In meiner Arbeit werde ich speziell auf die Dialogizität in diesem Werk eingehen. Zunächst werde ich kurz erläutern, was unter dem Begriff der Dialogizität zu verstehen ist und wie die Forschung mit diesem Begriff umgeht (Kap. 2). Danach werde ich einen Überblick über die Satire geben, indem ich kurz auf die Struktur und Inhalt eingehe (Kap. 3.1). In den folgenden Abschnitten werde ich einerseits die Dialogizität beschreiben, die sich durch den Kontrast von Erwartung und Realität ergibt (Kap. 3.2) und andererseits durch das Beurteilen von zeitgenössischen Literaten (Kap. 3.3). Im 4. Kapitel werde ich die anderen Satiren Boileaus erwähnen, die III. Satire in das Gesamtwerk einordnen und den Dichter in Bezug auf seine Vorbilder beurteilen.
Inhaltsverzeichnis
1. Literaturhistorischer Hintergrund
2. Klärung der Begriffe Dialog und Dialogizität
3. Untersuchung der Dialogizität in der III. Satire
3.1 Struktur der Satire
3.1.1 Die Vorgeschichte
3.1.2 Das Essen
3.1.3 Der Streit
3.1.4 Die Flucht
3.2 Dialogizität zwischen der Erwartung der Persona und der Realität
3.3 Dialogizität zwischen der Persona und zeitgenössischen Literaten
4. Boileau und seine Satiretradition
4.1 Einordnung der III. Satire in das Werk Boileaus
4.2 Die Satiretradition von Boileau
5. Zusammenfassung
6. Bibliographie
1. Literaturhistorischer Hintergrund
“Alles ist Mittel, der Dialog allein ist Ziel. Eine einzelne Stimme beendet nichts und entscheidet nichts. Zwei Stimmen sind das Minimum des Lebens.“ (Lachmann: 1982)
Nicolas Boileau-Despréaux (1636 - 1711) lebt in Paris zur Zeit Ludwigs XIV und ist ein typischer Vertreter der Klassik. Damals hatten sich die von Malherbe geforderten Normen der sprachlichen Klarheit und Reinheit bereits etabliert, und die Dichter waren sich einig, dass sie in ihren Werken vor allem der Natur und der raison folgen mussten. Kunst wurde als Imitation der Realität bzw. der Natur betrachtet und die Vernunft gebot dem Poeten, sich an gewisse Regeln zu halten, anstatt sich ausschließlich auf seine schöpferische Kraft zu verlassen. In dieser Zeit wächst Boileau auf. Durch seinen Bruder Gilles Boileau gelangt er schon früh in die Kreise von Molière, Racine, La Fontaine, Furetière und Chapelain und entwickelt Interesse für die Literatur. Ab 1657 schreibt er erste Satiren und eines seiner bekanntesten Werke ist zweifellos das Repas ridicule, seine III. Satire.
In meiner Arbeit werde ich speziell auf die Dialogizität in diesem Werk eingehen. Zunächst werde ich kurz erläutern, was unter dem Begriff der Dialogizität zu verstehen ist und wie die Forschung mit diesem Begriff umgeht (Kap. 2). Danach werde ich einen Überblick über die Satire geben, indem ich kurz auf die Struktur und Inhalt eingehe (Kap. 3.1). In den folgenden Abschnitten werde ich einerseits die Dialogizität beschreiben, die sich durch den Kontrast von Erwartung und Realität ergibt (Kap. 3.2) und andererseits durch das Beurteilen von zeitgenössischen Literaten (Kap. 3.3). Im 4. Kapitel werde ich die anderen Satiren Boileaus erwähnen, die III. Satire in das Gesamtwerk einordnen und den Dichter in Bezug auf seine Vorbilder beurteilen.
2. Klärung der Begriffe Dialog und Dialogizität
Die Begriffe Dialog und Dialogizität bezeichnen - entgegen einer ersten vorschnellen Vermutung - unterschiedliche Sachverhalte. Dies möchte ich im folgenden Abschnitt zeigen. Da vor allem der Terminus der Dialogizität schwer zu klassifizieren ist, werde ich mit dem Dialogbegriff beginnen.
Dialog (von griech. diálogos) steht in der alltäglichen Umgangssprache für Unterredung, Gespräch, Zwiegespräch. Außer der Anwesendheit von mindestens zwei Gesprächspartnern, gibt es im Dialog noch eine dritte Instanz, der Gesprächsgegenstand. Dieser ist das Zentrum, auf den der Dialog ausgerichtet ist. Dabei geht es aber nicht um einen ständigen Überredungsversuch, sondern vielmehr darum, dass die Gesprächspartner ihre Äußerungen aufeinander beziehen und ihre subjektive Perspektive verlassen, um zu einer Verständigung zu gelangen. Die Verständigung als Resultat ist vorher nicht festgelegt, d.h. der Dialog ist stets offen. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht kann man folglich das Gespräch, das primär zwecklos ist, von der Zielgerichtetheit des Dialogs abgrenzen.
Der Begriff der Dialogizität (dt. auch Redevielfalt, Polyphonie) wurde von dem russischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Michail Michailovitsch Bachtin (1895-1975) geprägt und von seinen Interpreten, wie z.B. Todorov, Kristeva, Holquist und Lachmann als theoretisches Konzept etabliert. Jede sprachliche Äußerung ist nach Bachtin immer ein dynamischer Prozess, der auf den Anderen gerichtet ist und zur Gegenrede auffordert. Äußerungen und Texte sind sich ergänzende oder konkurrierende Stimmen, die jeweils unterschiedliche Sprachebenen, Normen und Weltanschauungen repräsentieren. Die Dialogizität beleuchtet den Gesprächsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven und ermöglicht dem Leser somit, sich ein umfassenderes Bild von ihm zu machen. Bachtin untersucht die Dialogizität hauptsächlich anhand des Romans, der die „sozio-ideologischen Stimmen der Epoche“ (Bachtin 1979: 290, zit. nach Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie 2004) erkennen lässt. Der dialogische Roman verhindert, dass eine dominante Stimme alle anderen verstummen lässt, wie es bei der Monologizität der Fall ist. Ebenso befürwortet Bachtin dialogische Interpretationen, die sich gegen eine einzige wahre Deutung richten, sondern mehrere Ansichten zulassen. Mittlerweile wird die Dialogizität auch an anderen Gattungen (Lyrik, Drama, Satire) untersucht. In der Satire ist die Persona, also das Satire-Ich, die zentrale Gestalt in Bezug auf die Dialogizität. Sie ist das Äquivalent zum Erzähler des Romans. Der Dialogizitätsbegriff wird in der Forschung zunehmend weiter gefasst und mit der Intertextualität gleichgesetzt. Diese Entwicklung wird von einigen Forschern kritisiert[1] und auch in dieser Arbeit sollen beide Begriffe getrennt bleiben. Ich werde folglich nicht auf die Intertextualität eingehen.
Schließlich kann man erkennen, dass Dialogizität
„nicht nur ein hohes Maß an Selbstreflexion [verlangt], sondern darüber hinaus interpretatorische Offenheit und die Fähigkeit an[mahnt], mit Widersprüchen und ungelösten Problemen zu leben.“(Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie 2004)
3. Untersuchung der Dialogizität in der III. Satire
Die III. Satire Boileaus, Le Repas ridicule, entsteht im Laufe der Jahre 1664/65. Boileau kannte viele Gesellschaften, in denen die Esskultur zu einer Wissenschaft und sogar zur Religion gemacht wurde. Die Gesellschaft der Côteaux zählt dazu und wird in der Satire ebenso wie zwei andere Gourmets, l’abbé du Broussin und der Commandeur de Souvré, explizit erwähnt. Boileau wendet sich gegen diese Verherrlichung des Essens, indem er sich darüber lustig macht.
3.1 Struktur der Satire
Die Satire kann in vier Abschnitte gegliedert werden.
3.1.1 Die Vorgeschichte
Die Vorgeschichte umfasst die Verse 1-28 und ist die Einleitung bzw. der Ausgangspunkt der Satire. In den Versen 1-13 spricht zunächst nur A., der sich wundert, warum sein Bekannter P., so schlechter Laune ist. Le Verrier erklärt, dass A. der Poet selbst sein soll und P. der damals bekannte Gourmet Le Broussin. Aber warum werden die Buchstaben A. und P. verwendet, wo sie doch nichts mit den Namen der Personen gemeinsam haben? Jedenfalls ist der Fragende sehr verwundert:
„Quel sujet inconnu vous trouble et vous altère ?
D’où vous vient aujourd’huy cet air sombre et severe, […] ?“ (V. 1/2)[2]
Ab Vers 14 spricht bis zum Ende der Satire nur noch P., die Persona. Er berichtet, dass er soeben aus dem Haus eines Dummkopfs kommt „qui, pour m’empoisonner, je pense, exprés chez lui, m’a forcé de disner.“ (V. 15/16) Dann erzählt er, wie der Gastgeber ihn am vergangenen Tag eingeladen hat.
3.1.2 Das Essen
Der nun folgende Teil (Verse 29-156) schildert sehr ausführlich die verschiedenen Gerichte und die Unterhaltung am Tisch. Zunächst wird jedoch der Eingeladene vom Gastgeber mit einer Umarmung empfangen, was ihm seltsam und unangenehm vorkommen muss, da er bereits seit langer Zeit versucht, dem hôte aus dem Weg zu gehen und die Einladung nur aus Höflichkeit angenommen hat. Nachdem er erfahren hat, dass die angekündigten Persönlichkeiten Molière und Lambert[3] nicht kommen, wird er stattdessen von „deux nobles Campagnards“(V. 43) mit umständlichen höfischen Floskeln begrüßt. Durch die verärgerte Reaktion der Persona wird deutlich, dass diese langen Begrüßungszeremonien zur damaligen Zeit verpönt waren. Die Ankunft- und Begrüßungsszene endet mit dem Vers 44. Im nächsten Unterabschnitt (Verse 45-88) beginnt das Mahl mit einem Hahn, der zur Verwunderung der Persona von allen Anwesenden als Kapaun angesehen wird. Diese Beschönigung bzw. das bewusste Ignorieren des unterdurchschnittlichen Mahls zieht sich durch die ganze Satire und zeigt, dass die vermeintlichen Feinschmecker keinen Wert auf Qualität legen. Im Anschluss schildert der Eingeladene die bedrückende Enge am Tisch, und nicht zuletzt wegen der Rede des hôte, in welcher er Mignot lobt, der die Suppe zubereitet hat, wird ihm immer unwohler:
[...]
[1] Siehe hierzu den Artikel von W. Preisendanz
[2] Alle Zitate aus der Satire: siehe Boileau, Nicolas: Oeuvres complètes. Gallimard. Paris 1979.
[3] Königlicher Kammermusiker
- Arbeit zitieren
- David Münch (Autor:in), 2005, Untersuchung der Dialogizität in der III. Satire von Nicolas Boileau-Despréaux, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122642
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