Ziel dieser Arbeit ist ein Vergleich der Eheproblematik in der Literatur Henrik Ibsens und Theodor Fontanes. Beschränkt werden soll die Untersuchung auf Ibsens Schauspiele Ein Puppenheim und Gespenster und auf Fontanes Romane Unwiederbringlich und Effi Briest. Als Hintergrundinformation wird jedoch zunächst einleitend beleuchtet, wie mit den Themen Ehe, Familie und Liebe in der Realität des Bürgertums im 19. Jahrhundert umgegangen wurde und wie das bürgerliche Ideal diesbezüglich aussah. Die wichtigen Ehen in den zwei zu behandelnden Werken Fontanes spielen sich zwar nicht im Bürgertum, sondern im Landadel ab, der sicher noch Standesvorurteile kannte, aber in Sachen Ehemoral kann man den Landadel sicherlich mit dem Bürgertum vergleichen. Allenfalls die ideale Ehe sah wohl etwas anders aus.
Inhaltsverzeichnis
1. Ziel dieser Arbeit
2. Ehe, Familie und Liebe im Bürgertum des 19. Jahrhunderts
2.1 Die Entstehung der bürgerlichen Familie
2.2 Das bürgerliche Ideal der Liebesheirat
2.3 Das Rollenkonzept in der bürgerlichen Familie
2.4 Ehe und Sexualität
2.5 Ehescheidung
2.6 Die Situation in Norwegen
3. Die Eheproblematik bei Ibsen
3.1 Ein Puppenheim
3.2 Gespenster
4. Die Eheproblematik bei Fontane
4.1 Unwiederbringlich
4.2 Effi Briest
5. Fazit
1. Ziel dieser Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist ein Vergleich der Eheproblematik in der Literatur Henrik Ibsens und Theodor Fontanes. Beschränkt werden soll die Untersuchung auf Ibsens Schauspiele Ein Puppenheim und Gespenster und auf Fontanes Romane Unwiederbringlich und Effi Briest. Als Hintergrundinformation wird jedoch zunächst einleitend beleuchtet, wie mit den Themen Ehe, Familie und Liebe in der Realität des Bürgertums im 19. Jahrhundert umgegangen wurde und wie das bürgerliche Ideal diesbezüglich aussah. Die wichtigen Ehen in den zwei zu behandelnden Werken Fontanes spielen sich zwar nicht im Bürgertum, sondern im Landadel ab, der sicher noch Standesvorurteile kannte, aber in Sachen Ehemoral kann man den Landadel sicherlich mit dem Bürgertum vergleichen. Allenfalls die ideale Ehe sah wohl etwas anders aus.
2. Ehe, Familie und Liebe im Bürgertum des 19. Jahrhunderts
2.1 Die Entstehung der bürgerlichen Familie
Gesellschaftliche Umschichtungen infolge der einsetzenden Industrialisierung im 18. Jahrhundert schafften die Grundlage für die Entstehung der bürgerlichen „Kernfamilie“.[1] Unterstützt wurde diese Entwicklung durch eine „Säkularisierung der Ehe um die Wende zum 19. Jahrhundert“, also „der Befreiung aus einer Bevormundung durch kirchlich-theologische Instanzen“.[2]
„Die Trennung von Wohnstätte und Arbeitsplatz bewirkte die Herauslösung der Erwerbsarbeit aus der Familie, was eine Privatisierung und Emotionalisierung des Familienlebens zur Folge hatte.“[3]
Die Familie wurde dadurch „zu einer Insel der Intimität, wo sich eine individualisierte Form der Gattenliebe … entwickeln konnte“.[4]
2.2 Das bürgerliche Ideal der Liebesheirat und die Realität
Das Bildungsbürgertum prägte entscheidend das Idealbild der bürgerlichen Ehe im 19. Jahrhundert, nämlich die Liebesheirat.[5]
Das Ideal von der „romantischen Liebe“ entstand Ende des 18. Jahrhunderts. Der romantische Liebesbegriff vereint sexuelle Leidenschaft und affektive Zuneigung, stellt mithin eine Einheit von seelischer und sinnlicher Liebe dar.[6]
Dieses idealistische Verständnis von Liebe breitete sich von der Literatur ausgehend auf das im Entstehen begriffene Bürgertum aus. Die Idee der Liebesheirat verankerte sich in dessen Bewusstsein.[7]
Die Realität allerdings war freilich vielfach noch eine andere. Zwar setzte sich die freie Partnerwahl im Bürgertum allmählich durch, aber Sach- und Vernunftehen waren nach wie vor an der Tagesordnung.[8] So war „blinde Leidenschaft, die sich über alle finanziellen Erwägungen hinwegsetzte“[9] weiterhin unerwünscht, da leidenschaftliche Liebe als etwas Vergängliches betrachtet wurde[10]. Außerdem konnten es sich junge Frauen oft nicht leisten, einen Antrag abzulehnen. Die Angst vor sozialer Isolation und als „alte Jungfer“ sitzen zu bleiben trieb manch junge Frau in die Ehe, wobei die Höhe ihrer Mitgift noch immer eine beträchtliche Auswirkung auf ihre Heiratschancen hatte.[11] „Ohne solide materielle Grundlage schien eine auf Liebe aufgebaute Ehe eine konfliktträchtige Sache und jähe Leidenschaft eine Gefahr, die es zu bekämpfen galt“.[12]
Das vom Bürgertum proklamierte Ideal der Liebesheirat wurde jedoch am ehesten in den unteren gesellschaftlichen Schichten gelebt.[13]
2.3 Das Rollenkonzept in der bürgerlichen Familie
Das bürgerliche Familien- und Rollenkonzept sah die Frau als Mutter, Gattin und Hausfrau. Die Frau war also für den häuslichen Bereich zuständig, während der Mann die Verantwortung für die Ernährung der Familie trug.[14]
Die patriarchalische Struktur der bürgerlichen Ehe und die Tatsache, dass die Frau in der Regel von ihrem Mann ökonomisch abhängig war, verhinderten eine wirkliche Gleichheit der Ehepartner, wie sie im Idealbild der „romantischen Liebe“ bestand.[15]
Oft wurde eine Gleichheit auch durch den häufig großen Altersunterschied verhindert, da Männer in der Regel erst heirateten, wenn sie eine Familie ernähren konnten. So konnte sich zwischen Mann und Frau deshalb oft nicht viel mehr als eine Vater-Tochter-Beziehung entwickeln.[16]
2.4 Ehe und Sexualität
Im bürgerlichen Ideal blieb die Ehe zwar weiterhin der einzig legitime Ort der Sexualität.[17] Allerdings waren im Bürgertum ab Mitte des 19. Jahrhunderts „nebeneheliche Verhältnisse und sexuelle Doppelmoral“ verbreitet. Und während sexuelle Erfahrungen vor der Ehe auf Seiten der Männer als selbstverständlich galten, wurde von Frauen voreheliche Enthaltsamkeit gefordert.[18]
Darüber hinaus bildete die kirchliche Heiratsgebühr für manche, hauptsächlich natürlich für Angehörige der Unterschicht, eine große Hürde für den Eintritt in den Ehestand, was zu nichtehelichen Partnerschaften, sogenannten „wilden Ehen“ führte. Auch Studenten, da diesen erst nach Abschluss ihres Studiums gestattet war zu heiraten, und Bohemiens lebten oft in wilder Ehe. Dies wurde in der Öffentlichkeit zwar geduldet, brachte aber in der Regel eine soziale Diskriminierung mit sich.[19]
2.5 Ehescheidung
Im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten, das 1794 in Kraft trat, wurde die grundsätzliche Trennungsmöglichkeit einer Ehe rechtlich geregelt. Allerdings mussten „erhebliche Ursachen“ für eine Scheidung vorliegen, wie sie auch schon das protestantische Kirchenrecht enthalten hatte.[20] Eine Neuerung und Ausnahme war eine mögliche „Scheidung auf Grund gegenseitiger Einwilligung bei unüberwindlicher Abneigung“[21].
Dieser Rechtszustand änderte sich bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahre 1900 kaum.[22]
2.6 Die Situation in Norwegen
Unter der Prämisse, dass die norwegische Literatur des Modernen Durchbruchs – hier sind beispielsweise Bjørnstjerne Bjørnson, Camilla Collett und eben Henrik Ibsen zu nennen – die Realität einigermaßen korrekt wiedergibt, kann man davon ausgehen, dass die Situation in Norwegen eine ganz ähnliche war.
Eine Scheidung wäre damals zwar auf jeden Fall nach norwegischem Recht möglich gewesen, hätte allerdings einen Skandal, ja eine Ungeheuerlichkeit bedeutet.[23]
Warum gerade in Norwegen die Eheproblematik und die Sache der Frau im Allgemeinen so plötzlich und so heftig ihren Niederschlag in der Literatur fanden, hat natürlich als Anlass die Forderung des einflussreichen dänischen Literaturkritikers Georg Brandes, Probleme müssten zur Diskussion gestellt werden. Ursache aber sind natürlich die existierenden Probleme durch die rasende Geschwindigkeit, mit der aus einer beinahe mittelalterlichen Wirtschaftsstruktur im Jahre 1840 innerhalb von 35 Jahren eine Wirtschaft mit einer Ausprägung wie in anderen europäischen Ländern wurde[24] sowie die damit verbundenen sozialen Umwälzungen, unter denen nicht zuletzt Frauen zu leiden hatten, da die mit den Veränderungen einhergehende stärkere Stellung des Patriarchats den Einfluss der Frau weiter geschmälert hatte[25].
3. Die Eheproblematik bei Ibsen
Fontane unterstellte Ibsen im Zuge einer Aufführung von dessen Gespenstern in Berlin im Jahre 1887, dass dieser in seinem Werk zwei Thesen aufgestellt habe:
Erste These: Wer sich verheiraten will, heirate nach Neigung, aber nicht nach Geld. Zweite These: Wer sich dennoch nach Geld verheiratet hat und seines Irrtums gewahr wird, ja wohl gar gewahr wird, sich an einen Träger äußerster Libertinage gekettet zu haben, beeile sich, seinen faux pas wieder gut zu machen, und wende sich, sobald ihm die Gelegenheit dazu wird, von dem Gegenstande seiner Mißverbindung ab und dem Gegenstande seiner Liebe zu.[26]
Und wenn diese Thesen unerfüllt blieben,…
…so haben wir eine hingeschleppte, jedem Glück und jeder Sittlichkeit hohnsprechende Ehe, darin im Laufe der Jahre nichts zu finden ist als Lüge, Degout und Kretinschaft der Kinder. Physisches und geistiges Elend werden geboren, Schwächlinge, Jammerlappen, Imbeciles.[27]
Abgesehen von der Frage, ob Ibsen das Ganze als so thesenhaft beabsichtigt hatte, kann vorgreifend bereits an dieser Stelle bemerkt werden, dass mit diesen Thesen Ibsen auf keinen Fall unrecht getan wird.
In Ibsens Aufzeichnungen zu den Gespenstern, die auf ein gutes halbes Jahr vor der Publikation des Stückes datiert sind[28], finden sich unter anderem folgende Notizen:
Diese Frauen der Gegenwart, misshandelt als Töchter, als Schwestern, als Gattinnen, nicht ihrer Begabung entsprechend erzogen, ferngehalten ihrem Beruf, um ihr Erbe betrogen, verbitterten Gemütes, – diese sind es, die der neuen Generation die Mütter stellen. Was ist die Folge?[29]
Sich aus äußerlichen Gründen, selbst aus religiösen oder moralischen, zu verheiraten, bringt über die Nachkommenschaft eine Nemesis.[30]
Während die zweite Notiz die Thesen Fontanes unterstreicht, so zeigt doch die erste, dass es Ibsen wohl nicht vornehmlich um Fragen der Ehe und Liebe an sich ging, sondern dass ihn vor allen Dingen das Schicksal der Frauen umtrieb, welches mit der Eheproblematik freilich untrennbar verknüpft ist. Diese Notiz hätte – zumindest bis auf die rhetorische Frage am Ende – so durchaus auch schon in den Aufzeichnungen zu Ein Puppenheim stehen können, dem sich die Aufmerksamkeit im Folgenden zuwenden soll, um im Anschluss daran genauer auf Aspekte der Ehe und Liebe in den Gespenstern einzugehen.
[...]
[1] Vgl. Schenk, H.: Freie Liebe – wilde Ehe. Über die allmähliche Auflösung der Ehe durch die Liebe. 2. Aufl. München 1988, S. 84f.
[2] Müller-Seidel, W.: Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland. Stuttgart 1975, S. 334
[3] Vgl. Wiesel, S.: Liebe und Ehe im Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Literatur und soziale Wirklichkeit. Erlangen 2005, S. 61
[4] Vgl. Schenk, S. 68
[5] Vgl. Schenk, S. 84f.
[6] Vgl. Wiesel, S. 59
[7] Vgl. ebd., S. 60
[8] Vgl. Schenk, S. 87f.
[9] Ebd., S. 89
[10] Vgl. Wiesel, S. 68
[11] Vgl. Schenk, S. 89
[12] Borscheid, P.: Geld und Liebe. Zu den Auswirkungen des Romantischen auf die Partnerwahl im 19. Jahrhundert. In: P. Borscheid & H. J. Teuteberg (Hg.): Ehe, Liebe, Tod. Münster 1983, S. 114
[13] Vgl. Schenk, S. 77
[14] Vgl. Wiesel, S. 63
[15] Vgl. Wiesel, S. 71
[16] Vgl. Schenk, S. 93
[17] Vgl. Wiesel, S. 62
[18] Vgl. Schenk, S. 90f.
[19] Vgl. Wiesel, S. 76ff.
[20] Vgl. Blasius, D.: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945. Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive. Göttingen 1987, S. 27f.
[21] Ebd., S. 30
[22] Vgl. Blasius, S. 36 u. S. 128
[23] Keel, A.: Nachwort zu Henrik Ibsen: Gespenster. Ein Familiendrama in drei Akten. Stuttgart 1997,
S. 90
[24] Vgl. Beyer, Edvard (Hg.): Norges litteraturhistorie. Bind 3. Fra Ibsen til Garborg. Oslo 1975, S. 13
[25] Vgl. ebd., S. 18
[26] Vgl. Fontane, T.: Noch einmal Ibsen und seine „Gespenster“ (1887). In: Wilhelm Friese (Hg.): Ibsen auf der deutschen Bühne. Texte zur Rezeption. Tübingen 1976, S. 56
[27] Vgl. Fontane, S. 56
[28] Vgl. Björnstad-Herzog, A.: Henrik Ibsens Bühnenkunst. Studien zu seinem Dramenbau. Zürich 1974,
S. 55
[29] aus Ibsen, H.: Nachgelassene Schriften. Band III. Berlin 1909, S. 177f., zitiert nach Björnstad-Herzog, S. 55
[30] Ebd.
- Quote paper
- Magister Artium Björn Kohlhepp (Author), 2006, Die Eheproblematik bei Ibsen und Fontane, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123855
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