Kinder aus alkoholbelasteten Familien gelten als Hochrisikogruppe in Bezug
auf die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung. Es besteht zudem ein
erhöhtes Risiko, eine psychische, soziale und/oder somatische Störung im
Kindes-, und Jugend- sowie im Erwachsenenalter zu entwickeln. Mit der Frage,
welche Unterstützung im Rahmen der Suchtprävention angemessen erscheint
bzw. für die Zielgruppe „Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten
Familien“ am wirksamsten ist, beschäftigt sich die gegenständliche
Diplomarbeit. Mit Hilfe einer ExpertInnenbefragung bei MitarbeiterInnen einer
Fachstelle für Prävention- und Gesundheitsförderung wird beleuchtet, ob
generalpräventive Maßnahmen für die Risikogruppe ausreichend sind oder ob
es zielgenaue selektive Präventionsmaßnahmen benötigt. Mit der Darstellung
und Diskussion der Ergebnisse sollen Impulse für die suchtpräventive Arbeit mit
der Zielgruppe: „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“ beigesteuert werden.
Inhaltsverzeichnis
1 EINFÜHRUNG
1.1 Forschungsinteresse und Einschränkung des Themenfeldes
1.2 Fragestellung
1.3 Forschungsverlauf
1.4 Gliederung der Arbeit
2 THEORETISCHER TEIL
2.1 Inhalte und Strategien der Suchtprävention
2.1.1 Definition Suchtprävention
2.1.2 Entwicklung der modernen Suchtprävention
2.1.3 Präventionstypen
2.1.4 Zielgruppe der Suchtprävention
2.1.5 Ziele der Suchtprävention
2.1.6 Ansätze und Strategien der modernen Suchtprävention
2.2 Suchtprävention für die Risikogruppe „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“
2.2.1 „Encare“(European Network for Children Affected by Risky Environments)
2.2.2 Kurzbeschreibung des Forschungsprojekts: „Kinder aus suchtbelasteten Familien – Theorie und Praxis der Prävention“
2.2.3 MultiplikatorInnenschulung - Curriculum
2.2.4 Direkte Angebote für Kinder aus alkoholbelasteten Familien
2.3 Theoretisches Hintergrundwissen zum spezifischen Thema
2.3.1 Alkohol im Kontext Familie
2.3.2 Psychopathologische Auswirkungen der elterlichen Alkoholabhängigkeit
2.3.3 Transmission der Alkoholabhängigkeit
2.3.4 Resilienz
3 PRAKTISCHER TEIL
3.1 Grounded Theory
3.1.1 Kurz zur Grounded Theory
3.1.2 Vertiefung zur Grounded Theory
3.2 Datenerhebung
3.2.1 ExpertInneninterviews
3.2.2 Interviewleitfaden
3.2.3 Zugang zum Feld
3.2.4 Durchführung der Interviews
3.2.5 Transkription
3.3 Präzisierung der Fragestellungen
3.4 Datenauswertung - Anwendung der Grounded Theory
3.4.1 Kodieren
3.4.2 Eingrenzung der Zielsetzung
3.4.3 Theoretisches Sampling/Kontrastieren
3.4.4 Identifikation der zentralen Kernkategorie (selektives Kodieren)
3.4.5 Integration der Theorie
4 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE
5 DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE
5.1 Kategorie: Bewertung eines spezifischen Präventionsansatzes
5.1.1 Gefahr der Stigmatisierung
5.1.2 Berücksichtigung von Resilienzfaktoren
5.2 Kategorie: Erreichbarkeit der Zielgruppe durch ein direktes Angebot
5.2.1 Direktes generalpräventives Angebot
5.2.2 Direktes spezifisches Angebot bei gleichzeitiger therapeutischer Unterstützung der Eltern
5.3 Kategorie: Sinnhaftigkeit einer themen-spezifischen Fortbildung für MultiplikatorInnen
5.3.1 Sinnvoll - im Sinne von Sensibilisierungsarbeit jedoch bei gleichzeitiger Bedenken
5.3.2 Ein spezifisches Angebot wird als nicht sinnvoll erachtet
6 THEORETISCHES KONTRASTIEREN
7 INTERPRETATION UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE
8 LITERATURVERZEICHNIS
1 Einführung
In Österreich leben ca. 250.000 minderjährige Kinder in Familien, wo mindestens ein Elternteil eine Alkoholabhängigkeit aufweist oder eine Alkoholgefährdung hat (vgl. Springer 2005, S. 1ff). Kinder aus alkoholbelasteten Familien gelten als Hochrisikogruppe in der Suchtvorbeugung. Sie weisen ein sechsfach erhöhtes Risiko auf selbst irgendwann eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln. Zudem ist das Risiko eine psychische, soziale und somatische Störung, sowohl im Kindes– und Jugendalter, als auch im Erwachsenenalter zu entwickeln ebenfalls erhöht. Jedoch spielen hierbei zahlreiche Risiko– und Schutzfaktoren bei der Transmission solcher Störungen eine signifikante Rolle. Ausschlaggebend sind u.a. familiäres Umfeld, kognitive Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften des Kindes, sowie genetische Disposition (ebd.). Zudem machen unterschiedliche Studien u.a. von Werner (1989) darauf aufmerksam, dass es eine Vielzahl an Kindern aus alkoholbelasteten Familien gibt, die sich trotz „aversiver“ familiärer Erfahrungen, gesund entwickeln.
Dies lässt die negative Sichtweise der „Risikofaktoren“ in den Hintergrund treten und vermehrt den Blickwinkel auf jene Mechanismen (Schutzfaktoren) lenken, welche eine gesunde Entwicklung begünstigen. Für die praktische Arbeit hat dieser Paradigmenwechsel in der Literatur von „Kindern aus alkoholbelasteten Familien“ eine zentrale Bedeutung. Risikofaktoren wie (elterliche Suchterkrankung, komorbide Störung oder elterliche Streitigkeiten) sind nur schwer veränderbar, während PraktikerInnen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, der Auf– bzw. Abbau von Schutz- und Risikofaktoren bei dieser Zielgruppe, vergleichsweise leichter fällt (vgl. Puhm et al. 2008, S. 4).
Werden derzeitige Standards in der Prävention und Frühintervention begutachtet, fällt auf, dass Kinder aus alkoholbelasteten Familien immer noch weitgehend vergessen werden.1 Kinder aus alkoholbelasteten Familien gehören demnach zu einer vernachlässigten Problemgruppe in Forschung und Praxis. In diesem Sinne kommt der Frage nach einer sinnvollen Unterstützung für diese Zielgruppe im Bereich der Suchtprävention eine zentrale Stellung zu.
1.1 Forschungsinteresse und Einschränkung des Themenfeldes
Ausgangspunkt für die gegenständliche Diplomarbeit war das vom Fonds „Gesundes Österreich“ geförderte Projekt „Kinder in alkoholbelasteten Familien – Theorie und Praxis der Prävention in Österreich“. Welche unter der Leitung des Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung (LBI–Sucht) durchgeführt wurde. Ziel dieser wissenschaftlichen Studie war es eine umfassende Aufarbeitung der Theorie zum Thema „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“ sowie die Synthese von Praxiserfahrungen der ExpertInnen in den Bereichen der Suchtprävention. Die Ergebnisse sollten als Grundlage für Prävention und Schadensbegrenzung bei Kindern alkoholabhängiger Eltern dienen.2
Die im Rahmen der Studie durchgeführten ExpertInneninterviews ergaben, dass in Österreich betroffene Kinder hauptsächlich über implizite Angebote von Kinderhilfseinrichtungen betreut werden. Explizite Angebote im Sinne von selektiven Präventionsmaßnahmen (vgl. Kap 2.2) gibt es nur vereinzelt.
1.2 Fragestellung
Die im Rahmen der wissenschaftlichen Studie des LBI-Sucht (vgl. Kap. 2.2.2) gewonnene Erkenntnis, dass es in Österreich für Kinder aus alkoholbelasteten Familien kaum explizite Angebote im Sinne von selektiven Präventionsmaßnahmen gibt, lässt danach fragen ob die Zielgruppe im Rahmen von generalpräventiven Maßnahmen erreicht wird.
Ziel meiner Diplomarbeit ist es, Angebote der primären Suchtprävention im deutschsprachigen Raum dahingehend zu untersuchen, ob sie für die Hochrisikogruppe „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“ adäquat und geeignet sind oder ob es selektive Präventionsmaßnahmen benötigt.
1.3 Forschungsverlauf
Der qualitativen Forschungsarbeit gingen eine systematische Literatur– und Internetrecherche als auch ein umfassendes Quellenstudium voraus. Bei einer Fachtagung in Salzburg zum Thema „Kinder in suchtbelasteten Familien – Theorie und Praxis der Prävention“ besuchte ich den Workshop „Grundlagen für multiprofessionelle Fortbildung zum Thema: „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“, welcher wesentlich zur genauen Formulierung der spezifischen Fragestellungen sowie der Entwicklung des Interviewleitfadens beitrug. Das weitere Vorgehen beinhaltete die empirische Erfassung der Angebote einer Fachstelle für Suchtprävention, im speziellen Angebote der Primärprävention sowie die Einschätzung der PraktikerInnen welches Angebot für die Zielgruppe „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“ zielführend ist. Zu diesem Zweck wurden 5 ExpertInneninterviews mit den MitarbeiterInnen der Fachstelle geführt. Bei der Durchführung orientierte ich mich am Modell von Meuser und Nagel (1991) einem Modell zur Durchführung von ExpertInneninterviews. Die Auswertung der ExpertInneninterviews basierte auf der Grundlage der „Grounded Theory“. Dabei handelt es sich um einen sozialwissenschaftlichen Ansatz, welcher durch die systematische Auswertung, vor allem qualitativer Daten, eine Theoriegenerierung zum Ziel hat (vgl. Strauss/Corbin 1996, S.8ff).
1.4 Gliederung der Arbeit
Das erste Kapitel des theoretischen Teils beschäftigt sich mit der modernen Suchtprävention. In diesem Sinne erfolgt zunächst eine Definition von Suchtprävention und deren gängigsten Begrifflichkeiten. Infolge werden Präventionstypen, Zielgruppe der Prävention sowie Ziele, Inhalte und Strategien der primären Suchtprävention erläutert.
Im zweiten Kapitel erfolgt eine Auseinandersetzung mit Inhalten und Strategien spezifischer Angebote, welche ausschließlich an die Zielgruppe „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“ gerichtet sind. Hierfür wird zunächst ein kurzer Überblick über das vom Fonds „Gesundes Österreich“ geförderte Forschungsprojekt “Kinder in alkoholbelasteten Familien – Theorie und Praxis der Prävention“ gegeben. Daran schließt eine Auseinandersetzung mit indirekten Angeboten (spezifische MultiplikatorInnenschulung) für die Zielgruppe und die Darstellung des vom Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI-Sucht) entwickelten „Grundkonzept eines Fortbildungscurriculums“. Abschließend werden Inhalte und Strategien von direkten spezifischen Angeboten für die Zielgruppe beleuchtet.
Im dritten Kapitel wird das theoretische Hintergrundwissen vermittelt, das zum Verständnis des Themas „Kinder aus alkoholbelasteten Familien“ beiträgt.
Hierfür wird zunächst ein Überblick über die familiären Rahmenbedingungen in alkoholbelasteten Familien gegeben. Anschließend erfolgt eine kurze Auseinandersetzung mit den so genannten Rollenmodellen, welche als Anpassungs- und Bewältigungsstrategien bei diesen Kindern verstanden werden können. Daran schließt die Diskussion über mögliche psychopathologische Auswirkungen der elterlichen Alkoholabhängigkeit auf deren Kinder.
Des Weiteren wird das Thema der Transmission der Alkoholabhängigkeit, d.h. der Weitergabe der Alkoholabhängigkeit von einer Generation auf die Nächste, behandelt. Zunächst wird beschrieben, inwiefern eine genetische Disposition die Transmission einer Alkoholabhängigkeit beeinflusst. Anschließend wird der Frage nachgegangen, welche weiteren Faktoren die Weitergabe einer elterlichen Abhängigkeit auf die Nachfolgegeneration begünstigen. Hierbei liegt der Fokus auf der körperlichen und subjektiven Reaktion von Alkohol bei dieser Zielgruppe sowie auf familiendynamische Auswirkungen, welche das Risiko einer Transmission erhöhen.
Zudem erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Resilienz, dies meint, die Fähigkeit des Kindes, sich trotz aversiver familiärere Einflüsse gesund zu entwickeln. Das Wissen darüber, dass nicht alle Kinder aus alkoholbelasteten Familien eine psychische Störung oder eigene Abhängigkeit entwickeln müssen, lässt nach den Faktoren fragen, welche eine gesunde Entwicklung ermöglichen. Ein Überblick darüber, welche Verhaltensweisen und Einstellungen Kinder zu gesunden Persönlichkeiten heranwachsen lassen, soll in diesem Kapitel gegeben werden.
Im praktischen Teil der gegenständlichen Diplomarbeit wird zunächst ein Überblick über die „Grounded Theory“ geben, welche als Grundlage für die Auswertung der Interviews diente. Daran schließt eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten charakteristischen Merkmalen von ExpertInneninterviews sowie dem Zugang zum Forschungsfeld.
Des Weiteren wird die Fragestellung präzisiert sowie eine detaillierte Darstellung der Auswertungsschritte auf der Grundlage der Grounded Theory gegeben.
Im Kapitel 4 erfolgt eine Auseinandersetzung mit den aussagekräftigsten Ergebnissen der ExpertInneninterviews. Demzufolge werden die Ergebnisse in Bezug auf die Fragestellungen zusammengefasst und diskutiert.
In den Kapiteln 5, 6 und 7 werden zunächst die Ergebnisse dargestellt, danach findet das theoretische Kontrastieren statt, dies meint das Abgleichen der vorläufigen Arbeitshypothesen mit der Fachliteratur. Abschließend werden die Ergebnisse interpretiert und diskutiert.
Des Weiteren fließen Anregungen und Impulse für die Arbeit mit „Kindern aus alkoholbelasteten Familien“ im Rahmen der Suchtprävention ebenfalls in das Schlusskapitel ein.
2 Theoretischer Teil
2.1 Inhalte und Strategien der Suchtprävention
Um der Frage nachzugehen, wie Kinder aus alkoholbelasteten Familien angemessen unterstützt werden können, d.h. inwieweit primärpräventive Angebote implizit auch „Kindern aus alkoholbelasteten Familien“ zugute kommen oder ob es spezifische Interventionen benötigt, gilt es zunächst einen Blick auf die Suchtprävention an sich zu richten. Daher sollen in Folge Ansätze, Ziele und Strategien der allgemeinen Suchtprävention beschrieben werden. Für einen Überblick über nationale Beispiele von generalpräventiven Angeboten im Rahmen der Suchtprävention sei an dieser Stelle an die: „Professionelle Suchtprävention in Österreich - Leitbildentwicklung der Österreichischen Fachstellen für Suchtprävention“ verwiesen (vgl. dazu Uhl/Springer 2002).
2.1.1 Definition Suchtprävention
Suchtprävention beschäftigt sich mit den vielfältigen Erscheinungsformen von Sucht. Diese inkludieren sowohl substanzgebundene (Alkohol, Medikamente, illegale Drogen) sowie auch substanzungebundene Süchte (Spielsucht, Sexsucht, Magersucht). Suchtprävention hat zum Ziel, den Missbrauch von Suchtmitteln, bzw. suchtähnlichen Verhaltensweisen hinauszuzögern oder zu verhindern, riskantes Konsumverhalten frühzeitig zu erkennen, sowie bereits bestehenden schädlichen Gebrauch oder Sucht zu verringern.3
Suchtprävention verknüpft häufig die Ansätze von Prävention und Gesundheitsförderung und somit orientiert sich die moderne Suchtprävention an folgendem Leitsatz: „Sucht– und Drogenprävention, wie sie von den Fachstellen verstanden wird, soll die Kräfte des Menschen zur Selbstbestimmung und Autonomie fördern, sie befähigen, soziale Beziehungen positiv zu gestalten und sie in die Lage versetzen, die Chancen und Gefahren des Lebens zu erkennen, um dann entsprechend kompetent darauf reagieren zu können. Es geht um eine Förderung von Lebenskompetenzen.“(Uhl/Springer 2002, S. 37)
2.1.2 Entwicklung der modernen Suchtprävention
Mit den Begriffen Rauschgift und Suchtgift wurden Ende der 60er Jahre „illegale Drogen“ assoziiert. Probleme in Zusammenhang mit Alkohol, Nikotin oder Medikamenten oder nicht– substanzgebundenen Süchten (wie Magersucht, Spielsucht usw.) wurden nur sehr selten und dann weit weniger emotional thematisiert. Aufgabe der Prävention war es die Zielgruppe abzuschrecken und zu manipulieren. Durch Vorgaben und Gebote kam es zu einer Fremdbestimmung der Zielgruppe, die als Objekte gesehen wurden. Einstellungen und Verhaltensweisen galt es zu verändern, auf mögliche Widerstände wurde massiver Druck ausgeübt (vgl. Uhl/Gruber 2004, S. 8f).
Im Laufe der Zeit wurde erkannt, dass sich die Methode der Abschreckung und Manipulation als immer weniger erfolgreich erwies. Der übertriebene Inhalt der Suchtprävention wurde früher oder später von den Konsumierenden entlarvt und als Irreführung oder sachliche Inkompetenz der Fachleute erlebt. Demzufolge müssen Präventionsmaßnahmen, die glaubhaft erscheinen wollen, Inhalte vermitteln, die sich nicht schon bei der ersten Konfrontation als falsch erweisen (vgl. Uhl/Springer 2002, S. 6).
In diesem Sinne orientiert sich nach Uhl & Springer (2002) die moderne Suchtprävention an einer humanen Grundhaltung, deren präventive Maßnahmen in Richtung Lebenskompetenzsteigerung und sachliche Informationsvermittlung gehen. Bei diesem Gesundheitsförderungsansatz werden die Zielpersonen als Subjekte wahrgenommen, deren Autonomie nicht mehr in Frage gestellt wird. Sie werden als InteraktionspartnerInnen gesehen, indem versucht wird gemeinsam Möglichkeiten zu finden, wie sich die Zielpersonen Fähigkeiten aneignen können um ihre Lebenssituation selbst zu gestalten bzw. zu verbessern. Damit soll eine Entwicklung in Richtung problematischen Substanzkonsums bzw. anderer selbstzerstörerischer Verhaltensweisen, anhand fehlender Problemlösungsstrategien verhindert bzw. verringert werden.
2.1.3 Präventionstypen
2.1.3.1 Primärprävention (Universelle Prävention)
Zentrale Aufgabe der Primärprävention ist es Rahmenbedingungen zu schaffen, damit eine „gesunde Entwicklung“ stattfinden kann.
Zielgruppe sind Personen und deren Umfeld, die keine besondere Risikogruppe darstellen und bei denen es noch zu keinem relevanten Problem gekommen ist. Die Interventionen der Primärprävention sollen dazu führen, dass eine Störung, ein Prozess oder ein Problem nicht erst auftreten wird. Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen – kulturellen Rahmenbedingungen sollen Personen und deren Ressourcen gefördert werden, mit dem Ziel, eine spätere mögliche Suchtentwicklung zu verhindern (vgl. Uhl/Springer 2002, S. 22f).
2.1.3.2 Sekundärprävention (Selektive Prävention)
Richtet sich an Menschen bzw. an Risikogruppen und deren Umfeld, bei denen das relevante Problem bereits vorhanden, jedoch noch nicht voll ausgebildet ist. Ziel ist es so früh wie möglich Störungen, Prozesse oder Probleme zu erfassen, um eine Beendigung oder Verbesserung der Problemmanifestation herbeizuführen. Aufgabe der Sekundärprävention ist es, Menschen in Lebenssituationen mit deutlicher Suchtgefährdung bei der Gestaltung von Lebensentwürfen zu unterstützen, damit es erst gar nicht zu einer vollen Problemmanifestation kommt (vgl. ebd.).
2.1.3.3 Tertiärprävention – Typ A (Indizierte Prävention)
„Wendet sich an Menschen mit einen relevanten Suchtproblem, um es mit ihnen gemeinsam zu lösen, zu minimieren oder zumindest eine weitere Verschlechterung zu verhindern sowie an deren Umfeld.“(Ebd., S. 23)
Störungen, Prozesse oder Probleme und die daraus resultierenden Folgen sollen beendet oder zumindest verlangsamt werden, auch wenn die Ursachen dafür weiterhin bestehen. Tertiärprävention – Typ A umfasst dabei therapeutische Interventionen wie auch andere Interventionen, wie z.B. die sozialarbeiterische Unterstützung von Süchtigen.
2.1.3.4 Tertiärprävention - Typ B (auch Quartärprävention genannt)
Wendet sich an Personengruppen und an deren Umfeld, die ihr Suchtproblem erfolgreich bewältigt haben. Durch Unterstützungsangebote soll ein dauerhafter und nachhaltiger Problemlösungsprozess gewährleistet werden (vgl. ebd.).
2.1.4 Zielgruppe der Suchtprävention
Zu der Zielgruppe der Suchtprävention gehören:
- die eigentliche Zielgruppe (jene Personen, bei denen eine Veränderung von Verhalten, Fähigkeiten oder Einstellungen herbeigeführt werden soll)
- Bezugspersonen der eigentlichen Zielgruppe (Eltern, Freude oder LehrerInnen, ErzieherInnen usw.)
- die breite Öffentlichkeit
ExpertInnen stellen sich seit längerem die Frage, ob es effektiver ist sich mit den suchtpräventiven Maßnahmen an die Hauptzielgruppe, sprich Kinder und Jugendliche oder an deren Bezugspersonen zu wenden.
Je nach Zugang wird vom direkten (Kinder und Jugendliche) und indirekten (Bezugspersonen) Ansatz gesprochen. Aus zeitökonomischen Gründen wird jedoch in den österreichischen Suchtpräventionsfachstellen der indirekte Ansatz dem direkten Ansatz vorgezogen. Somit umfasst der Schwerpunkt suchtpräventiver Arbeit der SuchtprophylaktikerInnen vor allem die Ausbildung, Beratung und Unterstützung von Schlüsselpersonen und MultiplikatorInnen (vgl. ebd., S. 65).
2.1.5 Ziele der Suchtprävention
Suchtpräventive Maßnahmen, wie sie von den österreichischen Fachstellen verstanden werden, beinhalten folgende Ziele:
- Die persönliche Entwicklung und das Gesundheitsbewusstsein jedes Einzelnen sollen gefördert werden.
Diese Forderung geht von dem Gedankengut aus, dass ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein sowie eine starke, ausgeglichene Persönlichkeit als wesentlicher, allgemeiner, protektiver Faktor bei der Entstehung einer Suchtproblematik von Nutzen sind.
- Der Konsumverzicht soll gestärkt werden, es soll eine Auseinandersetzung mit kulturellen Einstellungen erfolgen.
Von dem Hintergrund ausgehend, dass soziale und kulturelle Einstellungen zum Substanzkonsum den individuellen Konsum und Missbrauch maßgeblich beeinflussen, sollen Jugendliche dazu befähigt werden, soziale und kulturelle Vorgaben diesbezüglich kritisch zu hinterfragen. Durch solch eine kritische Reflexion von Seiten der Jugendlichen soll das Missbrauchsrisiko gesenkt werden.
- Der erste Konsum soll hinausgezögert werden, es soll eine kritische Distanz – Haltung zu psychoaktiven Substanzen erreicht werden.
Hierbei sollen Überlegungen zur Wechselwirkung zwischen Substanzgebrauch und lebensspezifischen Entwicklungsaufgaben in die Bemühungen präventiver Arbeit miteinfließen. Der Fokus richtet sich dabei vor allem auf das Jugendalter und dem daraus resultierenden Probier- und Neugierkonsum illegaler Drogen.4
2.1.6 Ansätze und Strategien der modernen Suchtprävention
Wie bereits beschrieben, sollen Maßnahmen zur Suchtprävention bereits im Vorfeld eine mögliche Suchentwicklung verhindern, die Gesundheit fördern und einen kritischen Konsum von Suchtmitteln in der Bevölkerung reduzieren. Demnach gilt es, suchtfördernde gesellschaftliche Strukturen abzubauen und protektive Faktoren und Ressourcen zu fördern. Um diese Ziele zu erreichen bedient sich die moderne Suchtprävention unterschiedlicher Ansätze und Strategien welche in Folge näher beschrieben werden sollen.
2.1.6.1 Strukturelle- und personenorientierte Suchtprävention
Suchtpräventive Maßnahmen müssen sowohl an die Person sowie an ihr soziales und institutionelles Umfeld gerichtet werden um Erfolge zu erzielen. Hierbei geht es vor allem darum, die allgemeinen Lebensbedingungen sowie Zukunft- und Bildungschancen zu verbessern. Somit setzt Suchtprävention immer beim Einzelnen (personenorientiert) als auch bei seinem Lebensumfeld (strukturorientiert) an.5
Personenorientierte Suchtprävention und Gesundheitsförderung
Setzten im Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz, Freizeiteinrichtungen usw. an und richten sich an einzelne Menschen oder Gruppen jeder Alterstufe. Sie sollen Erfahrungen, Ressourcen und Strategien vermitteln welche süchtigem Verhalten entgegenwirken.
Strukturelle Suchtprävention und Gesundheitsförderung
Umweltfaktoren, Gesetzte, Lebens- und Arbeitsbedingungen sollen durch suchtpräventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen so beeinflusst werden, dass positive Faktoren verstärkt und gesundheitsschädliche Faktoren beseitigt werden.
Abbildung 1: Personenorientierte Suchtprävention und Gesundheitsförderung6
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Strukturelle Suchtprävention und Gesundheitsförderung7
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.6.2 Gesundheitsförderung
Um sich dem Begriff Gesundheitsförderung anzunähern, ist es zunächst unabdingbar sich den Begriff „Gesundheit“ näher anzusehen. Dabei sollte stets bedacht werden, dass es derzeit zwei völlig unterschiedliche Definitionen von Gesundheit gibt. Gesundheit im umgangssprachlichen Sinn bedeutet die „Abwesenheit von Krankheit“(vgl. Uhl/Springer 2002, S. 52).
Gesundheit im Sinne der WHO (1984)8 bedeutet „einen Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und daher weit mehr als die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen.“
Gutzwiller 1996 (zit. nach Uhl/Springer 2002, S. 52) sieht Gesundheit als einen dynamischen Prozess. In diesem Sinne ist Gesundheit kein einmaliger zu erreichender Zustand, sondern einen Balanceakt, welchen das Individuum tagtäglich aufs Neue versucht auszugleichen. Dieser Balanceakt erschließt sich aus internen Faktoren, dazu zählen körperliche und psychische Konditionen wie u.a. genetische Prädisposition, psychische Bedürfnisse und Selbstwertgefühl, sowie aus externen Faktoren, sprich der sozialen und natürlichen Umwelt, zu der Familie, Peer-Group, Schule usw. zählen (vgl. Paulik et al 2002, S. 19). Auch Antonovsky 1987 (zit. nach Bengel et al. 2001, S. 28ff) sieht Gesundheit und Krankheit als zwei Pole, zwischen denen sich das Individuum dynamisch hin und her bewegt. Diese salutogenetische Sichtweise bedeutet, dass der Mensch niemals in allen Belangen vollständig gesund oder auch krank sein wird. Gesundheitsförderung kann beide genannten Definitionen von Gesundheit umfassen, jedoch ist es üblich sich auf den Gesundheitsbegriff im Sinne der WHO zu beziehen. Somit erschließt Gesundheitsförderung all jene Bereiche, die das menschliche Wohlbefinden beeinflussen oder beeinflussen können. Demnach ist sie bemüht, gesellschaftliche, ökonomische, pädagogische, soziale, ökologische, kulturelle und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Förderung von Ressourcen ermöglichen.
Sie orientiert sich also nicht an Defiziten und Risiken sondern ihr Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von personalen und sozialen Ressourcen.
Nach dem Ansatz der Ottawa Charter (WHO 1986)9 soll Gesundheitsförderung dazu dienen, dem Menschen dabei zu helfen, mehr Einfluss auf seinem Gesundheitszustand zu entwickeln und seine Gesundheit aktiv zu verbessern. Dieses Ziel kann dadurch erreicht werden, indem Individuen dabei unterstützt werden, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu befriedigen sowie lernen, ihr Umfeld positiv zu gestalten oder sich diesem anzupassen.
2.1.6.3 Förderung von Lebenskompetenzen
Der Lebenskompetenzförderungsansatz ist ursachenspezifisch, d.h. die Förderung der Lebenskompetenzen unterscheidet sich je nach Ausgangslage der Zielgruppe. Demzufolge sollen entweder Defizite bzw. Risikofaktoren beseitigt oder zusätzliche Kompetenzen bzw. Schutzfaktoren aufgebaut und vor allem bestehende Ressourcen gestärkt werden.
Hierfür gibt es sowohl substanzspezifische Angebote wie (sachliche Aufklärung über Suchtmittel, kritisches Konsumverhalten, Erziehung zur Genussfähigkeit usw.) wie auch substanzunspezifische Methoden, bei denen es vor allem darum geht, Problemlösungsstrategien zu entwickeln, kritisches Denken zu fördern oder auch kritisches Medienverhalten zu erlernen. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass eine Verbesserung der Lebenskompetenz dazu führt, dass Personen risikofreudiger und selbstbewusster werden und somit die Wahrscheinlichkeit des Probierens ansteigt. Jedoch wird mit großer Wahrscheinlichkeit das Risiko für eine Suchtentstehung durch diesen Ansatz herabgesetzt, da die Zielgruppe aufgrund zahlreicher Erfahrungen und den daraus resultierenden Strategien den Gefahren besser gewachsen ist (vgl. Uhl/Springer 2002, S. 50f). Lebenskompetenzförderung ist einerseits als allgemeines Erziehungsprinzip zu verstehen, anderseits beinhaltet dieser Zugang auch unterschiedliche Techniken und Trainingseinheiten wie Rollenspiel, Phantasiereisen etc. (vgl. ebd.). Vor allem wenn es um die Umsetzung von speziellen Techniken geht, sollte dies stets in den Händen von ausgebildeten Personen liegen und über einen längeren Zeitraum erfolgen. Auch im Zusammenhang mit dem Prinzip der Lebenskompetenzförderung sollten Maßnahmen in diesem Sinne, zielgruppenspezifisch– und individuumsspezifisch, erfolgen.
[...]
1 Vgl. Klein 2005 [02.04.2008] URL: http://www.praevention.at/upload/documentbox/Massnahmen_Systematik_031103.pdf.
2 Vgl. Springer 2006 [22.01.2008] URL: http://www.api.or.at/lbi/encarepdf%20slbg/2aalfredspringer-vortrag.pdf.
3 Vgl. Kontakt+co. [20.09.2007] URL: http://www.kontaktco.at/stelle/theorie.htm.
4 Vgl. Land Salzburg [25.05.2007] URL: http://www.salzburg.gv.at/praeventionskonzept-2.doc.
5 Vgl. Forum Prävention [11.01.2008] URL: http://www.forump.it/smartedit/documents/downloads/gemeindereader_dt.pdf.
6 Forum Prävention [17.01.1008] URL: http://www.forump.it/smartedit/documents/downloads/gemeindereader_dt.pdf.
7 Forum Prävention [17.01.2008] URL: http://www.forump.it/smartedit/documents/downloads/gemeindereader_dt.pdf.
8 Weltgesundheitsorganisation (engl. World Health Organization, WHO)
9 „Die erste Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung hat am 21. November 1986 in Ottawa die folgende Charta verabschiedet. Sie ruft damit auf zu aktivem Handeln für das Ziel „Gesundheit für alle“ bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus. Die Konferenz verstand sich in erster Linie als eine Antwort auf die wachsenden Erwartungen an eine neue öffentliche Gesundheitsbewegung. Die Diskussion befasste sich vorrangig mit Erfordernissen in Industrieländern, es wurden aber auch Probleme aller anderen Regionen erörtert. Ausgangspunkt waren die auf der Grundlage der Deklaration von Alma-Ata über gesundheitliche Grundbetreuung erzielten Fortschritte, das WHO-Dokument „Gesundheit für alle“ sowie die während der letzten Weltgesundheitsversammlung geführte Diskussion zum intersektoriellen Zusammenwirken für die Gesundheit.“ (WHO [20.05.2007] URL: http://www.euro.who.int/AboutWHO/Policy/20010827_2?language=German)
- Quote paper
- Magistra Iris Adele Pedross (Author), 2008, Welche Form der Suchtprävention ist für die Hochrisikogruppe ´Kinder aus alkoholbelasteten Familien´ ziehlführend?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123421
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