Mörikes Schaffen gilt in der Literaturgeschichte als Markierung der Wende von der Spätromantik zum Beginn der Biedermeierzeit. Das „Biedermeierliche“, als
eine Rückzugshaltung zur häuslichen Bequemlichkeit, wie Peter J. Brenner es zunächst definiert, trifft jedoch, wie man an den vielen kurzen Reisen des württembergischen Autors schon alleine sehen kann, nicht den Kern seines literarischen Schaffens. Konkret betrachtet sind es eher Merkmale der Zerrissenheit, der regionalen Gebundenheit und die Tendenz zu einem
konservativen Weltbild, die seine literarischen Werke prägten. An Hand von zwei Beispielen soll in dieser Arbeit eine mögliche Herangehensweise und eingeschränkte Betrachtungsweise der Opposition von himmlischer und irdischer Liebe demonstriert werden. Wo find ich Trost? und Neue Liebe sind zwei von der Forschung unterschiedlich stark registrierte Gedichte. Während ersteres kaum Beachtung gefunden hat, wurde verstärkt versucht, letzteres insbesondere mit biographischen und gattungsspezifischen Aspekten des Autors in Verbindung zu bringen. Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, dass Mörike sich eines bestimmten dichotomen Konzepts bedient hat, welches nicht zuletzt auf sein theologisch fundiertes Wissen beruhte. Die Differenzierung von himmlischer und irdischer Liebe fasst Mörike als ein dichotomes literarisches Konzept, wodurch er diese unterschiedlichen Auffassungen dichterisch umzusetzen versteht.
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Forschungsstand
2 Himmlische und irdische Liebe – eine Begriffs(er)klärung
3 Wo find ich Trost?
4 Neue Liebe
5 Die Gestaltung einer dichotomen Liebe – Form und Inhalt im Vergleich
6 Abschließende Betrachtung
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung und Forschungsstand
Mörikes Schaffen gilt in der Literaturgeschichte als Markierung der Wende von der Spätromantik zum Beginn der Biedermeierzeit. Das „Biedermeierliche“, als eine Rückzugshaltung zur häuslichen Bequemlichkeit, wie Peter J. Brenner es zunächst definiert1, trifft jedoch, wie man an den vielen kurzen Reisen des württembergischen Autors schon alleine sehen kann, nicht den Kern seines literarischen Schaffens. Konkret betrachtet sind es eher Merkmale der Zerrissenheit, der regionalen Gebundenheit und die Tendenz zu einem konservativen Weltbild, die seine literarischen Werke prägten.2
Unter dem Merkmal der Zerrissenheit soll in dieser Arbeit eine Art der Unentschlossenheit, der Nachdenklichkeit, des Abwägens verstanden werden, das Mörikes Lyrik kennzeichnet. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, diese biedermeierliche Haltung aus einer zweigeteilten Perspektive zu betrachten. Die Thematisierung und Darstellung himmlischer und irdischer Liebe verspricht eine enge Betrachtungsweise, was zunächst nicht unbedingt vorteilhaft klingt, in Anbetracht des Forschungsstandes – wie noch in den kommenden Kapiteln zu sehen sein wird – bezüglich dieses Themas und der Herangehensweise der Literaturforschung jedoch dringend nötig ist.3 Mörike kann seit Harry Maync’
BiographieSein Leben und Dichtenvon 19024 nicht nur als einer der bedeutendsten Autoren des 19. Jahrhunderts, sondern auch als ein ebenso bedeutendes Forschungsobjekt der Literaturwissenschaften bezeichnet werden, welches entsprechend gewürdigt werden müsste.
An Hand von zwei Beispielen soll in dieser Arbeit eine mögliche Herangehensweise und eingeschränkte Betrachtungsweise der Opposition von himmlischer und irdischer Liebe demonstriert werden. Wo find ich Trost?undNeue Liebesind zwei von der Forschung unterschiedlich stark registrierte Gedichte. Während ersteres kaum Beachtung gefunden hat, wurde verstärkt versucht, letzteres insbesondere mit biographischen und gattungsspezifischen Aspekten des Autors in Verbindung zu bringen.5 Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, dass Mörike sich eines bestimmten dichotomen Konzepts bedient hat, welches nicht zuletzt auf sein theologisch fundiertes Wissen beruhte. Die Differenzierung von himmlischer und irdischer Liebe fasst Mörike als ein dichotomes literarisches Konzept, wodurch er diese unterschiedlichen Auffassungen dichterisch umzusetzen versteht.
Bevor im Folgenden die beiden Gedichte einer Analyse unterzogen werden, soll eine kurze Definition von himmlischer und irdischer Liebe gegeben werden. Im Anschluss an die Interpretationen erfolgt die formelle Betrachtung der einzelnen Gedichte mit dem Ziel, Zusammenhänge zwischen der äußeren Form und dem Inhalt der Gedichte in Hinblick auf die zwei unterschiedlichen Liebeskonzepte kenntlich zu machen. Eine kurze abschließende Betrachtung wird im letzten Kapitel die gesetzten Ziele und Ergebnisse zusammenfassen.
2 Himmlische und irdische Liebe – eine Begriffs(er)klärung
Betrachtet man Mörikes Liebeslyrik in einem nicht allzu eng gemeinten Sinn dieses Gattungsbegriffes, so behauptet Gregor M. Mayer6, würde diese mindestens einen Drittel der Gedichte ausmachen, die der Schwabe insgesamt verfasst hat. Mayers Definition von ‚Liebe’, ergo die „breitere“ Grundlage seines Forschungsbeitrages, scheint ebenso breit und schwammig formuliert, wie scheinbar seine Auffassung von Liebeslyrik bei Mörike selbst:
Mit Liebe meine ich mindestens all das, was unter Liebe je verstanden werden konnte. Auch Liebe, die sich selbst noch nicht oder nicht mehr als Liebe weiß, kann Liebe sein. Ich konzentriere mich dabei rein interessehalber deutlich auf Eros und Sexus.7
Der Fokus seiner Arbeit, wie es der Titel bereits erwähnt, liegt also bei der Erotik und der Sexualität in Mörikes Lyrik. Bezogen auf die zwei noch zu behandelnden StückeWo find ich Trost?undNeue Liebetrifft sein Vorhaben nicht ganz zu, wie gezeigt werden wird. Eine Differenzierung zwischen himmlischer und irdischer Liebe trifft Mayer ebenfalls wenn auch nur unbewusst am Rande.
Dass jedoch dieser Unterschied als Thema in Mörikes Liebeslyrik und in der Definition von ‚Liebe’ zu fassen möglich ist, sollen die Beispiele im Kommenden zeigen. Mayer definiert somit in seiner gesamten Arbeit jenen Part der Liebe, die im Folgenden mit ‚irdischer Liebe’ bezeichnet werden soll: die Liebe zwischen den Menschen, die Liebe von Mann zu Frau und von Frau zu Mann und die Sexualität, Erotik und Emotionalität, welche in diesem binären Beziehungsgeflecht zum Ausdruck gebracht werden. Mit ‚himmlischer Liebe’ wird die Liebe zu Gott einerseits und Gottes Liebe zum Menschen andererseits gemeint sein. Diese Art der Liebe soll jene christlich-religiöse Beziehung zwischen Gott und den Menschen bezeichnen, welche konträr zur irdischen Liebe in den zu behandelnden Gedichten steht und die irdische Liebe als die christlich- moralisch Verwerflichere darstellt. Diese beiden auseinander scheidenden Auffassungen von Liebe vereint Mörike in seiner Liebeslyrik sowohl inhaltlich als auch formell, wie in den kommenden drei Kapiteln gezeigt werden soll.
3 Wo find ich Trost?
Eine Liebe kenn ich, die ist treu, War getreu, solang ich sie gefunden, Hat mit tiefem Seufzen immer neu,
Stets versöhnlich, sich mit mir verbunden.
Welcher einst mit himmlischem Gedulden Bitter bittern Todestropfen trank,
Hing am Kreuz und büßte mein Verschulden, Bis es in ein Meer von Gnade sank.
Und was ists nun, daß ich traurig bin,
Daß ich angstvoll mich am Boden winde? Frage: Hüter, ist die Nacht bald hin?
Und: was rettet mich von Tod und Sünde?
Arges Herze! ja gesteh es nur,
Du hast wieder böse Lust empfangen; Frommer Liebe, frommer Treue Spur, Ach, das ist auf lange nun vergangen.
Ja, das ists auch, daß ich traurig bin,
Daß ich angstvoll mich am Boden winde! Hüter, Hüter, ist die Nacht bald hin?
Und was rettet mich von Tod und Sünde?8
Das Gedicht, welches als erstes in Augenschein genommen werden soll, ist das um 1827 geschriebene GedichtWo find ich Trost?, welches am 17.04.1829 imMorgenblatt für gebildete Ständeabgedruckt wurde.9 Von Heydebrand charakterisiert das „nichtstrophische Gebilde“ als ‚liedhaft’, dessen Strophen „mit religiösem Klang überwiegen“.10 In Anlehnung an Maync verweist sie auf die intertextuellen Bezüge zur Bibel und Christian Friedrich Richters Kirchenchoral
„Hüter, wird die Nacht der Sünden / Nicht verschwinden?“.11 Zweifellos sind die religiösen Verweise hörbar, doch ebensolche Beachtung sollte den irdischen Klängen in den Versen gegeben werden.
Dem Inhalt dieses Gedichtes steht eine als Frage formulierte Überschrift zuvor. Entsprechend kann der Leser nun eine Antwort erwarten. Auf eine explizite Antwort kann der Leser allerdings lange hoffen, denn sie wird lediglich indirekt, aber bereits in der ersten Strophe gegeben: Trost findet man in der Liebe – einer Liebe, die treu (V. 1 und 2) und dauerhaft (V. 2 und 3) ist und versöhnlich mit dem Ich in Verbindung steht (V. 4). Diese allgemeine Definition, die Mörike in der ersten Strophe postuliert, wirft jedoch Fragen auf: Um was für eine Liebe handelt es sich? Wie wird diese im Verlauf konkretisiert? Und nicht zuletzt welches Bild wird vom Tröster (dem der Liebe spendet) und dem Getrösteten (der auf Liebe hofft) gezeichnet, wie man vom Titel ausgehend erwarten würde?
[...]
1 Brenner: Literaturgeschichte, S. 138.
2 Ebd.: S. 139; Mörike: Werke in einem Band, S. 1009-1011; Wild: Mörike Handbuch, S. 5.
3 Gerhart von Graevenitz weist zu Beginn seiner Arbeit explizit auf ein „eingeschränktes Thema“ hin, nämlich das der „Sünde“. Es erscheint ihm dennoch wichtig diese Tatsache hervorzuheben, auf Grund eines „nicht sehr förderlichen Zwang[s] zur Synthese“ der Mörike-Forschung, die Wesentliches allgemein zu fassen versucht. Kritisiert werden u.a. von Heydebrands Mörike-Buch, welches auch in dieser Arbeit aus den gleichen Gründen kurz in die Kritik gerät. Gregor Mayers Arbeit zu Mörike erscheint mir ebenfalls in diese Kategorie der Forschungsbeiträge zu gehören und soll entsprechender Kritik unterlaufen.
4 Verwendet und zitiert wird die 5. überarbeitete und vermehrte Auflage von 1944.
5 Konkrete Hinweise auf die Rezeption der Gedichte erfolgen zu Beginn der jeweiligen Kapitel.
6 Mayer: Mörikes Liebeslyrik, S. 13.
7 Mayer: Mörikes Liebeslyrik, S. 27.
8 Mörike: Sämtliche Werke, S. 126.
9 Ebd.: S. 1077.
10 Von Heydebrand: Mörikes Gedichtwerk, S. 195.
11 Vgl. von Heydebrand: Mörikes Gedichtwerk, S. 356.
- Arbeit zitieren
- Carol Szabolcs (Autor:in), 2008, Himmlische und irdische Liebe in Mörikes Lyrik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122684
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