch in ihrer Rechtmäßigkeit zu bestätigen hatten. Inhalt war die schriftliche Fixierung des Herrenrechts. „Der Herr ist Herr über Gericht und Gemeinde, über Wasser und Weide, über Hals und Haupt usw.“[9] Dieser Schritt bedeutete eine Verschiebung in der gesamten Rechtsauffassung: ein Übergang von mündlicher Tradition zu schriftlich fixiertem Recht. Dieses Recht war losgelöst von den Menschen, gegen Vergesslichkeit gesichert und konnte mit anderem Recht direkt verglichen werden. Die Formularweistümer stellen somit den ersten Schritt in Richtung einheitliches Recht dar. Elementar ist die Verschiebung der Kommunikationsebenen der beiden „Vertragspartner“. Vom „unmittelbaren Gegenüber von Herr und Bauer hin zur Obrigkeit, die mit Hilfe einer großräumig organisierten Verwaltung regierte.“[10]
Eine weitere „Unterkategorie“ der Weistümer, die erklärt werden muss, sind die sogenannten Hub- oder Hofweistümer. Besonderes Merkmal ist, dass sie „[...] von einem Grundherrn auf dessen Fronhof von den Schöffen seines Hofgerichts erfragt [worden sind, und dass sie] ausschließlich das Recht dieser Grundherrschaft [betrafen] und meist eine Abgrenzung der Rechte von Grundherr und Vogt [beinhalteten].“[11] Der Unterschied liegt also darin, dass die Kommunikation nicht nur zwischen Herrn und Bauern stattfand, sondern zwischen Herr, Vogt und bäuerlicher Hofgenossenschaft.
Um der Vollständigkeit Willen muss an dieser Stelle auch noch kurz auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Stadtrecht und Weistümern eingegangen werden.
Vom Prinzip her gibt es einige Parallelen zwischen mittelalterlichem Stadtrecht und den Weistümern. So findet man im Stadtrecht Regelungen über Ackerbaurecht, Viehhaltung, Allmenden etc.. Ebenso finden sich Ähnlichkeiten im Familienrecht, Erbrecht und Ähnlichem. Die elementare Differenz ist jedoch der Prozess der Weisung. Stadtrechte wurden, anders als die Weistümer, von der Herrschaft „verliehen“ und nicht „gewiesen“. Natürlich weisen Dorfordnungen Ählichkeiten mit den Weistümern auf, basieren diese doch auch in starkem Maße auf bekanntem Gewohnheitsrecht, das vom Herrn durch Verleihung bestätigt wurde.
3. Elemente der Weistümer:
Seit Jakob Grimm wird der Begriff „Weistum“ als Gattungsbezeichnung für den Großteil ländlicher Rechtsquellen verwendet. Welche Elemente in einer Rechtsquelle vereint sein müssen, um sie als Weistum gelten zu lassen, ist jedoch noch immer umstritten.[12] Theodor Bühler-Reimann fast die Begriffsmerkmale folgendermaßen zusammen: „Die Rechtsweisung, dass der Kreis der Normadressaten vornehmlich aus Bauern bestehen muss, dass die Weistümer auf den Hof- und den Dorfbereich beschränkt bleiben, ihr deutschrechtlicher Charakter und dass die Initiative zu ihrer Aufzeichnung stets vom Grundherrn ausgegangen sei.“[13]
Allerdings schränkt er diese Grundelemente ein. Er schließt, dass die Rechtsweisung an sich nicht direkt ein Merkmal des Weistums sein kann, da die Rechtsweisung bereits vor der Verschriftlichung mündlichen Rechts in Weistümern stattfand. Bereits das der Verschriftlichung vorangehende, mündliche Wiedergeben im Gedächtnis verhafteten Rechts durch autorisierte Personen stellt die Rechtsweisung dar. Somit ist „ [...] nicht die Rechtsweisung als solche, sondern die Tatsache, materielles Gewohnheitsrecht zu verkunden, Begriffsmerkmal des Weistums.“[14]
Auch schließt er, dass es neben den Hof- und Dorfweistümern auch noch die so genannten Herrschafts- und Sendweistümer gibt. Dies mag zwar zutreffen, wenn man jedoch von den Weistümern als Quellen ländlichen Rechts ausgeht, so kann man Weistümer, die auf die Herrschaft, oder auf Kirche bzw. Dekanat zurückgehen getrost als „Unterform“ des herkömmlichen Weistums bezeichnen. Das Verhältnis zwischen bäuerlichen und herrschaftlichen Weistümern bekräftigt diese Untergruppierung.
Ebenfalls kein Merkmal für Weistümer ist der deutschrechtliche Charakter, da für Bühler-Reimann viele Weistümer „in großem Umfang Rezeptionen aus dem römischen Recht“[15] enthalten. Dem hält Simon Teuscher allerdings entgegen: „[...] je älter ein Weistum, desto unverfälschter spiegelt es demnach traditionelle, von bürokratischen Prinzipien und vom römischen Recht unberührte deutsche Rechts- und Herrschaftsverhältnisse wider.“[16]
Reinhold Reis zitiert Helmut Stahleders Weistumsdefinition: „Die Weistümer sind die von alters her bekannten, nunmehr schriftlich niedergelegten Grundrechte der Herrschaft gegenüber ihren Hintersassen, gewiesen und damit erneuert und anerkannt durch die Genossenschaft im Rahmen eines feierlichen Aktes bei der Eröffnung der turnusmäßig stattfindenden Gerichtsversammlung.“[17] Diese Definition mag eindeutig klingen und sich mit den bisher genannten Eigenschaften decken, jedoch weist Reis auf ein bestimmtes Problem hin: Diese Definition bezieht den Inhalt der Weistümer lediglich auf die Grundrechte der Herrschaft. Jedoch sind neben den Rechten der Herren auch die Pflichten den Bauern gegenüber ein elementarer Bestandteil. „Schutz und Schirm“ als Gegenleistung für Dienste und Leistungen bilden eine zentrales Argument in vielen Weistümern.
Ebenfalls ignoriert Stahleders Definition die „privatrechtlichen Regelungen zwischen einzelnen Mitgliedern der bäuerlichen Genossenschaft“[18], die den zentralen Punkt von Reis’ Arbeit bilden.
Interessanterweise scheint es Kollnigs Definition von 1941 zu sein, die alle Elemente berücksichtigt, im gleichen Zuge jedoch offen genug ist, um umfangreiche Weistumssammlungen ohne Probleme abdecken zu können. Dem stimmt Reis ebenfalls zu.[19]
Karl Rudolf Rollnig weist bereits 1941 darauf hin, dass eine eindeutige Definition von Weistümern aus den Qellensammlungen Jakob Grimms und anderen nicht eindeutig möglich ist. Oftmals wurden in die Sammlungen Texte integriert, die den Weistümern nur nahe standen.[20] Er ist überzeugt davon, dass sich eine Definition am besten aus der Abgrenzung zu anderen ländlichen Rechtsquellen wie Schiedssprüchen, Amtspflichten, Ordnungen etc. erstellen lässt. Elementar ist hier die Betrachtung der „älteren Form dieser Rechtsquellen“[21] und dass man nicht den Fehler begeht, die neueren, im Laufe der Jahrhunderte erheblich veränderten Weistümer zum Ausgangspunkt der Betrachtung macht. Die ursprüngliche Bedeutung von Weistum definiert er folgendermaßen: „Der ursprüngliche Sinn der Weistümer lag wohl darin, das herkömmliche Recht, das nicht neu geschaffen werden brauchte, sondern das schon in der Überlieferung der kundigen Männer vorhanden war, zu weisen, zu bezeugen, Fragen, die an die bäuerliche Genossenschaft gerichtet wurden, zu beantworten.“[22] Auch wenn Rollnig die Existenz von Sendweistümern, Reichsweistümern etc. als Fakt akzeptiert, so sieht er im Grundbegriff „Weistum“ doch eine klare Referenz zu ländlichen Rechtsquellen. Rollnig zitiert Hans Fehr, der die bereits angesprochenen erforderlichen Elemente eines Weistums zusammenfasst und bereits einige der später aufkommenden Einschränkungen und Kritikpunkte eliminiert. Die Punkte sollen an dieser Stelle noch einmal aufgeführt werden. „1. Ihr[en] gewohnheitsrechtliche[r] Charakter; 2. ihre Aufgabe, für eine dauernde Regelung der Rechtsverhältnisse der bäuerlichen Genossenschaft allein oder in ihrer Beziehung zur Herrschaft zu sorgen; 3. die Zugehörigkeit des Weistums zum bäuerlichen Lebenskreis; 4. die totale Begrenzung des Rechts; 5. die deutsche Natur des Rechts, wenigstens bis zum 16. Jahrhundert, von da an dringen römisch-rechtliche Elemente ein; 6. die bäuerliche Initiative bei der Abfassung.“[23] Dieser Charakterisierung fügt Rollnig noch einige Elemente hinzu. So zum Beispiel den Fokus auf den weisenden Charakter - die bereits diskutierte Rechtsweisung – und dass der Anstoß - diesen Eindruck gewinnt man zumindest aus den Quellen - doch häufig nicht von den Bauern gegeben wurde, sondern dass häufig auf Aufforderung der Herrschaft die Weistümer gewiesen wurden.
„Nur gewiesenes und periodisch verbündetes Recht kann also im ursprünglichen Sinne als Weistum bezeichnet werden.“[24] Durch diese Definition lässt sich eine Unterscheidung der Weistümer von anderen ländlichen Rechtsquellen leicht durchführen.
[...]
[1] Mangei 529
[2] Mangei 529
[3] Patzelt 29
[4] Eder 25
[5] Eder 25
[6] Eder 25
[7] Schmitt 163
[8] Schmitt 165
[9] Schmitt 160 f
[10] Schmitt 162
[11] Schmitt 163
[12] Bühler-Reimann 88
[13] Bühler-Reimann 87
[14] Bühler-Reimann 88
[15] Bühler-Reimann 89
[16] Teuscher, Simon. Komplikation und Mündlichkeit. In: Historische Zeitschrift 273 S. 291
[17] Reis, Reinhold: Deutsches Privatrecht in den Weistümern der Zenten Schriesheim und Kirchheim. Frankfurt 1987 S. 5
[18] Reis 5
[19] Reis 6
[20] Rollnig 15
[21] Rollnig 15
[22] Rollnig 15
[23] Rollnig 16
[24] Rollnig 17
- Arbeit zitieren
- Lars-Benja Braasch (Autor:in), 2009, Weistümer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123875
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