Die Argonautensage erzählt, wie Jason auf Auftrag seines Onkels Pelias mit seinen Gefährten nach
Kolchis, im Osten des Schwarzen Meeres gelegen, fährt, um das goldene Vlies zu stehlen. Zur
erfolgreichen Erfüllung dieser Aufgabe verhilft ihm die kolchische Prinzessin und Zauberin Medea,
die sich in Jason verliebt, ihn ewige Treue schwören lässt und ihm als Gegenleistung zur Flucht
verhilft. Euripides (486/85-406 v. Chr.), neben Aischylos (525-456 v. Chr.) und Sophokles
(496-405/406 v. Chr.) der jüngste der drei großen Tragödiendichter Athens, verbindet diesen Mythos
des Argonautenzuges in seinem Drama „Medea“ mit einer Lokalsage aus Korinth und formt den
Sagenstoff um:1 Jason und Medea herrschen über Korinth und haben zwei Kinder. Jason verlässt
Medea, da ihm eine Heirat mit der korinthischen Königstochter Glauke in Aussicht gestellt wird. In
der Tragödie schwört Medea von Trauer und Zorn geleitet Rache, tötet Glauke und deren Vater Kreon
mithilfe ihrer Zauberkünste und bringt ihre eigenen Kinder um, um Jason größtmöglichen Schmerz
zuzufügen. Schließlich entflieht sie auf einem Drachenwagen nach Athen. Die Tragödie, die 431
aufgeführt wurde und dabei den dritten Preis erreicht hatte, zog in weiterer Folge eine äußerst
umfangreiche Rezeption nach sich.2
Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Medea - Barbarin oder Griechin?
3.1. Medea als barbarische Hexe
3.2. Medea als fremde Griechin in Korinth
4. Conclusio
5. Verzeichnis der verwendeten Literatur
2. Einleitung
Die Argonautensage erzählt, wie Jason auf Auftrag seines Onkels Pelias mit seinen Gefährten nach Kolchis, im Osten des Schwarzen Meeres gelegen, fährt, um das goldene Vlies zu stehlen. Zur erfolgreichen Erfüllung dieser Aufgabe verhilft ihm die kolchische Prinzessin und Zauberin Medea, die sich in Jason verliebt, ihn ewige Treue schwören lässt und ihm als Gegenleistung zur Flucht verhilft. Euripides (486/85-406 v. Chr.), neben Aischylos (525-456 v. Chr.) und Sophokles (496-405/406 v. Chr.) der jüngste der drei großen Tragödiendichter Athens, verbindet diesen Mythos des Argonautenzuges in seinem Drama „Medea“ mit einer Lokalsage aus Korinth und formt den Sagenstoff um:[1] Jason und Medea herrschen über Korinth und haben zwei Kinder. Jason verlässt Medea, da ihm eine Heirat mit der korinthischen Königstochter Glauke in Aussicht gestellt wird. In der Tragödie schwört Medea von Trauer und Zorn geleitet Rache, tötet Glauke und deren Vater Kreon mithilfe ihrer Zauberkünste und bringt ihre eigenen Kinder um, um Jason größtmöglichen Schmerz zuzufügen. Schließlich entflieht sie auf einem Drachenwagen nach Athen. Die Tragödie, die 431 aufgeführt wurde und dabei den dritten Preis erreicht hatte, zog in weiterer Folge eine äußerst umfangreiche Rezeption nach sich.[2]
Euripides greift in seinen Werken vielfach gesellschaftliche Probleme auf und kritisiert diese.[3] So wurde die Tragödie „Medea“ unter anderem häufig dazu herangezogen, um die Rolle der Frau in der athenischen Gesellschaft darzustellen. Das ist darauf zurückzuführen, dass sich Medea im Stück mehrfach über die Stellung der Frau beklagt. Solche Interpretationen können jedoch nur sinnvoll sein, wenn Euripides in seiner Tragödie tatsächlich eine griechische Frau darstellt, und nicht eine Barbarin, welche der griechischen Gesellschaft nicht angehört. Dieser Frage wird in dieser Arbeit nachgegangen.
3. Medea - Barbarin oder Griechin?
3.1. Medea als barbarische Hexe
Denys L. Page schreibt in seiner kommentierten Textausgabe von 1938 im Vorwort:
„The murder of children, caused by jealousy and anger against their father, is mere brutality: if it moves us at all, it does so towards incredulity and horror. Such an act is outside our experience, we - and the fifth-century Athenian - know nothing of it.[4] (...)
She is a woman scorned, depicted at the stage of emotion in which her first torment of misery has passed into vindictive hatred. And here is it important to understand that the poet has described not a Greek woman but a barbarian. Though her emotions are natural to all woman of all times in her position, their expression and the dreadful end to which they lead are everywhere affected by her foreign origin. (...) Above all, the inhuman cruelty of the childmurderess was a typically foreign quality. (...) Because she was a foreigner she could kill her children; because she was a witch she could escape in a magic chariot. She embodies the qualities which the fifth-century Atheniean believed to be characteristic of Orientals.“[5]
Pages Argumente laufen also darauf hinaus, dass Medea typische Kennzeichen aufweist, wie sie nur bei Barbaren zu finden sind: die Grausamkeit ihrer Tat, Unbeherrschtheit in Trauer und Zorn, Auflehnung gegen die Autorität, kindische Überraschung über Untreue und Verrat und natürlich ihre Zauberkräfte, mit deren Hilfe sie einen Drachenwagen besteigen und entfliehen kann. All diese Merkmale verbinden die Griechen des 5. Jahrhundert laut Page eindeutig mit orientalischen Barbaren und verweist dabei auf die Berichte Herodots und die Erfahrungen durch die persischen Invasionen, wodurch diese Vorurteile entstanden seien.[6]
Doch auch im Text selbst werde die barbarische Herkunft Medeas betont, so klassifiziert Jason Medea in deren zweiten Dialog gegen Ende der Tragödie eindeutig als Barbarin:
„Als aus der Heimat, aus Barbarenland ich, Dich, Fluch, nach Hellas führte, dich, Verräterin, des Vaters und des Landes, das dich auferzog. (...)
Kein Weib in Hellas hätte dies jemals vermocht, und doch vor ihnen allen hab ich dich ersehen, mein Weib zu werden, die du mein Verderben wardst, Du, eine Löwin, nicht ein Weib, von wildrer Art Als Skylla tief im Meeresfels Tyrrhenians.“[7]
Weiters sei sich Medea ihrer fremdländischen Herkunft auch selbst bewusst:
„Nicht das bewog dich; nur schien dir die Eh‘ mit mir, der Fremden, bis zum Altar wenig ehrenvoll“[8]
Hier, im 1. Dialog zwischen den beiden ehemaligen Verliebten, bezeichnet sich Medea folglich selbst als fremd: im griechischen Originaltext bezeichnet sie die Ehe als „βάρβαρον λέχος“, also eindeutig als ungriechisch.[9]
Page hat mit seiner Ansicht die Interpretationen der Folgezeit stark beeinflusst. So sei Laut der Kindermord der Medea laut Schmid eine Tat, welche „allem griechischen Empfinden ins Gesicht schlägt“[10], und verweist dabei auf die Verse 1255-1266, in denen der Chor ohne viel Erfolg nach einem vergleichbaren Beispiel aus dem Mythos sucht.
[...]
[1] siehe M. Hose, Euripides, München 2008, S. 50
[2] so wurde der Stoff unter anderem von P. Ovidius Naso (43 v. Chr-18 n. Chr), L. Annaeus Seneca (um 4 v. Chr.-64 n. Chr.), Pierre Corneille (1606-84), Luigi Cherubini (1760-1842), Franz Grillparzer (1791-1872), Jean Anouilh (1910-1987) und Christa Wolf (*1929) verarbeitet. Eine vollständige Liste findet sich im Anhang zu J.- W. Beck, Euripides' 'Medea': Dramatisches Vorbild oder misslungene Konzeption? In: Nachrichten der Göttinger Akademie der Wissenschaften 1998,1
[3] K. Matthiessen, Euripides und sein Jahrhundert, München 2004 S. 30
[4] D.L. Page, Euripides Medea. The Text edited with Introduction and Commentary, Oxford 1938, S. XIV
[5] Ebd, S. XVIII ff
[6] Ebd, S. XIX
[7] Euripides, Medea, 1304-1317 (ÜS J.J.C. Donner); Diese und alle folgenden Versangaben nach der Reclamausgabe Stuttgart 2006.
[8] Ebd. 584-585
[9] nach K. Vretska (Hrg), Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, 9. Auflage Zug 1965, bedeutet βάρβαρος u.a. ungriechisch, ausländisch. Es ist zu betonen, dass „fremd“ als „ξένος“ keineswegs „ungriechisch“ bedeutet, sondern auch für Griechen, die aus anderen Poleis stammen, gebraucht wird.
Häufig gestellte Fragen zu "Medea - Barbarin oder Griechin?"
Worum geht es in dieser Analyse?
Die Analyse untersucht, ob Euripides in seiner Tragödie "Medea" eine griechische Frau oder eine Barbarin darstellt. Dies ist wichtig, um Interpretationen über die Rolle der Frau in der athenischen Gesellschaft im Kontext des Stücks zu beurteilen. Wenn Medea als Barbarin dargestellt wird, sind solche Interpretationen möglicherweise weniger relevant.
Was sind die Hauptargumente für Medea als Barbarin?
Denys L. Page argumentiert, dass Medea typische Kennzeichen einer Barbarin aufweist, wie Grausamkeit, Unbeherrschtheit, Auflehnung gegen Autorität und Zauberkräfte. Jason selbst klassifiziert Medea als Barbarin, und Medea bezeichnet ihre Ehe als "ungriechisch". Der Kindermord widerspricht dem griechischen Empfinden und wird in der Tragödie selbst als außergewöhnlich dargestellt.
Welche Hinweise gibt es im Text, die Medeas barbarische Herkunft stützen?
Jason bezeichnet Medea als "Fluch aus Barbarenland" und vergleicht sie mit einer Löwin und Skylla, was auf ihre Wildheit hinweist. Medea selbst bezeichnet ihre Ehe mit Jason als "βάρβαρον λέχος" (ungriechische Ehe). Der Chor sucht erfolglos nach einem vergleichbaren Beispiel für einen Kindermord im griechischen Mythos.
Wer war Euripides?
Euripides (486/85-406 v. Chr.) war neben Aischylos und Sophokles einer der drei großen Tragödiendichter Athens. Er ist bekannt dafür, in seinen Werken gesellschaftliche Probleme aufzugreifen und zu kritisieren.
Wer war Denys L. Page?
Denys L. Page war ein Gelehrter, der 1938 eine kommentierte Textausgabe von Euripides' "Medea" veröffentlichte. Seine Interpretation, die Medea als Barbarin darstellt, hatte einen großen Einfluss auf die nachfolgenden Interpretationen des Stücks.
Welche anderen Autoren haben den Medea-Stoff verarbeitet?
Der Medea-Stoff wurde unter anderem von P. Ovidius Naso, L. Annaeus Seneca, Pierre Corneille, Luigi Cherubini, Franz Grillparzer, Jean Anouilh und Christa Wolf verarbeitet.
- Quote paper
- Matthäus Deutsch (Author), 2009, Die Fremdheit der euripideischen "Medea", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123224