Anscheinend haben sich diese beiden oben genannten Konzepte in der gegenwärtigen
Diskussion um Theorie und Praxis der Wissenschaften enorm etabliert. Wie
selbstverständlich gehören sie zum Vokabular zahlreicher wissenschaftlicher Auseinandersetzungen.
Aber es stellen sich grundlegende Fragen trotz oder gerade aufgrund
der Vielzahl an Programmen, Publikationen oder Veranstaltungen zur Thematik
Inter- bzw. Transdisziplinarität. Ist es überhaupt möglich, diese Begriffe klar zu definieren? Wenn ja, wie kann eine differenzierte Beschreibung der beiden Konzepte realisiert werden? Oft wirkt es so, dass Inter- bzw. Transdisziplinarität gerne in wissenschaftlichen Arbeiten verwendet werden, sich aber bei näherer Untersuchung als inhaltslose „Modewörter“ entpuppen. Neben dieser Begriffsanalyse muss diskutiert
werden, ob eigentlich eine Notwendigkeit für Inter- bzw. Transdisziplinarität besteht und falls dies bejaht werden kann, wo die Wurzeln dieses Bedarfes zu finden sind. In diesem Kontext wird es dann auch von Belang sein, die Möglichkeiten und Grenzen
der Konzepte möglichst genau abzustecken. Können sie sogar gänzlich die häufig
erwünschte Einheit der Wissenschaften herstellen oder zumindest einen Beitrag
dazu leisten?
Es soll in dieser Hausarbeit der Versuch unternommen werden, die oben genannten
Punkte aufzugreifen und näher zu beleuchten. Insbesondere der letzte Aspekt, die
Bedeutung der Konzepte für eine Einheit der Wissenschaften, dient hierbei als markanter
philosophischer Bezugspunkt. Der primäre Zweck der Arbeit wird nicht darin
bestehen, eine empirische Untersuchung zu soziologischen oder gar wirtschaftlichen
Gesichtspunkten vorzulegen oder spezielle interdisziplinäre Programme auf deren
Tauglichkeit zu analysieren.5 Wenn überhaupt, werden Beispiele aus der wissenschaftlichen
Praxis zur Illustration bestimmter philosophischer Phänomene genutzt.
Der Fokus liegt vordringlich auf einer wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung,
die sich aber mit den praktischen Fragen der Konzepte auch beschäftigen
muss.
Inhalt
1 Einleitung
2 Der disziplinäre Kontext der Interbzw. Transdisziplinarität
2.1 Die Ordnung der Disziplinen
2.1.1 Ein philosophie-historischer Abriss
2.1.2 Die Hierarchie der Disziplinen
2.2 Disziplinäre Notwendigkeit für Interbzw. Transdisziplinarität
3 Was ist unter Interund Transdisziplinarität zu verstehen?
3.1 Die Vielfalt der Konzepte
3.1.1 Die Definitionsgrundlagen
3.1.2 Die Konzeption von Jürgen Mittelstraß
4 Kritik der Interund Transdisziplinarität
5 Zusammenfassung
Literatur
1 Einleitung
Wenn heute ein Nutzer die Begriffe Interdisziplinarität bzw. Transdisziplinarität in einer Internet-Suchmaschine wie Google eingibt, so werden erhält dieser circa
600.000 bzw. 75.000 Ergebnisse ausgegeben. Eine Suche im Online-Katalog der Universitätsbibliothek Jena bringt 124 bzw. 60 Treffer hervor. Die Bibliographie von Margit Thea Brandl, die als Überschrift den Namen „Interdisziplinarität“ trägt, weist knapp 850 Titel auf.1 Allerdings betont die Autorin, dass der „Literaturüberblick keinerlei Vollständigkeit zu beanspruchen imstande ist“.2 Es werden Tagungen zu verschiedenen Aspekten der Transdisziplinarität organisiert wie z.B. die im Jahr 2000 durchgeführte „International Transdisciplinarity Conference“ in Zürich.3 In Bielefeld wurde sogar schon Mitte der 1960er Jahre ein „Zentrum für interdisziplinäre Forschung“ gegründet und derzeit existiert eine Vielzahl an akademischen Zusammenschlüssen, die sich Interbzw. Transdisziplinarität auf die Fahnen geschrieben haben.4 Fast alle Hochschulen offerieren zudem so genannte interoder transdisziplinär ausgerichtete Studiengänge, die dem Studenten eine umfassende und breit gefächerte Ausbildung bieten sollen. Dazu soll ebenfalls das Studium generale dienen, in dem Studenten Veranstaltungen fachfremder, universitärer Einrichtungen besuchen sollen.
Anscheinend haben sich diese beiden oben genannten Konzepte in der gegenwärtigen Diskussion um Theorie und Praxis der Wissenschaften enorm etabliert. Wie selbstverständlich gehören sie zum Vokabular zahlreicher wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Aber es stellen sich grundlegende Fragen trotz oder gerade aufgrund der Vielzahl an Programmen, Publikationen oder Veranstaltungen zur Thematik Interbzw. Transdisziplinarität. Ist es überhaupt möglich, diese Begriffe klar zu definieren? Wenn ja, wie kann eine differenzierte Beschreibung der beiden Konzepte realisiert werden? Oft wirkt es so, dass Interbzw. Transdisziplinarität gerne in wissenschaftlichen Arbeiten verwendet werden, sich aber bei näherer Untersuchung als inhaltslose „Modewörter“ entpuppen. Neben dieser Begriffsanalyse muss diskutiert werden, ob eigentlich eine Notwendigkeit für Interbzw. Transdisziplinarität besteht und falls dies bejaht werden kann, wo die Wurzeln dieses Bedarfes zu finden sind.
In diesem Kontext wird es dann auch von Belang sein, die Möglichkeiten und Grenzen der Konzepte möglichst genau abzustecken. Können sie sogar gänzlich die häufig erwünschte Einheit der Wissenschaften herstellen oder zumindest einen Beitrag dazu leisten?
Es soll in dieser Hausarbeit der Versuch unternommen werden, die oben genannten Punkte aufzugreifen und näher zu beleuchten. Insbesondere der letzte Aspekt, die Bedeutung der Konzepte für eine Einheit der Wissenschaften, dient hierbei als markanter philosophischer Bezugspunkt. Der primäre Zweck der Arbeit wird nicht darin bestehen, eine empirische Untersuchung zu soziologischen oder gar wirtschaftlichen
Gesichtspunkten vorzulegen oder spezielle interdisziplinäre Programme auf deren Tauglichkeit zu analysieren.5 Wenn überhaupt, werden Beispiele aus der wissenschaftlichen Praxis zur Illustration bestimmter philosophischer Phänomene genutzt. Der Fokus liegt vordringlich auf einer wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung, die sich aber mit den praktischen Fragen der Konzepte auch beschäftigen muss.
2 Der disziplinäre Kontext der Interbzw. Transdisziplinarität
Schon aus der sprachlichen Zerlegung der Wörter Interund Transdisziplinarität mag zu erkennen sein, was mit den beiden Begriffen gemeint ist.6 „Inter“ und
„trans“ stammen aus dem Lateinischen und bedeuten soviel wie „zwischen“ und
„über“. Im Zusammenhang mit Disziplinarität könnte der Schluss gezogen werden, dass Interbzw. Transdisziplinarität prinzipiell das Gleiche beinhaltet und generell die Überschreitung von Disziplingrenzen bedeutet. So kurz und vielleicht auch oberflächlich einleuchtend diese Begriffseinordnung sich hier darstellen mag, so komplex und vielfältig ist die tatsächliche Auseinandersetzung mit den dahinter stehenden Konzepten. Probleme hinsichtlich der Begriffsbestimmung tun sich schon alleine dadurch auf, dass differenzierende Definitionen von bestimmten Autoren vorgegeben werden und generell ein ‚common sense’ nur unzureichend zu erzielen ist. Es würde keinen Erkenntnisfortschritt bringen und auch den Rahmen dieser Arbeit bei weiten überschreiten, die ganze Fülle an möglichen Modellen jetzt hier anzuführen und spärlich bzw. gar nicht zu erläutern. Das würde außerdem die philosophische Dimension der Thematik völlig untergraben. An dieser Stelle ist demzufolge eine Betrachtung durchzuführen, welche ausgehend vom Problem die angebotenen Lö- sungsvorschläge erläutert und kritisch diskutiert. Dies ist jedoch in Bezug auf diese Thematik nur möglich, indem vorangehend die disziplinären Strukturen der Wissenschaften gründlich analysiert und hinterfragt werden.
2.1 Die Ordnung der Disziplinen
Bevor Interbzw. Transdisziplinarität genauer zu bestimmen ist, sollte zunächst erläutert werden, was unter einer Disziplin verstanden werden kann. Es wird sich zeigen, dass schon die Diskussion über die Gliederung der Disziplinen gewichtige Probleme bezüglich des Verständnisses von Wissenschaft zum Vorschein bringt.
2.1.1 Ein philosophie-historischer Abriss
Die Versuche zur systematischen Ordnung der wissenschaftlichen Disziplinen sind so alt wie die Geschichte der Philosophie selbst. Es zeigt das Bestreben auf, Wissen unter einem Aspekt der Einheitlichkeit zu subsumieren und gleichzeitig gegenüber Formen anderen Wissens abzugrenzen.7 Bis zu den antiken Denkern reicht die Tradition zurück, die auf der metaphysischen Prämisse basierte, dass sich in der der Natur sowohl die Vielfalt als auch die Einheit der Wissenschaften widerspiegelt.8 Die platonisch-phytagoräische Schule begründet die „Artes liberales“ mit den Disziplinen Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, Logik, Dialektik und Rhetorik.9 Aristoteles verdeutlicht in seiner metaphysischen Abhandlung die Einteilung in theoretische und praktische Disziplinen.10
Neuen Aufschwung in der neuzeitlichen Debatte erhielt diese Thematik durch die französischen Aufklärer um Diderot und d’Alembert. In ihrer Mitte des 18. Jahrhunderts herausgegeben Enzyklopädie werden die drei Vermögen Gedächtnis, Vernunft und Einbildungskraft als Orientierungspunkte zur Einordnung der Disziplinen genutzt.11 Ebenso entwickelt Kant ein wissenschafts-organisatorisches Modell, welches die philosophische von den drei oberen Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin) abgrenzt. Anwendung fand dieses Schema in der Universität nach Humboldt’schen Vorbild.12
Maßgebliche, neuere Klassifikationen von Disziplinen finden sich bei Autoren wie Auguste Comte, Wilhelm Dilthey oder dem Neukantianer Wilhelm Windelband. Comte entwickelte - basierend auf einer Fortschrittsthese - eine Hierarchie der Dis- ziplinen anhand des erreichten Grades an Positivität, also demjenigen, was tatsächlich beobachtbar ist.13 Die stufenförmige Reihenfolge geht hierbei von der Mathematik aus über die Astronomie, Physik, Chemie, Biologie und bis schließlich hin zur komplexesten Wissenschaft, der Soziologie. Bei Dilthey werden Naturund Geisteswissenschaften gegenübergestellt, während Windelband das Verhältnis von nomothetischen und idiographischen Wissenschaften hervorhebt.14
Anhand dieser kurzen historischen Beschreibung wird schon deutlich, dass es ein Bedürfnis gab und immer noch gibt, Wissenschaft zu klassifizieren. Es geht jedoch nur unzureichend hervor, worin die grundlegenden Ansätze zur Bestimmung und Differenzierung der Disziplinen bestehen. Dies soll im kommenden Kapitel näher erläutert werden.
2.1.2 Die Hierarchie der Disziplinen
Im Katalog des Deutschen Hochschulverbandes wurden bereits 1980 rund 4000 Fä- cher aufgelistet.15 Anhand dieser Zahl drückt sich wohl eher eine bürokratischarbiträre Universitätsstruktur aus als eine systematisch ausgereifte Ordnung der Disziplinen.16 Allerdings sollte in dieser Hinsicht auch die Unterscheidung zwischen Fach und Disziplin näher beleuchtet werden. Es sollte nämlich nicht der Fehler begangen werden, Fächer und Disziplinen als austauschbare Termini zu behandeln. Die Aussage, dass Fach gleich Disziplin ist und Disziplin gleich Fach ist, wird häufig praktiziert, ist jedoch eine grobe und Missverständnisse provozierende Vereinfachung.17 So geht Heinz Heckhausen davon aus, dass „den Tausenden von Fächern […] nur wenige ‚Disziplinen’ im Sinne von Disziplinaritäten“ gegenüberstehen.18 Folgend schätzt Jürgen Kocka die Anzahl der Disziplinen auf 20 bis 30 Vertreter, welche verschiedene Fachgruppen zusammenfassen.19 Disziplinen sind hierbei durch Methoden und Theorien gekennzeichnet, die sich im Sinne Kuhns zu einem Paradigma zusammenschließen und eine einheitsstiftende Identität bzw. ein „theoretisches Integrationsniveau“ entfalten.20 Die Fächer sind den Disziplinen untergeordnet und ihre Struktur lässt sich beliebig und mannigfaltig ausdifferenzieren.21 Jedoch ist eine Eins-zu-Eins-Bestimmung von Fach und Disziplin nicht immer möglich. So kann ein Fach unter den Perspektiven verschiedener Disziplinaritäten betrieben werden.22 Ein prägnantes Beispiel wäre die Psychologie, die eine interessante historische Entwicklung dahingehend durchgemacht hat. Seit dem frühen 19. Jahrhundert dem geisteswissenschaftlichen oder auch verstehenden Paradigma tief verbunden, erweiterte und verschob sich ihr Methodenspektrum um empirischnaturwissenschaftliche Instrumente.23 Auch die Biologie kann auf verschiedenen theoretischen Integrationsniveaus betrieben werden, sowohl molekular, morphologisch oder auch verhaltenstheoretisch.24 In diesem Zusammenhang kann auch weiterhin zwischen komplementären und diskriminierenden Disziplinaritäten unterschieden werden.25 Erstere bezeichnen das "Sowohl-als-auch" der Methoden, während letztere die konträre Auseinandersetzung mehrerer Methoden um die führende Disziplinarität in dem Fach charakterisiert.
Die Untergliederung in eine bestimmte Anzahl an Fächern und Disziplinen ist kein naturgegebener Fakt, sondern historisch-institutionell bedingt. Die Tradition wurde in den obigen Ausführungen schon kurz dargelegt. Allerdings sind all diese Unterteilungen mehr oder weniger als kontingent und willkürlich einzustufen.26 So ist es auch nicht verwunderlich, dass eine dauerhaft gültige Unterteilung der Disziplinen nur sehr bedingt zu halten ist. Schon die Einordnung berühmter Wissenschaftler zu einer bestimmten Disziplin stellt ein schwieriges Unterfangen dar.27 Ist Adorno ein Philosoph oder ein Soziologe? Blaise Pascal – Physiker, Mathematiker oder Philosoph? Auf diese Fragen ad hoc eine eindeutige Antwort geben zu wollen erscheint zweifelhaft.
[...]
1 vgl. BRANDL (1996:122)
2 BRANDL (1996:7)
3 vgl. MITTELSTRAß (2003:5)
4 vgl. die Beiträge in KOCKA (1987), die auch die besondere Leistung Helmut Schelskys für die Gründung der Forschungseinrichtung in Bielefeld betonen.
5 Zur empirischen Untersuchung ausgewählter, transdisziplinärer Forschungsprozesse sei beispielsweise auf Teil B der Aufsatzsammlung von BRAND (2000a) verwiesen.
6 Es wäre durchaus denkbar gewesen, an dieser Stelle zunächst eine Begriffserläuterung zu geben und daraufhin die Bedeutung interbzw. transdisziplinärer Praxis zu erläutern. Zum besseren Verständnis der Problematik bevorzuge ich jedoch die umgekehrte Variante.
7 Vgl. GUTMANN (2005:70)
8 vgl. MAINZER (1993:31)
9 vgl. MAINZER (1993:19)
10 vgl. ARISTOTELES, 1025b20
11 vgl. MITTELSTRAß (2000:47)
12 vgl. MAINZER (1993:21)
13 vgl. MARQUARD (2000:60)
14 vgl. KÜPPERS (2000:93f.)
15 vgl. KAUFMANN (1987:64)
16 vgl. GRÄFRATH et al. (1991:184)
17 vgl. MITTELSTRAß (1989:69)
18 HECKHAUSEN (1987:130)
19 vgl. KOCKA (1991:130)
20 BÖSCHEN (2000:51)
21 vgl. MITTELSTRAß (1989:70)
22 vgl. HECKHAUSEN (1987:130f.)
23 vgl. IMMELMANN (1987:82)
24 vgl. BÖSCHEN (2000:51)
25 vgl. MITTELSTRAß (1987:34)
26 vgl. MITTELSTRAß (2000:47)
27 vgl. KRÜGER (1987:110)
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