Portugal gilt zwar heute als einer der westeuropäischen Staaten, jedoch kommt das Land in vielen theoretischen politischen Überlegungen, die über diesen Teil Europas gemacht worden sind, überhaupt nicht vor. Eine der bekanntesten Theorien der Politikwissenschaft dazu ist das Cleavage-Modell von Lipset und Rokkan. Ihre Überlegungen klassifizieren eine bestimmte Anzahl von Ländern als westeuropäisch. Portugal kommt jedoch in ihrem Modell nicht vor. Das Land wird heute de facto zu den westeuropäischen gezählt, nicht nur geographisch liegt es so, sondern auch politisch zählt es als Mitglied der Europäischen Union seit deren Beginn 1992 (1986 Eintritt in die EG) dazu - aber stimmt diese Zuordnung auch unter theoretischen Gesichtspunkten? Diese Frage will die folgende Arbeit in Bezug auf das Lipset/Rokkan-Modell versuchen, zu beantworten. Dazu werden zunächst die hier relevanten theoretischen Grundlagen und Überlegungen des Modells vorgestellt. Danach wird eine kurze Übersicht der politischen und kulturellen Geschichte Portugals im für die Arbeit benötigten Zeitraum gegeben, wobei die Daten sich auf die für das Modell wesentlichen beschränken werden. Daraufhin werden Theorie und Fakten miteinander verglichen.
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Cleavage- Modell
2.1. Historische Grundlagen
2.2. Cleavages
2.3. Die ‚Übersetzung‘ von Cleavages in ein Parteiensystem
3. Portugal
3.1. Historische Grundlagen
3.2. Die vier Konfliktlinien in Portugal
3.3. Die ‚Übersetzung‘ von Cleavages in ein Parteiensystem
3.4. Das Parteiensystem seit 1974
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Elektronisches Ressourcenverzeichnis
1. Einleitung
Portugal gilt zwar heute als einer der westeuropäischen Staaten, jedoch kommt das Land in vielen theoretischen politischen Überlegungen, die über diesen Teil Europas gemacht worden sind, überhaupt nicht vor. Eine der bekanntesten Theorien der Politikwissenschaft dazu ist das Cleavage-Modell von Lipset und Rokkan.[1] Ihre Überlegungen klassifizieren eine bestimmte Anzahl von Ländern als westeuropäisch. Portugal kommt jedoch in ihrem Modell nicht vor. Das Land wird heute de facto zu den westeuropäischen gezählt, nicht nur geographisch liegt es so, sondern auch politisch zählt es als Mitglied der Europäischen Union seit deren Beginn 1992 (1986 Eintritt in die EG) dazu - aber stimmt diese Zuordnung auch unter theoretischen Gesichtspunkten? Diese Frage will die folgende Arbeit in Bezug auf das Lipset/Rokkan-Modell versuchen, zu beantworten. Dazu werden zunächst die hier relevanten theoretischen Grundlagen und Überlegungen des Modells vorgestellt. Danach wird eine kurze Übersicht der politischen und kulturellen Geschichte Portugals im für die Arbeit benötigten Zeitraum gegeben, wobei die Daten sich auf die für das Modell wesentlichen beschränken werden. Daraufhin werden Theorie und Fakten miteinander verglichen. Als hauptsächliche Grundlage hierzu dient eine Länderstudie von Andreas Baumer[2] zu diesem Thema. Schließlich wird die Arbeit in einem Fazit das Erarbeitete zusammenfassen und die zu Beginn gestellte Frage zu beantworten versuchen: Kann Portugal nach den Maßstäben des Cleavage-Modells überhaupt zu den westeuropäischen Demokratien gezählt werden? Und wenn nein, ist demzufolge das Modell an sich in Frage zu stellen?
2. Das Cleavage- Modell
Die Cleavage -Theorie entspringt der empirischen Wahlforschung und wird dort zu den makrosoziologischen Erklärungsansätzen des Wahlverhaltens gezählt. Sie integriert sowohl sozialhistorische als auch politikgeschichtliche Elemente und wurde 1967 von den beiden Wissenschaftlern Seymor M. Lipset und Stein Rokkan entwickelt, um „auf empirischer Basis die historischen Entwicklungen und sozialstrukturellen Bezüge unterschiedlicher nationaler Parteiensysteme vergleichend untersuchen zu können“[3]. Einfacher gesagt versucht sie, Wahlergebnisse anhand langfristiger Konfliktlinien – Cleavages - in der Gesellschaft zu erklären. Mit Cleavage (englisch cleavage, wörtlich: "Kluft", "Spaltung") ist dabei eine auf die politische Ebene übertragene soziale Spaltung innerhalb einer Gesellschaft gemeint, die die Befürworter und Gegner bei einer politischen Entscheidung trennt.[4] Die Entstehung und Entwicklung von politischen Parteien und die Konsolidierung nationaler Parteiensysteme hängt nach der Theorie von der Konfliktstruktur und der Umwandlung von Cleavages auf eine institutionelle Dimension innerhalb einer Gesellschaft ab.
2.1. Historische Grundlagen
Lipset und Rokkan stoßen bei ihrer Untersuchung von über ein Dutzend Ländern auf eine Reihe grundlegender Gemeinsamkeiten in der Struktur von westeuropäischen Parteiensystemen, was die Wissenschaftler auf gemeinsame historische Erfahrungen im Demokratisierungsprozess der Länder zurückführen.[5]
Mit diesen historischen Erfahrungen sind die beiden bzw. eigentlich drei großen Prozesse gemeint, die „die Entwicklung des modernen Europa geprägt haben“[6]:
1. die Reformation und die Nationwerdung der einzelnen Länder, die Lipset und Rokkan jedoch als eine, nämlich die nationale Revolution definieren, die zu politischer Modernisierung, Säkularisierung und zur Herausbildung von Nationalstaaten führt;
2. die industrielle Revolution, die eine ökonomische und soziale Modernisierung und die Herausbildung eines industriellen Kapitalismus mit sich bringt.[7]
2.2. Cleavages
Aus diesen Prozessen heraus entwickelten sich laut der Theorie die vier Cleavages, die als Hauptkonfliktlinien die westeuropäischen Parteiensysteme geprägt haben.
1. Die Konfliktlinie zwischen Zentrum und Peripherie: auf der einen Seite stehen die politischen Eliten, die einen zentralistischen Staat verwirklichen möchten, auf der anderen Seite periphere Gruppen, die aus territorialen, ethnischen, sprachlichen oder allgemein kulturellen Gruppen ihre Autonomie bewahren möchten.
2. Die Konfliktlinie zwischen Nationalstaat und Kirche: hier sind die Fronten jeweils die staatlichen und die religiösen Eliten, die sich darum streiten, ob überhaupt und wenn, wie viel Macht der katholischen Kirche im Staat zugebilligt wird oder werden soll.
3. Die Konfliktlinie zwischen Stadt und Land, „between the landed interests and the rising class of industrial entrepreneurs“[8]: hier stehen sich die Interessen der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung (Landbesitzer, Bauern) und die in der Industrie, in kommerziellen Betrieben arbeitenden Bevölkerung (Unternehmer, Arbeiter) entgegen.
4. Die Konfliktlinie zwischen den sozialen Klassen: auf der einen Seite sind bei diesem, uns heute noch bekanntesten Konflikt die Arbeiter mit ihren Interessen vertreten, auf der anderen Seite die Unternehmer, also Arbeitgeber.
Dabei sind zwei der oben genannten Cleavages laut Lipset und Rokkan direkte Produkte der nationalen Revolution, nämlich der Konflikt zwischen dem Nationalstaat und regionalen Bevölkerungsgruppen einerseits und dem Nationalstaat und der Kirche andererseits. Die anderen zwei der fundamentalen Konfliktlinien hat die industrielle Revolution aufgeworfen. Der Konflikt zwischen Landbesitz und industriellen Unternehmern ist der eine, der andere ist derjenige zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer.[9]
2.3. Die ‚Übersetzung‘ von Cleavages in ein Parteiensystem
Im zweiten Teil ihrer Theorie weisen Lipset und Rokkan nun darauf hin, dass aus den Cleavages nicht so ohne weiteres Parteien und somit Parteiensysteme entstehen und geben somit auch eine Erklärung, warum es trotz der gemeinsamen Grundlagen Unterschiede in den von ihnen untersuchten Parteiensysteme gibt.
Entsprechend dem zweiten Teil der Cleavage-Theorie kommt es jedoch nur dann zur Ausbildung dauerhaft institutionalisierter Konfliktlinien (cleavages), wenn politische Eliten entsprechende gesellschaftliche oder soziale Konflikte aufgreifen und in Abhängigkeit von den Rahmen-bedingungen des politischen Systems parteipolitisch umsetzen.[10]
[...]
[1] Seymor M. Lipset, Stein Rokkan: Cleavage Structures, Party Systems, and Voter Alignments. An Introduction. In: Dies. (Hrsg.): Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives. New York 1967, S. 1-64
[2] Andreas Baumer: Jenseits der Pyrenäen: Parteiensysteme und gesellschaftliche Konflikte in Spanien und Portugal. In: Ulrich Eith, Gerd Mielke(Hrsg.): Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme. Wiesbaden 2001, S. 141-156
[3] Ulrich Eith, Gerd Mielke: Einleitung. In: Dies.(Hrsg.): Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme. Wiesbaden 2001, S.11
[4] Vgl. Franz Urban Pappi: Cleavage. In: www.politikwissen.de URL: http://www.politikwissen.de/lexikon/ cleavage.html (24.09.2005)
[5] Vgl. Ulrich Eith, Gerd Mielke: Wahlforschung: Zur Bedeutung und Methodik empirischer Sozialforschung in der Politikwissenschaft. In: Manfred Mols u.a. (Hrsg.): Politikwissenschaft: Eine Einführung. 3. Auflage, Paderborn 2001, S. 325f.
[6] Andreas Ladner: Stabilität und Wandel von Parteien und Parteiensystemen. Wiesbaden 2004, S. 32
[7] Ebd., S.32f
[8] Seymor M. Lipset, Stein Rokkan: Cleavage Structures, S. 14
[9] Vgl. Andreas Ladner: Stabilität und Wandel von Parteien und Parteiensystemen, S. 33
[10] Ulrich Eith, Gerd Mielke: Einleitung, S.11
- Quote paper
- Michaela Rhino (Author), 2005, Das Cleavage-Modell von Lipset und Rokkan am Beispiel von Portugal, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123734
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